Am 23. Oktober 2014 gab der Berliner Sozialsenator Mario Czaja bekannt, dass berlinweit mehrere Container-Unterkünfte für Flüchtlinge errichtet werden sollen – eines davon in Falkenberg, am nördlichen Rand von Berlin-Hohenschönhausen. Während an anderen geplanten Container-Standorten, wie Marzahn, Köpenick und Buch, rassistische Mobilisierungen mit mehreren 100 Menschen starteten, passierte in Falkenberg erst einmal wenig. Es gründete sich die Facebook-Gruppe „Wir für Falkenberg“ und in der örtlichen Dorfkirche gab es ein erstes Treffen „besorgter Anwohner*innen“. Bereits hier waren rassistische Vorurteile immer vorhanden und wurden unwidersprochen hingenommen, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Diskussion bestimmten. Einzig die rechtspopulistische Kleinstpartei “Pro Deutschland” versuchte mit Flyern und einer eigenen Facebook-Gruppe die Stimmung vor Ort für sich zu nutzen.
Die ersten Regungen
Erst mehr als einen Monat später, am 27. November 2014, eröffnete die NPD-nahe
Initiative „Berlin wehrt sich“ eine lokale Facebook-Seite für
Falkenberg. Im Kiez wurden Flugblätter verteilt, die zu einer
Anti-Flüchtlings-Demonstration am 16. Dezember aufriefen. Bereits am 10.
Dezember hatte die Berliner NPD während einer
Kundgebungstour Station in Hohenschönhausen gemacht – neun Neonazis
standen mit Transparenten in der Vincent-van-Gogh-Straße. Die erste
Demonstration in Falkenberg am 16. Dezember fand also statt, während die
Mobilisierung von “Berlin wehrt sich” im Nachbarbezirk Marzahn mit bis
zu 1.000 Teilnehmenden bereits ihren Höhepunkt erreichte. Zu dem
Hohenschönhausener Äquivalent erschienen etwa 100 Rassist*innen, neben
organisierten Nazis auch einige Anwohnende. Die Struktur der
Demonstration wurde jedoch ausschließlich von der NPD gestellt. Der Anmelder, ein Lichtenberger NPD-Funktionär, wurde organisatorisch von dem Pankower und dem Königs Wusterhausener Partei-Verband unterstützt. Die Berliner NPD
stellte den Lautsprecherwagen (dunkelblauer VW-Bus B-DM 1889 – das
Geburtsjahr Adolf Hitlers). Auch der Lichtenberger Verband von “Pro
Deutschland” lief bei der Demonstration der Konkurrenz-Partei mit.
Demgegenüber wurden vier antirassistische Kundgebungen organisiert, an
denen insgesamt 200 Personen teilnahmen. An zwei Punkten, in der
Prendener Straße und der Dorfstraße versuchten Antirassist*innen die
Strecke zu blockieren. Sie wurden jedoch von der Polizei brutal von der
Straße gedrängt.
Die nächste Anti-Flüchtlings-Demonstration wurde für Anfang Januar
angekündigt. Am Montag, den 6. Januar 2015, kamen nur noch 60 Nazis und
Rassist*innen. Sie liefen die selbe Route, wie bei der vergangenen
Demonstration von Hohenschönhausen nach Falkenberg. Wieder meldete der
selbe NPD-Funktionär an, wieder fuhr der NPD-Lautsprecherwagen
und Pankower NPDler übernahmen Teile des Ordnerdienstes. Zwei
Gegenkundgebungen sorgten dafür, dass die rassistische Propaganda nicht
unwidersprochen blieb. Etwa 150 Menschen protestierten an diesem Tag
gegen Rassismus in Hohenschönhausen.
Der Senat heizt an
Am folgenden Tag wurde öffentlich, dass zentral im Demonstrationsgebiet
der Rassist*innen zwei Turnhallen vom Senat beschlagnahmt wurden, um
dort Flüchtlinge unterzubringen. Innerhalb von 24 Stunden wurden in den
Turnhallen Teppiche verlegt, Doppelstockbetten aufgebaut und ein
Toilettencontainer aufgestellt. Mehr als 100 Flüchtlinge zogen noch am
selben Tag in die Hallen.
In der Nacht versuchten 20 Neonazis, angeführt von Aktivisten der
Partei „Die Rechte“, die Turnhalle anzugreifen. Sie wurden jedoch von
der Polizei gestoppt. Für den nächsten Abend organisierten die
Sportvereine, die die Turnhallen vorher nutzten, eine Kundgebung mit 30
Personen. Im Umfeld der Kundgebung sammelten sich zur selben Zeit
Neonazis, die eine spontane Demonstration durch den Kiez mit etwa 70
Teilnehmenden durchführten. Für Samstag, den 10. Januar, kündigte der
Falkenberger Ableger von „Berlin wehrt sich“ eine weitere Demonstration
gegen die beschlagnahmten Turnhallen an.
In der aufgeheizten Stimmung um die neue Unterbringung nahmen etwa 185
Rassist*innen, darunter deutlich mehr Anwohner*innen als bei den letzten
Malen, an der Demonstration teil. Neben NPD-Anmelder und NPD-Lautsprecherwagen
wurde die Struktur der dritten Demonstration durch Neonazis der Partei
“Die Rechte“ und des militanten Neonazi-Netzwerks „NW-Berlin“
aufgestockt, darunter einige Nazis aus bereits verbotenen Strukturen,
wie “Frontbann 24” und der “Kameradschaft Tor”. Um den Rassist*innen an
diesem Tag nicht vollends die Straße zu überlassen, wurde eine
Demonstration von Ahrensfelde über Falkenberg nach Hohenschönhausen
durchgeführt, an der leider nur 80 Menschen teilnahmen. Gleichzeitig
untersagte die Polizei an diesem T
ag alle weiteren angemeldeten antirassistischen Kundgebungen nördlich der Falkenberger Chaussee und sorgte so dafür, dass die rassistische Demonstration ungestört durch das gesamte Wohngebiet ziehen konnte.
