Die Berlin Gruppe North East Antifa [NEA] hat im Frühjahr 2015 mit der Erarbeitung eines Readers zur neurechten PEGIDA-Bewegung begonnen. Die endgültige, 16seitige Fassung liegt nun in gedrucker Form vor und kann online gelesen und bestellt werden. Diskussionsbeiträge sowie Feedbacks zu Form und Inhalt können an die Adresse der NEA gesandt werden (siehe unten).
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North East Antifa [NEA] Berlin
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PEGIDA – Brandstifter in Nadelstreifen (?)
Seit Ende 2014 wird in Deutschland und international über eine neue rechte Massenbewegung diskutiert, die unter dem Label Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA)
bundesweit und mittlerweile auch europaweit auftritt. Im Januar 2015
demonstrierten in Dresden rund 17.500 Menschen gegen Muslim*a und
Migrant*innen – rund sechs Jahre nachdem Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal von einem bekennenden Islamhasser und Rassisten erstochen wurde. Laut
einer Forsa-Umfrage Anfang Januar diesen Jahres teilen deutschlandweit
29 Prozent die antimuslimisch-rassistischen Positionen von PEGIDA, die sich als Protestbewegung in Reaktion auf die Angriffe der Terrororganisation Islamischer Staat gründete. Die tödlichen Anschläge auf Redakteure des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo verliehen PEGIDA zu Beginn des Jahres einen weiteren Auftrieb. Die Wahrnehmung von PEGIDA in den ausländischen Medien ist unterschiedlich. Während Sender wie Al Jazeera zum Teil von einer Art rechter Revolution berichten, wird PEGIDA
beispielsweise in Teilen der polnischen Berichterstattung als legitime
und progressive Bürger*innenbewegung dargestellt, hinter der die
Mehrheit der deutschen Bevölkerung stünde. Mit dem vorliegenden Text
wollen wir umreißen, um wen es sich bei PEGIDA und deren Teilnehmer*innen eigentlich handelt, welche Auswirkungen deren Aufmärsche und Propaganda haben und warum einige PEGIDA-Gegner*innen zum Thema Rassismus besser schweigen sollten.
Seit Ende 2014 wird in Deutschland und international über eine neue rechte Massenbewegung diskutiert, die unter dem Label Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA)
bundesweit und mittlerweile auch europaweit auftritt. Im Januar 2015
demonstrierten in Dresden rund 17.500 Menschen gegen Muslim*a und
Migrant*innen – rund sechs Jahre nachdem Marwa El-Sherbini
in einem Dresdner Gerichtssaal von einem bekennenden Islamhasser und
Rassisten erstochen wurde. Laut einer Forsa-Umfrage Anfang Januar diesen
Jahres teilen deutschlandweit 29 Prozent die
antimuslimisch-rassistischen Positionen von PEGIDA, die sich als Protestbewegung in Reaktion auf die Angriffe der Terrororganisation Islamischer Staat gründete. Die tödlichen Anschläge auf Redakteure des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo verliehen PEGIDA zu Beginn des Jahres einen weiteren Auftrieb. Die Wahrnehmung von PEGIDA in den ausländischen Medien ist unterschiedlich. Während Sender wie Al Jazeera zum Teil von einer Art rechter Revolution berichten, wird PEGIDA
beispielsweise in Teilen der polnischen Berichterstattung als legitime
und progressive Bürger*innenbewegung dargestellt, hinter der die
Mehrheit der deutschen Bevölkerung stünde. Mit dem vorliegenden Text
wollen wir umreißen, um wen es sich bei PEGIDA und deren Teilnehmer*innen eigentlich handelt, welche Auswirkungen deren Aufmärsche und Propaganda haben und warum einige PEGIDA-Gegner*innen zum Thema Rassismus besser schweigen sollten.
Deutschland wird islamisiert?1
Seit dem 11.
September 2001 ist ein weltweites Erstarken des antimuslimischen
Rassismus zu verzeichnen. Legitimiert durch einen vermeintlichen
Abwehrkampf der »westlichen Welt« (rechter Kampfbegriff: »Abendland«) gegen eine herbei halluzinierte Bedrohung Seitens »des Islams« (im rassistischen Duktus: »Morgenland«), werden hierbei Muslime*a Zielscheibe für rassistische Vorurteile und Angriffe. »Der Islam«
wird hierbei als ein monolithischer Block und ständige Bedrohung
verklärt und dient somit als Grundlage für imperiale Angriffskriege,
Ausgrenzung und das ständige Schüren von irrationalen Ängsten. Mitte der
2000er Jahre wurde dieses Phänomen auch in Deutschland immer
sichtbarer. Während klassische neofaschistische Parteien wie die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) und Deutsche Volksunion (DVU)
noch einen offenen biologischen Rassismus propagierten, bedienten sich
protofaschistische Parteien eher kulturrassistischer Elemente und
strikter Polit-Konzepte, die »westlichen Werte« und die Kategorie »Kultur« (statt »Rasse«) in den Mittelpunkt stellten. Nach dem Scheitern von Parteien wie Pro Deutschland und Die Freiheit
traten und treten nun neue Akteur*innen auf den Plan, welche an der
aktuellen Stimmung erfolgreicher ansetzen. In Deutschland und europaweit
bedeutete dies konkret, dass zahlreiche Parteien und Bürgerinitiativen
gegen Moscheeneubauten hetzten. In Deutschland waren und sind
rassistische Blogs wie »Politically Incorrect News« (PI-News) und die landesweite Vernetzung »Bürgerbewegung Pax Europa« in diesem Zusammenhang federführend. PI-News veröffentlicht tagesaktuell Propaganda und zählt zu einem der meistgelesenen Blogs im deutschsprachigen Raum. Das PEGIDA-Orga-Team,
gleichwie die Scharen, die ihm folgen, beziehen ihre Parolen und
Totschlagargumente überwiegend aus dem antimuslimischen Hetzblog »Politically Incorrect«. PI-News
hat in der Vergangenheit immer wieder die Entstehung rechter Parteien
und Bewegungen publizistisch begleitet und forciert. Beispiele hierfür
sind die Alternative für Deutschland (AfD) und Die Freiheit. Gleichzeitig ist PI-News
beim Zusammenbrechen von derlei Organisationsversuchen immer wieder
Rückzugsort für deren Konkursmasse. Die Bürger*innen, die in Dresden die
»christlich-jüdische Abendlandkultur« verteidigen, können sich auf eine Fülle antimuslimischer Klischees in Bildern und Texten von Bild, Spiegel, Focus, Stern, ARD, ZDF und RTL aus den vergangenen 15 Jahren berufen. Ein Umstand, der ihnen schon vor dem PEGIDA-Hype
die Versicherung gab, mit ihrer Mixtur aus irrationalem rassistischem
Wahn, Verschwörungsdenken und unfassbarer Dummheit Teil der
gesellschaftlichen Mehrheit zu sein. Die vom Facebook-Mob, Mehrheitsmedien und Politik geschürten Ängste vor »Sharia-Gerichten«, »Schweinefleischverbot« und »Terror-Zentralen«
bekommen die muslimischen Gemeinden unmittelbar zu spüren. Dabei ist
die Angst vor einer herbei phantasierten Islamisierung nichts weiter,
als die Befürchtung, die kulturelle und soziale Hegemonie zu verlieren.
Gerade in den letzten Jahren herrschte ein bisher unbekannter Korpsgeist innerhalb der rechten Proteste: Neonazis und Bürger*innen marschierten ohne Berührungsängste gegen Muslim*a und Asylbewerber*innen. Ein bitterer Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte.
