Vernetzter Ansatz
BERLIN/BONN - Die Organisation der in zivilen Berufen tätigen Bundeswehrsoldaten ist mit Agenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) durchsetzt. Dies geht aus Medienberichten hervor. Danach arbeiten mehrere führende Mitglieder des "Reservistenverbandes" der deutschen Streitkräfte für die deutsche Auslandsspionage. Die mehr als 115.000 Mitglieder der Organisation können von der Bundeswehr jederzeit aktiviert werden - auch für Kriegsoperationen, an denen der BND grundsätzlich maßgeblich beteiligt ist. Der Präsident des "Reservistenverbandes", der CDU-Parlamentarier Roderich Kiesewetter, sieht seine Arbeit durch den deutschen Auslandsgeheimdienst indes "kompromittiert" und kündigte deshalb kürzlich seinen Rückzug aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages an. Kiesewetter hat sich in der Vergangenheit mehrfach für die Erweiterung der Machtbefugnisse des BND ausgesprochen. Er vertritt zudem einen "vernetzten Ansatz" in der "Sicherheitspolitik", der eine enge Zusammenarbeit zwischen Militär, Polizei und Geheimdiensten vorsieht. Soldaten in Zivil Wie deutsche Medien berichten, arbeiten mehrere führende Mitglieder des "Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr" (VdRBw) für den Bundesnachrichtendienst (BND). Die Organisation besteht aus mehr als 115.000 ins Zivilleben zurückgekehrten Soldaten, die bei Bedarf jederzeit von den deutschen Streitkräften aktiviert werden können. Laut VdRBw verfügt man über ein "großes Potenzial an beruflich hervorragend qualifizierten Reservisten", die regelmäßig als "Spezialisten" an Kriegsoperationen teilnehmen.[1] In diese sogenannten Auslandseinsätze ist der BND von vornherein direkt eingebunden - ihm obliegt unter anderem der Schutz der Truppe ("Force Protection"), die Erstellung eines geheimdienstlichen "Lagebildes" und die Identifizierung feindlicher Kämpfer. Weitreichendes Netzwerk Das Interesse des BND dürfte sich allerdings nicht nur auf an Kriegsoperationen beteiligte Mitglieder des VdRBw erstrecken, sondern auch auf die Tätigkeit des Verbandes insgesamt. So ist die Organisation nach eigenem Bekunden im Rahmen ihrer "internationalen Reservistenarbeit" weit "über die Grenzen Deutschlands hinaus aktiv".[2] Intensive Kontakte bestehen zu gleich gearteten Verbänden innerhalb wie außerhalb der NATO-Staaten; zu den Partnern des VdRBw zählen zu unter anderem die Reservistenkameradschaften Moldawiens und Südafrikas. Darüber hinaus kann der BND die Mitglieder des VdRBw als Propagandisten seiner militärpolitischen Botschaften nutzen. Dem Verband gehören etliche prominente Journalisten an (german-foreign-policy.com berichtete [3]); die Organisation selbst erklärt, sie bilde Reservisten systematisch zu "Mittler(n) in der Gesellschaft" aus.[4] Zudem verfolgt der VdRBw das erklärte Ziel, Akademiker aller Fachrichtungen in ein "weitreichendes Netzwerk aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden (und) Militär" zu integrieren.[5] Die so entstandene "sicherheitspolitische Community" ist wiederum ein ideales Rekrutierungsfeld für den deutschen Auslandsgeheimdienst, der seinerseits regelmäßig an Fachhochschulen und Universitäten um Nachwuchs wirbt. Mehr Geld für den BND Unterdessen hat der Präsident des VdRBw, der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, seinen Rückzug aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des deutschen Parlaments angekündigt. Zur Begründung erklärte Kiesewetter, er sehe die Arbeit seines Verbandes durch den BND "kompromittiert" und wolle "Zweifeln" an seiner "Unvoreingenommenheit" bei der Aufklärung der Praktiken des US-Geheimdienstes "entgegenwirken" (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Der Rücktritt erfolgt insofern überraschend, als sich der Präsident des VdRBw in der Vergangenheit mehrfach für die Erweiterung der Machtbefugnisse des BND ausgesprochen hat. So forderte er erst unlängst "eine erhebliche Aufstockung des Etats für den BND", um diesen in die Lage zu versetzen, "effektive Aufklärung auszuüben" [7], selbst wenn dies - so kann gefolgert werden - die illegale Tötung sogenannter Terrorverdächtiger nach sich ziehe: "Wir sind hier nicht auf dem Ponyhof. ... Es geht ... darum, dass wir weltweit mit terroristischen Gefahren zu tun haben, die sich nicht über das Lesen von Zeitungen aufklären und verhindern lassen. Deshalb brauchen wir einen Bundesnachrichtendienst, der auf Augenhöhe mit anderen Partnern in der Lage ist, solchen Gefahren vorzubeugen."