Dresdner Anti-Islam-Demo am Abend mit bislang meisten Teilnehmern / Deutlich weniger Gegenproteste
Dresden. Das Anti-Islam-Bündnis Pegida zieht weiter durch Dresden: Gestern Abend folgten etwa 15000 Menschen dem Aufruf der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes - so das Kürzel der Vereinigung - und zogen mit Deutschlandfahnen sowie "Wir sind das Volk"-Rufen durch die Straßen der sächsischen Hauptstadt. Zu Beginn der gestrigen Proteste erteilten die Organisatoren um Lutz Bachmann dem Wunsch nach einem Dialog eine Absage. Neben diversen Schmähungen in Richtung der Politik und insbesondere Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) kündigte Bachmann an, man werde in Zukunft nicht mehr mit der Presse reden. Die aufgestachelte Menge beließ es anschließend auch nicht bei einem leisen Spaziergang und brüllte stattdessen "Lügenpresse", "Hetzer" oder "Verräter" in Richtung der anwesenden Kamerateams.
Medienboykott angekündigt
Inhaltlich blieben Bachmann & Co. einmal mehr vage. Es hieß, der
"große Teil" der Flüchtlinge in Deutschland sei nicht hilfsbedürftig. Zu
den Ansagen, man verteidige die Heimat, gesellte sich Kritik an der
europäischen Russland-Politik - auf den Schildern in der Demo war vom
Nato-Austritt bis zur Drogenpolitik vieles dabei. Auch die von Pegida
geforderte "Pflicht zur Integration" wurde einmal mehr nicht erläutert.
Gleichzeitig demonstrierten laut der Polizei 5600 Dresdner gegen den
Pegida-Aufmarsch - in der Vorwoche waren es noch 9000 gewesen. Während
das Bündnis "Dresden für alle" auf dem Theaterplatz ein Zeichen für eine
weltoffene Stadt setzen wollte, zeigte "Dresden Nazifrei" nach einer
Demonstration vom Bahnhof Neustadt bis zum Rathaus friedlich in Hör- und
Sichtweite gegen Pegida Flagge. Die Polizei war im Großeinsatz, zu
Konfrontationen kam es allerdings nicht.
Es war ein Abend der Gegensätze. Auf der einen Seite die bei aller
Lautstärke "schweigende" Masse, die nicht mehr begründen will oder muss,
warum sie die Islamisierung des Abendlandes fürchtet, auf der anderen
eine Mischung aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die nach wie
vor die Notwendigkeit sehen, ins Gespräch zu kommen mit denen, die sich
immer stärker verweigern. Eine Verständigung scheint in immer weitere
Ferne zu rücken. Deshalb bleibt erst einmal nur Protest und
Gegenprotest. "Ich bin schon den zweiten Montag in Folge hier dabei. Mir
ist es einfach wichtig, ein Zeichen für Toleranz und gegen Pegida zu
setzen", sagte etwa Demonstrant Volker. "Wir dürfen diesen Rassisten
nicht unsere Stadt überlassen. Schon jetzt hat das Image von Dresden
wieder enorm gelitten", stimmt seine Begleiterin Ilona zu.
In den Redebeiträgen bedankten sich Sebastian Vogel vom Dresdner
Ausländerrat und die Gemeindepfarrerin Gisela Merkel-Manzer aus dem
Stadtteil Löbtau für die Bereitschaft der Menschen, für ein buntes
Dresden einzustehen. "Ich habe fünf Finger an meiner Hand, alle sind
verschieden, und das ist gut so. Ich brauche sie alle, um meine Hand
benutzen zu können. Genau so ist das mit der Gesellschaft. Wir brauchen
die Vielfalt für eine funktionierende und offene Gesellschaft", betonte
Vogel in seiner Rede. Pfarrerin Merkel-Manza sprach sich dafür aus, dass
die Würde aller Menschen unantastbar sein müsse, egal welcher
Hautfarbe. In Dresden müsse sich jeder willkommen und gewollt fühlen.
Kipping attackiert Pegida-Chef
Ebenfalls auf dem Theaterplatz fand eine Zwischenkundgebung der Demo
von "Dresden Nazifrei" statt. Zu den Rednern gehörte Linken-Chefin Katja
Kipping. "Die Ziele der Pegida sind verlogen und feige, für Rassismus
haben wir hier keinen Platz", sagte sie. "Die Pegida-Macher betonen
immer, sie sorgen sich um unsere Kinder. Doch wer würde sein Kind schon
dem Kriminellen Lutz Bachmann anvertrauen?", nahm Kipping den
Pegida-Anführer direkt aufs Korn. Die Linken-Chefin betonte, dass die
Flüchtlinge vor Kriegen und Gewalt aus ihrer Heimat fliehen und ihnen
daher keine Ablehnung und Hass entgegen schlagen sollte. "Es ist
unmenschlich, wenn man den Flüchtlingen Hilfe verweigert." Die
Pegida-Macher sollten sich lieber mit Rüstungskonzernen anlegen, denn
genau die Waffenexporte lassen die Flüchtlinge erst fliehen.
