Gespenstische Atmosphäre in Gransee: Am Sonntagabend marschieren bis zu 90 Neonazis mit Fackeln durch die Stadt – aus Protest gegen Flüchtlingsheime. Verantwortlich ist ein bekannter Neonazi.
Von Alexander Fröhlich, Ney Sommerfeld
Gransee/Potsdam - Die Szenerie wirkte gespenstisch und bedrohlich. Mit Fackeln marschierten bis zu 90 Neonazis am Volkstrauertag durch die Straßen von Gransee (Oberhavel) und riefen fremdenfeindliche Parolen. An der Spitze des Aufmarsches trugen sie ein braunes Banner, darauf eine Fackel und der Spruch: „Wir für Deutschland gegen Überfremdung.“
Verantwortlich für den Aufzug der „Aktivisten des Nationalen Widerstandskampfes“ sind nach PNN-Recherchen Maik Eminger aus Grabow (Potsdam-Mittelmark) und das Neonazi-Netzwerk „Licht und Schatten“. Eminger ist der Zwillingsbruder des im Münchner NSU-Prozess mitangeklagten André Eminger, dem mutmaßlichen Hauptunterstützer des Terrortrios. Ursprünglich hatte Maik Eminger den Aufmarsch für Sonntagabend in Werder geplant und am Freitag bei der Polizeidirektion West angemeldet. Doch die Polizei West genehmigte die Kundgebung nicht, weil sie wegen des Feiertagsgesetzes unzulässig sei. Darauf hatte Eminger erklärt, dass er keinen Aufzug durchführen werde.
Offenbar eine Täuschung. Denn die Neonazis wichen ins 90 Kilometer entfernte Gransee aus und hielten dort ihren nicht angemeldeten Aufzug ab. Am Sonntagabend um 19.16 Uhr meldete sich in Gransee dann ein Anwohner bei der Polizei. Die alarmierten Beamten konnten noch feststellen, wie 20 Wagen von einem Parkplatz losfuhren. An den eingerichteten Kontrollstellen konnte die Polizei aber nicht mehr alle Neonazis abfangen. Bei 26 Personen seien die Identität festgestellt und Platzverweise erteilt worden, sagte eine Polizeisprecherin. Aus den Fahrzeugen seien Fackeln, Fahnen und Lautsprecherausrüstung beschlagnahmt worden. Die meisten Fahrzeuge kamen aus Potsdam-Mittelmark, Brandenburg/Havel, Havelland und Potsdam, einige auch aus Oberhavel. Ermittelt wird nun wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
Am Sonntagabend war zunächst von rund 30 Teilnehmern die Rede. Am Montag korrigierte die Polizeidirektion Nord ihre Angaben. Weil die 20 Wagen zumeist voll besetzt waren, gehe man von 70 bis 90 Teilnehmern aus.
Szenekenner und Sicherheitsbehörden beobachten Maik Eminger schon seit Langem. Auf den Flugzetteln zu der Aktion ist er als Verantwortlicher verzeichnet, verbreitet wurde es auf der Internetseite „Licht und Schatten“. Eminger tritt immer offener innerhalb der Szene auf. Nach Einschätzung eines Verfassungsschützers strebt er offenbar wieder eine Führungsrolle an. Er war lange eine führende Figur in der Neonazi-Szene des Landes und leitete unter anderem den Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Potsdam, der Jugendorganisation der NPD. Zudem schulte er den Nachwuchs und verbreitete faschistische Propaganda.
Die Gruppierung „Licht und Schatten“ ist seit fast zwei Jahren im Raum Potsdam aktiv. Zu dem Aufmarsch am Sonntagabend heißt es auf deren Internetseite: „Wir erkennen die Gefahr. Die Gefahr zunehmender Überfremdung, die Gefahr des drohenden Kulturzerfalls, die Gefahr des nahenden Volkstodes.“
Deren Vorbild stammt aus der Lausitz: Die 2012 verbotene „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“, auch bekannt als Spreelichter. Deren „Volkstod“-Kampagne fand in der rechten Szene Nachahmer. Unter dem Banner von „Licht und Schatten“ hielten Neonazis am 8. Mai 2013 einen Fackelmarsch durch Kloster Lehnin und im April ein braunes Gedenken für die Opfer der Potsdamer Bombennacht vom 14. April 1945 ab. In der Nacht vor der Bundestagswahl 2013 organisierten sie in Potsdam Propaganda-Aktionen: Die Eingangstür eines Wahllokals in Drewitz wurde mit einer Stahlkette und ein weiterer Zugang mit Kabelbindern blockiert. Darüber hinaus gab es Sprühaktionen gegen Demokratie und Wahlen, zudem wurden Transparente für „nationalen Sozialismus“ vor Wahllokalen aufgehängt. Ähnliche Aktionen gab es auch im Potsdamer Umland – immer mit Bezug zu „Licht und Schatten“. Vor der Kommunalwahl im Mai hatte die Neonazi-Gruppierung dort Dutzende Wahlplakate mit einem Hitlerzitat überklebt.
Nach Einschätzung des brandenburgischen Verfassungsschutzes hat es Eminger lange vermieden, öffentlichkeitswirksam als Rechtsextremist in Erscheinung zu treten. Wegen der Ermittlungen gegen das Neonazi-Terror-Trio seit November 2011war es um ihn ruhig geworden. Sein Gehöft in Grabow war damals von der Polizei durchsucht und sein Bruder André als mutmaßlicher NSU-Unterstützer von der GSG9 festgenommen worden.
Seit einem Jahr ist Eminger nun wieder öffentlich aktiv. Bei einer Bürgerveranstaltung zu einem neuen Flüchtlingsheim in Bad Belzig war er mit zehn anderen Neonazis vor Ort. Zuletzt trat er Ende Oktober als Redner bei einer Kundgebung des Neonazi-Netzwerks „Gefangenenhilfe“ (GH) auf. Ein besonders prominenter Spendenempfänger der GH ist der mutmaßliche NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben, der sich wie Emingers Bruder vor dem Oberlandesgericht München im NSU-Verfahren wegen Beihilfe zum Mord verantworten muss. Er soll Anfang der 2000er-Jahre die Schusswaffe nebst Munition für das Neonazi-Trio organisiert haben.
2005 war Eminger aus Sachsen nach Brandenburg gekommen. Sein Anwesen dient weiter als Treffpunkt der rechten Szene. Auf dem Gehöft organisiere er kleinere einschlägige Veranstaltungen für rechte „Gesinnungsfreunde“, heißt es von den Sicherheitsbehörden.