Die bisher latent rassistische Stimmung in der BRD brach in den letzten Jahren vermehrt auf. Durch vorgeschobene Argumente, z.B. Frauen*- und LGBTIQ2-Rechte,
konnte nun problemlos offen ausgesprochen werden, was schon langeunter
der Oberfläche brodelte. Unterstützt durch bürgerliche Zeitschriften wie
»Der Spiegel« und etablierte Parteien wie der Sozialdemokratischen
Partei Deutschland (SPD), der konservativen CDU/CSU und prominenten
Politiker*innen, unter ihnen Thilo Sarrazin und Heinz Buschkowsky (beide
SPD), Edmund Stoiber und Horst Seehofer (beide CSU), wird dieses
vermeintliche Bedrohungsszenario noch verschärft. So sorgten die beiden
Sozialdemokraten mit ihren Büchern dafür, dass die Debatte von
rassistischen Vorurteilen entkoppelt und als angeblich gesellschaftlich
notwendig verkauft wird.
Dies
rief nun auch neue Gruppen, Strömungen und Parteien auf den Plan.
Geschickter als ihre Vorgänger stellte sich die klassistische Partei Alternative für Deutschland an, die sich aktuell parteiintern mit Flügelkämpfen zwischen »Anti-Islam« und »Anti-Euro« Positionen herumschlägt. Weitere Akteur*innen, u.a. die völkische Identitäre Bewegung (IB), die offen antimuslimisch-rassistische German Defence Leauge (GDL) und die neurechte Zeitung Junge Freiheit
folgen schon lange rassistischen Mainstreamdiskursen und versuchen,
diese stetig zu befeuern. Gemein ist ihnen vor allem eins: Die
Verteidigung des »Abendlandes« – jedoch nicht nur gegen vermeintliche Islamisten, sondern auch gegen Sinti & Roma und vor allem gegen so genannte »Wirtschaftsflüchtlinge«. Vor allem die Einteilung in »nütze« und »unnütze«
Migrant*innen, ganz im kapitalistischen Sinn, zeigt ihre klare
sozialchauvinistische Ausrichtung. Dem stehen jedoch auch
Politiker*innen und Wirtschaftsverbände in nichts nach, die auch
wiederholt betonen, dass Zuwanderung eine Bereicherung sein kann,
allerdings nur, wenn diese den »Standort Deutschland«
wirtschaftlich voran bringe. Der Rest darf bitte verrecken (wie es
tagtäglich an den Südgrenzen der Festung Europa zu sehen ist).
Als im Sommer 2014 die Terrormiliz Islamischer Staat (IS)
mit den Angriffen im Irak und in Syrien begann, gab dies der Stimmung
einen weiteren Schub. Das Schicksal der Kurd*innen, Araber*innen,
Muslime*a, Ezid*innen und Vieler mehr, welche von den Mördern des IS
massakriert wurden, spielten dabei jedoch keine Rolle. Vielmehr sahen
sich rechte Gruppen und die bürgerliche Mitte in ihren Ängsten
bestätigt, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Szenarien sich
auch in (West-)Europa abspielen würden. Geopolitische, also
kapitalistische, Machtinteressen und Ursachen werden ausgeblendet, die
Eskalation wird auf ein vermeintlichen Glaubenskrieg reduziert. Das von
ihnen stark rezipierte Werk »The Clash of Civilisations« (deutscher Titel: Kampf der Kulturen) des US-amerikanischen Rassisten und Neokonservativen Samuel Huntington scheint wieder aktuell.
Hooligans gegen Salafisten: rechtes, männerbündisches Netzwerk
Bereits im
Februar 2014 sammelten sich über 300 rechte Hooligans, Rocker und andere
militante Neonazi-Aktivisten aus der gesamten BRD im mittlerweile
geschlossenen Forum »Weil Deutsche sich’s noch traun!« des sozialen Netzwerkes Facebook. Hier erfolgte ein Austausch von Videos, die Anschläge auf »Islamisten« durch die rassistische English Defence League (EDL)
zeigen. Ziel der Gruppe, so wiederholten Mitglieder beständig, sei es
als Schutzmacht für die Nation gegen das vermeintlich Fremde (v.a. den
Islam) einzustehen. Neben militanter Feindschaft gegen alles, was sie
als »Islam« definierten, teilte die Gruppe den Hass auf Linke und »die Antifa« sowie ein geschlossenes Bild von Männlichkeit.
Im Herbst 2014 erwuchs aus dieser vornehmlich virtuell bestehenden Bewegung ihr Nachfolger, die Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa).
Hunderte rechte Hooligans, Rocker und Alt-Nazis aus dem gesamten
Bundesgebiet trafen sich erstmalig in Essen und Dortmund, um gegen die
vermeintliche Bedrohung durch Salafisten in Deutschland zu protestieren.
Dabei geht es nicht um humanitäre Hilfe für oder Unterstützung von
Kurd*innen, die der Bedrohung des IS tagtäglich ausgesetzt sind. HoGeSa propagiert stattdessen einen Zusammenhalt des deutschen Volkes unter dem Label »gegen Salafismus«, wobei nicht zwischen religiösen Fundamentalismus und Muslimen unterschieden wird. Die größte mediale Aufmerksamkeit erhielt HoGeSa,
als sie am 26. Oktober 2014 mit rund 5000 Rechten aller Couleur und
Sympathisant*innen durch Köln marschierten. Während der Demonstration
waren zahlreiche klassische Neonazi-Parolen zu hören (»Hier marschiert der nationale Widerstand« oder »Frei, sozial und national« sowie »Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!«).
Nach wenigen Metern eskalierte die Demonstration. Dabei vermummten sich
militante Nazis und griffen u.a. einen asiatischen Imbiss und
Passant*innen an. Während der Auftaktkundgebung trat die Neonazi-Band Kategorie C
auf. Sie gehört zu den beliebtesten Bands der rechten Szene und besitzt
durch ihre Anbindung an das rechte Hooligan-Milieu eine Strahlkraft
weit über den Rand organisierter Neonazikreise hinaus. Die Band tritt
häufig auf Neonazi-Großveranstaltungen auf, wie am 25. Oktober 2014 für Blood & Honour in Slowenien. Das Aufkommen von HoGeSa
hat das vorhandene rechte Potential in den Stadien deutlich gemacht und
die Bereitschaft zu einem vereinsübergreifenden Agieren der rechten
Fanszenen gestärkt. Gerade der subkulturelle Habitus verhalf dem Label
im virtuellen und erlebniskulturellen Bereich zur Durchsetzung. Wie es
mit HoGeSa als organisiertes Netzwerk weitergeht, bleibt jedoch zu beobachten.
PEGIDA: rechte Massenmobilisierung neuen Typs
»Es sind nicht die Arbeitslosen, es sind nicht die Ungebildeten.
Es ist das Deutschland mit Golf und Sky-Abo, das gerade ausrastet.«
(Christian Bangel, Journalist)
Nach dem der HoGeSa-Hype durch interne Spaltungen, Polizeirepressionen und fehlende Kontinuität allmählich abflachte, erlangte die Gruppierung der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) mehr und mehr an Auftrieb. Die vordergründige Abgrenzung von Gewalt3 und der zivile Anstrich ermöglichten PEGIDA im Gegensatz zu HoGeSa
eine höhere Anschlußfähigkeit. Ursprungsstadt der Bewegung ist die
sächsische Landeshauptstadt Dresden. Zum ersten Aufmarsch Ende Oktober
2014 kamen rund 350 Teilnehmer*innen, Bis Anfang Januar 2015 gelang es PEGIDA an die 15000 Teilnehmer*innen auf die Straße zu bringen.
Ende Januar 2015 kam es zum Eklat innerhalb des Dresdner PEGIDA-Kreises. Ursache war ein von ihrem Sprecher Lutz Bachmann auf Facebook veröffentlichtes Fotos, dass ihn als Adolf Hitler zeigt so wie Facebook-Kommentare, in denen er Migrant*innen als »Viehzeug« bezeichnete. Die Frage, wie weit rechts Menschen sich positionieren wollen, die sich unter anderem LEGIDA,
dem einzigen offiziell autorisierten Ableger anschlossen, führte zur
Spaltung. Hinzu kamen Machtkämpfe innerhalb der Orgagruppe. Die neue
Abspaltung »Bewegung für direkte Demokratie in Europa« sieht sich politisch »rechts neben der CDU« und wird vom Großteil der ehemaligen PEGIDA-Führungsriege getragen: der ehemaligen PEGIDA-Pressesprecherin Kathrin Oertel, dem zweiten Vorsitzenden René Jahn, dem AfD-Mitglied Achim Exner, dem Wirtschaftsberater Bernd-Volker Lincke und dem ehemaligen CDU-Stadtrat von Meißen, Thomas Tallacker.
