Imperium schlägt zurück

Baskenland: Imperium schlägt zurück

Der Erfolg, den der Politologe Pablo Iglesias und die neue Partei PODEMOS (Wir können) bei den Europa-Wahlen eingefahren haben, war so spektakuär und unerwartet, dass er bei vielen Vertretern der herrschenden Politikerkaste Fracksausen verursachte. Gegründet wurde PODEMOS von Aktivist/innen der Massenbewegung 15M aus dem Jahr 2012, die den gesamten Staat (und andere Länder) in Unruhe versetzt hatte, als Protest gegen die Folgen der Krise und das Versagen demokratischer Systeme.

 

Ohne Wahlkampf wurde PODEMOS zwischen Alicante und Bilbao teilweise zur drittstärksten Kraft, mit Ergebnissen von 10 bis 20% und hat nun 5 EU-Abgeordnete. Iglesias als führender Kopf und mediale Figur wurde und wird nicht müde, seine Konzepte von radikaler Demokratie zu verbreiten und läßt an der herrschenden Klasse kein gutes Haar. Dass er sich damit angreifbar macht, war klar, denn wer Angriffspunkte sucht, findet sie immer. So erlebt PODEMOS momentan den medialen Rückschlag der Gescholtenen und der Kommunikationsmedien, die gerne auf der repressiven Welle schwimmen.

 

Auch nach dem überraschen Wahlerfolg hat Pablo Iglesias schlagzeilenträchtige Statements gemacht zu aktuellen politischen Ereignissen. Zur baskischen Menschenkette für das Recht auf Selbstbestimmung vom 8.Juni, zum Beispiel, merkte er an, diese Forderung habe wenig mit Nationalismus zu tun, vielmehr sei es eine überaus demokratische Forderung, denn überall in allen Fragen solle die Gesellschaft entscheiden. Und schon war er in der nationalistischen Ecke, was möglicherweise auch einigen seiner spanischen Wähler/innen nicht gefallen haben dürfte. Dabei hatte er sich um argumentative Genauigkeit bemüht und gesagt, dass er zwar “den Katalanen, Basken und Galiciern das Recht auf Selbstbestimmung“ zugestehen wolle, dass es jedoch schade wäre, wenn eine dieser Parteien sich in die Unabhängigkeit verabschieden würde. Er zeigte Verständnis, dass “die sich nicht akzeptiert fühlen“, doch das gelte es mit demokratischem Dialog zu überwinden. Solange das nicht erreicht werde, sei es logisch, die Leute selbst entscheiden zu lassen. “So funktioniert Demokratie“, urteilte er.


Pablo Iglesias ist Politologe, kein Politiker, der alle seine Aussagen relativiert und temperiert. Vielmehr trägt er das Herz auf der Zunge. Bisher jedenfalls. Die Geradlinigkeit des Politologen war es wohl, die ihm den Weg ins nächste mediale Fettnäpfchen wies. Zum baskisch-spanischen konflikt befragt, sagte er: “Wenn ich in Europa von ETA sprechen müsste, würde ich sagen, der Terrorismus hat in unserem Land ein großes Leid verursacht, daran besteht kein Zweifel. Aber ich würde auch von politischen Hintergründen sprechen“. Er begründete dies mit der Tatsache, dass drei spanische Präsidenten mit ETA verhandelt hatten. “Sie hätten sich nicht mit ETA an einen Tisch gesetzt, wenn der Terroismus der bewaffneten Gruppe nicht auch eine politische Komponente gehabt hätte“. Wäre er mit dieser Frage konfrontiert, würde er versuchen, “die grundlegenden politischen Knackpunkte zu verstehen“, denn “es ist wichtig, genau zu schauen, um zu demokratischen Lösungen zu kommen“. Mit diesen überaus vernünftigen Überlegungen, die im Baskenland bis hin zur rechten PNV alle unterschreiben, bot Iglesias eine Zielscheibe so groß wie ein Fußballstadion. Die gesamte Politik- und Presselandschaft, von rechts bis liberal blies zum Sturm, mit den ultrarechten Opferverbänden als Speerspitze. Derart, dass sogar der forsche Pablo zurückrudern musste. “PODEMOS verurteilt die Aktivität von ETA“, sagte er am folgenden Tag kurz und bündig. Weitere Erklärungen wolle er nicht abgeben, um nicht erneut fehlinterpretiert zu werden.


Dass Iglesias seine Sympathie für die bolivarianische Revolution zum Ausdruck brachte, bescherte ihm neben “ETA-Mitglied“ den vorläufig zweiten Schimpfnamen “Chavist“, denn Venezuela hat Kuba ersetzt in der Rolle des großen Dämons der spanischen Presse. Dieser Diffamierungs-Kampagne steuerte die rechte Tageszeitung El Mundo zuletzt die Nachricht bei, Iglesias habe sich mit der mittlerweilen illegalisierten baskischen Gefangenen-Hilfs-Organisation HERRIRA getroffen (Verbot im Oktober 2013). Das ginge aus Unterlagen hervor, die von der Guardia Civil beschlagnahmt wurden. Tatsächlich hatte Iglesias, noch vor Gründung von PODEMOS, eine Reihe von politischen Parteien und Organisationen zum Meinungsaustausch kontaktiert. Darunter HERRIRA. Doch in einem Staat, dessen Justiz sich nach wie vor nicht vom Aburteilungs-Hammer “Alles ist ETA“ verabschiedet hat, gibt es keine Grautöne, es gibt nur Freund und Feind. Das mussten vor PODEMOS schon andere erfahren. PAH zum Beispiel, die Organisation gegen Zwangsräumungen, oder die Gamonal-Protestbewegung in Burgos. Alle mussten sich Terroristen nennen lassen. Denn nach dem Ende der bewaffneten Aktionen wurde “Alles ist ETA“ längst exportiert und auf alle Arten von Protestbewegungen im Staat angewandt. Pablo ist also nicht der erste der sich “Etarra“ nennen lassen muss und wird auch nicht der letzte sein.


Doch hat der mediale Feldzug auch Sympathien für Iglesias und PODEMOS provoziert. Weil der Ruf der Medien auf einem Tiefstand angekommen ist, denken viele nach dem schlichten Schema “wenn einer von korrupten Institutionen angegriffen wird, muss er einer von den Guten sein“. Insofern ging die überdimensionierte Kampagne, Iglesias vor seinen Wählerinnen bloßzustellen, nach hinten los. Das zeigt ein Blick in die Sozialen Netze, dort kam es zu einer Welle der Solidarität.


Erstaunlich, wie die antibaskischen Strategien nichts von ihrer Aktualität verloren haben, trotz der grundlegenden Veränderungen der vergangenen Jahre. Das macht deutlich, dass es letztlich allein um Aufstandsbekämpfung geht. Lange ragten baskische Bewegungen heraus. Euskal Herria kann sich glücklich schätzen, diesen Protagonismus eingebüßt zu haben, den sich mittlerweile viele teilen: die 15M-Bewegung, die rechte katalanische Regierung, das kommunistische Dorf Marinaleda im Süden, die Hausbesetzer in Barcelona oder die radikale andalusische SAT-Gewerkschaft. Als vor einem Jahr das Strafrecht verschärft wurde, war klar, dass es längst nicht mehr gegen Terrorismus geht, sondern gegen jede Art von ziviler Protestbewegung – so pazifistisch sie auch sei. (Redaktion Baskinfo)

 

(Zitate aus Deia 24-6-2014, Gara 1-7-2014)