Vorauseilender Rassismus

Stop Racism

Viel wurde darüber diskutiert, dass „Ausländer“ (im rechtlichen Sinne) in Deutschland keine Rechte haben. Wie steht es aber um die „Inländer“? Immer wieder kommt es vor, dass deutsche Behörden EU-Bürgern und anderen Eingewanderten „deutsche“ Grundrechte verwehren. Ein häufiges Beispiel: Das Finanzamt weigert sich, EU-Bürgern, die ein Gewerbe anmelden, eine Steuernummer auzustellen. Das bedeutet Arbeitsverbot, denn wer ohne Steuernummer arbeitet, macht sich strafbar. Potentielle Kunden weigern sich aus Angst vor Strafe, Aufträge an Menschen ohne Steuernummer zu vergeben.

Für Arbeiter, die nicht gerade einen Bologna-Master haben, ist die „Selbständigkeit“ (also nicht sozialversicherte, aber steuerpflichtige Arbeit) der einzige Wege, überhaupt in Deutschland zu leben. Selbst das Grundrecht auf Drecksarbeit ist für „Ausländer“ (die ja laut EU-Jargon „Inländer“ sind) inzwischen abgeschafft.

 

Als Ausrede für die Aufhebung von Art. 12 des Grundgesetzes (Gewerbefreiheit) nennen die Finanzbeamten oft den Verdacht auf „Scheinselbständigkeit.“ Diese Art von Ausbeutung ist so deutsch wie Döner, aber das ist auch egal. Laut Urteil des Bundesfinanzhofs (II R 66/07 vom 23.09.2009) geht es das Finanzamt gar nichts an, ob potentielle Steuerzahler ausgebeutet werden:

 

Hat eine natürliche Person durch Anmeldung eines Gewerbes ernsthaft die Absicht bekundet, unternehmerisch i.S. des § 2 UStG tätig zu werden, ist ihr außer in Fällen eines offen­sichtlichen, auf die Umsatzsteuer bezogenen Missbrauchs auf Antrag eine Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke zu erteilen.


Weiter:

Ausländerrechtliche oder arbeitsmarktpolitische Fragen können bereits wegen der inso­weit fehlenden Zuständigkeit der Finanzämter nicht berücksich­tigt werden.

Anmelden muss man ein Gewerbe eigentlich nicht, nur beim Gewerbeamt anzeigen. Die Gewerbefreiheit ist also technisch gewahrt. Die Steuernummer muss man aber sehr wohl beantragen. Beim Finanzamt—und hier wird selektiert. Zu den schlimmsten Selektionsbehörden gehört das Finanzamt Neukölln, das für viele Arbeiter aus Osteuropa zuständig ist.

 

Die „internen Grenzbeamten“ verbergen ihre Abschiebementalität hinter humanitären Phrasen: „Wir wollen ja auch sicher gehen, dass sie nicht beschwindelt werden.“

 

Wir können von „vorauseilendem Rassismus“ sprechen: Der Staat diskriminiert Leute, deren Diskriminierung eigentlich dem Markt überlassen werden sollte. Sachbearbeiter selektieren, wo der Staat Gleichheit propagiert und schließen neoliberale Schlupflöcher mit neofaschistischer Akribie.

 

Beispielsweise wurde 2006 deutschlandweit die Mietvertragspflicht für Wohnsitzanmeldungen aufgehoben. Der unerklärte Nebeneffekt war, das man nun viele Leute auf wenig Wohnraum quetschen konnte. Wer weniger lebt, kann mehr schuften. Die Lebensbedingungen für den „Aufschwung“ waren geschaffen.

 

Kein Bauboom ohne rechtlose Wanderarbeiter, die zu acht in einem Zimmer schlafen—wenn sie nicht gleich in verlassenen Schrebergärten gastieren. Die besorgten Volksdiener schlugen Alarm. Zu viele Menschen, zu wenige Wohnungen. Entweder also die Zahl der Wohnungen erhöhen oder die Zahl der Menschen reduzieren. Das Letztere fiel den Deutschens stets leichter als das Erstere, besonders wenn „Fremde“ im Land waren.

 

Also hier noch ein Nachweis Frau Bogdanovic, dort noch eine Unterschrift Herr Pilsudski und vorbei ist die Freizügigkeit. Selbst wer hartnäckig bleibt, muss immer wieder wegen Nichtigkeiten vorsprechen. Gleichstellung mit Herrenmenschen? Wie denn das denn?

 

Das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ enthält natürlich keine Regelungen gegen staatliche Diskriminierung. Es konzentriert sich auf Arbeitsmarkt und private Verträge. Der Staat ist seiner eigenen Logik nach der gütige Gleichmacher. Aber alle Gewalt geht vom Staate aus; kein Lohnpreller, Berufsverbrecher, Sextourist könnte ohne den großen Kumpel im Rücken seinem Geschäft nachgehen.

 

Und so ist auch der Hauptfeind der EU-Migranten nicht der Radaurassist, sondern der Paragraphen-Nazi. Kaum ein Tag ohne staatliche Diskriminierung; auch wer seine Rechte kennt, kann sie nur mit großem Zeit- und Kostenaufwand durchsetzen. Einwanderung bleibt Risikogeschäft, Deutschland bleibt Feindesland.