In der Altmarktgalerie in Dresden kann man kostenlos im Internet surfen. Das nutzen auch viele Asylbewerber. In dem Einkaufscenter beobachten das viele mit Argwohn.
Von Doreen Reinhard (Text) und Thomas Kretschel (Foto)
Abdul ist mit dem Rad von Pirna in die Dresdner Altmarktgalerie gefahren. Die Geschäfte interessieren ihn nicht, er will nur eins: sich bei Facebook einloggen und schauen, ob es neue Nachrichten von seinen Freunden gibt. Der Libanese wohnt in einem Pirnaer Asylbewerberheim. Dort wartet er auf den Bescheid: Darf er in Deutschland leben, arbeiten, sich etwas aufbauen? Die Wartezeit ist lang – und langweilig.
Spazierengehen, schlafen, essen. So sähen seine Tage aus, erzählt Abdul. Freunde habe er kaum, nicht in Deutschland. „Das Heim ist okay. Aber wenn viele Menschen aus verschiedenen Ländern zusammenleben, gibt es Probleme“, sagt er. „Ich halte mich davon lieber fern.“
Der 30-Jährige pflegt andere Kontakte. Das Internet ist seine Brücke in den Libanon. Dort sei er Soldat gewesen, vor dem Krieg geflohen, erzählt er. Weil es im Pirnaer Heim keine Verbindung ins Internet gebe, radele er eben häufig nach Dresden. Abduls Ziel ist stets die Altmarktgalerie. Exakter: der Apple-Store.
Das Geschäft ist ein Magnet im Center. Drinnen testen Massen die neuesten iPhones, draußen wird gesurft. Immer steht eine Menschentraube vor dem Eingang, denn Apple bietet einen besonderen Service an: einen draht- und kostenlosen Zugang ins Internet, einen WLAN-Hotspot. Nur deshalb kommt Abdul hierher. Hier kann er sich auf Facebook einloggen, skypen, chatten. Solange er will.
#Abdul lehnt an einem Geländer, hinter ihm das Apple-Schaufenster, vor ihm zuckeln Rolltreppen auf und ab. Konzentriert durchforstet er die Neuigkeiten auf seinem Handy, Fotos der Verwandtschaft, Grüße von Freunden, News aus dem Libanon.
Abdul ist hier nicht allein. An dem Geländer rechts und links neben ihm stehen noch zwei Dutzend Männer, die wie er auf Displays starren. Dass sie etwas eint, fällt im Gewirr des Einkaufszentrums kaum auf. Abdul hat keine Lust auf Gespräche mit den anderen, aber er kennt inzwischen viele Gesichter. Die meisten, die sich hier im Netz einloggen, sind Asylbewerber. Apples Internet-Portal ist auch ein Magnet für Flüchtlinge geworden.
Ruhe herrscht selten, das macht ein gesundes Einkaufszentrum aus, aber rund um den WLAN-Punkt ist in den vergangenen Wochen ein Unruheherd entstanden. Ein Mikrokosmos, in dem sich alle Symptome bündeln, die zeigen, wie empfindlich die Schnittstelle zwischen Deutschen und Asylbewerbern ist. Weil keine Seite die gute ist, und es auf beiden Seiten schlechte Beispiele gibt. Weil unweigerlich Gerüchte kursieren, Feindbilder für stumpfen Hass auf alle Ausländer. Klischees von kriminellen Flüchtlingen, von Männern, die nach Deutschland kommen, um zu stehlen, zu dealen und eine Frau aufzureißen. Aber was, wenn in diesen Klischees auch etwas Wahrheit steckt? Das verstärkt dann zwei Symptome: den rechthaberischen Zorn der einen und das verstörte Schweigen der anderen.
Täglich versammeln sich die Flüchtlinge vorm Apple-Store. Einen festen Rhythmus gibt es nicht, zu manchen Tageszeiten sind größere Gruppen zu sehen, dann wieder nur einzelne Gestalten. Fast nur Männer. Die meisten erzählen bereitwillig, dass sie aus Eritrea, Afghanistan, Marokko, Syrien oder Tunesien stammen. Einige zeigen gleich ungefragt ihren Ausweis und die Adresse des Asylbewerberheims, in dem sie wohnen.
Im Apple-Store indes will man nichts davon mitbekommen haben, dass vor der Ladentür ein besonderer Treffpunkt entstanden ist. Egal, welcher Mitarbeiter an welchem Tag den Eingang bewacht, alle sagen den gleichen Satz: „Vor dem Laden stehen immer Menschen, um das Internet zu nutzen. Dass es vor allem Flüchtlinge sind, ist uns bisher gar nicht aufgefallen.“ Keine weiteren Nachfragen bitte. Apple hält sich raus, aus allem, außer aus Technik.
Dafür haben die Verkäufer in den Läden rund um den Hotspot sehr wohl beobachtet, dass sich in der Altmarktgalerie etwas verändert hat. Viele ziehen eine Verbindung zu den Asylbewerbern und teilen diese in zwei Gruppen ein. Die Gelegenheitsbesucher, die nur ab und zu vorbeikommen, um ihre Mails zu checken, harmlose Gäste. Und ein paar Dutzend Männer, die fast den ganzen Tag im Einkaufszentrum verbringen. Das ist die problematische Gruppe, denn um sie ranken sich Geschichten, die von Diebstählen, Dealereien und Anzüglichkeiten handeln.
Es gibt Beobachtungen, die sich ähneln, so wie die einer Verkäuferin in einem Textilgeschäft. „Das sind immer die gleichen Leute. Die Gesichter kennt man inzwischen. Die treiben sich den ganzen Tag hier rum, liegen teilweise auf den Bänken und gucken die ganze Zeit in die Geschäfte“, sagt sie. „Ich habe schon gesehen, wie zwei Männer im Laden gegenüber etwas klauen wollten – bis sie gemerkt haben, dass ich zuschaue.“ Auch andere Beschwerden sind zu hören, vor allem von weiblichem Personal. „Die Männer glotzen einen von oben bis unten an, sehr aufdringlich“, erzählt eine Verkäuferin in einem anderen Laden. „Einige Kundinnen schreckt das ab, die trauen sich gar nicht mehr in unseren Laden.“
Ihre Namen nennen wollen die meisten Verkäufer und Verkäuferinnen nicht. Aus Angst, Ärger mit ihrer Geschäftsführung oder der Centerleitung zu bekommen. Das Thema sei heikel und unangenehm, heißt es. Das weiß auch Ferhat Bozkurt. Er verkauft Lederjacken im Obergeschoss, er spricht offen. Bozkurt ist gebürtiger Türke, aber seine Geschichte sei anders. So sieht er das jedenfalls. Nicht wie die „der Männer, die ständig vor meinem Geschäft herumlungern“. Bozkurt kam vor zehn Jahren nach Deutschland. „Meine Frau ist Deutsche, wir haben uns in der Türkei verliebt. Ich bin mit ihr hergekommen, weil ich ihre Sprache gut konnte und schon ein eigenes Geschäft aufgebaut hatte.“ Leistung sei ihm wichtig. Er zeigt Fotos auf seinem Handy: mein Sohn, meine Frau, mein Haus. „Ich habe ein gutes Leben hier“, sagt Ferhat Bozkurt. „Alles selbst erarbeitet.“
Für viele Flüchtlinge, die sich in der Altmarktgalerie treffen, hat er nur Verachtung übrig. „Die vergraulen uns die Kunden. Pegida hat in diesem Punkt recht: Wenn ich in ein fremdes Land komme, muss ich mich als Ausländer benehmen.“ Einige, die sich vor der Apple-Tür versammeln, tun das nicht, findet er. Bozkurt will Drogendeals und Diebstähle beobachtet haben. „Und einige Männer kommen nur hierher, weil sie hinter Frauen her sind. So etwas wirft ein schlechtes Bild auf die anderen, auf die guten Flüchtlinge, auf Ausländer im Allgemeinen.“
