Nur durch schnell eingerichtete provisorische Unterkünfte können die zahlreichen neu ankommenden Flüchtlinge in Sachsen untergebracht werden. Ein Ende des Flüchtlingsstroms ist derzeit nicht in Sicht. Turnhallen als Notunterkünfte sollen eine Ausnahme bleiben, andere Provisorien könnten länger als gedacht genutzt werden. Das kommt bei den betroffenen Kommunen nicht gut an - zu Unrecht, meint die Landesdirektion Sachsen.
von Stephan Tittel
Weiter angespannte Lage bei Flüchtlings-Erstaufnahme
Beim Platzmangel in der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber ist keine Entspannung in Sicht. Wie die Landesdirektion auf Anfrage von MDR SACHSEN mitteilte, sind sowohl die zentrale Unterkunft in Chemnitz als auch die Außenstelle in Schneeberg sowie die Behelfsunterkünfte in Chemnitz, Böhlen, Görlitz, Meißen und Schneeberg nahezu ausgelastet. Demnach sind hier mit Stand 16. Februar 2015 insgesamt 2.471 Asylbewerber untergebracht. Regulär stehen eigentlich nur 1.660 Plätze zur Verfügung: 820 in der zentralen Aufnahme auf dem Chemnitzer Adalbert-Stifter-Weg und 840 in der ehemaligen Bundeswehrkaserne in Schneeberg. Die derzeit zusätzlichen 1.266 Betten mussten bereitgestellt werden, weil Deutschland derzeit einen regelrechten Flüchtlingsansturm erlebt.
Realität übertrifft alle Prognosen - weitere Notlösungen gesucht
Derzeit träfen pro Tag etwa 100 Flüchtlinge in Sachsen ein, sagte Ingolf Ulrich von der Landesdirektion MDR SACHSEN. Vor einem Jahr seien es noch täglich 30 gewesen. Wie viele Asylbewerber noch zu erwarten seien, konnte er nicht sagen. Die letzte Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge stamme vom August 2014. Das Landesamt habe noch einen Aufschlag von 20 Prozent hinzugerechnet und damit dennoch weit unter den aktuellen Zahlen gelegen. 2014 kamen im Jahresschnitt etwa 1.000 Flüchtlinge pro Monat nach Sachsen. Im Januar 2015 waren es laut Innenministerium mehr als 1.600 und vom 1. bis zum 12. Februar bereits wieder mehr als 1.000. Deshalb habe schnell mit Interimslösungen reagiert werden müssen. Weitere müssten ständig geprüft werden, so das Innenministerium in Dresden. Der Grund: Viele Interimslösungen sind zeitlich befristet.
Übersicht für reguläre und provisorische Erstaufnahmeeinrichtungen
Erstaufnahme von Asylbewerbern in Sachsen, Stand: 16.02.2015 (Quelle: Landesdirektion Sachsen)
Einrichtung | Kapazität (in Personen) |
Belegung (in Personen) |
Besonderheiten |
---|---|---|---|
Zentrale Erstaufnahme in Chemnitz, Adalbert-Stifter-Weg
|
820 | 713 | 50 Plätze in Containeranlage derzeit wegen Brandschaden nicht nutzbar |
Zentrale Erstaufnahme - Außenstelle in Schneeberg
|
840 | 807 | Ursprünglich geplante Kapazität: 700 |
Hotelkapazitäten in Chemnitz
|
366 | 253 | |
Hotelkapazitäten in Böhlen | 105 | 106 | Mietvertrag endet am 30.04.2015 |
Haus in Görlitz | 130 |
136
|
Ehemaliges Haus der Bereitschaftspolizei, zuletzt leerstehend |
Turnhalle Schneeberg | 255 | 226 | Soll bis zum 20.02.2015 geräumt sein. |
Mehrzweckhalle Meißen | 200 | 90 |
Soll bis 19.02.2015 wieder geräumt werden, ein Teil der Bewohner wird direkt dem Kreiß Meißen zugewiesen
|
Haus in Chemnitz, Altendorfer Straße | 120 | 120
|
Ehemaliges Freigängerhaus der früheren JVA Chemnitz, zuvor leerstehend, längere Nutzung nicht ausgeschlossen |
Sporthalle in Chemnitz-Ebersdorf | 90 | 20 |
Zuvor ungenutzte alte Sporthalle der Bereistschaftspolizei |
|
