Am gestrigen Samstag, den 23. Mai fand in der nordkurdischen Stadt Amed (türk. Diyarbakir) zum wiederholten Male ein Angriff auf Mitglieder der prokurdischen Partei HDP statt. Zwei Mitglieder der HDP wurden dabei niedergestochen. Der 19jährige Jugendliche und sein älterer Bruder hatten sich abends gegen 23:oo Uhr in einem Internetcafé aufgehalten. Mehrere Anhänger der Partei Hüda-Par betraten das bekanntermaßen HDP-nahe Café und begannen, ihre Wahlwerbung anzukleben. Von den Betreiber_innen wurden sie dazu aufgefordert, dies zu unterlassen. Die beiden Brüder kamen hinzu und unterstützten die Betreiber_innen indem sie den Wahlhelfern erklärten, dass im Café die Position der Hüda Par nicht vertreten werde. Sie wurden von diesen daraufhin mit Messern brutal niedergestochen und mussten direkt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Beide wurden noch am selben Abend operiert; bisher ist nicht sicher, ob sie die Verletzungen überleben werden.
Die sunnitisch-nationalistische Partei Hüda-Par (türk. Partei Allahs, kurz für Hür Dava Partisi: Partei der freien Sache), der mehrheitlich kurdische Muslime angehören, wurde Ende 2012 gegründet und vertritt ähnliche Positionen wie die 2000 in der Türkei offiziell zerschlagene Hizbullah. Nach der Freilassung eines Großteils der im Jahr 2000 verhafteten Hizbullah hatten diese im Jahr 2003 in Amed und anderen Städten wie Istanbul, Mersîn und Adana eine neue Vereinigung gegründet, die Mustazaf Der (kurz für “Verein der Solidarität mit den Unterdrückten”). Diese war 2010 verboten worden aufgrund ihres erklärten Ziels, die Scharia einzuführen. 2012 wurde das Verbot endgültig vom Kassationsgericht bestätigt. Die anschließend gegründete Hüda-Par wird in Amed als AKP-nah eingestuft und führt die Arbeit ihrer Vorgängerin Hizbullah weiter, die ebenfalls Aktionen und Angriffe auf prokurdische Kräfte durchführten.
Während des laufenden Wahlkampfes hat es kurdischen Aktivistinnen zufolge bereits etwa 135 Angriffe auf Mitglieder und Aktivist_innen der HDP sowie mindestens 10 Anschläge auf HDP-Büros und HDP-nahe Einrichtungen gegeben. Die DHKP-C, der von staatlicher Seite die Schuld an den Anschlägen auf HDP-Parteibüros in Mersîn und Ankara gegeben wurde, ließ heute offiziell verlauten, dass sie mit den Anschlägen nichts zu tun habe.
Die HDP (türk. Halklarin
Demokratik Partisi: Demokratische Partei der Völker) wirbt mit Slogans wie
“Wir setzen um, wovor sich die AKP fürchtet” und fordert ein Ende der
Repression der türkischen Behörden gegen Linke, LGBT und nichttürkische
ethnische Gruppen wie Kurd_innen, Armenier_innen und Lazen durch ihre
ultranationalistischen Sprach- und Geschichtspolitik. Ziel der Gründung war es,
auch andere linke Gruppierungen anzusprechen und neue Bündnisse gegen das
derzeitige AKP-Regime zu schließen. Formal ging die PKK-nahe Partei 2012 aus
dem Demokratischen Kongress der Völker (HDK) hervor und bildet einen Dachverband
für die prokurdische Partei BDP sowie andere linke Gruppen und Vereinigungen in
der Türkei und Nordkurdistan. 2014 traten fast alle Abgeordneten der BDP in die
HDP ein, so dass diese nun für die Parlamentswahlen 2015 Fraktionsstärke
erreicht hat. Andere Abgeordnete sind unter anderem Vertreter_innen der
Gezi-Park-Bewegung, der LGBT sowie anderer linker Gruppierungen. Die HDP tritt
unter anderem für die Aufhebung aller Sprachverbote, die Einführung
Schulunterricht in den Muttersprachen der jeweiligen regionalen Bevölkerung und
eine Lockerung der äußerst repressiven und vor Kurzem von Erdogan verschärften
Sicherheitsgesetze ein. Diese beinhalten eine große Kompetenzerweiterung der
Behörden bei Überwachung und Strafverfolgung politischer Kräfte und erlaubt der
Polizei unter anderem, auf Demonstrationen scharf zu schießen. Allerdings
wurden bereits Anfang Oktober letzten Jahres bei einer Demonstration anlässlich
der Situation in Kobanê 4 Personen erschossen. Aus Protest gegen die
Positionierung der Türkei für den IS und die türkische Unterstützung der IS-Kämpfer in Form von
medizinischer Versorgung und Munition brannten in diesen Tagen PKWs von
Angestellten der türkischen Behörden in vielen Städten.
Wie bereits u.a. vom türkischen Fernsehsender imc angekündigt wird davon ausgegangen, dass die HPD in diesem Jahr die 10%-Hürde schaffen und Einzug ins Parlament erhalten wird. Kurdische Aktivist_innen befürchten jedoch, dass es ähnlich wie im März letzten Jahres zu Wahlfälschungen kommen könnte. Unter anderem waren damals in verschiedenen prokurdischen Städten und Stadtteilen Stromausfälle genutzt worden, um die Wahlurnen aus den Wahlbüros zu stehlen. Offiziellen Angaben zufolge lag die Schuld für Stromausfälle in mehreren Städten bei einer Katze, die die Starkstromleitung gestört habe.