"Rassistische Einstellungen auf der Straße"
Kulturbüro-Leiterin erinnert an Willkommensbündnisse
Dresden. Die Pegida-Demonstranten sind keine Gefahr für die
Zivilgesellschaft, solange sie auf Widerspruch stoßen, sagt die Chefin
des Kulturbüros Sachsen, Grit Hanneforth.
Sie beobachten beim Kultürbüro Sachsen die Pegida-Demonstrationen von Beginn an. Wie erklären Sie sich den starken Zulauf?
Pegida ist nicht aus dem Nichts gekommen. Jetzt werden weit verbreitete
Einstellungen sichtbar, die schon lange bekannt sind. Bielefelder
Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit weisen seit Jahren
verbreitete rassistische Einstellungen in der Bevölkerung nach, in
unterschiedlicher Ausprägung. Diese zeigen sich jetzt auf der Straße.
Warum ausgerechnet in Dresden, wo es doch in der Stadt wie generell in Sachsen wenig Migranten gibt?
Die populistische, rassistische Aufladung von Integrationsspolitik ist
in Sachsen nichts Neues. Die NPD hat damit all ihre zurückliegenden
Wahlkämpfe bestritten, ohne dass ihr laut und deutlich widersprochen
wurde - das hinterlässt Spuren in den Köpfen vieler Menschen. Zur Lesung
von Thilo Sarrazin kamen 4000 Menschen in die Messehalle. Was wir jetzt
erleben, ist das Aufeinandertreffen vorher isolierter Strömungen.
Sie meinen Rechtsextreme, die AfD?
Das Publikum ist sehr gemischt. Darunter sind Menschen, die sich als
sozial abgehängt begreifen, aber auch solche, die sehr genau wissen, wie
man mobilisiert. Das Besondere an er neuen Bewegung ist allerdings das
Zusammenspiel aus Straßenprotest und Internet-Agitation.
Wie funktioniert das?
Was die Organisatoren auf den Demonstrationen nicht aussprechen,
findet sich im Internet wieder. Der Pegida-Chef Lutz Bachmann schafft
öffentlich wenig Klarheit zu den Zielen. Für alles Unausgesprochene aber
findet sich in Online-Foren ein Resonanzraum. Klar rassistischen
Statements widerspricht dort die Pegida-Führung nicht.
Was eint die Protestierenden?
Ich werde Herrn Bachmann nicht den Gefallen tun und zur Klärung seiner
diffusen Behauptungen beitragen. Er spricht oft von dem Wunsch "von der
Politik gehört zu werden". Die Frage ist nur: Was hat er zu sagen?
Droht mit Pegida ein Rückschritt für die Zivilgesellschaft in Sachsen?
Pegida ist nur die eine Seite, die andere besteht aus Tausenden
Demonstranten, die sich klar dagegen positionieren. Bundesweit sind so
viele Menschen in Willkommensbündnissen für Flüchtlinge aktiv. Wenn sie
sich alle in die Dresdener Innenstadt stellten, wäre für Pegida kein
Platz mehr. Interview: Marina Kormbaki
Dulig: Antworten für die Menschen statt für Anführer
Dresden. Angesichts der Pegida-Protestmärsche hat der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Politiker aufgerufen, auf die demonstrierenden Bürger zuzugehen. Die Politik müsse besser erklären, "warum wir Zuwanderung brauchen", sagte der SPD-Politiker. Ähnlich äußerte sich der Zentralratsvorsitzende der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek.
Der Grünen-Parteivorsitzende Cem Özdemir forderte dagegen eine stärkere
Abgrenzung der demokratischen Parteien von Pegida. "Es wird nicht
funktionieren, den Radikalen das Wasser abzugraben, indem man
AfD-Politik betreibt", sagte er in Anspielung darauf, dass sich
Mitglieder der Alternative für Deutschland den Demos anschlossen.
Sachsens stellvertretender Ministerpräsident und SPD-Chef Martin Dulig
hält Gespräche mit den Organisatoren des populistischen
Pegida-Bündnisses für unnötig. "Wir brauchen keinen Dialog mit den
Anführern von Pegida", die die Ängste der Menschen missbrauchen", sagte
er gestern. "Stattdessen müssen wir mit den Menschen selbst sprechen,
ihnen zuhören und ihnen die Antworten geben, die sie von der Politik zu
Recht verlangen."
Knapp die Hälfte (49 Prozent) der Deutschen zeigt einer Umfrage zufolge
Verständnis für die islamkritischen Pegida-Demonstrationen. Wie
Zeit-online mitteilte, antworteten 30 Prozent auf die Frage nach den
Protesten gegen die Islamisierung des Abendlandes und die Terrormiliz
Islamischer Staat, sie hätten voll und ganz Verständnis für die Anliegen
der Demonstranten. 19 Prozent antworteten mit "eher ja". Ablehnend
äußerten sich 23 Prozent.