[8] In vertraulicher Atmosphäre Auch durch seine Tätigkeit für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), deren Beirat Kiesewetter angehört, verfügt der Präsident des VdRBw über einen guten Draht zur deutschen Auslandsspionage. Die BAKS veranstaltet regelmäßig "informelle Hintergrundgespräche" in einer "abgeschirmten und vertraulichen Atmosphäre", bei denen die Führung des BND einem "kleinen, exklusiven Kreis" von Journalisten Informationen zukommen lässt (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Bei den Seminaren der BAKS, die sich insbesondere an "Führungskräfte" aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung richten, sind ebenfalls regelmäßig Vertreter des deutschen Auslandsgeheimdienstes zu Gast. So sprach etwa der Vizepräsident des BND für militärische Angelegenheiten, Generalmajor Norbert Stier, anlässlich des 2013 von der Akademie organisierten "Berliner Colloquiums" über die "zahlreiche(n) staatsfreie(n) Zonen" auf dem afrikanischen Kontinent, die "terroristischen und extremistischen Gruppierungen ideale Rückzugs- und Einflussgebiete" böten.[10] In militärpolitischer Hinsicht favorisiert die BAKS nach eigenem Bekunden einen "vernetzten Ansatz", der ein "breites Spektrum von staatlichen Instrumenten" umfasst - "von der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe über die klassische Diplomatie und die Nachrichtendienste bis hin zum Katastrophenschutz und dem robusten Einsatz von Streitkräften".[11] Ebendieser "vernetzte Ansatz" ist auch das beherrschende Thema der von BAKS und Reservistenverband für Ende März dieses Jahres erneut angesetzten "Königsbronner Gespräche".[12] Als Gastgeber fungiert einmal mehr VdRBw-Präsident Kiesewetter.[13] "Organisationen mit Sicherheitsaufgaben" Über einen direkten Zugang zum Spionageapparat verfügt Kiesewetter mutmaßlich auch durch seine Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT), deren Präsidium er bis 2013 angehörte. Die DWT, die sich aus führenden Rüstungsindustriellen, Staatsbeamten, Politikern und Bundeswehroffizieren zusammensetzt, sieht ihre Aufgabe nach eigenem Bekunden darin, "die Kenntnis über zentrale Themen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der Wehr- und Sicherheitstechnik und der Verteidigungswirtschaft zu fördern". Zu den primären "Zielgruppen" des als gemeinnützig anerkannten Vereins zählen laut einer Selbstdarstellung "Behörden (und) Organisationen mit Sicherheitsaufgaben" [14] - gemeinhin ein Synonym für Polizei, Militär und Geheimdienste. Auch ohne Initiative des Parlaments Kiesewetters gute Kontakte zur deutschen Auslandsspionage dürften schon aus seiner Zeit als Berufssoldat resultieren. In dieser Funktion nahm er nach eigener Aussage mehrfach an Kriegsoperationen der NATO teil, unter anderem während der 1990er Jahre in Bosnien. Damals habe er eine "gewöhnliche Arbeitsbeziehung" zum BND unterhalten, sagte er unlängst der deutschen Presse.[15] Nachdem sich der VdRBw-Präsident jetzt öffentlich vom deutschen Auslandsgeheimdienst distanziert hat, steht allerdings zu vermuten, dass sich sein Einsatz für die Belange des BND in Zukunft etwas in Grenzen halten wird. Dessen ungeachtet bleibt die Militärpolitik Kiesewetters zentrales Betätigungsfeld: Erst vor wenigen Tagen wurde er in die sogenannte Rühe-Kommission des Bundestages berufen, die laut einer Selbstdarstellung eine "Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes" an die Erfordernisse deutscher Kriegsoperationen im Rahmen der Europäischen Union vorbereiten will.[16] Seine Vorstellungen dazu hat Kiesewetter bereits in einem entsprechenden "Arbeitspapier" niedergeschrieben. Danach sollen deutsche Soldaten künftig selbst dann in einen EU-Einsatz gehen dürfen, wenn der Bundestag dies "allein aus eigener Initiative nicht beschlossen" hätte - bei gleichzeitigem Ausbau des "vernetzten Ansatzes" in der "Außen- und Sicherheitspolitik".[17]
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