Ein schönes Leben, das will auch Hamdi haben. Der Tunesier gehört zu den Flüchtlingen, auf die der türkische Verkäufer nicht gut zu sprechen ist. Zu den Männern, die fast jeden Tag in die Altmarktgalerie pilgern. Die sich am WLAN-Punkt wie an einem Strand treffen, schwatzen, telefonieren, Frauen hinterherschauen. Hamdi erzählt, dass er Tunesien vor drei Jahren verlassen habe, weil er Probleme mit seiner Familie gehabt habe. „Und, weil es dort eine Diktatur gibt“, fügt er hinzu. Deutsch spricht der 23-Jährige nicht, bei der Übersetzung hilft ein anderer Asylbewerber, den er vom Hotspot flüchtig kennt. Momentan lebe er in einem Dresdner Asylbewerberheim, aber „da gibt es viel Stress“, sagt Hamdi. Auf Dauer sieht er sich dort nicht, Deutschland aber soll seine Heimat werden. Sein Asylverfahren laufe noch, er suche derweil andere Wege, damit er bleiben kann. Auch deshalb komme er in die Altmarktgalerie. „Eine deutsche Frau finden, ein Kind haben, dann den deutschen Ausweis – das ist ein Weg, um in Deutschland zu bleiben“, sagt Hamdi. „So denken viele von uns. Es ist ein Weg, um irgendwo ein neues Leben zu beginnen.“
Abdellah, ein 35-jähriger Marokkaner, der übersetzt hat, kommentiert das nicht. Erst als Hamdi gegangen ist, schaut er zerknirscht. Er weiß, wie solche Sätze ankommen. Dass sie gefährliche Munition sind, Argumente für Menschen, die Hass auf alle Ausländer schüren. Für Abdellah ist die Altmarktgalerie ein Treffpunkt voller Widersprüche. Weiß er von Diebstählen und Drogengeschäften, die sich hier abspielen sollen? Er zuckt mit den Schultern und sagt nur: „Aber ich mache so was nicht“.
Er komme hierher, um Kontakt mit seinen Verwandten zu halten, und zeigt auf seine WhatsApp-Nachrichtenliste. „Es gibt hier gute und schlechte Leute“, sagt Abdellah, „aber die gibt es auf der ganzen Welt.“ Er selbst versuche gerade, einen Job als Kellner zu finden. Bisher habe das nicht geklappt, weil er als Asylbewerber nicht arbeiten darf. „Das ist ein Fehler“, sagt er. „Wenn wir arbeiten könnten, gäbe es manche Probleme nicht. Die Leute haben zu viel Zeit, die sie totschlagen müssen. Wenn jemand den ganzen Tag arbeitet und abends müde nach Hause kommt, käme er gar nicht erst auf dumme Gedanken.“
Dumme Gedanken – die Polizei listet sie als Straftaten auf. Und beobachtet die Altmarktgalerie seit einer Weile besonders aufmerksam. In den vergangenen Wochen seien Beschwerden von Ladenbetreibern eingegangen, sagt ein Polizeisprecher. Er drückt sich vage aus, spricht von einer „Personengruppe, die man im Blick habe“ und, „dass man davon ausgeht, dass Personen aus dieser Gruppe Diebstähle begehen“. Zugleich warnt er vor einer „grundsätzlichen Stigmatisierung“.
Ausländer, die in Dresden, der Hauptstadt der Islamfeindlichkeit, Straftaten begehen, darüber spricht man ungern. Und höchstens hinter vorgehaltener Hand. Dass die Innenstadt ein Schwerpunkt von Kriminalität, vor allem von Drogenhandel und Beschaffungsdelikten ist, bestreitet die Polizei nicht. Vor allem das Gebiet um den Hauptbahnhof ist ein Brennpunkt, allein im vergangenen Jahr wurden dort 17 größere Kontrollen durchgeführt, die letzte Mitte April. Dabei wurden „Männer unterschiedlichster Nationalitäten“ mit Drogen und gestohlenen Handys festgenommen. Ob darunter Asylbewerber sind, dazu äußert sich die Polizei nicht.
