„Die Antifa hat es mit viel Mühe geschafft, auf den Straßen dominant zu sein.“

Erstveröffentlicht: 
11.09.2014
Interview mit Aris Meligalas vom griechischen Kollektiv becollective auf Kreta

 

Wie treten Chrysi Avgi oder auch andere faschistische Bewegungen in Griechenland derzeit auf?


Neben der Χρυσή Αυγή / Chrysi Avgi (C.A.) gibt es zur Zeit keine anderen faschistischen Bewegungen, zumindest wenn wir den Ausdruck Bewegung ernst nehmen wollen. Es gibt verschiedene rechtskonservative Formationen am Rande, die sind aber kaum erwähnenswert. Phänomene wie die Autonomen Nationalisten gibt es nicht (mehr). Im Großen und Ganzen hat sich Χρυσή Αυγή (C.A.) alles Faschistoide und Nationalistische, was es im Land gibt, einverleibt: MonarchistInnen, Militaris­tInnen, Kollaborateure des 2 Weltkrieges, AnhängerInnen der Diktatur, RassistInnen u.s.w.
Erwähnenswert ist, dass die Nea Dimokratia, die führende Regierungspartei, schon während der letzten Wahlen (2012) einen großen Teil der Agenda von Χρυσή Αυγή (C.A.) übernommen hat, um das Leck ihrer auslaufenden Wählerschaft zu dämmen. Das ist insofern ein Fehler gewesen, da die extrem rechten WählerInnen dann doch lieber das Original vorziehen.  

 

Hat sich im Auftreten von Χρυσή Αυγή / Chrysi Avgi etwas geändert, seitdem nach dem Mord an Pavlos Fyssas im vergangenen Herbst wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen sie ermittelt wird, und ein Parteiverbot im Raum steht?

Ja, hier hat sich schon ziemlich viel verändert. Es ist aber wichtig, noch einen Faktor einzubinden und das wäre die Exekution der zwei Mitglieder von Χρυσή Αυγή (C.A.) in Neo Iraklio im letzten Winter. Von dem militanten „wir machen alle platt“-Gehabe ist nicht mehr viel übrig. Die seriöse Opferrolle, die die Partei zur Zeit spielt, ist da viel passender und wahrscheinlich auch clever, da es der Χρυσή Αυγή (C.A.) bisher nicht gelingt, ihre (beeindruckend stabile) Wählerschaft (zwischen 8 und 15 Prozent) zu mobilisieren.

Während der Repressionswelle standen kaum mehr als ein paar hundert Leute dem in Handschellen abgeführten Parteiführer zur Seite. Die Exekution der zwei Mitglieder von Χρυσή Αυγή (C.A.) Anfang November 2013 hat auch nicht mehr AnhängerInnen auf die Straße bringen können. Am jährlichen Aufmarsch Ende Januar 2014 nahmen auch nicht mehr als 2000 Leute teil. Andererseits kann die Χρυσή Αυγή (C.A.) ihren schwer angeschlagenen, paramilitärischen Apparat kaum einsetzen, da das ein gefundenes Fressen für die Staatsanwaltschaft und das Oberste Gericht wäre, um die Partei zu verbieten.  

Die Strategie von Χρυσή Αυγή (C.A.) ist einfach und wahrscheinlich auch effektiv: Die Situation aussitzen und auf das Gerichtsverfahren vorbereiten, denn am wahrscheinlichsten ist, dass die meisten der führenden Mitglieder wieder freigelassen werden, da das Beweismaterial nicht stabil genug ist.
Die Angriffe auf Emigrant_innen, Linke und anarchistische Strukturen haben im Großen und Ganzen aufgehört. Ausnahme war eine Mobilisierung Ende Januar 2014 im Stadtteil von Keratsini in Athen, wo eine Demo von 100 Neonazis die Gedenktafel an der Stelle, wo Pavlos Fyssas ermordet wurde, demolierte, die anarchistische Struk­tur Resalto angriff und dort die Fensterscheiben einschlug.

Um noch mal auf die Exekution zurückzukommen: Der größte Teil der Linken und Anarchist_innen hatte große Schwierigkeiten, die Aktion als notwendig und politisch korrekt in der Öffentlichkeit zu vertreten. Die Debatte führte bald zu der beliebten Theorie der Provokation, die sogar so weit ging, dass vermutet wurde, der Anschlag sei von den Neonazis selbst durchgeführt worden, um die Opferrolle zu unterstreichen. Fakt ist, dass der größte Teil der Χρυσή Αυγή (C.A.) von der Exekution extrem eingeschüchtert wurde, der befürchtete Vergeltungsanschlag blieb auch aus.

 

Wie würdest du generell den staatlichen Umgang mit Χρυσή Αυγή / Chrysi Avgi bewerten?

Vor nicht allzu langer Zeit gab es einen Skandal, als ein Ratgeber des Präsidenten (P. Baltakos), ein bekannter Rechter, sich mit I. Kasidiaris (Sprecher der C.A. und Bürgermeisterkandidat in Athen) über die Festnahmen unterhielt, ohne zu wissen, dass Kasidiaris ihn mit einer versteckten Kamera aufgenommen hatte. Da wird von Baltakos unter anderem erwähnt, dass der Justizminister und der Minister für Öffentliche Sicherheit die zuständigen StaatsanwältInnen, die die Akte Χρυσή Αυγή (C.A.) in den Händen hatten, unter Druck gesetzt haben, um die Führung der Partei in Gewahrsam zu nehmen, obwohl es keine handfesten Beweise gibt.

Das Hauptziel war also, die Zustimmungsquoten von Χρυσή Αυγή (C.A.) zu drücken, da diese total außer Kontrolle geraten sind, und die Partei immer selbstbewusster wurde. Das geht so weit, dass sie sogar als drittstärkste Partei im nächsten Parlament sein könnte und das will wirklich niemand - jeder aus anderen Gründen natürlich. Tatsache ist, dass die ganze Aktion ein Schuss nach hinten wird, denn die Quoten steigen, und da wird es schwierig, sehr schwierig, die Χρυσή Αυγή (C.A.) zu verbieten und ihre Führung hinter Gittern zu halten.

Es gab eine Zeit (vor dem Mord an Fyssas), wo man in der Nea Dimokratia ernsthaft überlegte, eine Koalition mit Χρυσή Αυγή (C.A.) einzugehen. Da dies aber auf internationaler Ebene nicht toleriert würde und im Land sicher zu einer Eskalation geführt hätte, hat man sich dann doch entschieden, die heiße Kartoffel der Justiz zuzuwerfen.

 

Kann man sagen, dass die Χρυσή Αυγή (C.A.) mittlerweile isoliert ist, oder hat sie noch irgendwelche Netzwerke oder Unterstützung außerhalb der Parteistrukturen?

Das ist zur Zeit schwer zu beantworten. Wir haben kein Bild vom Netzwerk der Χρυσή Αυγή (C.A.) in Polizei und Armee, von ihren Geldgebern u.s.w. In den Medien hört man nicht viel, die Partei selbst hält ihre Karten verdeckt. Es ist aber anzunehmen, dass die Χρυσή Αυγή (C.A.) in aller Stille dieses Netzwerk weiter ausbaut. Die Frage ist, inwieweit die drittstärkste Partei im Parlament überhaupt isoliert sein kann.    

 

Was bedeutet der rasante Aufstieg von Χρυσή Αυγή / Chrysi Avgi und ihre Präsenz auf der Straße für die linke Bewegung in Griechenland und auf Kreta?

Es ist notwendig, eine Trennung zwischen dem Aufstieg (Wahlstimmen) und der Präsenz auf den Straßen zu machen, denn die gleichen sich zum Glück nicht aus: Wenn die Präsenz auf gleicher Ebene wäre wie die Wahlergebnisse, dann... Adieu.

Die Antifa hat es mit viel Mühe und auch so manchen Niederlagen trotzdem geschafft, auf den Straßen dominant zu sein. Ohne Polizeischutz würde die Χρυσή Αυγή (C.A.) sich nie trauen aufzutauchen, und das gilt für fast ganz Griechenland, mit Ausnahme von ein, zwei Stadtteilen in Athen. Das klingt vielleicht etwas optimistisch, und es kann sich sicher auch wenden.