Im Zuge des Erfolgs von PEGIDA entstanden Ableger in vielen deutschen Städten. PEGIDA
konnte sich durch den Erfolg der Bewegung als Marke etablieren und fand
in Polen, Dänemark und anderen europäischen Ländern Nachahmer*innen.
Diese Veranstaltungen werden oft von rechtspopulistischen Gruppierungen
getragen. In Dresden sind es lokale Parteiakteur*innen der FDP und AfD, die sich an den Aufmärschen und deren Durchführung beteiligen. Ebenso gab es persönliche Gespräche zwischen PEGIDA und dem sächsischen CDU-Innenminister Markus Ulbig.
Die Initiator*innen setzen sich aus einer Melange von Vertreter*innen
der Neuen Rechten, Verschwörungstheoretiker*innen, Neonazis und vor
allem Bürger*innen zusammen, die bisher nicht in der radikalen Rechten
politisch aktiv waren. Beispielhaft hierfür steht der PEGIDA-Initiator Lutz Bachmann.
Der Drogenschmuggler und Wurstverkäufer hatte wie viele andere bisher
keine politische Vita vorzuweisen. Der Führungskader der PEGIDA
setzt sich vor allem aus Kleinunternehmer*innen zusammen. Sie sind
untereinander gut vernetzt, finanziell abgesichert und bringen zum
Großteil die nötigen Erfahrungen für Organizing und Werbung mit. Die
Bezeichnung der PEGIDA als »Brandstifter in Nadelstreifen« mag auf den ersten Blick vielleicht nicht treffend genug erscheinen, die PEGIDA-Klientel,
wie auch deren Protestmotivation aus mittelständischer Abstiegsangst,
Patriotismus und Rassismus sind bei genauer Betrachtung jedoch nahezu
identisch mit den Vorstellungen des rechten AfD-Flügels um Alexander Gauland (AfD-Fraktionsvorsitzender) und Frauke Petry (AfD-Vorsitzende Sachsen). So gesehen ist PEGIDA die außerparlamentarische Bewegung, die der AfD bisher gefehlt hat. Eine vermeintliche »Oppositionspartei« oder »Oppositionsbewegung«,
deren Politik darauf abzielt, die Lebensverhältnisse noch restriktiver
zu gestalten, offenbart nur deren eigentliches Ziel: nämlich selbst ein
paar Etagen höher im Chefsessel etablierter Politik zu sitzen. PEGIDA sind Rassist*innen in Nadelstreifen und solche, die auf jenen Status hinarbeiten.
PEGIDA selbst behauptet, eine Reaktion auf die Angriffe und Gräueltaten des IS und einer daraus geschlussfolgerten angeblichen Bedrohung für »europäische Werte« und den Frieden des »Abendlandes«
zu sein. Wenig überraschend ist, dass die Bewegung zu keinem Zeitpunkt
die Menschen im Irak und in Syrien, die täglich gegen den IS kämpfen müssen, unterstützt oder sich solidarisch mit ihnen erklärt hat. Vielmehr war und ist das Erstarken des IS ein willkommener Anlass, den schon lange unter der Oberfläche der deutschen Gesellschaft schwelenden Rassismus zu befeuern.
»Deutschtum« passen, von Anfang an Bestandteil von PEGIDA
war, verdeutlicht, dass auch andere Ereignisse als Anlass für die
Formierung einer rechten Bewegung, hätten herhalten können. Erinnert sei
an die homophoben Massenproteste gegen die Ehe für alle im Sommer 2013,
in Frankreich. Es lässt sich mutmaßen, warum nicht beispielsweise die
Baden-Württembergische Schulreform (Aufklärung über Homosexualität) zum
Kristallisationspunkt einer rechten Massenbewegung wurde. Ohne das
homophobe Grundklima in Deutschland negieren zu wollen, liegt jedoch die
Vermutung nahe, dass Islamfeindlichkeit eine höhere Zustimmung genießt,
auch bei Menschen, die ein »emanzipatorisches« Selbstbild pflegen. Dass der Hass gegen Geflüchtete, Sinti und Roma, Linke und alle weitere Menschengruppen, die nicht in ihr PEGIDA
auf eine klare Ein-Punkt-Mobilisierung, von der aus sich im Laufe der
Aufmärsche weitere Forderungen durch die Teilnehmenden
herauskristallisierten oder durch diese gestrichen wurden. Erst das
Positionspapier, quasi das Selbstverständnis von PEGIDA, klammerte bestehende Positionen des Protestes zusammen. Trotz der unverkennbar rassistischen Klammer, die alle eint, geben die Organisator*innen nach Außen eine inhaltliche und stilistische Unbestimmtheit vor. Für die verschiedensten rechten Gruppen und Milieus lässt das genug Platz für ihre eigenen Vorstellungen – Eine Grundvoraussetzung, um dem Protest überhaupt die nötige Breite zu verleihen. Statt auf ein ausformuliertes Programm, dass einen Start von Anfang an vielleicht verhindert hätte, setzte Gerade das Positionspapier strotzt vor Kulturrassismus und sexistischer Weltbildern: es unterstellt Migrant*innen, sie seien tendenziell kriminell, fordert rigorose Abschiebungen und eine »Senkung des Betreuungsschlüssels für Asylsuchende«. Gefordert wird eine restriktivere »Zuwanderung nach dem Vorbild der Schweiz, Australiens, Kanadas oder Südafrikas« und ein Ende des »wahnwitzige[n]
»Gender Mainstreaming«, auch oft »Genderisierung« genannt, dass zur
»zwanghafte[n], politisch korrekte[n] Geschlechtsneutralisierung unserer
Sprache«
führe. Soziale, gesamtgesellschaftliche Probleme wie Homophobie,
Sexismus, (häusliche) Gewalt, Armut, Kriminalität, etc. werden
kulturalisiert und zu Defiziten von Muslimen umgelogen. Die Systemkritiker*innen von PEGIDA
haben jedoch nur wenig Systemkritisches zu melden – weder in ihrem
Positionspapier noch in ihren Interviews. In der Frage des Schutzes
derer, die vom IS ermordet werden, verbleibt PEGIDA auf deutscher Staatslinie: »PEGIDA ist GEGEN Waffenlieferungen an verfassungsfeindliche, verbotene Organisationen wie z.B. PKK«. Dabei war es die PKK, die die Ezid*innen vor den Massakern des IS rettete und Bevölkerungsgruppen-übergreifende Selbstverteidigungseinheiten in Syrien aufbaut. Den Betroffenen des IS-Terrors, die eigentlich als Argument für die Aufmärsche in Dresden herhalten mussten, spricht PEGIDA damit das Recht auf Selbstverteidigung ab. Schon der Leitspruch »Gewaltfrei gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden«, welcher bundesweit auf den Fronttransparenten der regionalen PEGIDA-Ableger prangt, macht klar worum es geht: »Fundamentalistischer Terror bitte nicht vor meiner eigenen Haustür«. Der Rest kann sehen, wo er*sie bleibt.
Das inhaltlich schwache Programm und die vielen Widersprüchlichkeiten der Bewegung machen es schwer, ihre politische Gesinnung zu identifizieren. Das ist gewollt: PEGIDA will keinem der herkömmlichen politischen Lager zugeordnet werden, weil sie es auf eine bürgerliche Klientel absehen, die zwar (proto-)faschistisch denkt, sich selbst aber für demokratisch hält.
»Ihr habt das Denken outgesorced, denn ihr habt nichts zu sagen.
Aus Gedanken werden Taten: Rostock-Lichtenhagen.
Und ich scheiß aufs Positionspapier, das macht euch nicht sympathisch.
Wer mit Rechten durch die Straßen läuft ist niemals demokratisch!
Von mir aus nennt mich Gutmensch, damit triffst du mich nicht
Meine Meinung sag ich jedem Faschist ins Gesicht«
(Kiezkunst (Takt32 & FX), Hip-Hop-Künstler)
Sächsischer Sonderweg?
Dass das Mutterland von PEGIDA ausgerechnet der Freistaat Sachsen ist, ist kein Zufall. Über zwei Jahrzehnte unter der Knute der CDU-Regierung,
Heimatland der Schwippbögen und Christstollen, der Extremismus-Theorie
und Glatzenpflege auf Staatskosten. Letzteres Modell, auch bekannt als »akzeptierende Jugendarbeit«
mit Neonazis, ist zwar seit Mitte der 00er zu den Akten gelegt worden,
prägte aber die Entstehung der regionalen Neonaziszene nachhaltig (siehe
Nationalsozialistischer Untergrund, NSU). Kurz gesagt: Sachsen ist so etwas wie das Bayern des Ostens.
Eckard Jesse, einer der ideologischen Flakhelfer der »Extremismustheorie«, hat einen Lehrstuhl an der Technischen Universität Chemnitz inne. Er und sein Weggefährte Uwe Backes (Professor an der Technischen Universität Dresden)
haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Gleichsetzung des rechten
Mordens und des legitimen Widerstand dagegen in Lehrplänen,
Schulmaterialien und Hörsälen zu verankern und zum Common Sense zu
machen. Auch wenn sie den Quatsch nicht selbst erfunden haben, Backes und Jesse
werden quasi als Gründungsväter der Extremismus-Theorie gehandelt. Dass
Vertreter dieser Ideologie hier in angesehen Lehrinstituten dozieren
dürfen, spricht für sich. Dass die sächsische Landeszentrale für politische Bildung PEGIDA
ihre Räume für eine Pressekonferenz zur Verfügung stellte, hatte darum
höchstens für die Presse das Zeug zum Skandal, nicht aber für
diejenigen, die mit den sächsischen Zuständen vertraut sind.
Anti-Extremismus-Denke
und reaktionärer Grundkonsens sorgen dafür, dass sich der politische
Kampf in Sachsen seit jeher gegen links richtet (z.B. PDS/Die.LINKE, Antifa). Sachsen hat ein Konservativismus Problem – zum Teil bereits vor dem Mauerfall. Was das in Kombination mit über 20 Jahren CDU-Regierung
mit den Menschen macht, wie sie sich dadurch sozialisieren, bietet
Stoff für zukünftige Texte. Einige Spezifika der sächsischen Zustände
jedenfalls lassen sich schwer verleugnen: Das extrem rechte Profil der AfD, die breit aufgestellte rechte Fußballszene, die national befreiten Zonen und der NSU-Verfassungsschutz-Filz
entstammen unmittelbar diesem Klima. Auf Grundlage des rechten Konsens
können Law and Order-Vorstöße sächsischer Landespolitiker*innen immer
auf die Zustimmung breiter Bevölkerungsteile bauen. Sachsen könnte sich
in Zukunft weiter zum Stichwortgeber für bundesweite rassistische
Diskurse entwickeln. Einer der letzten Vorstöße kam von PEGIDA-Versteher Markus Ulbig (CDU). Er forderte im Dezember 2014, Tunesien als Sicheren Drittstaat zur Abschiebung Asylsuchender anzuerkennen.
Die sächsischen
Zustände zu thematisieren, sollte jedoch nicht zu einer
Problemreduktion auf den Osten führen. Dagegen sprechen im übrigen nicht
nur die bundesweiten Nachahmungsversuche des PEGIDA-Konzepts,
sondern auch die zahlreichen Anschläge gegen Geflüchtete und deren
Unterkünfte in den alten Bundesländern. Wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), gegenüber CNN betont, PEGIDA
sei ein regionales Problem (gemeint ist die exklusiv in Dresden hohe
Teilnehmer*innen-Zahl), bagatellisiert er die gesamtgesellschaftliche
Problematik. Das ist also nicht Deutschland? Wir sagen: Doch! Genau das
ist Deutschland und zwar mit seiner überaus hässlichen Fratze.
Günstige Bedingungen für die herrschende Klasse
»Bürgerinitiativen agieren unterm Deckmantel
Kein Flüchtling lebt wie die Made im Speckmantel
Das kann mir keiner erzählen
Die SPD geht bitte keiner mehr wählen«
(Neonschwarz, Hip-Hop-Kollektiv)
Die Reaktionen aus der Politik sind sehr weitläufig und unterschiedlich. Rechtskonservative und andere reaktionäre Strömungen versuchen in erster Linie, die angeblich berechtigen »Sorgen und Ängste« der Teilnehmer*innen zu legitimieren. Diese würden nur den falschen Leuten folgen. Man müsse auf die »besorgten Bürger*innen« zugehen und das Gespräch suchen, ist aus den Reihen der CSU und AfD zu hören. Dadurch legitimieren diese den rassistischen Protest von PEGIDA um so mehr.
Hier
wird nicht mehr der rassistische Grundkonsens der Teilnehmer*innen in
den Fokus gestellt, sondern die Geflüchteten als Problem. Wie von vielen
anderen Unionspolitiker*innen, kamen auch von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) absurde Forderungen wie die, dass man den Menschen »die Angst vor der Islamisierung« nehmen müsste. Eine solche Aussage impliziert, dass diese tatsächlich existiert und gibt den Inhalten von PEGIDA Rückendeckung. Schäuble schafft hier einen Spagat, indem er sich halbherzig von PEGIDA distanziert und diese gleichzeitig ernst nimmt. Das ist bei der CDU/CSU zur Zeit von großer Bedeutung. Während sich innerhalb der CSU die Plattform »Konservativer Aufbruch« gegründet hat, um gegen die vermeintlich zu links-liberale Position der Führungsspitze der CDU zu »rebellieren«,
überschlagen sich innerhalb der Partei rassistische Positionen. Dabei
geht es in erster Linie um den Machterhalt der Gesamtpartei, da sie
einen großen Wähler*innen-Verlust an die AfD fürchtet. Weiterhin kann der Rechtsaußen-Flügel der CDU/CSU
endlich offen aussprechen, was schon lange intern Konsens ist. Dies
äußerte sich zuletzt durch Absurditäten wie die Forderung, dass
Migrant*innen auch zu Hause nur deutsch reden sollten. Zwar folgte die
Distanzierung auf dem Fuße, jedoch sind im aktuellen Positionspapier der
CSU so gut wie alle Forderungen von PEGIDA enthalten. Dass die CSU mit der Forderung nach Germanisierung migrantischer Haushalte ausgerechnet an die Öffentlichkeit ging, als PEGIDA im Dezember 2014 ihr erstes politisches Hoch erlebte, kann kein Zufall sein. Um PEGIDA und AfD das Wasser abzugraben, forderte Innenminister Hans-Peter-Friedrich (CDU) fast zeitgleich die Stärkung eines konservativen CDU-Profils
mittels weiterer Verschärfung der Einwanderungspolitik. Die Situation
erinnert an die 90er Jahre, als eine mehrjährige Serie von Pogromen und
Brandanschlägen dazu führte, dass SPD/CDU die »Sorgen und Nöte« der Wutdeutschen ernst nahmen und das Grundrecht auf Asyl faktisch abschafften.