Gesamt: 2.926 | Gesamt: 2.471 |
|
Turnhallen sollen zuerst wieder geräumt werden
Derzeit laufen Ulrich zufolge die Bemühungen auf Hochtouren, die
Notunterkunft in der Turnhalle der Schneeberger Jägerkaserne bis Ende
der Woche frei zu bekommen. Hier stehe die Landesdirektion im Wort –
auch weil die Halle nach dem Ende der Winterferien in Sachsen ab
kommender Woche wieder für den Vereinssport benötigt wird. Ebenfalls
zeitlich eng begrenzt soll das jüngste Provisorium in Meißen sein. Hier
wurden nach 36 Stunden Vorwarnzeit am Freitagabend die ersten 100 von
bis zu 250 Flüchtlingen in der Mehrzweckhalle der Fachhochschule der
Sächsischen Verwaltung untergebracht. Allerdings wird das Gebäude
regelmäßig genutzt: für Prüfungen, Tagungen, Kongresse,
Fortbildungsveranstaltungen und für den Freizeitsport. Bereits für das
kommende Wochenende ist die Halle laut Fachhochschulverwaltung an einen
externen Veranstalter vermietet.
Am Dienstag erklärte die
Landesdirektion auf Anfrage von MDR SACHSEN, die Halle werde bis
Donnerstag geräumt. 50 Flüchtlinge würden dem Landkreis Meißen
zugewiesen, hierbei handele es sich um Familien mit Kindern. Die 40
verbleibenden Asylbewerber würden in anderen Erstaufnahmeeinrichtungen
untergebracht.
Wie dauerhaft kann provisorisch sein?
In den weiteren Interimsunterkünften drängt die Zeit nicht so, weil sie zuvor meist leer gestanden haben. Das gilt unter anderem für das Freigängerhaus des früheren Gefängnisses auf der Altendorfer Straße in Chemnitz oder für das ehemalige Bereitschaftspolizeigebäude am Flugplatz Görlitz. Die Vereinbarung mit einem Hotelbetreiber in Böhlen läuft bis Ende April, die alte Sporthalle der Bereitschaftspolizei in Chemnitz und die angemieteten Hotelzimmer in der Stadt stehen länger zur Verfügung. In Vorbereitung ist eine Interimsunterkunft für bis zu 350 Asylbewerber in Leipzig-Dölitz.
Verstoß gegen Grundrecht auf Privatsphäre
Auf große Gegenliebe stießen die Erstaufnahme-Provisorien in keiner der betroffenen Kommunen. In fast allen Fällen wurden eine kurze Vorwarnzeit und unzureichende Informationen kritisiert. Einige Kommunalpolitiker verwiesen zudem auf die Lebensbedingungen in den Turnhallen, wo Frauen, Männer und Kinder aus den verschiedensten Regionen und unterschiedliche Sprachen sprechend ohne räumliche Trennung gemeinsam schlafen müssten. Dies sei ein Verstoß gegen die im Grundgesetz festgeschriebene Privatsphäre und vor allem für traumatisierte Flüchtlinge eine Qual, kritisiert der Meißner Kreisrat Martin Oehmichen von den Grünen.
Erstaufnahme bremst den Flüchtlingsstrom in die Gemeinden
Die Landesdirektion Sachsen hofft darauf, dass der Flüchtlingsstrom durch eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge beim BAMF bald abebbt. Dann würde auch das ab 2016/17 vorgesehene Konzept mit drei Asyl-Erstaufnahmeeinrichtungen á 700 Plätze in Chemnitz, Dresden und Leipzig ausreichen. Unabhängig davon sei man verpflichtet, jeden zugewiesenen Flüchtling auch unterzubringen, betonte Ingolf Ulrich. Er verwies darauf, dass es sich bei den geschilderten Provisorien um Lösungen für die Erstaufnahme handele. Sie seien ein Puffer, bevor die Zuständigkeit und die Kosten für die Unterbringung der Asylbewerber auf die Kommunen übergingen. Diese würden damit zumindest vorübergehend vor dem Flüchtlingsansturm geschützt, um ihnen Zeit zu geben, selbst Unterkünfte organisieren und einrichten zu können.