Hier muss man dazu sagen, dass es eine Phase vor und eine nach dem Mord an Fyssas gibt: Vor dem Mord litten am meisten die Migrant_innen, seit dem Mord ist die Χρυσή Αυγή (C.A.) kaum noch existent auf den Straßen. In den letzten Wochen gab es täglich Konfrontationen, als die Χρυσή Αυγή (C.A.) versuchte, Wahlkampagnen durchzuführen. In Kreta hat es die Χρυσή Αυγή (C.A.) nie geschafft, öffentlich ohne massiven Polizeischutz aufzutreten, und sogar dann waren sie nicht sicher.

 

Wie sieht die antifaschistische Gegenbewegung auf Kreta aus? Wie lässt sich das Verhältnis der Antifa auf Kreta zur Bevölkerung oder auch anderen linken Gruppen beschreiben — gibt es da eine Solidarisierung oder punktuelle Zusammenarbeit?

Die Antifa auf Kreta ist auf drei Gebieten tätig: Der Aufklärung, der „Feuerwehrpolitik“, also die Faschisten nicht ungestört öffentlich auftreten zu lassen und sie zu konfrontieren, wenn sie es versuchen, und als drittes das Pressing, also bestimmten Mitgliedern von Χρυσή Αυγή (C.A.) das Leben schwer zu machen.

Die Antifa besteht zum größten Teil aus Gruppen und Personen der antiautoritären Bewegung und ein paar Gruppen der außerparlamentarischen Linken und ist in allen großen Städten der Insel präsent. Auf Kreta fand die Χρυσή Αυγή (C.A.) bis jetzt wenig Anklang, antifaschistischer Kampf hat hier Geschichte, an die man anknüpfen kann. Die überwiegend demokratische Einstellung der Bevölkerung machte es möglich, gemeinsam gegen die Faschisten zu kämpfen, und das mit großem Erfolg, sowohl in den Städten als auch in den Dörfern. Es ist natürlich nicht alles rosig, aber im Großen und Ganzen ist die Situation unter Kontrolle.

 

Gab und gibt es eine Zusammenarbeit bzw. gegenseitige Unterstützung zwischen antifaschistischen Strukturen und Migrant_innen in Bezug auf die C.A.?

Nicht so wirklich. Mit Ausnahme der linken Gruppe K.E.R.F.A, die da gute Arbeit geleistet hat. Mehr darüber unter www.antiracismfascism.org. Mit ein bißchen Geduld findet man da auch Texte auf Englisch. Sehr interessante Infos und Dokumentationen über Rassismus, Χρυσή Αυγή (C.A.) und die Krise gibt es unter http://crisis-scape.net/.

 

Vor welchen Schwierigkeiten steht ihr momentan?

Was die Antifa in Kreta angeht, ist derzeit unsere größte Schwierigkeit, eine gemeinsame Analyse und Strategie für die Zukunft auszuarbeiten und gleichzeitig die Sache warm zu halten, da es von Seiten der Χρυσή Αυγή (C.A.) kaum Regung gibt. Nur Wenige haben wirklich Lust, sich mit Antifakram zu beschäftigen.    

Und noch etwas ganz anderes: Ein interessanter Punkt war die Stellungnahme der Χρυσή Αυγή (C.A.) zu den Entwicklungen in der Ukraine und der rechten Revolte in Kiew. Sie war unerwartet distanziert am Anfang und am Ende sogar verurteilend.

Hier (www.youtube.com/watch?v=nJk3pu KHMjU) ein Link mit einer Erklärung von Χρυσή Αυγή (auf Englisch). Es wäre interessant, die Haltung der anderen europäischen Faschisten zu dem Thema zu vergleichen und zu erforschen, wie die Beziehungen zwischen ihnen und ihren Kameraden in Osteuropa so aussehen. Das könnte sich in der Zukunft als sehr hilfreich erweisen.