Die Lehrerin Laura Lehnkering steht vor ihrer Klasse in der Brüder-Grimm-Grundschule in Berlin-Wedding und versucht zu erklären, was ein Arbeitskampf ist: "Stell dir vor, du hättest einen Zwillingsbruder, und er bekommt zehn Euro Taschengeld mehr als du." Denn am gestrigen Dienstag ist sie zusammen mit über 2.000 weiteren LehrerInnen und ErzieherInnen in einen ganztägigen Warnstreik getreten. Bundesweit beteiligten sich nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mehr als 5.000 Lehrkräfte und Beschäftigte in fünf Bundesländern zum Auftakt an den Warnstreikaktivitäten der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes.
Der "Zwillingsbruder" in dieser Geschichte sind die verbeamteten LehrerInnen. Lehnkering ist, wie alle jungen LehrerInnen in der Hauptstadt, eine angestellte Lehrkraft. Beide Gruppen machen die gleiche Arbeit, aber die Angestellten bekommen dafür deutlich weniger Lohn und weniger für ihre Altersvorsorge. "Für mich geht es ums Prinzip" sagt Lehnkering, "nämlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit".
Von SchülerInnen, Eltern und auch KollegInnen hat sie viel Verständnis erhalten. "Die verbeamteten Lehrer sagten, wir sollten ruhig hin gehen", erklärt Milena Sebestyen von der gleichen Grundschule. Für den Tag übernehmen sie die Kinder ihrer streikenden KollegInnen.
Um 10.30 Uhr versammelten sich die Streikenden am Bahnhof Friedrichstraße vor der Geschäftsstelle der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). In der bundesweiten Tarifrunde für den öffentlichen Dienst fordern die Gewerkschaften 5,5 Prozent mehr Lohn. Aber besonders für die Lehrer geht es um mehr: Vor zwei Jahren haben die angestellten Lehrer Berlins an 17 Tagen die Arbeit niedergelegt, damit ihre Eingruppierung und Bezahlung tarifvertraglich geregelt wird. Die von der GEW geforderte Lehrkräfte-Entgeltordnung (L-EGO) wurde jedoch bis heute nicht verwirklicht, so können die Länder die Löhne der angestellten LehrerInnen einseitig diktieren.
Jan Wojewski ist Erzieher an einer Reinickendorfer Schule. Weil er nicht Mitglied der Gewerkschaft ist, wird er kein Streikgeld erhalten. "Aber das Geld, das wir verlieren, ist egal, denn es geht um wichtigere Sachen", sagt er. Wegen der schlechten Bezahlung der ErzieherInnen meiden viele junge Menschen den Beruf, und auch deswegen fehlt an den Berliner Schulen Personal. Viele Streikende berichten, dass sie häufig doppelt so viele Kinder betreuen müssen, als sie eigentlich sollten. Wenn ErzieherInnen längere Zeit erkranken, gibt es erst nach einem Jahr eine Vertretung, so müssen manche ErzieherInnen bis zu 40 GrundschülerInnen gleichzeitig betreuen, berichtete eine Kollegin.
Doch die LehrerInnen spüren die Öffentlichkeit auf ihrer Seite. "Viele Eltern haben uns gefragt, wie sie uns unterstützen können" sagt Maren Kiray von der Charlotte-Salomon-Grundschule in Kreuzberg. "Es geht nicht nur um das Gehalt, sondern auch um die Arbeitsbelastung der Lehrer." Sie verweist auf ein Flugblatt der linken Schülergruppe "Red Brain" mit einer Solidaritätsbotschaft: "Die schlechten Lehrbedingungen der Lehrer sind unsere schlechten Lernbedingungen."
Manche LehrerInnen beklagen, dass dieser Streik zu kurzfristig bekannt gemacht wurde, um die Eltern zu informieren – in der Presse seien die Forderungen noch nicht erklärt worden. "Es sind noch zu wenige Kollegen da", meint Christoph Reiling von der Thomas-Mann-Grundschule in Prenzlauer Berg, "aber nächsten Mittwoch werden es mehr sein".
Am gestrigen Dienstag waren nur Beschäftigte von Grundschulen, Berufsschulen und sonderpädagogischen Förderzentren zum Streik aufgerufen. In der kommenden Woche sollen nicht nur alle Schulen sondern auch Bezirksämter und viele andere Berufsgruppen vertreten sein. "Nächsten Mittwoch werden wir am gleichen Platz demonstrieren", sagt Dieter Haase von der GEW, "und wir erwarten mehr als 10.000 Teilnehmer".
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
Eine kürzere Version des Artikels erschien in der jungen Welt am 04.03.