"Pegida keinesfalls Dresdner Lokalphänomen"
Politikwissenschaftler Patzelt über die Hauptinhalte und den Umgang mit Fremdenfeindlichkeit
Von Werner Patzelt
Dresden. Angesichts der Demonstrationen der Anti-Islam-Bewegung
Pegida sucht die Politik nach einem angemessenen Umgang. Der Dresdner
Politikwissenschaftler Werner Patzelt nimmt die Patriotischen Europäer
gegen die Islamisierung des Abendlandes - kurz Pegida - genauer unter
die Lupe.
Was ist Pegida?
Pegida ist ein wöchentlicher Volksauflauf von Rassisten und Islamfeinden, gesteuert von Nazis.
Wirklich von Nazis?
500 kamen im Oktober, 15000 gestern Abend - trotz heftiger Gegenwehr
angesehener Organisationen. Auf dem Logo landet das Hakenkreuz im
Mülleimer; man zeigt Schwarz-Rot-Gold. Die Altersspanne reicht von
jungen Erwachsenen bis zu Rentnern, meist aus dem Kleinbürgertum und
von grundständiger bis mittlerer Bildung. Beifall und Buhs zeigen ein
Meinungsspektrum von der Mitte bis zum rechten Rand. Rechtsextremisten
sind dabei, auch Krawallmacher aus der Fußballszene. Bislang kaum 500,
prägen sie das Bild durchaus nicht.
Welches sind die Hauptinhalte?
Abendland und Islamisierung sind Schlagwörter. Sie stehen für den
Wunsch, dass sich nichts ändert, und für Sorgen ob des Aufkommens einer
Religion, die sich - anders als das schwindsüchtige Christentum - auch
im Alltag ernst nimmt. In Pegida-Blogs findet sich starke Abneigung
gegen Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge, südosteuropäische
EU-Bürger. Islam und Islamisierung, kaum unterschieden, gelten als
gefährlich. Alles lässt sich einordnen ins Deutungsschema
"nationalistische Fremdenfeindlichkeit samt Islamophobie". Doch
Pegida-Leute empfinden solche Einschätzungen als unzutreffend, ja
verleumderisch. Also kommt es zu Empörung und Trotz.
Was fordern die Organisatoren?
Deren Reden und Positionspapier widersprechen den Sorgen der
Alarmisten. Man ist für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und
Verfolgten, für sexuelle Selbstbestimmung, für mehr plebiszitäre
Instrumente. Man wünscht zweckmäßigere Asylverfahren, null Toleranz
gegenüber straffälligen Migranten, die Ausschöpfung der Rechtsregeln zur
Abschiebung, mehr Mittel für die Polizei. Man ist gegen
Parallelgesellschaften, Hassprediger, Radikalismus und frauenfeindliche
oder gewaltbetonende Ideologie. Vielleicht zerbricht Pegida, wenn es um
Konkretes geht. Doch keinesfalls ist Pegida ein Lokalphänomen. In
Dresden fanden sich nur Kristallisationskern und günstige Umstände.
Was aber gibt der Bewegung Wucht?
Viele Bürger mögen Deutschlands passive Haltung zur Einwanderung
nicht. Sie wünschen sich eine ergebnisoffene Diskussion über
Integrationspolitik. Es ärgert sie, dass Bürgerbeteiligung nur als
Willkommenskultur erwünscht ist. Es empört sie, dass die grün-linke
Mittelschicht ihnen als einfachen Leuten mit ausgrenzendem Hochmut
kommt. Und sie verabscheuen die Gesinnung hinter dem Spruch "Deutschland
verrecke!"
Was also ist zu tun?
Es braucht redlichen Diskurs um ein Zuwanderungs- und
Integrationsgesetz, das sämtliche Formen von Immigration regelt. Es
muss, nachvollziehbar für alle Bürger, jedes Bundesland für je zehn
Jahre im Voraus planen, in welchen Kommunen es welche Zuwanderergruppen
unterbringen, ja ansiedeln will. Überall dort, wo Migranten aufzunehmen
sind, muss vom Staat mit Gewerkschaften und Arbeitgebern, mit Kirchen
und Bürgerschaft rechtzeitig gesprochen werden. Nur aus solcher
Kommunikation entsteht demokratische Legitimation. Politik aber, die ein
Volk nach offener Debatte nicht will, ist nicht durchführbar, falls
Demokratie stabil bleiben soll. Bloße Wahlverweigerung wird nicht ewig
währen; also gewinnen bald radikale Parteien an Einfluss und erzwingen,
was bis dahin besserwisserische Ablehnung fand.
Werner Patzelt (61) ist Politikwissenschaftler und leitet den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden.