Freiburg: Unterkunft für Maharadschas, Nazis und die Uni

Idylle für Reiche: Villa Hoven im Kurbetrieb. Foto: privat
Erstveröffentlicht: 
16.01.2015

Die "Villa Hoven" in Herdern hat eine wechselvolle Geschichte: Einst Sanatorium, Kriegslazarett, dann neurologische Klinik der Uni. Neue Recherchen geben einige Rätsel auf.

 

Die Hansastraße im Stadtteil Herdern wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam erschlossen. Im oberen Teil zum Schlossberg hin befand sich der Wohlgemuthsche Park, von dem heute noch Teile erhalten sind. Im Park errichteten Jakob Peter Max und Carola Hoven 1909/10 die Pension "Villa Hoven" (Hansastraße 9). 1913 folgte ein zweites großes Gebäude in der 9a.

In den Berichten über die Fertigstellung des zweiten Baus – ein "diätisches Kurhaus" – heißt es, mit viel Geld sei ein großer Wurf von weltstädtischem Charakter geschaffen worden und solle besonders vornehmen Fremden für längere Zeit einen angenehmen Aufenthalt gewähren: Zimmer in luxuriöser Einrichtung samt Marmorbad, Lift, elektrischer Klingelleitung und – 1913 noch rar – Telefon, und sogar eine zentrale "Vakuumanlage". Damit keine Gerüche und Lärm die Gäste belästigten, befand sich die Küche im zweiten Untergeschoss. Die ärztliche Leitung hatte Dr. K. Bernold Martin, ein Arzt für innere Medizin und Nervenleiden.

Ein Rätsel ist, wie die Betreiber an die reichen ausländischen Patienten – vor allem englische – und an die erheblichen Geldmittel kamen, denn Jakob Peter Hoven war Oberpostassistent mit geringem Einkommen. Während der aufreibenden Bauzeit und der Mitarbeit im Sanatorium ließ er sich oft dienstunfähig schreiben statt Päckchen zu sortieren. Er ging gar gegen die Post vor, die ihn für einen Simulanten hielt. Die größere Rolle spielte wohl seine aus Diedelsheim bei Karlsruhe stammende Frau Carola, die das Sanatorium nach seinem Tode 1930 weiter führte. Von ihren in der Schweiz lebenden Geschwistern soll nach ihren Angaben das Geld gekommen sein. Dies bleibt vage und abenteuerlich, zumal sie bald darauf auch noch das Kybbad-Landgut in Kappel übernahmen, das ebenfalls erhebliche Mittel forderte.

Erster Weltkrieg bringt einen Bruch


Ein Gesuch um Konzession des Betriebs wurde vom Stadtrat zunächst befürwortet, wenig später aber aufgrund von Einsprachen abgelehnt, denn ein Gewerbe dieser Art war in der Villengegend untersagt und erforderte eine Sondergenehmigung. Dies hinderte die Hovens nicht daran, viele Jahre ohne Genehmigung weiter zu machen. Verschiedene Expansionspläne scheiterten dagegen am Widerstand von Nachbarn und anderen Interessenten. 1923 wurde das Baugesuch abgewiesen, an das Gebäude 9a eine gynäkologische Klinik anzubauen: Der Anblick von Kranken und das Geschrei der Gebärenden sei im bevorzugtesten Wohngebiet der Stadt unmöglich. 1934 scheiterte ein Baugesuch auf Errichtung eines Röntgeninstituts auf dem Gelände zur Mozartstraße hin. Hier intervenierte neben den Anwohnern die Klinikgemeinschaft von Uni und Stadt, die Konkurrenz fürchtete.

Den ersten Bruch brachte der Erste Weltkrieg: Die Hovens betrieben nun bis Anfang 1919 ein Lazarett für Leichtverwundete. Anschließend hatten sie bis Mitte der 1920er Jahre Probleme, die Kunden aus den "Feindstaaten" wiederzugewinnen. Hier halfen wiederum rätselhafte Kontakte zur griechischen Regierung, die von 1919 bis 1923 Offiziere zur Nachkur schickte (Griechenland und die Türkei befanden sich bis 1922 im Krieg).

