Private Heimbetreiber profitieren vom Zustrom der Asylbewerber - doch wegen übler Zustände in vielen Unterkünften stehen sie immer wieder in der Kritik
Von Thorsten Fuchs
Berlin. Mehr Willkommen geht nicht. Was die Mitglieder der Initiative Neue Nachbarschaft in Berlin-Moabit für die Flüchtlinge aus dem Heim in ihrem Stadtteil organisieren, ist an Aufgeschlossenheit und Herzlichkeit schwer zu überbieten. Dreimal in der Woche laden sie die Asylbewerber zum Deutsch-Stammtisch und helfen bei den ersten Schritten in der fremden Sprache. Mit den Kindern basteln sie, backen Waffeln und üben Zirkusnummern. Bei der Integrationsküche kochen Flüchtlinge ein Mahl aus ihrer Heimat - und laden Menschen aus dem Stadtteil ein.
Das Problem ist nur: Alles das findet in einem Café statt - und nicht in
der Unterkunft der Flüchtlinge. "Dort", sagt Udo Bockemühl von der
Initiative Neue Nachbarschaft, "fühlen wir uns schon lange nicht mehr
willkommen."
Zwischen den rund 100 ehrenamtlichen Helfern und dem Betreiber der
Flüchtlingsunterkunft herrscht ein erbitterter Streit. Es geht um ein
angebliches Hausverbot, schlechte hygienische Verhältnisse und
mangelhafte Betreuung. Von einer "gefängnisartigen Abwicklung" des Heims
und "unwürdigen Verhältnissen" spricht Udo Bockemühl. Eine
Mitstreiterin aus der Initiative, Marina Naprushkina, hat sogar Anzeige
gegen den Betreiber erstattet. Der Betreiber, das ist die Gierso
Boardinghaus GmbH, ein privates Unternehmen, das sechs Flüchtlingsheime
in Berlin führt. Genau dies halten viele für die Ursache des Übels:
"Flüchtlingsarbeit darf kein Geschäftsmodell sein", sagt Naprushkina.
Genau dies wird sie aber immer häufiger. Rund 250000 Flüchtlinge,
prophezeit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, werden in diesem
Jahr nach Deutschland kommen - 80000 mehr als im vergangenen Jahr.
Dabei sind die meisten Länder und Kommunen schon jetzt mit dem Zustrom
massiv überfordert. Kasernen, Schiffe, verlassene Baumärkte - auf alles,
was ein Dach über dem Kopf verspricht, greifen Städte in ihrer Not als
Unterbringung zurück. Wohncontainer sind auf dem freien Markt schon kaum
mehr zu bekommen. Da wirkt das Angebot privater Betreiber an die
klammen Städte wie eine Verheißung: Wir nehmen euch das ab - viel
billiger, als ihr es selbst könntet. Aber geht das überhaupt:
menschenwürdige Unterbringung zum Dumpingpreis?
Das Geschäft mit den Flüchtlingen jedenfalls boomt. Vor allem
ostdeutsche Länder setzen auf private Betreiber. Allein Berlin vertraut
inzwischen rund die Hälfte seiner 23000 Flüchtlinge kommerziellen
Unternehmen an. Aber auch in Bayern, das sich lange gegen die Privaten
sperrte, kommen gewinnorientierte Anbieter inzwischen zum Zug. Der
Marktführer in Deutschland, die European Homecare mit Sitz in Essen, hat
allein in den vergangenen zwei Jahren rund 20 neue Heime eröffnet. Ein
Trend, der Ali Moradi vom Flüchtlingsrat Sachsen Sorgen bereitet: "Nach
unseren Erfahrungen schauen die privaten Anbieter mehr auf den
Geldbeutel als auf den Menschen."
Die Skepsis ist groß - denn die Missstände in Berlin sind nicht der
einzige Fall, in denen private Betreiber in der Kritik stehen. Im Herbst
wurde bekannt, dass Wachleute in einem Flüchtlingsheim in Burbach in
Nordrhein-Westfalen Flüchtlinge massiv misshandelt haben. Betreiber der
Unterkunft: das Unternehmen European Homecare. Aufsehen erregten zuletzt
zum Beispiel auch die schockierenden Zustände im Asylbewerberheim in
Oberursel bei Frankfurt am Main: verdreckt, stinkend, von Ungeziefer
befallen. Als "gettoartig" beschrieben Besucher das
220-Bewohner-Containerheim im zweitreichsten Landkreis Deutschlands.
Betreiber: die Firma S&L. Deren Chef, Wilfried Pohl, gehört auch die
Firma ITB mit Sitz in Dresden. Pohl war früher Offizier bei der Stasi.
Zu DDR-Zeiten jagte er Flüchtlinge. Heute verdient er an ihnen.
Pohl will sich am Telefon nicht äußern, wegen "schlechter Erfahrungen
mit der Presse". Andere sind dafür auskunftsfreudiger. Tobias Dohmen
etwa, der junge Chef der Gierso in Berlin. Seine Stimme am Telefon
klingt empört - es ist die Empörung von jemandem, der sich zu Unrecht
verfolgt sieht. Die Vorwürfe gegen sein Unternehmen hält er für schlicht
nicht zutreffend: "Es bringt mir doch gar nichts, wenn ich die Heime
nicht optimal herrichte", beteuert er. Soll heißen: Den Ärger bekäme vor
allem er selbst - mit seinem Auftraggeber, dem Land Berlin.
Aufsichtsbehörde ist das Landesamt für Gesundheit und Soziales. Dessen
Chef, Franz Allert, ist ausgerechnet der Patenonkel von Tobias Dohmen.
Reiner Zufall, beteuert dieser, die beiden hätten seit Jahren keinen
Kontakt. Das Vertrauen der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer in das
Kontrollengagement der Behörden hat dies dennoch nicht gerade gestärkt.
Mit sieben Heimen und 1200 Plätzen ist Dohmens Gierso die Nummer drei
auf dem Berliner Flüchtlingsheimmarkt. Für jeden Flüchtling, den sie
unterbringt, erhält die Gierso nach Dohmens Angaben zwischen 14,50 Euro
und 21 Euro pro Tag - wie in dem umstrittenen Heim in der
Levetzowstraße. Bei 200 Flüchtlingen wären das allein dort rund 126000
Euro Umsatz pro Monat. Dohmen hält jedoch Kosten allein für die sechs
Wachleute von 77000 Euro dagegen. Über den Gewinn seines Unternehmens
will er nichts sagen.
Dohmen sieht sich selbst als Helfer, der kaum Mögliches möglich macht.
Binnen einer Woche habe er 2012 aus der ehemaligen Schule ein
Übergangswohnheim machen müssen. Dass dort nicht alles optimal sei,
räumt er selbst ein. Dass Einzelpersonen in Drei- oder Vier-Bett-Zimmern
untergebracht sind, sei aber "ein generelles Problem". Das Heim in der
Levetzowstraße sei ursprünglich für drei Monate geplant gewesen - und
existiert nun seit zweieinhalb Jahren. Dafür, betont Dohmen, könne er
nichts. Und übrigens: Ein Hausverbot für ehrenamtliche Helfer habe es
nie gegeben.
Die Betreiber reichen die Verantwortung für die Zustände in den Heimen
an die Kommunen weiter - so tut es auch Klaus Kocks, Medienberater des
Branchenriesen European Homecare. Die EHC betreibt inzwischen
deutschlandweit knapp 70 Heime und beschäftigt 620 Mitarbeiter. Der
Umsatz lag 2013 bei 16 Millionen Euro. "Wir haben den Anspruch, die
qualitativ Besten für die jeweiligen Kosten zu sein", sagt Kocks. Gewinn
mache sein Unternehmen vor allem dank eines extrem kleinen
Verwaltungsapparats. Wenn eine Kommune einen Sozialpädagogen in der
Unterkunft wolle und dafür zahle, bekomme sie den auch, betont Kocks.
Das Problem seien jedoch die leeren Kassen - und zunehmend absurde
Vorgaben. Insider berichten, dass Kommunen zum Teil nur noch 6 Euro pro
Tag und Flüchtling zahlen - einschließlich der medizinischen Betreuung.
"Als Staatsbürger sage ich: Das ist skandalös wenig", erklärt Kocks.
Private Betreiber gleich böse Betreiber? Diese Rechnung ist auch Birgit
Naujoks vom Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen zu einfach. Bei EHC etwa
laufe seit den Vorfällen im Herbst vieles besser. Zwar sind auch ihr
gemeinnützige Betreiber lieber. Hauptproblem seien jedoch die fehlenden
Standards für die Betreiber. Preis, Ausstattung, Qualifikation der
Mitarbeiter, über alles entscheiden die Auftraggeber selbst - auch nach
Kassenlage. "Das System", klagt Naujoks, "ist völlig intransparent."
Das Heim in der Levetzowstraße in Berlin-Moabit soll übrigens nun
geschlossen werden - so hat es das Land wegen des maroden Zustands
verfügt. Die Bewohner sollen in ein Containerdorf nach Köpenick ziehen.
Nach der Entscheidung hätten viele Bewohner erst mal eine Demonstration
gegen die Schließung organisiert, erzählt Sozialarbeiterin Suada
Dolovac. Viele lebten nun schon seit zweieinhalb Jahren in dem Heim,
schätzen die zentrale Lage: "Die wollen nun lieber bleiben." Vielleicht
liegt's auch an den deutschen Freunden, die sie hier gefunden haben.