Auf dem absteigenden Ast
Eine Woche später, am 17. Januar, versuchte auch “Pro Deutschland”
Kapital aus der Stimmung zu schlagen. Zu einer „Bürgerfragestunde“, zu
der mit amtlich aussehenden Flugblättern eingeladen worden war, kamen
etwa 60 Personen. Drei Tage später, am 20. Januar, fand die 4.
Anti-Flüchtlings-Demonstration statt. Sie konnte nicht, wie bei den
vorigen Demonstrationen, am Netto-Parkplatz starten, weil auf ihrer
ursprünglichen Strecke eine antirassistische Demonstration stattfand.
Während 60 Antirassist*innen durch Hohenschönhausen zogen, liefen etwa
75 Rassist*innen vom S-Wartenberg eine unattraktive Route am nördlichen
Rand des Kiezes, quasi “auf dem Acker”. Statt des NPD-Lautsprecherwagens stand der rassistsichen Demonstration erstmalig nur ein Megaphon zur Verfügung.
Der folgende Samstag war geprägt von einer antirassistischen Fahrrad-Demonstration
durch Hohenschönhausen. Etwa 60 Antirassist*innen fuhren vorbei an den
Orten der rassistischen Mobilisierung, verteilten Flugblätter und
setzten ein solidarisches Zeichen im Kiez.
Die Einsicht, zukünftig nicht mehr am Dienstag laufen zu können, weil “die Antifa” diesen Termin mit einer eigenen Anmeldung auf der Route belegt hatte, führte dazu, dass der NPD-Anmelder die Demonstration für die folgende Woche auf den Mittwoch, den 28. Januar, verschob. Erneut kamen weniger Teilnehmende. Neben 20 aus Marzahn und Lichtenberg angereisten Neonazis, die schon auf der Anreise versuchten, Antirassist*innen angzugreifen, fanden sich nur 30-40 weitere Rassist*innen ein. Ihnen gegenüber standen auf zwei Kundgebungen 70 Menschen. Zudem errichteten etwa 50 Antifas eine Sitzblockade auf der Falkenberger Dorfstraße, um zu verhindern, dass die Rassist*innen am geplanten Container-Standort vorbeiziehen können. Kurz bevor die Anti-Flüchtlings-Demonstration die Stelle erreichte, räumte die Polizei eine Hälfte der Blockade und führte die Demonstration auf dieser Straßenseite an den Antirassist*innen vorbei. Im Anschluss daran wurden alle Blockierer*innen festgehalten und einer Personalienkontrolle unterzogen.
Antirassistische Interventionen
Schon im Nachgang der ersten rassistischen Demonstration wurde ein ausführlicher Recherche-Artikel
veröffentlicht, der mit der Thematisierung der “Pro
Deutschland”-Teilnahme dafür sorgte, dass die Funktionäre des
Lichtenberger Kreisverbandes um Moritz Elischer den restlichen
Demonstrationen fernblieben. Es wurde von Antirassist*innen immer wieder
darauf hingewiesen, dass die Struktur der Demonstrationen von der
Berliner NPD und anderen
Neonazi-Zusammenhängen gestellt wurde, und dass die Teilnahme an den
Anti-Flüchtlings-Demonstrationen – aus welchen Motivationen auch immer –
eine Unterstützung von Neonazis bedeutete.
Nach der dritten Demonstration wurde das den Teilnehmenden noch
deutlicher vor Augen geführt. Das Internetportal antifa-berlin.info
veröffentlichte Fotos aller Mitlaufenden der rassistischen Demonstration am 10. Januar. Antifas outeten wenige Tage später einen Hohenschönhausener Rassisten,
der bis dahin Strukturaufgaben bei den Demonstrationen übernommen
hatte. Die daraus resultierende Aufregung und die Diskussionen im Kiez
führten dazu, dass die Mehrheit der bisherigen Teilnehmenden ab nun
fernblieben.
Die letzten beiden Demonstrationen in Hohenschönhausen unterschieden
sich von üblichen Neonazi-Demonstrationen schlicht dadurch, dass keine
Parteifahnen und -transparente getragen wurden. Es ist ein Kern von
40-50 Neonazis und Rassist*innen übrig geblieben, der von auswärtigen
Neonazis strukturell unterstützt wird. Lediglich zeitnah zu den
Nachrichten des geplanten Containerdorfs und der Beschlagnahmung der
Turnhallen waren vergleichsweite größere Mobiliserungen möglich.
Es macht derzeit nicht den Anschein, dass dieser Personenkreis sich erneut vor dem geplanten Container-Bau vergrößern könnte. Schon jetzt scheinen die Veranstalter*innen zudem auf einen zweiwöchentlichen Turnus zu wechseln. Auch wenn der rassistische Protest zu bröckeln scheint, ist dies kein Grund als antifaschistische Bewegung die Hände in den Schoß zu legen. Was an anderen Orten der rassistischen Mobilmachung, nur schwer gelungen ist, nämlich den Rassist*innen effektiv auf die Pelle zu rücken, ist in Hohenschönhausen möglich. Nutzen wir die nächsten Wochen, um die rassistschen Demonstrationen endgültig zu beenden.