Verständigung in weiter Ferne - Pegida-Organisatoren lehnen Dialog ab

Erstveröffentlicht: 
16.12.2014

Dresdner Anti-Islam-Demo am Abend mit bislang meisten Teilnehmern / Deutlich weniger Gegenproteste

 

Dresden. Das Anti-Islam-Bündnis Pegida zieht weiter durch Dresden: Gestern Abend folgten etwa 15000 Menschen dem Aufruf der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes - so das Kürzel der Vereinigung - und zogen mit Deutschlandfahnen sowie "Wir sind das Volk"-Rufen durch die Straßen der sächsischen Hauptstadt. Zu Beginn der gestrigen Proteste erteilten die Organisatoren um Lutz Bachmann dem Wunsch nach einem Dialog eine Absage. Neben diversen Schmähungen in Richtung der Politik und insbesondere Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) kündigte Bachmann an, man werde in Zukunft nicht mehr mit der Presse reden. Die aufgestachelte Menge beließ es anschließend auch nicht bei einem leisen Spaziergang und brüllte stattdessen "Lügenpresse", "Hetzer" oder "Verräter" in Richtung der anwesenden Kamerateams.


Medienboykott angekündigt


Inhaltlich blieben Bachmann & Co. einmal mehr vage. Es hieß, der "große Teil" der Flüchtlinge in Deutschland sei nicht hilfsbedürftig. Zu den Ansagen, man verteidige die Heimat, gesellte sich Kritik an der europäischen Russland-Politik - auf den Schildern in der Demo war vom Nato-Austritt bis zur Drogenpolitik vieles dabei. Auch die von Pegida geforderte "Pflicht zur Integration" wurde einmal mehr nicht erläutert.


Gleichzeitig demonstrierten laut der Polizei 5600 Dresdner gegen den Pegida-Aufmarsch - in der Vorwoche waren es noch 9000 gewesen. Während das Bündnis "Dresden für alle" auf dem Theaterplatz ein Zeichen für eine weltoffene Stadt setzen wollte, zeigte "Dresden Nazifrei" nach einer Demonstration vom Bahnhof Neustadt bis zum Rathaus friedlich in Hör- und Sichtweite gegen Pegida Flagge. Die Polizei war im Großeinsatz, zu Konfrontationen kam es allerdings nicht.


Es war ein Abend der Gegensätze. Auf der einen Seite die bei aller Lautstärke "schweigende" Masse, die nicht mehr begründen will oder muss, warum sie die Islamisierung des Abendlandes fürchtet, auf der anderen eine Mischung aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die nach wie vor die Notwendigkeit sehen, ins Gespräch zu kommen mit denen, die sich immer stärker verweigern. Eine Verständigung scheint in immer weitere Ferne zu rücken. Deshalb bleibt erst einmal nur Protest und Gegenprotest. "Ich bin schon den zweiten Montag in Folge hier dabei. Mir ist es einfach wichtig, ein Zeichen für Toleranz und gegen Pegida zu setzen", sagte etwa Demonstrant Volker. "Wir dürfen diesen Rassisten nicht unsere Stadt überlassen. Schon jetzt hat das Image von Dresden wieder enorm gelitten", stimmt seine Begleiterin Ilona zu.


In den Redebeiträgen bedankten sich Sebastian Vogel vom Dresdner Ausländerrat und die Gemeindepfarrerin Gisela Merkel-Manzer aus dem Stadtteil Löbtau für die Bereitschaft der Menschen, für ein buntes Dresden einzustehen. "Ich habe fünf Finger an meiner Hand, alle sind verschieden, und das ist gut so. Ich brauche sie alle, um meine Hand benutzen zu können. Genau so ist das mit der Gesellschaft. Wir brauchen die Vielfalt für eine funktionierende und offene Gesellschaft", betonte Vogel in seiner Rede. Pfarrerin Merkel-Manza sprach sich dafür aus, dass die Würde aller Menschen unantastbar sein müsse, egal welcher Hautfarbe. In Dresden müsse sich jeder willkommen und gewollt fühlen.


Kipping attackiert Pegida-Chef


Ebenfalls auf dem Theaterplatz fand eine Zwischenkundgebung der Demo von "Dresden Nazifrei" statt. Zu den Rednern gehörte Linken-Chefin Katja Kipping. "Die Ziele der Pegida sind verlogen und feige, für Rassismus haben wir hier keinen Platz", sagte sie. "Die Pegida-Macher betonen immer, sie sorgen sich um unsere Kinder. Doch wer würde sein Kind schon dem Kriminellen Lutz Bachmann anvertrauen?", nahm Kipping den Pegida-Anführer direkt aufs Korn. Die Linken-Chefin betonte, dass die Flüchtlinge vor Kriegen und Gewalt aus ihrer Heimat fliehen und ihnen daher keine Ablehnung und Hass entgegen schlagen sollte. "Es ist unmenschlich, wenn man den Flüchtlingen Hilfe verweigert." Die Pegida-Macher sollten sich lieber mit Rüstungskonzernen anlegen, denn genau die Waffenexporte lassen die Flüchtlinge erst fliehen.