SPD und Grüne wiederum machten sich den Protest gegen PEGIDA
für die Kaschierung ihrer eigenen rassistischen Politik zunutze. Um der
Beschädigung des deutschen Ansehens in der Welt zuvorzukommen, wurde
der Kampf gegen PEGIDA
seitens renommierter Medien und Regierungsparteien zügig zur Frage der
Standortrettung erklärt. Besonders deutlich wurde dies am 05. Januar
2015, als der Berliner Ableger von PEGIDA, BÄRGIDA,
versuchte, in der Hauptstadt aufzumarschieren. Die antifaschistischen
Gegenproteste wurden von Parteien gezielt als Interview-Kulisse für
deren whitewashing-Kampagne instrumentalisiert. Ausgerechnet
Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), die maßgeblich zur Räumung des Berliner Refugee-Protestcamps am Oranienplatz4 beitrug, behauptete gegenüber anwesenden Pressevertreter*innen: »Asylsuchende haben ein Anrecht auf Schutz.« Wer dagegen sei, sei auch »gegen unsere lebendige und offene Gesellschaft«. Ihr Parteikollege Heinz Buschkowsky
trieb jenes Possenspiel wenig später auf die Spitze, als er vor der
Trauerfeier für die Opfer des Pariser Terroranschlages gegenüber dem ZDF beteuerte, dass nicht alle Muslim*a Terrorist*innen seien. Dabei propagiert gerade Buschkowsky in seinem Buch »Neukölln ist überall« dieselbe irrationale Gleichung »Ausländer = Muslim = Krimineller«, wie sie auch PEGIDA-Anhänger*innen vertreten.
Von der Kommentarspalte zum Brandanschlag
»Bekennende
Rechte seid ihr nicht. (…) Nein, euer Hass gegen Fremde ist subtiler.
Und deshalb umso gefährlicher. Denn ihr seid keine Randgruppe. Ihr seid
viele. Rechtschaffene Bürger mit Familie und Job. Euer Hass auf Muslime,
Sinti und Roma und Asylbewerber wächst. (…) Ihr seid nicht dumm, viele
von euch haben studiert und sind erfolgreich im Beruf. (…) Ihr geht
wandern und veröffentlicht bei Facebook Katzenfotos. Ihr seid Männer UND
Frauen. Ihr sitzt in der Mitte der Gesellschaft. Eure Waffen haben
Wirkung, aber ihr braucht keine Gewalt. Es ist ein friedlicher Hass. Ihr
tobt euch in Facebook-Kommentaren aus, ihr schickt uns wütende Mails.
Alles natürlich unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Ihr macht
euch ja nur Sorgen, wollt bloß mal sagen, wie es ist.«
...beschreibt Sabrina Hoffmann in der Huffington Post treffend jene, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Frust ablassen in Dresden versammeln. Zugleich wird PEGIDA treffend als Online-Bewegung charakterisiert – eine Parallele die sich auch bei HoGeSa oder der AfD wiederfinden lässt. Die hohe Zahl an Rentner*innen auf den PEGIDA-Aufmärschen
wird sicherlich nicht über Facebook mobilisiert worden sein, aber als
Initialzünder war und ist Facebook wichtig für die Strukturen von PEGIDA. Einfache Identifikationsangebote, ohne die Notwendigkeit eigener Organisierung, ermöglichen einen unkomplizierten Zugang zu PEGIDA. Ohne Facebook hätten die Aufmärsche in dieser Größenordnung nicht stattfinden können.
Beflügelt
durch die Gemeinschaftserlebnisse auf der Straße, machen potentielle
Brandstifter*innen die Erfahrung, mit ihrem dumpfen Rassismus und
Sozialdarwinismus nicht allein hinterm Bildschirm zu sein. Der
rassistische Hass findet somit seinen Weg aus viralen, sozialen
Netzwerken und bricht sich auch in der Realität Bahn. So legten
Unbekannte im Dresdner Stadtteil Gorbitz am 12. Dezember 2014 in drei
Häusern, die von Geflüchteten bewohnt sind, in den Hauseingängen Feuer.
Allein im Januar 2015 zählt die Opferberatung des RAA Sachsen insgesamt fünf teilweise bewaffnete Überfälle auf Asylsuchende in Dresden. Laut PRO ASYL
kam es im Jahr 2014 landesweit zu 153 Angriffen auf
Geflüchtetenunterkünfte und in 77 Fällen zu tätlichen Angriffen gegen
Asylbewerber*innen. Unserer Einschätzung nach ist der signifikante Anstieg solcher Angriffe das Produkt der seit 2013 von Neonazi-Gruppen gefahrenen Mobilisierungen gegen Geflüchtetenunterkünfte. Die rassistischen Anwohner*innenproteste in Schneeberg und Berlin-Hellersdorf5
im Jahr 2013 waren rechte Modell-Mobilisierungen. Die vorwiegend
Facebook-basierten Werbekonzepte und Mobilisierungen der
Neonazi-Bürgerinitiativen bildeten unter anderem die Vorlage für HoGeSa und PEGIDA.
Die über zwei Jahren gesammelte Kollektiverfahrung rassistischer
Massenmobilisierungen und das damit verbundene Selbstwertgefühl
kanalisieren den »friedlichen Hass« der Facebook-Rassist*innen in offene Gewalt. Da die »Lügenpresse«
organisierte Rechte derzeit auf Abstand hält, werden rechte Bewegungen
auch in Zukunft auf kostengünstige soziale Medien mit hoher Streuweite
setzen. Antifaschistische Gegenstrategien müssen darum auch auf dieser
Ebene entwickelt werden.
Antifa praktisch machen
In vielen Städten konnten sich Blockaden als adäquates Mittel gegen die
Aufmärsche erweisen, was in Dresden auf Grund der hohen
Teilenehmer*innenzahlen bei PEGIDA
allerdings unmöglich schien. Zur Ausgangslage in Berlin muss angemerkt
werden, dass die Vorbereitung und Durchführung von Demos und Blockaden
gegen BÄRGIDA
komplett unterbesetzt waren. Viele Teilnehmer*innen nahmen an den
Aktionen lediglich als Konsument*innen teil. Durch Aufrufe zu offenen
Orga-Treffen verbesserte sich die Situation. Für die Zukunft bleibt
festzuhalten, dass der aktuelle Rechtsruck auch eine breite und
anschlussfähige Gegen-Organisierung benötigt, um mehr Menschen in den
Widerstand einzubinden.
Im Zusammenhang mit PEGIDA
sollte Antifa-Recherche ihre gebührende Erwähnung finden. Ohne die
Wühlarbeit in rechten Facebook-Strukturen und die langjährige
Archivierung von Neonazi-Information wäre es nicht möglich gewesen, die
Verstrickungen der einzelnen PEGIDA-Ableger ins rechte Lager aufzudecken. So konnte mensch auf leipzig.antifa.de im Wochenrhythmus Veröffentlichungen zu Teilnehmer*innen und Organisator*innen des offiziellen Leipziger PEGIDA-Ablegers lesen. Diese reichen von Verschwörer*innen bis hin zum Unterstützer*innenumfeld des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU).6
Die auf antifaschistischen Webblogs und Indymedia aufbereiteten Informationen dienten als Grundlage für zahlreiche Schmähartikel gegen Akteur*innen der verschiedenen PEGIDA-Gruppen. Ähnliche wie bei den Anti-Asyl-Aufmärschen in Berlin 2014 (Stadtteile Marzahn, Köpenick, Buch) gelang es die »Wir sind keine Nazis«-Lüge
als solche zu enttarnen. Diese Aufmärsche von Anwohner*innen und
Neonazis in Berlin (2014/2015) wurden von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) anfänglich als Bürger*innenprotest dargestellt und waren zahlenmäßig nur schwer niederzuringen.