Auch das sächsische Innenministerium bringt Kriminalität und Asylbewerber nur durch Statistiken in Zusammenhang. Darin steht: Mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen hat sich die Quote der Straftaten erhöht. 2013 wurden im Bereich Dresden bei 499 Delikten Asylbewerber als Täter ermittelt. Im vergangenen Jahr ist diese Zahl auf 1 737 gestiegen. Dabei handelt es sich um allgemeine Kriminalität – nicht um Vergehen, die nur von Asylbewerbern begangen werden können, etwa Verstöße gegen die Residenzpflicht. Das Ministerium begründet den Anstieg nur knapp: „Mit steigender Zahl von Asylbewerbern steigt der Anteil von straffälligen Asylbewerbern.“ Und womöglich die Entwicklung krimineller Banden. Ob es diese in Dresden gibt, „dazu laufen derzeit Ermittlungen“, heißt es.
Bandenkriminalität. Auch Nadine Strauß, der Centermanagerin der Altmarktgalerie, rutscht dieses Wort heraus. Versehentlich, am Ende eines Interviews, das sie am liebsten gar nicht geführt hätte. Ihr ist das Thema ebenfalls unangenehm, das Einkaufszentrum soll nicht mit Diebstählen in Verbindung gebracht werden. Das könnte Kundschaft abschrecken, so steht es in einer internen Mitteilung, die kürzlich an diverse Geschäfte geschickt worden ist. Aber davon hätte Nadine Strauß nicht freiwillig erzählt, auch sie wählt zuerst die Apple-Strategie. Ignorieren statt thematisieren.
Dass man sich im Center zuletzt häufig mit Kriminalität beschäftigt hat, darüber verliert sie zuerst kein Wort. Auch nicht über Vorwürfe von Mietern, dass diese teilweise von Asylbewerbern ausgehe. Ob ihr überhaupt aufgefallen sei, dass sich im Center Flüchtlinge treffen? „Wir haben viele Besucher. Ich kann nicht sagen, ob es sich dabei auch um Flüchtlinge handelt“, antwortet sie. „Bei uns sind alle Besucher willkommen, wenn sie sich in einem Rahmen bewegen, in dem wir sie als Besucher zufriedenstellen können.“
Freundliches Lächeln, Schweigen. Erst auf Nachfrage räumt sie Probleme ein, ringt dabei um jeden Satz: Ja, es habe Beschwerden gegeben. Wie viele? „Es gab Hinweise von etwa 20 Mietern, dass man sich zusammensetzen müsse“, sagt Strauß. „Es gab häufiger Diebstähle. Verkäuferinnen haben erzählt, dass sie sich durch Blicke belästigt fühlen.“ Vor einigen Wochen habe die Centerleitung die Mieter schließlich zu einer Sondersitzung geladen, bei der über die Sicherheit gesprochen worden sei. „So eine Situation ist neu für uns. Wir haben Konsequenzen gezogen und unser Sicherheitskonzept angepasst.“
Unruhe im Center will Nadine Strauß keinesfalls kommunizieren. Für die Außenperspektive soll das Gleiche wie immer gelten: Die Dresdner Altmarktgalerie begrüßt alle nationalen und internationalen Gäste. Hinter den Kulissen wird derweil konspirativ zu Präventions-Workshops geladen, veranstaltet vom Arbeitskreis „Sicherheit“. Der Wachschutz dreht in der Galerie noch häufiger seine Runden. Nervöse Herren und Damen, die rund um den Apple-Store auffällig unauffällig kontrollieren, ob es hier um mehr als nur Facebook, Skype und WhatsAppp geht.