In der Verhandlung vom 23.4.2015 vorm Jenaer Amtsgericht wurde der wegen Hausfriedensbruch angeklagte Besetzer der Neugasse 17 zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Verhandlung wurde von einer Kundgebung vorm Justizzentrum und einem Saal voller kritischer Prozessbeobachter*innen begleitet. Mit einem Transpi wurde sich nicht nur mit dem angeklagten Jenaer Besetzer, sondern auch mit den inhaftierten Besetzer*innen der Breiten Straße aus Hamburg und Ohlauer Straße aus Berlin solidarisiert.
Kundgebung
Ab 8 Uhr morgens fand vor dem Amtsgericht eine Kundgebung mit Infotisch, Musik, warmen Getränken und Brötchen statt. Neben Infos zu den Jenaer Hausbesetzungen von 2013 und 2014 gab es weitere Lektüre aus den Bereichen Antirepression und Anarchismus. Zudem lag ein Bekenner*innenschreiben aus, das Gründe für die nächtlichen Farbbeutelangriffe auf JenaWohnen anführte. Mit der Zeit kamen ca. 40 Personen zur Kundgebung, die aus der Entfernung von zwei Streifenwagenbesatzungen beobachtet wurde. Die Bullen wurden einzig dann aktiv, als das Eingangsschild des Justizzentrum mit dem Transpi "Autonome Raumaneigung - Wir bleiben solidarisch" überhängt wurde, zogen sich allerdings gleich darauf wieder zurück.
Verhandlung
Nach den obligatorischen Einlasskontrollen mit Metalldetektoren mussten Verhandlungsbesucher*innen zusätzlich die Maßnahmen einer von Richter Litterst-Tiganele angeordneten sitzungspolizeilichen Verfügung vor dem Saal über sich ergehen lassen. Also eine zweite Untersuchung mit Metalldetektoren. Obwohl (oder weil) der Richter hiermit zeigte, dass er sich der zu erwartenden Öffentlichkeit bewusst war, fand die Verhandlung im kleinsten Saal statt, sodass rund 20 Personen draußen bleiben mussten. Als Zeuge geladen war einzig der langjährige Jenaer Staatsschutzkommissar Tuche, dem nach der Räumung der besetzten Neugasse 17 die Ermittlungen übergeben wurden. Selbiger wurde allerdings nach kurzer Wartezeit im Schutzbereich der Justizwache wieder weggeschickt, da der Richter sein Urteil auch ohne Zeugen zu fällen vermochte. Der Angeklagte begann den Prozess mit der Verlesung einer Erklärung, wobei er sich von kurzen Versuchen des Richters, eine Ä'ußerung politischen Charakters nicht zulassen zu wollen, nicht beeindrucken ließ. In der Erklärung nannte er eine Vielzahl von Gründen ("Ich besetzte das Haus, um..."), warum Hausbesetzungen sowohl in Jena als auch in jeder anderen Lebenswelt kapitalistischer Unordnung nicht nur legitim sondern auch nötig sind. Einige Auszüge:
"Güter, welche öffentlich sein sollten, verfallen zu lassen ist nicht
verantwortungsvoll. Dies überrascht aber nicht weiter, denn die
kapitalistische Herrschafts- und Eigentumsordnung ist die organisierte
Verantwortungslosigkeit. Ich hingegen übernehme hier die volle Verantwortung für mein Handeln. (...) Es
steht im Gegensatz und in Konfrontation zu dem krassen Dogma der irren
und bedingungslosen Eigentumsverteidigung, welches diesen völlig
übertriebenen und absurden Polizeieinsatz zur Räumung rechtfertigen
soll. (...)
Mit dieser Aktion habe ich eine definierte Schwelle überschritten, nämlich jene des bedingungslosen Eigentumsrechts, welches dazu befugt, Häuser verfallen zu lassen, während andere Menschen sie sinnvoll nutzen wollen und können. Bei vollem Bewusstsein und mit ganzer Absicht habe ich diese Schwelle überschritten – und dabei niemandem Schaden zugefügt. Im Gegenteil habe ich damit einen Raum eröffnet – einen Raum der Auseinandersetzung mit den Verhältnissen in denen wir leben – abstrakt und konkret – materiell anschaulich verkörpert durch ein bestimmtes Haus. (...)"
Die gesamte Erklärung zum Nachlesen unter: http://wolja.noblogs.org/post/2015/04/23/rechtskraeftige-verurteilung-auf-zu-neuen-ufern/#more-548
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Richter Litterst-Tiganele machte entgegen seiner ursprünglichen Absicht, keine politischen Inhalte im Saal zuzulassen, auf diese Erklärung hin einige Versuche, auf die Argumentation einzugehen. Diese wurden ob ihrer bürgerlichen Hilflosigkeit und Lächerlichkeit („Stellen Sie sich vor, Sie kaufen einmal ein Haus und jemand besetzt einfach das obere Stockwerk. (…) Ich habe ja Verständnis für das Anliegen, aber dann müssen Sie halt Unterschriften sammeln oder einen Verein gründen. (...)“) allerdings sowohl vom Angeklagten kurzum abgetan und vom Publikum mit Lachen quittiert. Am Ende stand, wie es nicht anders zu erwarten war, ein Schuldspruch wegen Hausfriedensbruch.
Nach der Verhandlung
verbrachten die Prozessbesucher*innen noch einige Zeit bei Kaffee,
Suppe, guter Unterhaltung und Sonnenschein vorm Amtsgericht.
Solidarität mit allen Hausbesetzer*innen –> Breite Soli / Ohlauer Straße
Während der ausklingenden Kundgebung wurde auch ein Solifoto für die immer noch Inhaftierten Besetzer*innen der Breiten Straße in Hamburg (http://breitesoli.noblogs.org/) und der Ohlauer Straße in Berlin (http://oplatz.net/2015/04/01/drei-unserer-freunde-sind-angeklagt-pressemitteilung-des-refugee-protests-in-berlin/) geschossen. Es gilt weiterhin, Solidarität für die Repressionsbetroffenen, vor allem die Inhaftierten und damit isolierten Gefährt*innen zu organisieren! Auch allen anderen Besetzer*innen (eine unvollständige Zusammenfassung der Aktionen und Zusammenhänge in Kartoffelland seit Sommer 2014 unter https://linksunten.indymedia.org/de/node/140745) gilt unsere Solidarität.
Kommende Prozesse
Es wird in absehbarer Zeit in Jena eine weitere Verhandlung gegen einen der Neugassen-Besetzer geben, der Termin wurde allerdings noch nicht bekanntgegeben. Haltet euch auf dem Laufenden, bildet solidarische Bezugsgruppen und nehmt euch die Räume, die ihr zum Leben braucht. „Räume für Befreiungsprozesse“, wie wir es mit dem „Infocafé Wolja – Raum für Debatte und Intervention“ ausgerufen hatten (https://linksunten.indymedia.org/de/node/100902).
wolja.noblogs.org