»Marsch für das Leben«? What the Fuck!

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Für kommenden Samstag, den 20. September, mobilisiert der Bundesverband Lebensrecht  (BvL) erneut zu einem »Marsch für das Leben« nach Berlin. Erklärtes Ziel der Teilnehmenden ist ein generelles Verbot von Schwangerschafts-Abbrüchen. Im Folgenden wollen wir einen kurzen Überblick über Inhalte, Aktionsformen und ProtagonistInnen der selbsternannten »Lebensschutz«-Bewegung geben, sowie nochmal auf die anstehenden Gegenproteste in Berlin hinweisen.
 
Die »Lebensschutz«-Bewegung

Kritik an und Agitation gegen Schwangerschaftsabbrüche existiert in Deutschland seit den späten 1960er Jahren, wobei die dahinter stehende Bewegung mit den Kämpfen und (Teil-)Erfolgen der feministischen Bewegung für die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung in die Defensive geriet. Überschneidungen der LebensschützerInnen mit der extremen Rechten wurden bekannt und die entsprechenden Gruppen waren als christliche FundamentalistInnen stigmatisiert. Dies änderte sich erst wieder in den letzten Jahren, seit verstärkt auf ein gutes Image und die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit geachtet wird, was sich zum Beispiel in einer entradikalisierten Sprache ausdrückt. Zudem hat die »Lebensschutz«-Bewegung ihr Themenspektrum ausgeweitet: Die Gruppen engagieren sich seit einigen Jahren nicht nur gegen Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch gegen  Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik (PND) und die damit verbundenen Selektionseffekte, sowie gegen die Sterbehilfe, die sie  als »Euthanasie« bezeichnen. [1] Insgesamt wird sich der Anstrich einer überkonfessionellen und überparteilichen Bewegung gegeben.

Dabei  dient den LebensschützerInnen das Thema Schwangerschaftsabbruch als Vehikel, um ein national-konservatives, heteronormatives Weltbild zu propagieren. Dieses basiert auf einer strikten Sexualmoral, bei der richtige Sexualität nur solche ist, die »verantwortungsvoll« ausgeübt wird. Damit ist Sexualität zu lediglich reproduktiven Zwecken gemeint und zudem nur zwischen heterosexuellen Cis-Männern und Cis-Frauen [2]. In der Folge treten die LebensschützerInnen für eine Familienpolitik ein, die zurück zur traditionellen Familien und Rollenverteilung will: Cis-Frauen nur als Mütter und Cis-Männer als »Versorger«.

Die Aktionsformen der LebensschützerInnen sind hingegen vielschichtig. Einerseits wird auf lokaler Ebene Arbeit geleistet, zum Beispiel durch vermeintliche, mitunter gut getarnte Beratungsstellen, welche allerdings keinen Beratungschein, der für eine Abtreibung notwendig ist, ausstellen. Auch wurden sogenannte »Gehsteigberatungen« durchgeführt. Dabei werden schwangere Personen vor Beratungsstellen angesprochen und sollen überzeugt werden, keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Andererseits wird aber auch auf politischer Ebene Lobbyarbeit betrieben. Erst im Mai scheiterte die Initiative »Einer von uns« auf europäischer Ebene, für die nach eigenen Angaben knapp 1,9 Millionen Unterschriften gesammelt worden waren und sich auch der amtierende Papst als offizieller Botschafter hergab. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die LebensschützerInnen gut mit dem  hiesigen politische Establishment vernetzt sind. So gab es zum Beispiel auf dem letztjährigen  »Marsch für das Leben« auch Grußworte von Volker Kauder, dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, und Hubert Hüppe, bis Anfang dieses Jahres Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen.

