Protestcamp von Flüchtlingen vor der Dresdner Semperoper nach nur 60 Stunden geräumt
Als das erste Ultimatum abläuft, steht Baharak gerade auf der improvisierten Bühne. »Es gibt viele Gründe,warum wir unseren Protest auf die Straße tragen«, sagt die zierliche Frau mit der dicken Wollmütze, während die Glocken vom Hausmannsturm des Dresdner Schlosses acht mal schlagen. Montag, 20 Uhr: Das ist die Frist, die das Dresdner Ordnungsamt für die Räumung des Camps gesetzt hat, mit dem Flüchtlinge seit Samstag Abend in der Dresdner Innenstadt für mehr Rechte protestieren. Es war direkt im Anschluss an eine Demonstration mit 5000 Teilnehmern eingerichtet worden – weil, wie die Initiatoren meinen, mit Demos allein nicht genug erreicht wird.
Verschwinden sollen die großen Zelte und die mobilen Toiletten, die direkt vor der Semperoper stehen – neben Schlafsäcken und großen Kesseln, in denen Gemüsesuppe kocht. Im Bescheid der Stadtverwaltung ist von einer »straßenrechtlichen Sondernutzung« die Rede, die nicht zulässig sei. Der Protest, teilte das Rathaus, werde bis zum 25. März geduldet; die Zelte und Klos aber müssen weg. Anwälte legen Einspruch ein; Gerichte prüfen die Angelegenheit; Baharak jedoch ist irritiert: »Wir haben nicht geahnt, dass dieses Camp so verrückt laufen wird.«
Baharak ist eine von rund 20 Asylsuchenden, die den Protest organisiert haben. Dem Vernehmen nach kommen sie aus Syrien und Eritrea, Somalia, Iran und Nordafrika. Sie selbst wollen weder ihre Herkunft noch Namen oder Details zu ihrer Flucht mitteilen. »Es geht nicht um Einzelne«, sagt ein junger Mann mit gelber Wollmütze. Es gehe darum, wie in Deutschland und in Sachsen mit Flüchtlingen umgegangen wird. Manche warten seit sieben Monaten und haben noch nicht einmal den ersten Gesprächstermin beim Bundesamt für Migration absolviert, sagt Karsten Dietze, der bei der Caritas arbeitet und Flüchtlinge betreut. Viele werden in abgelegenen Dörfern untergebracht, »von wo aus man Stunden unterwegs ist, um ein wenig einkaufen zu können«, sagt Baharak. Es gibt keine Gelegenheit, die deutsche Sprache zu erlernen; es gibt keine Aussicht, den Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen zu können. »Stattdessen heißt es: Warten, warten, warten«, sagt Baharak.
Jetzt wollen sie auf ihre Lage aufmerksam machen – dort, wo sie gehört werden. Direkt vor der imposanten Fassade der von Touristen am häufigsten fotografierten Dresdner Sehenswürdigkeit hängen Transparente, auf denen es heißt: »We will fight for the same rights« – Wir werden für gleiche Rechte kämpfen. Die Flüchtlinge nehmen gewissermaßen ein Angebot an, das Sachsens Staatsregierung seit Dezember gebetsmühlenartig unterbreitet: Man solle den Dialog führen und miteinander reden.
Allerdings haben sie nicht den Eindruck, als ob die Regierung an Gesprächen mit ihnen interessiert sei. Zwar kommt Petra Köpping, die SPD-Integrationsministerin, am Montag vor die Oper, erklärt aber im Anschluss nur, ein solches Protestcamp sei aus ihrer Sicht »nicht die geeignete Form, etwas zu erreichen«. Geert Mackenroth, der neue Ausländerbeauftragte, warnt in einem Radiointerview vor allem vor dem vermeintlichen »Konfliktpotenzial«, das die Aktion mitten in der Stadt berge.
Derlei Reaktionen verstärken den unter Zuwanderern verbreiteten Eindruck, dass sich die Offerte zum Dialog vorrangig nicht an sie richte. Zu Gesprächen sollten, so scheint es, vielmehr vor allem jene Sachsen animiert werden, die auch diesen Montag Abend wieder an der Frauenkirche stehen und später durch die Innenstadt laufen: Anhänger der islamfeindlichen Initiative Pegida, die zum mittlerweile 17. »Spaziergang« geladen hat. Erneut kommen über 6000 Menschen, um gegen eine angebliche »Islamisierung« des Abendlandes zu protestieren. Bevor sich die Bewegung spaltete, waren es zeitweise sogar 25.000. Dresden sorgte weltweit für schlechte Schlagzeilen wegen der unverblümt zur Schau gestellten Ressentiments gegen Ausländer. Dabei habe man gar nichts gegen Zuwanderer, sagt ein Redner am Montag im schönsten Nazijargon– »wenn sie sich in unsere Volksgemeinschaft einfügen«.