Die Mutter von Regisseur Luchino Visconti residierte in der Villa


Danach kamen langsam wieder gut betuchte Gäste: Adelige wie die italienische Contessa Visconti di Modrone, die Mutter von Gattopardo-Regisseur Luchino Visconti, Diplomaten und Politiker wie Sir Percy Loraine, britischer Hochkommissar für Ägypten und den Sudan, Sir Samuel Hoare, Minister für Luftschifffahrt, führende Bankiers aus England und Kanada, indische Maharadschas, Nawabs und Prinzessinnen aus Bhopal, Indore oder Kapurthala. Auch die Ehefrau eines Wirtschaftsmagnaten kam als Gast: Mary Lilian Harmsworth Viscountess Rothermere, Gattin des Zeitungskönigs, die sehr prominent in sozialen und künstlerischen Kreisen Londons war. Sie förderte den späteren Literatur-Nobelpreisträger T.S. Eliot und stellte ihn als Herausgeber der Zeitschrift Criterion an. Es dürfte kein Zufall sein, dass Eliots erste Frau Vivien Haigh-Wood – ebenfalls Autorin – 1926 im Sanatorium weilte.

Die Gäste füllten die Kassen der Stadt, doch wurde kaum oder gar nicht öffentlich über sie berichtet. Vermutlich wollten die Promis ihre Ruhe haben, denn immerhin wurden dort auch nervliche Leiden behandelt. Es machte jedoch Eindruck, als 1934 ein indisches Prinzenpaar eine Siegfried-Aufführung von Richard Wagner im Stadttheater besuchte.

Aufhorchen lässt ein Brief von Carola Hoven an NS-Oberbürgermeister Franz Kerber aus dem Jahr 1934, mit dem sie einem Baugesuch Nachdruck verschaffen wollte. Sie schreibt, ihre Familie habe in den Jahren vor 1933 darunter zu leiden gehabt, Nationalsozialisten zu sein. 1932 seien täglich 15 bedürftige nationalsozialistische "Volksgenossen" im Sanatorium unentgeltlich gespeist worden. Auch in der Folgezeit habe sie NS-Formationen erheblich durch Spenden von Betten, Büroeinrichtungen, einem Billardspiel und einem Auto gefördert. Das ist auch deshalb glaubwürdig, weil sie nachweislich ihre Witwenrente der Freiburger SS-Motorstaffel stiftete.

Unterstützung aus rechten Kreisen


Darüber hinaus seien "bei den ausländischen Kurgästen oft hohe Summen gesammelt und an nationalsozialistische Verbände abgeliefert" worden. Dafür liegen zwar keine Details oder Beweise vor, doch die Gästeliste lässt Vermutungen in Bezug auf einzelne Gäste zu. So war Hugh Grosvenor, der 2. Duke of Westminster, nicht nur einer der reichsten Männer Englands, sondern wurde vor dem Zweiten Weltkrieg auch Mitglied rechtsextremer pro-deutscher und antisemitischer Gruppierungen wie dem "Right Club" und "The Link". Dass der Herzog – lange liiert mit Modezarin Coco Chanel – zu Spenden bereit und in der Lage war, liegt zumindest nahe.

Für die politische Einstellung Jakob Peter Hovens gibt es ebenso wenig Belege wie über die des ältesten Sohnes Hans Hoven, der als Arzt im Sanatorium mitarbeitete. Umso prägnanter dagegen die Söhne Erwin und Waldemar: Erwin, Prokurist im Familienbetrieb, trat am 1. Mai 1932 der NSDAP und am 1. März 1933 der SS bei. Waldemar folgte 1933 in die SS und nach Aufhebung der Mitgliedersperre 1937 in die Partei. Er hatte von 1925 bis 1930 als Sekretär mitgearbeitet, dann einige Jahre im Ausland verbracht, wurde aber wegen der schweren Erkrankung von Hans 1933 zurück gerufen. Er sollte das Abitur nachholen, Medizin studieren und Hans im Sanatorium ersetzen.