»Märsche für das Leben«?
Um als Bewegung in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein, werden jährlich mehrere Demonstration unter dem Titel »Marsch für das Leben« durchgeführt, unter anderem in Annaberg-Buchholz, München, Fulda, Münster und Freiburg. Auch international existieren in vielen Ländern ähnliche Events. Den Höhepunkt im deutschsprachigen Raum stellt der »Marsch für das Leben«  in Berlin dar, welcher seit 2002 durchgeführt wird. Während es zunächst nur einige Hunderte waren, beteiligten sich vergangenes Jahr mehr als 4000 Menschen. Die Teilnehmenden kommen aus allen Spektren der »Lebensschutz«-Bewegung, von biederen BürgerInnen, fundamentalistischen ChristInnen bis hin zu Personen aus der neurechten Szene.

Die Veranstaltung wird vom Bundesverband Lebensrecht (BvL), einem Zusammenschluss verschiedener Gruppen, organisiert. Für die circa einstündige Auftaktkundgebung vor dem Marsch wird extra eine Bühne aufgebaut, auf der Redebeiträge und Musik zu hören sind. Es wird professioneller Pressearbeit betrieben, sowie für das gesamte Wochenende ein religöses und kulturelles Rahmenprogramm angeboten. Aus zahlreichen deutschen Städten und letztes Jahr auch aus Polen gibt es Sonderbusse. In der Vergangenheit konnten Teilnehmende durch eine Kooperation mit der deutschen Bahn auch verbilligte Zugtickets in Anspruch nehmen. [3]

Von christlich-»konservativ« bis ganz nach rechts
Bei den selbsternannten LebensschützerInnen handelt es sich um eine sehr heterogene Bewegung. Gerade dieser Umstand macht sie jedoch auch gefährlich, denn reaktionäre und rechte Teile des Spektrums stehen unwidersprochen mit vergleichsweise liberalen Teilen nebeneinander, da nur das gemeinsame Ziel vor Augen ist. Nach Außen wird versucht ein eher harmloses Bild abzugeben. Ein gutes Beispiel dafür ist Martin Lohmann, der Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht. Er trat 2013 aus der CDU aus, da sie ihm nicht mehr zu Genüge christliche Werte vertrete, wie er kurz darauf in einem Interview mit der neurechten Jungen Freiheit verkündete. Er war bereits mehrfach Gast in einigen Fernseh-Talkshows und versuchte dort eher moderat aufzutreten. Letztlich verlor er aber durch seine homophoben und antifeministischen Äußerungen [4][5] in der Sendung »Hart aber Fair« seine Beschäftigung als Dozent an einer privaten Hochschule in Köln.

Auch die Alternative für Deutschland versucht sich in Konkurrenz zum rechten Spektrum von CDU/CSU bei der Frage um Schwangerschaftsabbrüche und der Propagierung eines konservativen Familienbildes immer stärker zu profilieren, wobei jedoch innerparteilich bisher noch kein Konsens besteht. Die sächsische Spitzenkandidatin der AFD, Frauke Petry, tönte zum Beispiel in der Neuen Osnabrücker Zeitung: »Die deutsche Politik hat eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicherzustellen«. Weiter setze sie sich für eine »Volksabstimmung« für die Verschärfung des Paragrafen 218 ein und forderte, dass eine »deutsche« Familie drei Kinder habe solle.

Eine weitere bekannte Protagonistin aus den Reihen der AFD ist die frisch gewählte Europaparlamentsabgeordnete Beatrix von Storch. Medienwirksam lief sie im vergangenen Jahr auch in der ersten Reihe des »Marsch für das Leben« mit. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, Sven von Storch, sitzt sie im Vorstand von Zivile Koalition e.V. Dieser ist auch für die bereits erwähnte europäische Initiative »Einer von uns« verantwortlich und wird als Unterstützer auf der Webseite des »Marsch für das Leben« geführt. Erklärtes Ziel ist Lobbyarbeit für diverse national-konservative Themen, insbesondere auch in der Familienpolitik. Ein Ableger des Vereins, die Initiative Familienschutz, organisierte und professionalisierte zum Beispiel maßgelich die Proteste in Baden-Würtemberg gegen die Aufnahme  des Schwerpunkts »Akzeptanz sexueller Vielfalt« in den Lehrplan.

