Pegida-Proteste: Bei den Frustbürgern von Dresden

Erstveröffentlicht: 
16.12.2014

15.000 Menschen gehen in Dresden auf die Straße - warum eigentlich? Die Pegida-Demonstranten eint eine geballte Wut auf fast alles. Dass Rechtsextremisten und Islamhasser mitmischen, stört kaum einen.

 

Sie bleibt namenlos wie so viele. Dass die 72-Jährige, blondes Haar, weiße Wollmütze, dicke Jacke, überhaupt spricht, ist eine Überraschung. Schon als sie beginnt zu erzählen, bauen sich junge Männer um sie herum auf: "Lügenpresse" und "Ihr Verdreher" pöbeln sie. Doch die Frau lässt sich nicht beirren, sie schwärmt: "Hier bin ich unter Gleichgesinnten. Hier können wir unsere Ängste und Nöte endlich öffentlich machen."

 

Hier - das ist Pegida, eine Bewegung mit dem kruden Namen "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", die immer mehr Bürger auf die Straße bringt (Lesen Sie hier den Faktencheck). An diesem Montagabend sind in Dresden 15.000 Menschen gekommen, so viele wie noch nie. Pegida vereint sie alle: die Frustrierten, die Ängstlichen, die Wütenden. Es sind überwiegend Männer, dunkel gekleidet, die sich in der sächsischen Hauptstadt versammeln, um ein Zeichen zu setzen, wie sie sagen.

 

Gegen "die Zuwanderungsschwemme, irgendwann ist mal Schluss", wie ein 48-Jähriger ruft. Gegen die "Wirtschaftsflüchtlinge, die sich in der sozialen Hängematte Deutschlands" ausruhen, wie es ein 51-Jähriger ausdrückt. Gegen "die obere Klasse, die Politik, die sich abschottet", wie ein etwa 60-Jähriger sagt. Oder gegen "die Nato, die uns gegen Russland in den Krieg treibt", wie eine junge blonde Frau, Anfang 30 Jahre, in die Menge brüllt.

 

Mit Videokamera und Deutschlandfahne


Patrioten nennen sie sich, meistens wollen sie um keinen Preis ihren Namen nennen, aus Furcht, wie sie betonen. Sie würden dann verfolgt, behaupten sie. Michael Jurek ist da eine Ausnahme. Der 61-Jährige sagt, für ihn sei ein Patriot derjenige, der seine Heimat liebe, und ausspreche, was ihm nicht passe. Einer, der sich nicht verstecke. Er redet lange darüber, dass er 40 Jahre als Stahlbaumonteur geschuftet habe, aber ihm jetzt nur eine Rente auf Hartz-IV-Niveau bleibe: "Das kann es doch nicht sein."

 

Jurek und den anderen ist es egal, mit wem sie sich da jede Woche in Dresden zusammentun. Nazis? "Jeder kann mitlaufen, wenn er friedlich ist", sagt er. "Rechtsextremisten, die sehe ich hier nicht, ich höre keine rechtsradikalen Parolen", sagt eine andere Pegida-Anhängerin.

 

Dabei sind die NPD-Funktionäre und -Anhänger kaum zu übersehen, die sich unter die Dresdner Frustbürger gemischt haben und hoffen, von der Bewegung der Unzufriedenen profitieren zu können. Oder der Rechtspopulist Michael Stürzenberger, der aus München angereist ist und es kaum fassen kann, dass so viele Menschen gekommen sind. Davon kann der Islamhasser nur träumen, er hat auf seinen Kundgebungen in Bayern nie mehr als ein paar hundert Menschen mobilisieren können.

 

"Einfach klasse hier", jubelt er, in der einen Hand eine Videokamera, in der anderen eine Deutschlandfahne. Noch vor ein paar Wochen war er auf einer Kundgebung der "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa) in Hannover, jetzt ruft er seine Tiraden von einer "unkontrollierten Asylanten-Schwemme" oder "der Islamisten-Gewalt" in eines der vielen Fernsehmikrofone - so laut, dass Pegida-Leute einschreiten. Stürzenberger stört die Rede von Lutz Bachmann, dem Frontmann der Pegida-Bewegung.