Antifa-Recherche
kann die Blockade eines Aufmarsches zwar nicht ersetzen, jedoch kann
sie manchmal das Zünglein an der Waage sein, um zumindest die
Kräfteverhältnisse im öffentlichen Diskurs zu verschieben oder den Druck
auf die Rechten zu erhöhen.Gerade durch die Gesprächigkeit der Rechten
in sozialen Netzwerken haben sich für Recherchestrukturen neue Optionen
jenseits der Straßenrecherche aufgetan und die Möglichkeit zum Mitmachen
eröffnet. So hat sich mit dem Aufkommen von Montags-Friedensdemos7
und der Verschwörungsszene auf Facebook mittlerweile eine
Anti-Verschwörungsszene herausgebildet, die tagesaktuell in Watchblogs
problematische Aussagen und Verbindungen der neuen rechten Bewegungen
veröffentlicht. Die rassistischen Kommentare und das Hitler-Foto, die Lutz Bachmann Anfang Februar zum Rückzug bewegten, entstammen jener Wühlarbeit.
Das Zerwürfnis der Dresdner PEGIDA-Organisationsgruppe war Resultat des enormen Drucks, der auf den Hauptverantwortlichen von PEGIDA lastet. Der politische Wille von ganz oben, PEGIDA zu bekämpfen, PEGIDA-Bashing seitens der »Lügenpresse« und Antifa-Recherche waren maßgeblich ausschlaggebend für die zwischenzeitige Kapitulation der PEGIDA. Auf das journalistische Interesse an unseren Infos sollten wir uns jedoch nicht verlassen. Denn Presseinteresse ist konjunkturabhängig und steht im schlimmsten Fall auf der Gegenseite. Gleiches gilt im übrigen für Blockaden. Oft hängt es am Willen von Polizei und Stadtverordnung, ob den Rechten der Aufzug untersagt oder der Gegenprotest weggeknüppelt wird. Wenn der faschistische und rassistische Mob auf Grund zahlenmäßiger Überlegenheit nicht zu stoppen ist, kann der Widerstand gegen dessen Hauptakteur*innen ein Mittel sein, um dem Mob als Ganzes zu zeigen, dass ihr Treiben nicht kritiklos hingenommen wird.
Die
personelle Melange, die wir derzeit auf deutschen Straßen
aufmarschieren sehen, stört sich nicht an ihrer öffentlichen
Ausgrenzung. Sie lebt in einer eigenen politischen Welt, in der sie ihre
rassistischen und rechtspopulistischen Meinungen reproduziert und nicht
mehr in Frage stellen muss. Ein Korrektiv, das sie mit der Realität
konfrontiert, scheint es für sie nicht mehr zu geben. Um dem
auklärungsrestsitenten Mob etwas entgegen zu setzen, gilt es darum, auf
eine eigene Antifa-Praxis zu setzen und selbst wieder handlungsfähig zu
werden.
»Alle Welt sucht das Gespräch mit Rechtsradikalen. Warum? […] Ist nicht hinlänglich bekannt, was sie denken, fordern und propagieren? […]Niemand wählt Nazis oder wird einer, weil er sich über deren Ziele täuscht, – das Gegenteil ist der Fall; Nazis sind Nazis, weil sie welche sein wollen. Eine der unangenehmsten deutschen Eigenschaften, das triefende Mitleid mit sich selbst und den eigenen Landsleuten, aber macht aus solchen Irrläufern der Evolution arme Verführte, ihrem Wesen nach gut, nur eben ein bißchen labil etc., “Menschen […] um die wir kämpfen müssen”. Warum? Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig […] Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: daß man sie hindert, […] die [zu] bedrohen und nach Möglichkeit um[zu]bringen, die nicht in ihre Zigarettenschachtelwelt passen. Ob man sie dafür einsperrt oder sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich.«
(Wiglaf Droste, Autor)
Nicht bei PEGIDA stehen bleiben: für eine emanzipatorische Perspektive!
Auch wenn es aktuell so scheint, als würden PEGIDA
und ihre Ableger an ihren internen Kämpfen um Führungsansprüche und die
passende politische Außenwirkung zerfallen – die Gefahr einer
populistischen Massenbewegung, der es gelingt, Tausende auf die Straße
zu bringen, deren Großteil bisher in politischer Apathie verharrt war,
ist nicht gebannt! PEGIDA
war und ist, wie die rechtspopulistischen Bewegungen und
Mobilisierungsversuche vor ihr, ein Sammelbecken für krude Ideologien
und irrationale Ängste und somit auch ein gefundenes Fressen für all
jene rassistischen und nazistischen Akteur*innen, die es verstehen, sich
die diffuse Frustration in Teilen der Gesellschaft zunutze zu machen.
Dies wird nicht zuletzt darin deutlich, dass in den aktuellen PEGIDA-Strukturen
und deren Ablegern häufig altbekannte Rechtspopulist*innen und Nazis zu
finden sind, die auch sonst keinen regressiven Mobilisierungsversuch
auslassen. Doch nicht nur erklärten Rassist*innen und Rechten nutzt PEGIDA als massenhafte Vernetzungs- und Artikulationsplattform. Auch die politische Elite profitiert davon, dass »ganz normale Deutsche«
ihre Stammtischphrasen nunmehr offen auf der Straße herauskrakelen, von
wo sie es zur besten Sendezeit ins Fernsehen schaffen. Unter dem
Deckmantel, die »Ängste der Bevölkerung«
ernst nehmen zu wollen, können Bundesregierung und Länder ihre
repressive Anti-Asyl-Politik und die zunehmende Kriminalisierung
Geflüchteter weiter vorantreiben. Die etablierte Politik bedient sich
hierbei somit genau der Geister, die sie zu einem großen Teil selbst
herbeigerufen hat Ein entschlossener antifaschistischer Widerstand gegen. PEGIDA,
deren Ableger und jede andere neurechte Bewegung ist deshalb
unvermeidlich und besonders wichtig. Eine emanzipatorische Kritik an
diesen gesellschaftlichen »Krisenphänomenen«
darf allerdings niemals außer Acht lassen, dass der Erfolg
rechtspopulistischer und rassistischer Bürger*innenbewegungen keineswegs
nur auf die Spinnereien einiger neurechter Ideolog*innen und
neonazistischer Netzwerker*innen zurückzuführen ist. Wie oben dargelegt
wurde, haben sowohl die Regierungspolitik der letzten Jahre, als auch
nationale und europaweite Wirtschaftsinteressen, Hand in Hand mit einer
tradierten Ideologie der vermeintlichen Überlegenheit einer imaginierten
fortschrittlich-freiheitlichen »westlichen Welt«, erst die Basis geschaffen für reaktionäre Massenbewegung wie PEGIDA und Co. Antifaschismus darf vor diesen Ereignissen nicht nur in einem reinen Anti-Nazi-Kampf verhaftet bleiben. Eine antikapitalistische Perspektive einer befreiten und solidarischen Gesellschaft muss weiter forciert werden, um die ökonomischen Ursachen dieser rassistischen Bewegungen aufdecken und analysieren zu können. Dabei darf die emanzipatorische Kritik jedoch nicht Halt machen vor der etablierten Politik und der so genannten »Mitte der Gesellschaft«. Sie muss klar die staatlichen, wirtschaftlichen und politischen Interessen aufdecken, benennen und bekämpfen, die PEGIDA
– und neben ihr eine große Anzahl neurechter und populistischer
Organisationen und Bewegungen europaweit – mit hervorgebracht haben und
befördern. Die reaktionäre Angst vor der sozialen Deklassierung treibt
das rassistische gesellschaftliche Klima weiter voran – demgegenüber
muss eine radikal linke Perspektive jenseits von Ausgrenzung und
Diskriminierung aufgezeigt werden. Kämpfe gegen soziale Ausgrenzung und
Rassismus müssen daher zusammengeführt werden, damit die Vorboten der
Faschisierung der Gesellschaft von Anfang an aktiv bekämpft werden
können.
Es gibt nicht zu viele Geflüchtete, sondern zu viele Rassist*innen!
Deutschland halt’s Maul!
