Rudolf Heß muss aus Göppingen flüchten

Straßenschlacht 20er/30er Jahre - KuK

Göppinger Antifaschisten zeigen Flagge gegen rechts: Am Abend des 11.12.1922 versuchten rund 30 Mitglieder der NSDAP ihre erste öffentliche Veranstaltung in Göppingen durchzuführen, um für den Nationalsozialismus zu werben. Der bekannte NSDAP Agitator Max Weber aus München sollte dazu im “Hotel zu den Aposteln” – heute der Edeka in der Unteren Marktstraße – über “Die NSDAP – Deutschlands Zukunft” referieren.  

Die Veranstaltung war Teil der Offensive der NSDAP Anfang der 20er Jahren außerhalb Bayerns mit Ortsgruppen und SA Schlägerbanden Fuß zu fassen. Sie wäre die erste Veranstaltung der Nazipartei in Württemberg überhaupt gewesen. Der damalige Oberbürgermeister Hartmann stand der SPD nahe und erlaubte das Aufhängen der Plakate trotz des antisemitischen Zusatzes “Juden haben keinen Zutritt.”

 

Schon am Vortag trafen sich Mitglieder der KPD und Gewerkschafter, um eine Anzeige in der Zeitung zu verfassen, die alle Arbeiter aufrief, “frühzeitig auf der Versammlung zu erscheinen”, um die Veranstaltung der NSDAP zu verhindern. Am Morgen des 11.12. trafen sich drei Göppinger der SPD auf dem Stadtpolizeiamt, um die Forderung zu stellen die Veranstaltung verbieten zu lassen. Als die drei abgewiesen wurden und schon am Gehen waren, erschien der NSDAP Ortsgruppenleiter Wilhelm Oesterreicher, um Polizeischutz für seine Veranstaltung zu beantragen. Die Göppinger Behörden beschlossen erstmal gar nichts zu tun.

 

Um die Veranstaltung also durchführen zu können, schickte Hitler 90 SA Schläger aus München als Saalschutz nach Göppingen. Darunter war auch sein späterer Stellvertreter Rudolf Heß und eine Krankenschwester. Vor der Abfahrt hielt er eine Rede vor dieser Abordnung, in der er jeden aufforderte “sein Möglichstes zu tun, dass die Göppinger Veranstaltung stattfinden kann.” Beim Umsteigen im Ulmer Bahnhof exerzierte der Trupp, worüber sich ein mutiger Fahrdienstleiter der Reichsbahn beschwerte. In Göppingen marschierten sie offen und in Formation vom Bahnhof zum Apostel-Hotel, was als direkte Provokation von der links geprägten Göppinger Arbeiterschaft und der jüdischen Gemeinde aufgefasst wurde.

Der Hotelier Friedrich Pfeifle hatte inzwischen das Muffensausen gepackt und kurzerhand ein Schild an der Türe seines Hoteleinganges aufgehängt, auf der zu lesen war: “Die nationalsozialistische Veranstaltung findet nicht statt.” Vor dem Hotel sahen sich die ankommenden Nazis Göppinger Antifaschisten gegenüber. Die Polizei ging dazwischen und verkündete das Verbot der NSDAP Veranstaltung. Daraufhin zogen die Faschisten über die Jebenhäusener Brücke zur Gaststätte “Walfischkeller”, dort wo heute das Werner-Heisenberg-Gymnasium steht. Dabei sangen sie das Deutschland- und Hitlerlied. Immer mehr Gegendemonstranten folgten ihnen und warfen Schneebälle auf die Nazis.

 

92 Jahre Schlacht am Walfischkeller

Die Polizei ließ daraufhin die Nazis auf die Brücke, aber versperrten den antifaschistischen Arbeitern den Weg und forderte sie auf, nach Hause zu gehen. Die aber forderten: “…bevor die Münchner nicht fort sind, gehn wir nicht nach Hause.” Den Worten folgten Taten und die Antifaschisten stürmten mit Zaunlatten bewaffnet die Brücke. Bei der folgenden Massenschlägerei machten die Nazis Gebrauch von scharfen Schusswaffen, woraufhin die Antifaschisten ebenfalls Schusswaffen einsetzten. Vier Antifaschisten und fünf Nazis erlitten Schussverletzungen und die Polizei drängte die Antifaschisten zurück. Während diese die Entwaffnung der Nazis einforderte, brachte die Polizei die Faschisten beschützend über die Jahnstraße zurück zum Bahnhof.

Am Abend gab es weitere Schlägereien zwischen Antifaschisten und den Nazis. Am Bahnhof wurden drei zu spät ankommende rechtsradikale Studenten aus Stuttgart und Tübingen krankenhausreif geprügelt. Auch der Ortsgruppenführer Oesterreicher bekam sein Fett auf dem Weg zum Bahnhof ab und wurde von vielen Göppinger deswegen bemitleidet. Im Landtag wurde der Tag diskutiert, Justizminister Eugen Bolz konnte aber keine Gefahr erkennen. Seine Justiz verurteilte rund ein dutzend Arbeiter zu Gefängnisstrafen, während die SA-Leute frei gesprochen wurden. Hitler kommentierte diesen Tag folgendermaßen: “Von der NDSDAP wurde kürzlich als von einer rohen, brutalen, vor keinem Mittel zurückschreckenden Bande gesprochen. Dies freut mich ungemein, denn dadurch verspreche ich mir, dass meine Bestrebungen und meine Partei gefürchtet und bekannt werden.”

Erst 10 Jahre später, aber noch vor der Machtergreifung, kam es wieder zu größeren Aufmärschen der Nazis in Göppingen, als schon das gesamte evangelische Klein- und Mittelbürgertum nationalsozialistisch wählte. Verglichen mit dem Reichsdurchschnitt bekam die NSDAP in Göppingen jedoch weniger Stimmen. Mit der “Schlacht am Walfischkeller” zeigten die Göppinger der 1920er Jahre eine vorbildliche Leistung: Nämlich wie ein Ort für eine faschistische Veranstaltung blockiert werden kann. Das konsequente antifaschistische Handeln der Arbeiter vertrieb einen kompletten SA Trupp aus ihrer Stadt.

 

Synagoge wird angezündet

Die jüdische Synagoge wurde von der SA aus Geislingen in der Reichsprogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 angezündet. Der NSDAP Oberbürgermeister Pack trank Sekt vor der brennenden Synagoge mit dem damaligen Landrat Nagel. Der Feuerwehrhauptmann Karl Keuler wollte zwar löschen, wurde aber von den Nazis daran gehindert. Weil er sich daraufhin beschwerte, musste er seinen Hut nehmen. Wenige beschwerten sich in dieser Zeit und Göppinger beteiligten sich lieber an den Plünderungen jüdischer Geschäfte, dem Beschädigen des Hotels Dettelbacher und am Verprügeln von Juden. Viele der konsequenten Antifaschisten vom 11.12.1922 waren mit der Machtergreifung der Nazis in “Schutzhaft” genommen, also in einem rechtsfreien Raum von der SA inhaftiert. Es entstanden die ersten frühen “wilden” Konzentrationslager für Regimegegner. “Wir können… noch etwas erleben, gegen das unser jetziges Unglück ein Kinderspiel ist” wie Gemeinderat Paul Müller schon 1922 in der Zeitung “Hohenstaufen” schreibt. Es sollte leider noch viel schlimmer kommen.

 

Antifaschistische Gruppe Göppingen

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