Pegida hat die Stimmung in Dresden aufgeheizt; gegenüber Migranten herrsche ein »feindseliges Klima«, sagt Andrea Hübler von der Opferberatung RAA. Das bekommen die Protestierer vor der Semperoper zu spüren. Viele Dresdner fahren eigens auf den zugigen und ansonsten oft leeren Theaterplatz, um sich ein Bild zu verschaffen. Manche äußern Verständnis für die Forderungen, sind aber verärgert darüber, dass diese ausgerechnet in der »guten Stube« der Stadt geäußert werden. Andere schimpfen wüst über Zuwanderer, die es angeblich nur auf die Sozialkassen abgesehen hätten. Ein Linkspolitiker, der den Flüchtlingen bei den Gesprächen zur Seite steht, berichtet von unflätigen Tiraden über »Neger, die Bürger im Dunkeln vom Fahrrad zerren«. Derlei Dialog, fügt er an, sorge für »blutige Ohren«.
Nachts kommen dann jene, die nicht reden wollen: 150 Teilnehmer der Pegida-Demonstration, die das Camp attackieren. Zwar hatte Pegida-Sprecher Lutz Bachmann seine Anhänger eingeschworen, man solle sich »nicht provozieren lassen, ganz im Gegenteil«. Er sei »gespannt, was die Touristen sagen, wenn sie den `bunten Fleck' vor der Opfer sehen«, hatte er sarkastisch angefügt. Der Trupp, der nachts vor der Oper auftaucht, hält sich allerdings nicht zurück. Manche skandieren: »Räumen! Räumen!« Andere suchen Randale. Die Polizei, zu der Zeit noch in großer Zahl präsent, verhindert Schlimmeres; der Schreck sitzt bei den Flüchtlingen und ihren Unterstützern dennoch tief. Nach Mitternacht seien dann sogar nur noch ein bis zwei Streifenwagen patrouilliert, heißt es im Camp; entsprechend angespannt war die Stimmung.
Morgens zeigt sich dann, dass auch die Verwaltung nicht an Gesprächen interessiert ist. Nachdem ein Gericht den Einspruch gegen die Auflagen der Stadt abgelehnt hatte, rollen Dutzende Fahrzeuge von Polizei und Stadtreinigung auf den Theaterplatz und ordnen die Räumung an. Widerstand gibt es nicht. Davor hatten auch Befürworter des Protests wie Victor Vincze, Vorsitzender des Dresdner Ausländerbeirats, schon am Abend nachdrücklich gewarnt. Man brauche einen »Ort des Dialogs, wo die die Politik sich nicht nur Ressentiments anhört, sondern auch die Sorgen und Nöte der Flüchtlinge«, sagt er. Zugleich fürchtet er aber Schlagzeilen über »randalierende« Flüchtlinge – und warnt zudem, dass sich derlei Aktionen auch darauf auswirken könnten, wie mit den Asylanträgen einzelner Zuwanderer umgegangen wird.
Zwölf Stunden nach dem Ultimatum und nur rund 60 Stunden nach der Errichtung bleiben wenig sichtbare Spuren von den Camp. Zeltstangen werden in Autos geschoben, Schlafsäcke eingerollt. Befürworter der Aktion sind ernüchtert. »Das ist die alternativlose Politik von Freistaat und Stadt«, sagt Rico Gebhardt, Fraktionschef der LINKEN, zerknirscht: »Man kommuniziert nicht, sondern vollzieht.« Die Politik hätte sich »mit den Forderungen auseinandersetzen müssen«, sagt Volkmar Zschocke, Chef der Grünen im Landtag. Das Lager sei »viel zu schnell« geräumt worden, vor allem angesichts der Attacke nur Stunden zuvor. Er verweist auf böse Kommentare im Internet, in denen die Polizei bereits als »verlängerter Arm von Pegida« beschimpft werde.
Auch Oliver Nießing, der den Protest als Anwalt unterstützt, wirkt an diesem Morgen resigniert. Dresden sorge sich wegen Pegida um seine Außenwirkung, sagt er in eine Kamera. Dieses unschöne Bild »hätte man korrigieren können«, fügt er hinzu – indem man das Zeltlager zunächst toleriert und das Angebot zum Dialog angenommen hätte. Es sei »ein gutes Symbol« für die problematische Unterbringung der Flüchtlinge und ihrer Lage insgesamt gewesen; es war gedacht als Anstoß, »um miteinander ins Gespräch zu kommen«. Das ist mit der Räumung zumindest vorerst vorbei. Zwar dürfen die Flüchtlinge prinzipiell vor der Oper bleiben: Der Auflagenbescheid, betonte die Stadt, lasse eine »Meinungskundgabe auf dem begehrten Platz« weiterhin zu. Ohne Zelte aber, die nicht nur vor der nächtlichen Kälte schützen, sondern ein wenig auch vor Angreifern, sei das schwierig, hatte Baharak schon am Abend gesagt. Wie es weitergeht, ist zunächst offen. Man überlege jetzt, ob sich andere geeignete Räumlichkeiten finden, sagt Nießing – auf dass es doch noch zum Gespräch kommen kann. Ein Appell dazu flattert auch an den Fahnenstangen vor der Semperoper. Dort heißt es auf dünnem weißen Stoff: »Augen auf! Herzen auf! Türen auf!« Von der sturen Umsetzung von Paragrafen und Auflagen ist nicht die Rede.