North East Antifa [NEA]
Februar/März 2015
Exkurs: Orientalismus und Okzidentalismus
»Ihr habt Angst vor’m Schwarzen Mann
Vor ’ner anderen Religion
Vor den fremden an den Grenzen
Ihr habt Schiss vor jedem Ton
der nicht klingt wie eure Sprache
die ihr gern dazu benutzt
um die Türkin anzuschreien
die bei euch die Küche putzt«
(Terrorgruppe, Punkband)
Die Betonung und Höherbewertung des eigenen konstruierten »Selbst«, welches sich in der Argumentation der PEGIDA-Anhänger*innen
widerspiegelt, ist nicht neu, sie tritt nur erstmals in einer solch
geballten Ladung auf und findet einen entsprechenden medialen Widerhall.
Dabei reiht sich PEGIDA
in eine lange Kette von Ausgrenzungs- und Diskriminierung-Diskursen
ein, welche in den Konstrukten von Orientalismus und Okzidentalismus
bereits historische Tradition haben.
Edward W. Said geht davon aus, dass der selbsternannte Okzident sein Selbstverständnis in grundsätzlichem Gegensatz zum »Orient«
konstruiert hat, was eine permanente und unauflösliche Differenz
zwischen beiden bedeutet. Der Okzident prägt dabei ein vermeintliches
Wissen über den Orient, welcher immer als »das Andere«
dargestellt wird, welches als archaisch, rückständig und barbarisch
markiert wird – wobei die eigenen Positionen, Macht- und
Herrschaftssysteme in der Regel unberührt und unreflektiert bleiben.
Wenn überhaupt, werden diese als »natürliche«
und positive Gegensätze zum Orient angesehen und mit Attributen
versehen wie: modern, fortschrittlich, rational, säkular und
demokratisch. Der Orient selbst wird (wie in der Definition von The Runnymede Trust zu
sehen) als ein homogener (monolithischer) Block mit nur einer Kultur
dargestellt, wobei Gegebenheiten und Tatsachen, welche nicht in das
eigene Bild passen (Widersprüche zur rassistischen Verallgemeinerung),
in der Regel einfach ausgeblendet werden. Der Okzident spricht für und über
den Orient. Oder anders ausgedrückt: »>Orientalismus< ist Teil
eines europäischen imperialen Denksystems« (Barskanmaz 2009: 365).
Die Dialektik, also die gegensätzlich erscheinende Für- und Widersprüchlichkeit von bspw. romantisierenden/ sexualisierenden Bildern (Stichwort: »Harem«, »kulinarische Genüsse«, etc.) und der vermeintlichen, pauschalen »Rückschrittlichkeit« oder »Demokratieunfähigkeit« muslimischer Menschen (Krieg, Vertreibung, Islamismus, etc.) stellen dies eindrücklich dar.
Ausgehend vom Orientalismus unterscheidet sich also auch der antimuslimische Rassismus von dessen anderen Formen, wobei es gewisse Parallelen gibt. So sieht beispielsweise Iman Attia in der Transformation vom »alten Feindbild« Islam zum Orientalismus – und damit auch zum antimuslimischen Rassismus – Parallelen mit der Entwicklung vom mittelalterlichen Antijudaismus (religiös motiviert, bspw. jüdische Menschen als »Christus-Mörder*innen«) zum Antisemitismus (rassifizierend, kulturell und ökonomisch motiviert, bspw. Jüd*innen als »allbeherrschende Macht im Hintergrund«).
Wie zeigt sich diese Entwicklung in Hinblick auf antimuslimischen Rassismus?
Davon
ausgehend, dass der deutsche Kolonialdiskurs seit jeher durch die
Vorstellung von einer vermeintlichen biologischen, also »rassischen«
und völkischen Überlegenheit dominiert war und ist, geht die
Postkoloniale Theorie davon aus, dass es auch hier zumindest eine
Tradition von biologistischem und völkischem Rassismus gibt. Auch wenn
Deutschland im Vergleich zu anderen imperialen Staaten nie eine große
Kolonialmacht war und im »Orient«
keine Kolonien hatte, müssen wir die heutige Gesellschaft als
postkolonial ansehen. Gerade im Zuge der Dekolonialisierung und der
Nachkriegsmigration (so genannte »Gastarbeiter*innen«),
betrifft dieser Diskurs auch hier viele orientalisierte Subjekte in
sämtlichen Lebensbereichen. Mit der weiter oben angesprochenen
Verschiebung von einem »alten Feindbild«
Islam, werden negativ tradierte Stereotype und Angstbilder an den
Betroffenen selbst reaktiviert. Dazu zählen im aktuellen Diskurs vor
allem gesellschaftliche Themen wie Zwangshochzeit, Ehrenmord,
Genitalverstümmelung und selbstverständlich auch das Kopftuch. Diese
werden jedoch nicht als gesamtgesellschaftliche Themen besprochen.
Vielmehr stellt sich hier die Frage, wer hier für und über wen spricht –
und mit welcher Motivation.
Muslime*a werden innerhalb des mehrheitsgesellschaftlichen Diskurses kulturalisiert. Das heißt, »der Islam« wird in einem Atemzug mit Terrorismus und Fundamentalismus genannt. Eine Differenzierung bzw. das Herausarbeiten und Darstellen von Diskrepanzen von Terrorismus und islamischen Glaubensrichtungen fehlt in der Regel völlig.
Interessanterweise
blendet selbiger Diskurs bewusst aus, welche Rollen zahlreiche
imperiale Staaten einnahmen, um islamistische Strukturen gegenüber
Befreiungsbewegungen, Gewerkschaften und einer gefürchteten Ausbreitung
kommunistischer Organisationen finanziell, strukturell und direkt
militärisch aufzubauen. Als einige Beispiele seien kurz die Muslimbruderschaft in Ägypten, die Taliban in Afghanistan sowie die Hüda Par (kurdische Hizbollah) genannt, die fortschrittliche Bewegungen bekämpfen.
Vielmehr sind PEGIDA und andere selbsternannte »Verteidiger*innen des Abendlandes« damit beschäftigt, dieses Erklärungsmodell für sämtliche Missstände innerhalb der »muslimischen community« und der Gesamtgesellschaft heranzuziehen und als eine Drohkulisse für das gesamte »Abendland«
zu konstruieren. Dabei werden die Betroffenen nicht, wie zuvor üblich,
an Hand vermeintlicher körperlicher Merkmale rassistisch stigmatisiert,
um negative Eigenschaften zum biologischen Schicksal zu erklären. Im
Falle des antimuslimischen Rassismus werden die betroffenen Subjekte als
eine einheitliche und »fremde«
Kultur zusammengefasst, welche unveränderliche und starre Eigenschaften
und Verhaltensweisen führen würden, wobei jeglicher eigener
Handlungsspielraum den Betroffenen durch die Mehrheitsgesellschaft
hervorbringe. Dies impliziert somit auch eine unüberwindbare Diskrepanz
zwischen der vermeintlich »eigenen« überlegenen westlichen Kultur und der zugeschriebenen »anderen«
Kultur. Beide sind auf dieser Grundlage nicht miteinander vereinbar,
nicht einmal eine Koexistenz, ohne Berührungspunkte, könne
funktionieren. Dieser Prozess wird auch als kulturelles »Othering« bezeichnet. Es wird also nicht wie bisher über konstruierte »Rassen« diskutiert, sondern über eine natürliche Andersartigkeit der als fremd empfundenen und markierten »Kultur der Anderen«. Man könnte also von einem Rassismus »ohne Rassen« sprechen. Hier genau setzt auch ein weiterer Problembereich an.
Anhänger*innen von PEGIDA,
aber auch anderer protofaschistischer und reaktionärer Strömungen,
leugnen genau dadurch ihre rassistischen Ressentiments. So versuchen
etwa Pro Deutschland und PEGIDA
sich damit zu rechtfertigen, dass an ihren Kundgebungen und
Demonstrationen auch nicht-weiße Menschen teilnehmen würden. Auch wenn
deren Teilnehmer*innen-Zahl doch mehr als marginal ist- eine ernst zu
nehmende Position gegen Rassismus sieht wohl doch anders aus.
