Die Stadt der Vergewaltiger

Erstveröffentlicht: 
13.09.2014

«Die ganze Gang verging sich an mir» 13. September 2014 20:18; Akt: 13.09.2014 20:18 Print Die Stadt der Vergewaltiger von K. Leuthold - Im kolumbianischen Buenaventura müssen Frauen ständig mit brutalen Übergriffen und Misshandlungen rechnen. Bis die «Schmetterlinge» auftauchen.

 

Es braucht Mut, um in Buenaventura eine Hilfsorganisation für Frauen aufzubauen. Doch genau das haben Gloria Arboledo, Maritza Asprilla und Mery Medina in der kolumbianischen Hafenstadt getan: Sie gründeten im Jahr 2008 das Kollektiv «Red Mariposa» (Netzwerk der Schmetterlinge), das vertriebene und misshandelte Frauen unterstützt. Dieses Jahr zeichnet sie das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mit dem Nansen-Preis aus.

 

Laut dem jüngsten Bericht der Organisation Human Rights Watch ist Buenaventura die gefährlichste Stadt Kolumbiens. Die meisten Bewohner leben unter ärmsten Bedingungen. 5000 Menschen wurden im Jahr 2013 aus der Stadt vertrieben, Opfer eines Krieges zwischen zwei kriminellen Banden. Besonders schwer trifft es die Frauen: Viele werden Opfer sexuellen Missbrauchs oder Misshandlungen.

 

«Sie haben Rechte»

 

Bevor die «Schmetterlinge» kamen, haben diese Frauen im Stillen gelitten. «Man durfte keinem erzählen, dass man vergewaltigt wurde, weil man sofort stigmatisiert wurde», sagt die 44-jährige Maritza Asprilla im Gespräch mit 20 Minuten. «Wir aber hören den Frauen zu. Wir hüten ihre Geheimnisse und zeigen ihnen, dass sie nicht alleine sind.»

 

Über ihre Arbeit erzählt die 53-jährige Gloria Arboledo: «Wir klären die Opfer über ihre Rechte auf.» Gewalt gegen Frauen herrsche nicht nur auf den Strassen, sondern auch in der Familie oder bei der Arbeit. «In Kolumbien leben wir in einer ausgeprägten Macho-Gesellschaft», so die Frauenaktivistin.

 

Kurse und Rollenspiele sollen helfen

 

Die Treffen hält die Organisation hinter verschlossenen Türen ab. «Wir wurden schon mehrmals bedroht und leben in ständiger Gefahr», sagt Arboledo. Polizeischutz will sie aber nicht. «Wir passen lieber aufeinander auf.»

 

Bei «Red Mariposa» arbeiten inzwischen 120 Aktivistinnen. «Wir führen etwa Kurse durch, damit die Frauen einen Job finden können.» Eine weitere Aktivität ist das Nachstellen von Gewaltsituationen. In Rollenspielen lernen die Frauen, wie sie sich verhalten können. «Viele identifizieren sich damit», erklärt Maria Liu. 

 

Aktivistinnen waren selber Opfer

 

Wie alle anderen Mitglieder von «Red Mariposa» lernte Liu die Organisation zunächst als Opfer kennen. «Eine Drogengang hat vor 15 Jahren meinen Ehemann vor den Augen unserer sechs Kinder ermordet. Ich musste aus meinem Dorf fliehen.» Seither lebt sie in Angst: «Ich bleibe nie lange an einem Ort.»

 

Nicht weniger furchtbar ist die Geschichte von Luz Santiesteban. Im Jahr 1995 setzte eine Rebellengruppe ihr Dorf in Brand. «Von einer Minute zur anderen hatte ich alles verloren.» Santiesteban zog nach Buenaventura, baute dort mit ihren vier Kindern ein neues Leben auf. Sie betreute Opfer des Guerrilla-Krieges – bis im Jahr 2004 ein erneuter Schicksalschlag ihr Leben verändern würde: Eine Bande drang in ihr Haus ein und drohte, ihre zehnjährige Tochter zu vergewaltigen.

 

Santiesteban stellte sich vor ihr Kind. «Einer nach dem anderen vergingen sie sich an mir, während jemand eine Pistole an meinen Kopf hielt», erinnert sich die Frau. Ihr Ehemann verliess sie nach dem Übergriff. Mithilfe von «Red Mariposa» ging Santiesteban mit ihrem Fall zur Justiz. «Es fühlte sich an, als hätte ich mir ein Krebsgeschwür aus dem Leib gerissen». Bis heute wurden die Männer, die sie missbrauchten, nicht verurteilt. Santiesteban sagt dazu: «Ich glaube an die Gerechtigkeit Gottes».