"In dem Münchner Asylbewerberheim ist kein Platz mehr, Neuankömmlinge sind deshalb gezwungen, im Freien zu schlafen. In Deutschland. Im Jahr 2014." (1) Walter Benjamin schrieb einmal über diese Sorte "Staunen darüber, daß die Dinge, die wir erleben, im zwanzigsten Jahrhundert >noch< möglich seien", dass es nicht der Anfang von Erkenntnis sei, "es sei denn der, daß die Vorstellung von Geschichte, aus der es stammt, nicht zu halten ist." (2)
Das Staccato der kurzen Sätze "In Deutschland." und "Im Jahr 2014"
verrät Staunen über ein >noch< und über den Ort: Deutschland,
genauer München. Die Affirmation der schönen neuen Welt steckt schon
darin, dass die obdachlosen Flüchtlinge als völlig deplaziert verkauft
werden für Ort & Zeit, obwohl der erste Satz das Artikels selbst
verkündet: "Nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren mehr Menschen auf der
Flucht als jetzt" (1). Es ist eben eine falsche Vorstellung von
Geschichte, dass dies heute nicht mehr möglich sei. Der weltumspannende
Kapitalismus ist mehr als jemals zuvor Katastrophe für die meisten
Menschen, mehr als 2 Milliarden sind unterernährt (3).
Mit
Maximilian Popp ist ein Artikelschreiber am Werk (4) der das Fach des
kritischen Journalismus gut beherrscht: Die Herrschenden zu kritisieren,
in dem man ihnen alle guten Absichten der Welt unterstellt: "Selten
lagen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie in der deutschen
beziehungsweise europäischen Flüchtlingspolitik dieser Tage." (1) Bei
Popp sind die toten Flüchtlinge und die wenigen die es elendig bis auf
den Platz vor dem Flüchtlingsheim schaffen um dann im Freien zu frieren
ungewolltes Produkt einer verfehlten Politik - quasi ein Unfall.
Unterstellt ist dabei allemal, dass die Situation der Flüchtlinge nicht
gewollt ist, sondern die "Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander"
gehen, weil es eine sachliche Schwierigkeit wäre die Flüchtlinge mit
Betten und Decken zu versorgen. Deutschland, der Exportweltmeister,
scheitert an der logistischen Aufgabe eine dreistellige Zahl von
Flüchtlingen in München zu versorgen. In Deutschland. Im Jahre 2014.
Ist erstmal festgehalten, das Deutschland gerade hinter seinen eigenen
Anspruch zurückfallen würde, stellt der kritische Journalist fest: "Die
Notwendigkeit zu handeln, so die Forscher, sei groß." (1). Damit wird
die Politik gleich ein zweites mal entschuldigt. Die Politik müsse
endlich aktiv werden - ganz so als ob Elend und Tot der Flüchtlinge
nicht Folge von Natopolitik und Welthandel, Freihandelszonen und Frontex
wären. So werden die Herrschaften nicht mehr für ihre Aktivität
kritisiert, sondern für ihre Passivität angeklagt. Liegt im ersteren das
Potenzial sich einmal Wirkung und Werk der Staaten zu erklären und zu
einer begründeten Gegnerschaft gegen Nation & Kapital überzugehen,
liegt im zweiten der Aufruft begründet, der Staat solle die Welt einmal
richtig ordnen dann käme es nicht zu den elendigen
Flüchtlingsverhältnissen. In Deutschland, im Jahr 2014 wird deshalb
selbst von Linken die Regierung aufgefordert mehr Flüchtlinge
aufzunehmen, statt sich einmal zu erklären, warum es Flüchtlinge gibt
und warum Deutschland so viele sterben lässt.
Mehr auf www.keinort.de
(1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-fluechtlingspolitik-migrationss...
(2) Walter Benjamin, VIII These "Über den Begriff der Geschichte; Illuminationen, Frankfurt: Suhrkamp Seite 255
(3) http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/welthungerhilfe-welthunger-ind...
(4) Siehe auch meinen Kommentar zu einem anderen Artikel von Popp zum Thema Flüchtlinge (http://keinort.de/?p=557)