Aktivisten überklebten am 20. Juli Schilder in Tempelhof und Charlottenburg – als Aktion gegen Militarismus. Die betroffenen Bezirke halten die Kritik für unangebracht.
In der Nacht zum 20. Juli waren sie hellwach: Unbekannte Aktivisten
überklebten Straßenschilder im sogenannten „Fliegerviertel“ in Tempelhof und an
mehreren Straßen in Charlottenburg. Ziel in Tempelhof waren die Schilder am
Bäumerplan, in der Boelckestraße, Hoeppnerstraße,
Manfred-von-Richthofen-Straße, Rumeyplan, am Siegertweg, Werner-Voß-Damm, in
der Wintgensstraße und der Wüsthoffstraße. Sie alle sind nach Jagdfliegern aus
dem Ersten Weltkrieg benannt. Kontrovers an der Benennung ist unter anderem,
dass sie durch die Nationalsozialisten vorgenommen und seitdem nicht geändert
wurde.
In ihrer Bekanntmachung auf der linken Nachrichtenplattform „Indymedia“ und auf
einem Plakat, das unter jedem überklebten Schild angebracht wurde, kritisieren
die Überkleber unter dem Decknamen „StaßennamendemilitarisiererInnen“ diese
Namensgebung und bezeichnen sie als „kriegsverherrlichend“.
Nicht alle zufrieden
In Charlottenburg überklebten die Aktivisten Schilder am Friedrich-Olbricht-
Damm, Goerdelerdamm und Klausingring, allesamt Straßen, die nach Mitgliedern
des Widerstands des 20. Juli benannt sind. Auch diese Persönlichkeiten sind für
die Militarismusgegner problematisch, denn schließlich hätten selbst die
Widerstandskämpfer die Nationalsozialisten unterstützt und teilweise auch
antisemitisches Gedankengut gehabt, so die Argumentation der Aktivisten.
Zu Carl Friedrich Goerdeler etwa schreiben sie in ihrer Bekanntmachung, dass er
judenfeindliche Positionen vertreten habe, und zitieren einen Aufsatz von 1944,
in dem er schreibt, man müsse „aber auch die große Schuld der Juden betonen,
die in unser öffentliches Leben eingebrochen waren in Formen, die jeder
gebotenen Zurückhaltung entbehrten“. Die Stadträtin für Hochbau im Bezirk
Charlottenburg-Wilmersdorf, Dagmar König (Grüne), weist solche Vorwürfe zurück.
Die studierte Historikerin nennt den Vorfall „ärgerlich“. „Man muss die
Personen aus ihrer Zeit heraus interpretieren“, so ihre Meinung zu der Kritik
von links, den sie erst für einen Anschlag rechter Aktivisten hielt. Natürlich
hätten viele Widerstandskämpfer einen militärischen Hintergrund gehabt und
damit die Nazis zunächst unterstützt. „Das kann man auch differenziert
diskutieren, aber solche Formen sind indiskutabel.“ Das Tiefbauamt beseitigte
die Aufkleber am Dienstag. Der Bezirk erwägt eine Strafanzeige. In Tempelhof
wurden die Aufkleber bis Mittwoch beseitigt. Der Bezirk beauftragte eine
Vertragsfirma mit der Überprüfung und Entfernung. Eventuell müssten einige
Schilder wegen nicht entfernbarer Silikonreste ganz ausgetauscht werden, heißt
es aus dem Bezirksamt. Der Bezirk hat bereits Strafanzeige gegen unbekannt erstellt.
Aktion mit Tradition
Überklebeaktionen haben Tradition in Berlin: Manchmal sind sie
politisch-kritisch, wie im Afrikanischen Viertel in Wedding, wo 2010 die Namen
afrikanischer Länder, Städte und deutscher Kolonialherren mit Namen
afrikanischer Persönlichkeiten wie etwa des ersten kongolesischen Präsidenten
Patrice Lumumba überklebt wurden. Oder sie sind kreativ-verspielt, wie bei der „Neuschwabenberg-Aktion“
2013, als Unbekannte Straßen in Prenzlauer Berg in „Sträßle“ und „Gässle“
umbenannten.
Der Pankower Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) findet solche Aktionen „pubertär“,
kann aber sonst über überklebte Straßenschilder nicht klagen. Im früheren
Ost-Berliner Bezirk wurden viele Namen nach dem Krieg und später nach der Wende
geändert.