Vollends ad absurdum wird deren vermeintlicher »Antirassismus« jedoch dadurch, dass solche Debatten nicht selten in der Lächerlichkeit von einer herbei halluzinierten »Deutschenfeindlichkeit« oder gar »Rassismus gegen Deutsche/Weiße« münden. Auch die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) versuchte, diese »unterschätzte Gefahr«
zu thematisieren und forderte gar Fördergelder für Projekte, welche
gegen die vermeintliche Diskriminierung Deutscher arbeiten würden. Diese
Idee wurde jedoch auf Grund mangelnder Realität wieder verworfen.
Häufiger
versuchen jene Kulturrassist*innen jedoch, ihre Ressentiments durch
eine fortschrittliche und überlegene Kultur zu rechtfertigen.
Urplötzlich interessieren sich
rechte/rechts-konservative/rechtspopulistische Politiker*innen für die
Rechte von Frauen* und LGBTIQ*. Dies wird dann eben mit einer inhärenten
Charakteristik der säkularen »freiheitlich-demokratischen«
Gesellschaft des Westens und deren Angehöriger begründet – was im
Umkehrschluss vermuten lässt, dass diese Eigenschaften den
vermeintlichen Angehörigen der »anderen Kultur«
fehlten. Von diesem Standpunkt aus sei es für Muslime*a, Angehörigen
einer religiös verfassten, unfreien und rückständigen Kultur, nicht
möglich, sich anders zu verhalten. So ist der Weg zum biologischen
Rassismus nicht mehr weit und die Parallelen werden deutlich.
Unterstützt
werden diese Ansichten auch von staatlicher und institutioneller Seite.
Dies äußert sich am deutlichsten im Einbürgerungs-Fragebogen des
Bundeslandes Baden-Württemberg. Hierbei wird die »demokratische Gesinnung« von Asylbewerber*innen aus islamischen Ländern geprüft. Wie es um die »demokratische Gesinnung« der »eigenen Bevölkerung«
steht, spielt zunächst keine Rolle. Ein noch traurigeres und
schockierendes Beispiel ist die skandalöse Ermittlung um die
neonazistische Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Neben der unsäglichen Bezeichnung als »Dönermorde«
gerieten auch hier die Betroffenen und Opfer ins Visier der
Ermittler*innen. In den diversen Kriminalitäts-Unterstellungen war von
Mafia-Verbindungen bis hin zur PKK alles dabei. Auch hier gingen staatliche Stellen von Beginn an davon aus, dass die Täter*innen aus einem »anderen Kulturkreis« kommen, da eine solche Terror-Welle in einem »westlich-zivilisiertem« Land doch gar nicht möglich wäre. Noch im Oktober 2010, nur ein Jahr vor der Selbstenttarnung des NSU, sprach Horst Seehofer (CSU) vor der Jungen Union (JU), bei deren so genannten Deutschlandtag in Potsdam, offen die »Integrationsprobleme« mit den Worten »Multi-Kulti ist tot«
an. Zynischerweise sollte er damit sogar recht haben. Daher wirkten,
insbesondere auch nach den Vertuschungsversuchen der Behörden, jegliche
späteren Entschuldigungen als Farce.
Auch die Forderung, dass besonders in so genannten »Hinterhof-Moscheen« deutsch gepredigt werden müsse, schürt die Angst vor einer vermeintlichen Bedrohung des Westens durch »den Islam«.
Wenn Betroffene innerhalb dieses Diskurses überhaupt die Möglichkeit
erhalten, medial zu Wort zu kommen, dann jedoch lediglich aus einer
gewünschten defensiven Haltung heraus. So müssen Mulime*a stets und
ständig beteuern, dass sie sich vom »Islamischen Staat«
distanzieren und die Morde von Paris verurteilen. Auf die Idee, dass es
auch für Muslime*a eine Selbstverständlichkeit sein könnte, solche
Ereignisse nicht positiv zu bewerten, kommt dabei jedoch kaum jemand.
Noch absurder wird es, wenn von Muslimen*a abverlangt wird, am besten
Verständnis für die PEGIDA
aufzubringen, da deren Anhänger*innen sich in einer prekären Lage
befänden und somit ja auch irgendwie Opfer seien. Ziemlich treffend
antwortete Ayse Demir (Vorstandssprecherin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg) in einem Interview in der linken Tageszeitung Junge Welt vom 07.01.2015 auf genau eine solche Frage:
»Erstens sind von prekären Arbeitsbedingungen in erster Linie auch Migranten betroffen. Zweitens: Für die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage vieler Menschen hierzulande sind wir nicht verantwortlich. Genauso wenig wie für die Verbrechen des »Islamischen Staats« in Syrien und im Irak, wovon wir uns dauernd distanzieren müssen. Es ist doch seltsam: Entschuldigen sich etwa die Deutschen ständig bei uns für die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds?«
(Ayse Demir, Sprecherin Türkischer Bund Berlin-Brandenburg)
Quellen / Verweise:
1 Der Begriff »Islamisierung« wurde von Neokonservativen aus den USA nach dem 11. September 2001 geprägt. Seitdem wird dieser größtenteils von der europäischen Rechten als Legitimation für rassistische Ressentiments genutzt, welche sich vor allem gegen Menschen muslimischen Glaubens richten.
2 LGBTIQ – LesbianGayBiTrans*InterQueer
3 Die Abgrenzung von PEGIDA gegenüber Gewalt ist nur vordergründig. Am 22. Dezember 2014 wurde eine 15 Jährige auf Grund ihrer Hautfarbe von PEGIDA-Demonstranten angegriffen. Am 22. Januar 2015 griff die Aufmarschspitze des LEGIDA-Aufmarsches mit Duldung der Polizei Presservertreter*innen mehrmals mit Schlägen und Steinen an.
4 Seit Ende 2012 hielten Geflüchtete den Oranienplatz im Berliner Bezirk Kreuzberg besetzt, um gegen die menschenverachtende deutsche Flüchtlingspolitik zu protestieren. Dieses Protestcamp wurde, nachdem die Geflüchteten eineinhalb Jahre ihrem Schicksal überlassen wurden, nach einer aktiven Spaltungspolitik von Senat und Bezirk im März 2014 geräumt.
5 Im sächsischen Schneeberg gelang es dortigen NPD-Funktionären im Herbst 2013 kontinuierlich 1000 bis 1500 Menschen zu Aufmärschen gegen ein Asylbewerber*innenheim zu bewegen. Die Aktion in Schneeberg war eine der ersten erfolgreichen Mobilisierungen, die unter dem Tarnbegriff »Bürgerinitiative« lief. Im Sommer desselben Jahres brach in Berlin-Hellersdorf ein Sturm völkischer Entrüstung los, nachdem bekannt wurde, dass in einer alten Schule ebenfalls eine Unterkunft eröffnen sollte. Die Anwohner*innen und Neonazis, die sich damals radikalisierten, sind noch heute aktiv gegen neu entstehende Unterkünfte für Geflüchtete in den Berliner Ost-Bezirken.
6 Maik Eminger bzw. dessen Zwillingsbruder André Eminger nahmen am 21. Januar 2014 an der LEGIDA-Demo teil. Eminger ist als Unterstützer des NSU-Trios vom Oberlandesgericht München wegen Beihilfe zum versuchten Mord und Raub, sowie wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt.
7 Als Mahnwachen für den Frieden (auch Friedensbewegung 2.0) werden Mahnwachen bezeichnet, die seit dem 17. März 2014 in zahlreichen Städten Deutschlands und Österreichs zumeist montags stattfinden. Die Veranstaltungen richten sich in erster Linie gegen die Verschärfung der Krise in der Ukraine 2014. Unter den Teilnehmer*innen dieser Veranstaltungen wie auch deren Organisator*innen befinden sich zahlreiche Rechte und Verschwörungstheoretiker*innen, u.a. Jürgen Elsässer (Kopf der rechten Zeitschrift COMPACT.)