[DD] Frühjahrsputz

Mit einem Schaber der für Ceran-Herde gedacht ist
Erstveröffentlicht: 
22.05.2015

Irmela Mensah-Schramm kämpft mit Schaber und Sprühdosen gegen rechte Schmierereien. Auch in Dresden.

 

Hier steht sie, und sie kann nicht anders. Die Frau mit dem weißen Haar und dem lieben Omi-Gesicht stellt ihre Stofftasche auf die Sitzbank der Haltestelle Lennéplatz. Sie kramt einen Ceranfeldschaber hervor. Moment, was? „Der ist eigentlich für die Küche gedacht“, sagt Irmela Mensah-Schramm und grinst. Ein Ceran-Herd ist an der Haltestelle allerdings weit und breit nicht zu sehen, und auch das liebe Omi-Gesicht ist trügerisch. Irmela Mensah-Schramm, 69, ist kein Hausmütterchen, sondern eine Politaktivistin.

 

Wenn sie Dreck sieht, hat sie das Bedürfnis, ihn wegzumachen. Dreck, das sind Graffiti mit rassistischen und antisemitischen Parolen. Dreck, das sind Aufkleber, auf denen gegen Asylbewerber und Ausländer gehetzt wird. Dreck, das sind an der Haltestelle Lennéstraße an diesem Mittag zwei Hakenkreuze, etwa 30 Zentimeter Durchmesser, tief eingeritzt in die Glasscheibe. Dazu zweimal die Zahl 88, in Neonazikreisen bekannt als ein Code für „Heil Hitler“. Also schabt Irmela Mensah-Schramm. Das liebe Omi-Gesicht verfinstert sich. Der Glasstaub rund um die offenbar relativ frischen Rillen verschwindet, die Linien selbst tun dies indes nicht, wenngleich sie etwas schwächer werden. „Hier kann ich nichts tun“, sagt sie.

 

Irmela Mensah-Schramm lebt in Berlin und ist von Beruf Heilpädagogin. Seit 29 Jahren macht sie außerdem Dreck weg. Früher spätabends, am Wochenende und in den Ferien. Irgendwann dann Vollzeit, 40 Stunden pro Woche. Das schafft sie heute nicht mehr ganz. Unterwegs ist sie dennoch ständig, in allen Bundesländern. 2005 hat sie für ihre unermüdliche Zivilcourage den Dresdner Kästnerpreis bekommen, in diesem Jahr den Göttinger Friedenspreis. Sie hat eine Kopie der Urkunde laminieren lassen und trägt sie bei sich, für den Fall, dass die Polizei auftaucht. Es kommt immer wieder vor, dass jemand die Beamten ruft. Auf Argwohn stößt die Aktivistin regelmäßig, oft auch auf Ablehnung.

 

So wie an diesem Vormittag in Freital. Sie hatte von der fremdenfeindlichen Stimmung gelesen, die dort zurzeit herrscht. Also stieg sie in die S-Bahn gen Süden. Eigentlich wollte sie nach Hainsberg fahren, aber schon an der Station Deuben fiel ihr aus dem Zug heraus so viel Dreck auf, dass sie spontan ausstieg. In einem Affentempo jagte sie durch die Straßen und kratzte Aufkleber von Masten, Stromkästen und Verkehrsschildern. 40 Aufkleber kratzte sie ab, mit sieben unterschiedlichen Motiven. „Das hat mich schon ganz schön geschockt“, sagt sie später, als sie ihren Schreibblock zeigt, in den sie die Sticker eingeklebt hat. An die Reaktionen der Passanten hat sie sich längst gewöhnt. „Wie die guckten“, sagt sie, „ich dachte, ich müsste mich noch dafür entschuldigen“. Eine Verkäuferin beim Bäcker habe besonders giftig geschaut. Also habe sie zu ihr gesagt: „Der Nazidreck muss doch weg.“ Die Antwort: ein noch giftigerer Blick. Andere Vorbeigehende regten sich darüber auf, dass sie nicht jeden abgekratzten Schnipsel vom Boden aufhob. Das kann sie wegen ihrer Rückenprobleme nicht.

Während der vergangenen achteinhalb Jahre, seitdem sie Buch führt, hat sie beinahe unglaubliche 67 287 Aufkleber entfernt. 300 Euro gibt sie im Monat für Farbe und Putzmittel aus. Ohne ihren Stoffbeutel geht sie nie aus dem Haus. Darin: Sprühdose, Nagellackentferner, Schaber, Kamera. Die Initialzündung klebte einst vor ihrer Haustür. 1986 war das, „Freiheit für Rudolf Heß“ stand auf dem Sticker. Und Irmela Mensah-Schramm fing an zu kratzen. Nicht jedem gefällt ihr Engagement. An manchen Schulen ist sie nicht willkommen. Verfahren gegen sie wurden eröffnet und wieder eingestellt. Sogar Morddrohungen hat sie bekommen.

 

An der Haltestelle Lennéplatz kramt sie schließlich ihr Handy hervor und ruft die Polizei an. „Hakenkreuze ... zur Anzeige bringen ... Scheibe auswechseln ... die Stadt benachrichtigen.“ Irmela Mensah-Schramm legt auf. „Die Polizei sagt, sie sei nicht zuständig, sondern die Stadt. So läuft es immer.“ Man habe ich zugesichert, die Sache weiterzugeben. Sie glaubt nicht recht daran. „Ich werde das kontrollieren.“

 

In den Räumen des Ausländerrates läuft eine Ausstellung über Irmela Mensah-Schramms Schulprojekte: „Überzeichnet – Nazis entschlossen entgegengemalt“, Heinrich-Zille-Straße 6, Mo., Di. und Do., 14–18 Uhr, Eintritt frei.