Linke und rechte Gewalt in Berlin - Immer mehr Anschläge auf Büros von Politikern

Tagesspiegel Artikel "Politische Ziele" am 07.04.2015
Erstveröffentlicht: 
07.04.2015

Die Zahl der Anschläge auf Büros von Berliner Politikern hat 2014 stark zugenommen. Ermittelt wurde bislang kein einziger Täter. Die Betroffenen machen Polizei und Justiz dafür verantwortlich.

 

Im März eröffnet, im April schon attackiert. Vier Wochen dauerte es nur, bis Unbekannte das Bürgerbüro der Neuköllner SPD-Abgeordneten Kirsten Flesch in der Pflügerstraße eröffnet haben. Dann flog ein Beutel mit gelber Farbe nachts gegen das Schaufenster. Kein Einzelfall, eher Alltag für viele Abgeordnete.

 

Im Jahr 2014 zählte die Polizei 33 Anschläge auf Wahlkreis- und Abgeordnetenbüros. Das sind doppelt so viel wie 2013. Im Jahr 2012 hatte es elf Anschläge gegeben, 2011 nur einen. Bis zum Jahr 2013 war die Mehrheit rechts motiviert. Dies änderte sich 2014: 17 Taten rechnet die Kripo Linksextremisten zu, nur noch vier den Rechten.

 

Zwölf ließen sich nicht zuordnen. Diese Zahlen nannte die Innenverwaltung auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Tom Schreiber. Auch im jüngsten Fall, der Gelb-Attacke auf die SPD-Abgeordnete, ist unklar, aus welcher Ecke die Wut kam.

 

Grüne werden von Linksextremen attackiert

 

Weniger Probleme mit der Einordnung haben die Grünen. Der parlamentarische Geschäftsführer Benedikt Lux berichtete, dass es im Vorjahr rund um den Streit um die Räumung der Kreuzberger Gerhart-Hauptmann-Schule fünf oder sechs Anschläge auf Grünen- Abgeordnetenbüros gegeben habe. Auch in sein Büro sei ein Stein geflogen. „In diesem Jahr hat sich das wieder beruhigt“, sagte Lux. „Das sind feige Taten, da kann man nicht viel gegen machen. Die Anschläge auf Grünen-Politiker führt die Polizei als linksextremistisch motiviert.

 

Politisch links motivierte Taten stiegen um 30 Prozent

 

Die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann traf es im Dezember sogar privat. Ein Trupp Flüchtlingsunterstützer schmierte Parolen und stellte Umzugskartons in ihrem Treppenhaus ab. Die gleiche Gruppe hat auch das Haus des Präsidenten des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales, das für die Flüchtlingsheime zuständig ist, großflächig beschmiert im Advent. In einem Bekennerschreiben der Gruppe wurden die Namen der Senatoren Frank Henkel und Mario Czaja als weitere Anschlagsziele genannt. Verfassungsschutzchef Bernd Palenda und Innensenator Frank Henkel (CDU) hatten daraufhin gesagt, dass sie mit weiteren Anschlägen rechnen. Die Szene setze nach der Befriedung der Kreuzberger Mai-Demonstrationen auf derartige militante Aktionen durch Kleingruppen. Insgesamt haben politisch links motivierte Taten 2014 um 30 Prozent zugenommen, rechte Taten um elf Prozent.

 

Privatanschrift von Politikern muss nicht mehr genannt werden

 

„Die Anschläge werden persönlicher“, sagt der grüne Abgeordnete Benedikt Lux. SPD-Parteichef Jan Stöß sprach von einer „Tendenz, Politiker persönlich einzuschüchtern“. Wie berichtet, hat das Parlament deshalb im März beschlossen, dass die Privatanschrift von Politikern nicht mehr beim Landeswahlleiter genannt werden muss. Die Adressen waren auch im Internet veröffentlicht – potentielle Täter hatten es also leicht. Letzter Auslöser für diese Änderung waren auch die letzten Brandanschläge auf Autos. Zuletzt war Anfang Januar das Auto des Linken-Politikers Hans Erxleben in Adlershof angezündet worden. Erxleben engagiert sich seit Langem gegen Rechtsextremismus im Bezirk. Tage zuvor war der Wagen des stellvertretenden Fraktionschefs der Neuköllner SPD, Peter Scharmberg, in Rudow angezündet worden.

 

Nach Angaben der Polizei haben Experten des Staatsschutzes im vergangenen Jahr sieben Abgeordnete der SPD und der Grünen „sicherheitstechnisch beraten“. In diesem Jahr habe es bereits vier solche Gespräche mit Abgeordneten der Linkspartei, SPD und Piraten gegeben.

 

Tom Schreiber (SPD): "Armutszeugnis für Polizei und Justiz"

 

Dem SPD–Politiker Tom Schreiber reicht das nicht: „Mich stört, dass kein einziger Täter ermittelt wurde. „Das ist ein Armutszeugnis für Polizei und Justiz.“ Der Abgeordnete forderte eine Sonderkommission, die sich mit den Anschlägen auf politisch aktive Menschen kümmern soll. Jeder Anschlag „trifft die Demokratie“, sagte Schreiber – das Beispiel Tröglitz dürfe sich nicht wiederholen. Wie berichtet, war der Bürgermeister der Gemeinde in Sachsen-Anhalt im März zurückgetreten, weil er die Anfeindungen durch Rechtsextremisten nicht mehr ertragen wollte.

 

Schreiber sagte, dass die Abgeordneten durch Attacken auf ihre Büros und Wohnungen nicht nur unter Druck gesetzt werden, sondern auch wirtschaftlich getroffen werden können: Spätestens nach der dritten Tat werde eine Versicherung kündigen. Wie berichtet, haben mittlerweile fast alle Abgeordneten ein Büro in der Stadt, weil das Land dies finanziell fördert – dadurch stieg natürlich die Zahl der Anschlagsziele. Die am häufigsten getroffene Partei ist die SPD. „Wir dürfen nicht zulassen, dass zivilgesellschaftliches Engagement in Flammen aufgeht“, sagte Stöß. Auch er forderte die Polizei auf, den Fahndungsdruck zu erhöhen.