Gauland provoziert, Lucke bremst, Petry verkündet Kooperation mit Pegida: Direkt nach dem „Charlie Hebdo“-Massaker (12 Tote) versucht die AfD, politisch daraus Kapital zu schlagen
Die Schamfrist betrug viereinhalb Stunden und fünf Minuten ...
Um 11.30 Uhr überfielen Terroristen die Redaktion der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris, töteten zwölf Menschen. Um 16.05 Uhr erklärte Alexander Gauland im Namen der Partei „Alternative für Deutschland“ dazu: „Vor diesem Hintergrund erhalten die Forderungen von Pegida besondere Aktualität und Gewicht.“
Krude Botschaft des AfD-Vizesprechers: Der Terror-Anschlag rechtfertige die islamfeindlichen Parolen, vor denen zuletzt die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache gewarnt hat. „All diejenigen, die bisher die Sorgen vieler Menschen vor einer drohenden Gefahr durch den Islamismus ignoriert oder verlacht haben, werden durch diese Bluttat Lügen gestraft", höhnte Gauland.
Luckes Partei verliert den Kopf
Die AfD – momentan im Dauer-Clinch um Zukunfts-Kurs und Führungspersonal – gerät offenbar außer Rand und Band. Einen halben Tag lang brauchte Parteichef Bernd Lucke (52) für seinen Versuch der Schadensbegrenzung.
„Gegen gewaltbereiten islamistischen Fundamentalismus muss mit allen Mitteln des Rechtsstaates vorgegangen werden. Allerdings sollte auch mit Besonnenheit reagiert werden: Man darf nicht die Gewalttat zweier Extremisten einer ganzen Religionsgemeinschaft anlasten, deren Großteil aus friedliebenden, unbescholtenen Menschen besteht“, erklärte Lucke, der mehrfach Skepsis gegenüber der Pegida-Ideologie geäußert hatte.
Amtlich: AfD in Sachsen kooperiert mit PerFIDA
Allerdings: Luckes Vorstandskollegin Frauke Petry (39), AfD-Fraktionschefin im sächsischen Landtag, fand an diesem Tag der Trauer und des Entsetzens nichts dabei, sich mit den Organisatoren der Pegida-„Spaziergänge“ zu treffen, um „gemeinsame Schnittmengen auszuloten“. Sie tat dies, nachdem AfD-Rechtsaußen Gauland Pegida als „natürliche Verbündete“ bezeichnet hatte.
Am Donnerstagvormittag verkündete sie das erwartete Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass es offensichtlich inhaltliche Schnittmengen gibt“, erklärte Petry. Sie wandte sich erneut gegen die Vorbehalte der meisten Parteien, die der Pegida Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorwerfen. „Das halten wir für falsch“, erklärte Petry. Sie halte die sieben am Gespräch beteiligten Pegida-Organisatoren für glaubwürdig.
Einen vllständigen Schulterschluss werde es jedoch nicht geben: Pegida wolle sich nicht von Parteien abhängig machen und eine Bürgerbewegung bleiben, sagte Petry.
Pegida attackiert pauschal die deutsche Politik
Von Pegida (Kritiker nennen sie wegen der gezielten Stimmungsmache inzwischen „PerFIDA“) liegt noch kein Statement zur weiteren Zusammenarbeit in Sachsen vor.
Auf ihrer offiziellen (Facebook-) Seite kommentierte Pegida den Anschlag von Paris: „Die Islamisten, vor denen Pegida seit nunmehr 12 Wochen warnt, haben heute in Frankreich gezeigt, dass sie eben nicht demokratiefähig sind, sondern auf Gewalt und Tod als Lösung setzen! Unsere Politiker wollen uns aber das Gegenteil glauben machen. Muss eine solche Tragödie etwa erst in Deutschland passieren???“
Oppermann (SPD) spricht von „übler Demagogie“
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann (60) hat die AfD-Deutung des Pariser Terror-Anschlags als Pegida-Rechtfertigung scharf kritisiert. „Was Herr Gauland da macht, ist eine ganz üble Demagogie”, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“.
Oppermann sagte, Gauland vermische die Einwanderung friedlicher Muslime mit den Taten von Killern, die mit dem Islam nichts zu tun hätten. „Und das führt dazu, dass er Menschen aufhetzt, dass er diese Gesellschaft spaltet und dass er im Grunde genommen den Terroristen in Paris genau auf den Leim geht“, sagte Oppermann.
Auch in der ARD-Sendung „Hart aber fair“ wurden die Gauland-Äußerungen diskutiert. Publizist Michel Friedman (58), der in Paris geboren wurde, sagte am Abend nach dem Terrorschlag, er teile die Meinung der Kanzlerin: „Pegida ist eine aufhetzende, rassistische und generalisierende Bewegung gegen Millionen unserer Mitbürger.“
Unionsfraktionschef Volker Kauder (65, CDU) nannte es „schäbig“, den Anschlag innenpolitisch instrumentalisieren zu wollen. Allerdings nannte er dabei die AfD nicht explizit.
Bundesjustizminister Heiko Maas (48, SPD) warnte vor einer Gleichsetzung von Terror und Islam. „Terroristischer Bedrohung werden wir entschieden, aber mit Besonnenheit und Augenmaß begegnen“, sagte er. Maas forderte dazu auf, „einen Kampf der Kulturen“ nicht zuzulassen.
Bosbach warnt vor überhitztem politischen Klima
Der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Wolfgang Bosbach (62, CDU), widersprach der Ansicht, dass Islamismus und Salafismus nichts mit dem Islam zu tun hätten. Von gewaltbereiten Islamisten gingen dramatische Gefahren aus, sagte der Politiker im Deutschlandfunk.
Er befürchte, dass der Anschlag in Paris „das politische Klima nicht nur in Frankreich, sondern auch bei uns anheizen und verschärfen könnte“, sagte Bosbach.
Die überwältigende Mehrheit der Muslime sei friedlich und rechtstreu. Entscheidend sei nun ein Schulterschluss dieser gemäßigten Muslime.
„Sie treiben den Keil immer tiefer in die Gesellschaft“
Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor (36), Gründerin des Liberal-Islamischen Bundes, verurteilte die „fürchterliche und barbarische Tat" der Terroroisten von Paris. Die Tochter syrischer Einwanderer warnte aber die Pegida-Bewegung vor einer Instrumentalisierung: „Einige tun alles dafür, dass sich Muslime als Fremdkörper in dieser Gesellschaft sehen, als würde Muslim-Sein und Deutsch-Sein nicht zusammenpassen. Und das wirkt leider. Sie treiben den Keil immer tiefer in die Gesellschaft.“
Man komme als Muslimin ins Nachdenken, „wenn Islamfeinde fast 20 000 Menschen auf die Straßen bekommen“: Die meisten Muslime fühlten sich in Deutschland Zuhause. Nur: „Es entsteht eine innere Zerrissenheit, wenn einem immer wieder gesagt wird: Du gehörst nicht zu uns.“