In Freiburg engagierte sich Waldemar in der SS-Motor-Staffel, in der sein älterer Bruder Erwin bereits Adjutant des Sturmführers war. Sie fuhren Geschicklichkeitsrennen auf dem zugefrorenen Titisee und sorgten als Besitzer von Fahrzeugen für die Mobilität und Einsatzfähigkeit der weltanschaulichen Kampftruppe. Erwins Frau war eine der wenigen Partnerinnen Freiburger SS-Angehöriger, die selbst auch Förderndes Mitglied der SS war.

Lagerarzt in Buchenwald


Waldemar brachte sich beim Reichsführer-SS Heinrich Himmler ins Spiel, indem er ihm Juli 1939 einen Originalbrief von Friedrich Schiller schenkte. Himmler war erfreut und ließ Erkundigungen über ihn einziehen, um ihn "später einmal zur Mitarbeit heranzuziehen". Weniger Erfolg hatte die Eingabe seiner Mutter an die SS-Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe, archäologische Forschungen an der Kyburg vorzunehmen, sie erschienen dem Ahnenerbe als nicht aussichtsreich. Als 1934 Gerüchte verbreitet wurden, die Hovens wollten den berühmten jüdischen Internisten und Freiburger Klinikdirektor Professor Siegfried Thannhauser einstellen – er war gerade von den Nazis degradiert worden –, verwahrte sich Carola Hoven: Zwar wären damit alle finanziellen Sorgen beseitigt, aber das komme bei ihrer Einstellung nicht in Frage. Einst hatten die Hovens aber sehr wohl geschäftliche Beziehungen zu Juden gepflegt, wie zum Immobilienmakler und Stadtverordneten Jakob Nelson.

Später sollte Waldemar traurige Berühmtheit als Lagerarzt des KZ Buchenwald und stellvertretender Leiter der Abteilung für Fleckfieber- und Virusforschung des Hygiene-Instituts der Waffen-SS erreichen. Er war für hunderte Tode verantwortlich. Seine an der Uni Freiburg eingereichte Dissertation beruhte auf Menschenversuchen. Im Nürnberger Ärzteprozess wurde der SS-Hauptsturmführer 1947 zum Tode verurteilt und 1948 trotz einiger Interventionen hingerichtet. SS-Obersturmführer Erwin Hoven wurde zwar von der französischen Besatzungsmacht interniert und anscheinend sogar wegen Kriegsverbrechen verurteilt, aber nach ein paar Jahren schon wieder entlassen.

Das Land übernimmt die Villa


Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs war das Sanatorium Reserve-Lazarett der Wehrmacht geworden und die Hovens zogen sich auf das Landgut in Kappel zurück. Nach dem Krieg wurden die Gebäude von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und als Lazarett und zur Unterbringung von Internatsschülern des Französischen Gymnasiums genutzt. Erst Mitte der 1950er Jahre konnte das Land Baden-Württemberg übernehmen und in der 9a die Klinische Neurologie und Neurophysiologie der Universität Freiburg unterbringen. Seit 2004 beherbergt es das Bernstein Center Freiburg für Computational Neuroscience und Neurotechnologie. In der Hansastraße 9 befinden sich Büroräume des Landesgesundheitsamtes; ein Projekt des Instituts für Soziologie zum Akzeptanzpotential von Gesellschaftswissen hat gerade seine Arbeit beendet. Sowohl hier wie beim Bernsteincenter gab und gibt es indische Gastwissenschaftler, aber keine Maharadschas mehr.

Heiko Wegmann ist Sozialwissenschaftler und forscht zur Geschichte der SS in Freiburg.