 

"Jeder ist Ordner hier"


Bachmann arbeitet sich an den prominenten Pegida-Kritikern ab: an Bundespräsident Joachim Gauck, der von "Chaoten" gesprochen hat; an NRW-Innenminister Ralf Jäger, der die Organisatoren "Neonazis in Nadelstreifen" genannt hat. Oder Justizminister Heiko Maas, für den Pegida eine "Schande" ist. Das kommentieren die Demonstranten mit lauten Pfui-Rufen.

 

Bachmann nutzt die Vorlage, die ihm die Politiker seit Tagen liefern, um die Menge hinter sich zu scharen. Ein Wir-gegen-die-da-oben-Gefühl zu schaffen, gegen diejenigen, "die uns vernachlässigen", wie er ruft. Und er nimmt jeden Pegida-Teilnehmer in die Pflicht: "Jeder ist Ordner hier, achtet auf den Nachbarn." Das schafft Solidarität.

 

Kurz zuvor hat er noch ausführlich mit dem Islamgegner Stürzenberger geplaudert, Bachmann scheint wenig Berührungsängste zu haben. Mit den Medien will er dagegen nicht reden: "Wir sprechen nicht mit der Presse, dabei bleibt es", sagt er und dreht sich weg. Um dann aber doch noch hinterherzuschicken: "Vorhin habe ich aber mit Al-Jazeera ein Interview gemacht."

 

Dass Bachmann sich entzieht und bisher auch in keiner Talkshow aufgetreten ist, gehört zum Konzept. Er lässt lieber die Parteienvertreter über Pegida streiten, das spielt seiner Bewegung in die Hände, die dadurch so wenig greifbar scheint.

 

Gegendemo kleiner als vor einer Woche


Auch für die Gegendemonstranten, deren Trillerpfeifen nur leise in der Ferne zu hören sind. Nur rund 6000 sind dieses Mal in Dresden unterwegs, in der vergangenen Woche waren es noch 9000. Studenten, Hippies, Autonome, Alternative und das liberale Bildungsbürgertum tanzen zu Techno-Beats, sie brüllen "Rassisten-Pack, wir haben Euch zum Kotzen satt!" Auf dem Lastwagen leuchtet der Spruch: "Refugees are welcome".

 

Eine junge Demonstrantin, Anfang 20, sagt: "Eigentlich gehe ich nicht oft protestieren." Und warum jetzt? "Ich habe Angst, dass es wieder so wird wie in den Neunzigern, als die Asylbewerberheime brannten." Daneben steht ein Rentnerehepaar mit seinen Enkelkindern an der Hand. "Ich habe Angst um den Ruf meiner Stadt", sagt die Oma.

 

Bisher sind die Pegida-Demonstrationen friedlich verlaufen, dafür sorgen die vielen Ordner mit ihren weißen Armbinden. Als sich die Massen für einen kurzen Marsch in Bewegung setzen und wieder "Wir sind das Volk" durch die Straßen Dresdens schallt, kommen sie auch an einer kleinen Gruppe von vielleicht 20 Antifa-Leuten vorbei. Die rufen "Nazis raus". Viele Pegida-Anhänger lachen, klatschen die Kritik einfach weg.

 

Doch einige Pegida-Teilnehmer bleiben stehen, ein Mann stürzt nach vorn in Richtung Antifa: "Hey ihr Faschisten, kommt rüber, ich zeig's Euch." Weit kommt er nicht, gleich drei Ordner drängen ihn zurück: "Ruhig bleiben", mahnen sie. Einen anderen Mann, der angetrunken scheint und Nazi-Parolen gerufen haben soll, melden sie der Polizei.

 

Und so lobt AfD-Vize Alexander Gauland die Pegida als "ganz normale Demonstration". "Ich hatte kein Gefühl einer negativen Aggression", sagt er. Seine Partei hatte er zuvor begeistert als "natürlichen Verbündeten dieser Bewegung" bezeichnet, das passte nicht jedem in der AfD. Dies sei jedenfalls ein einmaliger Besuch gewesen, betont er. "Ich komme jetzt nicht jeden Montag."