Immer mehr Bürgerwehren in Sachsen - Ministerium warnt vor Selbstjustiz

Erstveröffentlicht: 
05.02.2015

Streifen dürfen ertappte Täter nur festhalten / Polizeigewerkschaft zeigt Verständnis

Von Andreas Debski


Dresden. Sie fühlen sich nicht mehr sicher und von der Polizei allein gelassen: Immer mehr Sachsen schließen sich deshalb zu Bürgerwehren zusammen, um vor allem Einbrecher abzuschrecken. Eine Tendenz, die beim Innenministerium alle Alarmglocken schrillen lässt. "Von Seiten des Ministeriums besteht kein Verständnis für Personen, die in amtsanmaßender Weise gegenüber Mitbürgern Selbstjustiz verüben. Bürgerwehren agieren ohne rechtliche Grundlage und verstoßen gegen den Grundsatz des staatlichen Gewaltmonopols", stellt ein Sprecher klar.


Das Ministerium reagiert damit auf immer neue Bürgerwehren. Zuletzt hatten sich Leipziger Kleingärtner in der Schreberanlage "Gartenfreunde Südost" entschlossen, wieder auf nächtliche Streife zu gehen. Der Vereinsvorstand begründete das mit der hohen Einbruchszahl: Allein in den ersten Januar-Wochen schlugen Diebe 29 Mal zu. Von 2007 bis 2012 hatten die Kleingärtner schon einmal Patrouillen organisiert - die Zahl der Einbrüche sank rapide.


Auch in Chemnitz, Dresden und Görlitz, im Erzgebirge und in der Oberlausitz drehen Anwohner ihre Runden, um Diebe abzuhalten. "Gerade in Grenznähe werden verstärkt Bürgerwehren gegründet", hat Hagen Husgen, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), festgestellt. "Die Menschen fühlen sich nicht mehr genügend vom Staat geschützt. Deshalb sind sie der Meinung, selbst etwas unternehmen zu müssen." Zwar warnt auch Husgen vor Selbstjustiz - er kann es den Bürgern allerdings auch nicht verübeln, wenn sie aus Selbstschutz auf Streife gehen. "In Sachsen fehlen überall Polizisten und im Gegenzug steigt die Kriminalität. Die Sicherheitspolitik kann so einfach nicht weitergehen. Es kann nicht Sache der Bürger sein, etwas gegen Einbrecher zu unternehmen", macht er klar.


Das Innenministerium verweist dagegen auf den vorerst zurückgenommenen Stellenabbau bei der Polizei. Zudem bestehe "eine legale Möglichkeit für Bürger zur Unterstützung der Sicherheitsorgane": die Sächsische Sicherheitswacht - eine freiwillige Hilfspolizei, deren Mitglieder ebenfalls auf Streife gehen. Kooperationen mit Bürgerwehren hält das Ministerium für nicht angebracht.


Rein rechtlich kann gegen die Wehren nur selten vorgegangen werden: So lange sich die Wächter für Ordnung und Sicherheit korrekt verhalten, bleiben sie unbehelligt. Das bedeutet: Außer Reizspray oder Knüppeln dürfen sie keine Waffen tragen und auch keine Gewalt ausüben. Sie können Verdächtige zwar im Zuge der Notwehr im Ernstfall festhalten, dazu muss aber "ein hinreichender und eindeutiger Anlass" bestehen. Die Bürgerstreife müsste also einen Einbrecher auf frischer Tat ertappen - doch auch dann gilt: Die Polizei muss umgehend verständigt werden.


Wissenschaftler haben diese Entwicklung vorhergesagt. Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen hatte bereits 2012 die Zunahme der Bürgerwehren prophezeit: "Wir werden das Phänomen öfter erleben." Vor allem in ländlichen Regionen in Ostsachsen drohe Gefahr für die Zivilisation, erklärte Pfeiffer damals.