Natürlich finden sich in den Reihen der LebensschützerInnen noch weitaus radikalere Hardliner. So ist im Bundesverband für Lebensrecht auch die Organisation Pro Conscientia e.V. Mitglied, die in der Vergangenheit mit reaktionären und rassistischen Veröffentlichungen auffiel.  Deren Vorsitzender Hermann Schneider schrieb in einem Artikel, der in der Vereinszeitung »Mitwissen Mittun« 2012 veröffentlicht wurde:  »Viele Moslems [...] fühlen sich von Allah berufen, uns auszurotten.«  Solch hetzerischen Artikel sind in der Vereinszeitung kein Einzelfall. Artikel über die »Ausrottung des Christentums in der islamischen Welt«  tauchen in der »Mitwissen Mittun« des Öfteren auf,  unter anderem von Personen wie Werner Olles, der als Autor für  die Neue Rechte bekannt ist .

Auch auf dem »Marsch für das Leben« selbst wird reaktionäres Gedankengut  verbreitet. Bei der Kundgebung des Marsches 2013 verglich die Vortragende Karin Fenbert, Vorsitzende von Kirche in Not e.V., die  Abtreibungspolitik der Kommunen mit dem Holocaust, indem sie diese einen  »kommunale[n] Verbrennungsofen, in dem die Spuren des Kindermordes verwischt werden« nannte. Weiter führte sie in ihrer Rede aus: »Was denkt Gott über die christlichen Völker, die in den letzten Jahren durch ihre Abgeordneten oder sogar durch Volksentscheid eine Reihe von Tötungsparagraphen zum Gesetz erhoben haben«. Es lässt sich also konstatieren, dass antidemokratisches und verschwörungstheoretisches Gedankengut beim Marsch für das Leben geduldet und verbreitet wird.

My body - my choice!
Es ist sicherlich deutlich genug geworden, warum wir mit diesen selbsternannten LebensschützerInnen ein großes Problem haben. Durch die stetig zunehmende Beteiligung an ihren öffentlichen Aktionen, gute Kontakte in das politische Establishment und eine agressive Lobbypolitik stellen sie eine reale Gefahr für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung dar. Wir rufen deshalb dazu auf, sich an den Gegenprotesten zu beteiligen. Kommt zunächst zu unserer Demonstration um 11.30 Uhr am U-Bhf. Kochstraße. Wir ziehen dann gemeinsam in Richtung Regierungsviertel. Anschließend besteht die Möglichkeit, den Protest direkt an die Auftaktkundgebung des Marsches zu tragen. Allerdings wollen wir in diesem Jahr zum ersten Mal auch eine Blockade durchführen, da der eher vereinzelte Protest der vergangen Jahre der Relevanz der Veranstaltung nicht mehr angemessen erscheint. Haltet bezüglich eines Treffpunktes für die Blockade Augen und Ohren auf der Demonstration offen, dieser wird dort bekannt gegeben. Zusätzliche Infos werden auch noch vor dem Wochenende von uns veröffentlicht.

Antifeminismus sabotieren!
Für körperliche Selbstbestimmung demonstrieren!
Christliche FundamentalistInnen blockieren!

Weitere Infos zu den Protesten findet ihr unter whatthefuck.noblogs.org

[1] Analyse &Kritik 597, http://www.akweb.de/ak_s/ak597/26.htm
[2] Cis ist die  Bezeichnung für Personen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, im Gegensatz zu Trans* (Menschen die sich nicht  mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde). Der Begriff Cis wird verwendet, um dies sichtbar zu machen und dadurch trans* nicht immer als  Abweichung von einer vermeintlichen Norm darzustellen.
[3] TAZ, http://www.taz.de/!96508/
[4] Lohmann bei Martin Lanz: https://www.youtube.com/watch?v=IiaT1IsVsMk
[5] Martin Lohnmann bei »Hart aber Fair«: https://www.youtube.com/watch?v=Yxa5UTyxnYY

Um sich eingehender mit der Thematik zu beschäftigen, verweisen wir auf das kürzlich um Unrast-Verlag erschienene Buch »Deutschland treibt sich ab«.