 


 

"Rassistische Einstellungen auf der Straße"

 

Kulturbüro-Leiterin erinnert an Willkommensbündnisse

 

Dresden. Die Pegida-Demonstranten sind keine Gefahr für die Zivilgesellschaft, solange sie auf Widerspruch stoßen, sagt die Chefin des Kulturbüros Sachsen, Grit Hanneforth.

Sie beobachten beim Kultürbüro Sachsen die Pegida-Demonstrationen von Beginn an. Wie erklären Sie sich den starken Zulauf?


Pegida ist nicht aus dem Nichts gekommen. Jetzt werden weit verbreitete Einstellungen sichtbar, die schon lange bekannt sind. Bielefelder Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit weisen seit Jahren verbreitete rassistische Einstellungen in der Bevölkerung nach, in unterschiedlicher Ausprägung. Diese zeigen sich jetzt auf der Straße.


Warum ausgerechnet in Dresden, wo es doch in der Stadt wie generell in Sachsen wenig Migranten gibt?


Die populistische, rassistische Aufladung von Integrationsspolitik ist in Sachsen nichts Neues. Die NPD hat damit all ihre zurückliegenden Wahlkämpfe bestritten, ohne dass ihr laut und deutlich widersprochen wurde - das hinterlässt Spuren in den Köpfen vieler Menschen. Zur Lesung von Thilo Sarrazin kamen 4000 Menschen in die Messehalle. Was wir jetzt erleben, ist das Aufeinandertreffen vorher isolierter Strömungen.


Sie meinen Rechtsextreme, die AfD?


Das Publikum ist sehr gemischt. Darunter sind Menschen, die sich als sozial abgehängt begreifen, aber auch solche, die sehr genau wissen, wie man mobilisiert. Das Besondere an er neuen Bewegung ist allerdings das Zusammenspiel aus Straßenprotest und Internet-Agitation.


Wie funktioniert das?


Was die Organisatoren auf den Demon­strationen nicht aussprechen, findet sich im Internet wieder. Der Pegida-Chef Lutz Bachmann schafft öffentlich wenig Klarheit zu den Zielen. Für alles Unausgesprochene aber findet sich in Online-Foren ein Resonanzraum. Klar rassistischen Statements widerspricht dort die Pegida-Führung nicht.


Was eint die Protestierenden?


Ich werde Herrn Bachmann nicht den Gefallen tun und zur Klärung seiner diffusen Behauptungen beitragen. Er spricht oft von dem Wunsch "von der Politik gehört zu werden". Die Frage ist nur: Was hat er zu sagen?


Droht mit Pegida ein Rückschritt für die Zivilgesellschaft in Sachsen?


Pegida ist nur die eine Seite, die andere besteht aus Tausenden Demonstranten, die sich klar dagegen positionieren. Bundesweit sind so viele Menschen in Willkommensbündnissen für Flüchtlinge aktiv. Wenn sie sich alle in die Dresdener Innenstadt stellten, wäre für Pegida kein Platz mehr. Interview: Marina Kormbaki



 

Dulig: Antworten für die Menschen statt für Anführer

 

Dresden. Angesichts der Pegida-Protestmärsche hat der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Politiker aufgerufen, auf die demonstrierenden Bürger zuzugehen. Die Politik müsse besser erklären, "warum wir Zuwanderung brauchen", sagte der SPD-Politiker. Ähnlich äußerte sich der Zentralratsvorsitzende der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek.


Der Grünen-Parteivorsitzende Cem Özdemir forderte dagegen eine stärkere Abgrenzung der demokratischen Parteien von Pegida. "Es wird nicht funktionieren, den Radikalen das Wasser abzugraben, indem man AfD-Politik betreibt", sagte er in Anspielung darauf, dass sich Mitglieder der Alternative für Deutschland den Demos anschlossen.


Sachsens stellvertretender Ministerpräsident und SPD-Chef Martin Dulig hält Gespräche mit den Organisatoren des populistischen Pegida-Bündnisses für unnötig. "Wir brauchen keinen Dialog mit den Anführern von Pegida", die die Ängste der Menschen missbrauchen", sagte er gestern. "Stattdessen müssen wir mit den Menschen selbst sprechen, ihnen zuhören und ihnen die Antworten geben, die sie von der Politik zu Recht verlangen."


