Dresdner Gedenkzirkus erhält juristischen Dämpfer

Protest Heidefriedhof 2011

Letztlich kam es, wie es kommen musste. Auch an jenem Ort, an dem Jahr für Jahr Nazis und Verantwortliche der Stadt gemeinsam mit einigen wenigen Bürgerinnen und Bürgern in Erinnerung an die Bombardierung Dresdens Kränze niederlegen, ist antifaschistischer Protest von der in Artikel 8 des Grundgesetzes festgeschriebenen Versammlungsfreiheit gedeckt.

 

Das entschied die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe im Fall einer Verfassungsbeschwerde. Das Dresdner Amtsgericht hatte im November 2012 das vom Ordnungsamt der Stadt Dresden gegen den Beschwerdeführer und drei weitere Personen für ihren Protest auf dem Heidefriedhof verhängte Bußgeld in Höhe von 150 Euro wegen “Störung der Friedhofsruhe” und einer “Belästigung der Allgemeinheit” (§ 118 Abs. 1 OWiG) bestätigt. Auch eine anschließende Beschwerde vor dem Dresdner Oberlandesgericht war ohne Erfolg geblieben.

 

Hintergrund des heute ergangenen Urteils war eine Aktion auf dem Dresdner Heidefriedhof am 13. Februar 2012, damals hatten mehrere Menschen während der offiziellen Trauer- und Gedenkveranstaltung der Stadt ein Transparent entrollt, auf dem die Veranstaltung als “Gedenkzirkus” kritisiert worden war. In den Augen des Gerichtes sei jedoch auch ein provokatives Auftreten zu gesellschaftlichen Themen auf öffentlich frei zugänglichen Versammlungen vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt.

 

Zwar beinhaltet die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu jedem beliebigen Ort, gleichzeitig wird eine Durchführung von Versammlungen allerdings genau dort für möglich erachtet, wo wie im vorliegenden Fall ein “kommunikativer Verkehr” eröffnet wurde. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof über ein privates Gedenken hinaus ging. Vielmehr habe der als “Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt” angemeldete Gedenkzug eine “Auseinandersetzung mit gesellschaftlich bedeutsamen Themen” erkennen lassen.

 

Kritik übte das Verfassungsgericht an der Entscheidung des Amtsgerichtes, welches weder den “Schutzbereich der Versammlungsfreiheit” noch eine eine “verfassungsrechtlich notwendige Abwägung in der Sache” richtig erkennen wollte. Eine Veranstaltung nach Artikel 8 des Grundgesetz, so das Gericht, bedarf jedoch keiner Genehmigung oder Anmeldung.

 

Darüber hinaus sei es fraglich, ob eine Verurteilung wegen “Belästigung der Allgemeinheit” überhaupt gerechtfertigt wäre. Während eine Verurteilung nach § 118 Abs. 1 OWiG und dem Bezug auf eine “öffentliche Ordnung” gekennzeichnet ist, “welche auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird”, wurde vom Amtsgericht eine Entscheidung gefällt, ohne die Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers in seine Entscheidungsfindung miteinzubeziehen.

 

Das Urteil aus Karlsruhe und dessen direkte Kritik am fehlenden Grundrechtsverständnis Dresdner Gerichte macht einerseits noch einmal deutlich, wie notwendig antifaschistischer Protest im Freistaat ist, andererseits zeigt es aber auch, mit welchem Ermittlungseifer in Sachsen gegen all jene vorgegangen wird, die eine Kritik am offiziellen politischen Kurs üben. Die Aussicht, dass sich daran nach den Landtagswahlen Ende August etwas ändert, sind düster. Denn während die seit 20 Jahren nahezu allein regierende CDU aktuellen Wahlumfragen zufolge künftig auf ihren derzeitigen Koalitionspartner verzichten muss, dürfte sich an der auch formal schon vor längerer Zeit beschlossenen antidemokratischen Drohkulisse mit dem bevorstehenden Einzug der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) kaum etwas verbessern.

 

Eine erste Bewährungsprobe folgt schon im November, dann nämlich soll vor dem Gericht, welches den Protest auf dem Heidefriedhof kriminalisieren wollte, der im Juli 2013 geplatzte Prozess gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König neu aufgerollt werden. Für den Prozess hat das Gericht neun Verhandlungstage angesetzt.

 

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