Knapp die Hälfte (49 Prozent) der Deutschen zeigt einer Umfrage zufolge Verständnis für die islamkritischen Pegida-Demonstrationen. Wie Zeit-online mitteilte, antworteten 30 Prozent auf die Frage nach den Protesten gegen die Islamisierung des Abendlandes und die Terrormiliz Islamischer Staat, sie hätten voll und ganz Verständnis für die Anliegen der Demonstranten. 19 Prozent antworteten mit "eher ja". Ablehnend äußerten sich 23 Prozent.

 


 

"Pegida keinesfalls Dresdner Lokalphänomen"

 

Politikwissenschaftler Patzelt über die Hauptinhalte und den Umgang mit Fremdenfeindlichkeit

Von Werner Patzelt


Dresden. Angesichts der Demonstrationen der Anti-Islam-Bewegung Pegida sucht die Politik nach einem angemessenen Umgang. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt nimmt die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes - kurz Pegida - genauer unter die Lupe.

Was ist Pegida?


Pegida ist ein wöchentlicher Volksauflauf von Rassisten und Islamfeinden, gesteuert von Nazis.


Wirklich von Nazis?


500 kamen im Oktober, 15000 gestern Abend - trotz heftiger Gegenwehr angesehener Organisationen. Auf dem Logo landet das Hakenkreuz im Mülleimer; man zeigt Schwarz-Rot-Gold. Die Altersspanne reicht von jungen Erwachsenen bis zu Rentnern, meist aus dem Kleinbürgertum und von grundständiger bis mittlerer Bildung. Beifall und Buhs zeigen ein Meinungsspektrum von der Mitte bis zum rechten Rand. Rechtsextremisten sind dabei, auch Krawallmacher aus der Fußballszene. Bislang kaum 500, prägen sie das Bild durchaus nicht.


Welches sind die Hauptinhalte?


Abendland und Islamisierung sind Schlagwörter. Sie stehen für den Wunsch, dass sich nichts ändert, und für Sorgen ob des Aufkommens einer Religion, die sich - anders als das schwindsüchtige Christentum - auch im Alltag ernst nimmt. In Pegida-Blogs findet sich starke Abneigung gegen Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge, südosteuropäische EU-Bürger. Islam und Islamisierung, kaum unterschieden, gelten als gefährlich. Alles lässt sich einordnen ins Deutungsschema "nationalistische Fremdenfeindlichkeit samt Islamophobie". Doch Pegida-Leute empfinden solche Einschätzungen als unzutreffend, ja verleumderisch. Also kommt es zu Empörung und Trotz.


Was fordern die Organisatoren?


Deren Reden und Positionspapier widersprechen den Sorgen der Alarmisten. Man ist für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und Verfolgten, für sexuelle Selbstbestimmung, für mehr plebiszitäre Instrumente. Man wünscht zweckmäßigere Asylverfahren, null Toleranz gegenüber straffälligen Migranten, die Ausschöpfung der Rechtsregeln zur Abschiebung, mehr Mittel für die Polizei. Man ist gegen Parallelgesellschaften, Hassprediger, Radikalismus und frauenfeindliche oder gewaltbetonende Ideologie. Vielleicht zerbricht Pegida, wenn es um Konkretes geht. Doch keinesfalls ist Pegida ein Lokalphänomen. In Dresden fanden sich nur Kristallisationskern und günstige Umstände.


Was aber gibt der Bewegung Wucht?


Viele Bürger mögen Deutschlands pas­sive Haltung zur Einwanderung nicht. Sie wünschen sich eine ergebnisoffene Diskussion über Integrationspolitik. Es ärgert sie, dass Bürgerbeteiligung nur als Willkommenskultur erwünscht ist. Es empört sie, dass die grün-linke ­Mittelschicht ihnen als einfachen Leuten mit ausgrenzendem Hochmut kommt. Und sie verabscheuen die Gesinnung hinter dem Spruch "Deutschland ver­recke!"


Was also ist zu tun?


Es braucht redlichen Diskurs um ein Zuwanderungs- und Integrationsgesetz, das sämtliche Formen von Immigration regelt. Es muss, nachvollziehbar für alle Bürger, jedes Bundesland für je zehn Jahre im Voraus planen, in welchen Kommunen es welche Zuwanderergruppen unterbringen, ja ansiedeln will. Überall dort, wo Migranten aufzunehmen sind, muss vom Staat mit Gewerkschaften und Arbeitgebern, mit Kirchen und Bürgerschaft rechtzeitig gesprochen werden. Nur aus solcher Kommunikation entsteht demokratische Legitimation. Politik aber, die ein Volk nach offener Debatte nicht will, ist nicht durchführbar, falls Demokratie stabil bleiben soll. Bloße Wahlverweigerung wird nicht ewig währen; also gewinnen bald radikale Parteien an Einfluss und erzwingen, was bis dahin besserwisserische Ablehnung fand.

 

Werner Patzelt (61) ist Politikwissenschaftler und leitet den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden.