Eine besondere Sequenz

TC

Wo befinden wir uns in der Krise? „Er hat uns die Lust am Lachen für zehn Jahre genommen.“ (André Gide nach der Konferenz von Antonin Artaud: Artaud le Mômo) So verschiedene Kämpfe und Bewegungen wie der arabische Aufstand seit 2011, die „Occupybewegung“ oder die „Empörten“, die türkischen, brasilianischen oder bosnischen Demonstrationen, die ukrainischen Aufstände, die „Mistgabelbewegung“ in Italien, die Arbeiterstreiks und -aufstände in China, Süd- und Südostasien, Südafrika, und sogar, auf einem nicht vergleichbaren Niveau, die Ereignisse in der Bretagne in Frankreich im Herbst 2013 oder die Popularität politischer Thesen der extremen Rechten überall in Europa definieren innerhalb der Krise, welche 2007/2008 begonnen hat, eine besondere Sequenz des Klassenkampfes, welche ungefähr 2010 begonnen hat und in welcher wir uns gegenwärtig befinden.

 

2007: Eine Krise des Lohnverhältnisses


Im von der Restrukturierung hervorgebrachten Kapitalismus der 1970er/1980er Jahre (dessen Krise wir gegenwärtig erleben) war die Reproduktion der Arbeitskraft Gegenstand einer doppelten Entkopplung. Einerseits zwischen der Verwertung des Kapitals und der Reproduktion der Arbeitskraft, andererseits, durch den Kredit, zwischen dem Konsum und dem Lohn als Einkommen.


Der Bruch eines notwendigen Verhältnisses zwischen der Kapitalverwertung und der Reproduktion der Arbeitskraft zersplittert die in ihrer nationalen oder gar regionalen Begrenzung kohärenten Reproduktionsbereiche. Es geht darum, einerseits, die Reproduktion und die Zirkulation des Kapitals und, andererseits, die Reproduktion und die Zirkulation der Arbeitskraft zu trennen.


Die gegenwärtige Krise ist ausgebrochen, weil Proletarier ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen konnten. Sie ist durch jenes Lohnverhältnis selbst ausgebrochen, auf welchem die Finanzialisierung der kapitalistischen Ökonomie gründete: für die „Schaffung von Wert“ notwendige Kürzung der Löhne; globale Konkurrenz der Arbeitskraft. Es ist das Lohnverhältnis, welches im Zentrum der gegenwärtigen Krise steht.

 

Am Anfang war alles gut...


In den „selbstmörderischen Kämpfen“, den Kämpfen der Arbeitslosen und Prekären oder der Papierlosen, den Streiks in Bangladesch, wo die Arbeiter die Fabriken anzünden, den Ausschreitungen in Griechenland 2008, den mehr oder weniger fordernden Kämpfen in Guadeloupe, den vielfältigen Kämpfen in Argentinien usw. zeigte sich die revolutionäre Dynamik dieses Kampfzyklus: Als Klasse zu handeln bedeutet gegenwärtig einerseits, nur das Kapital und seine Reproduktionskategorien als Horizont zu haben, andererseits, und aus diesem Grund, im Widerspruch mit der Reproduktion seiner eigenen Klasse zu stehen, sie in Frage zu stellen. Wir definierten das als einen Konflikt, eine Diskrepanz in den Handlungen des Proletariats, welcher den Inhalt und das zentrale Thema des Klassenkampfes darstellt. Nur dadurch konnten wir von der Revolution als Kommunisierung sprechen und wir hatten Recht. Aber...

 

Und dann begann alles zu verfaulen


Die Lohngesellschaft


Zu Beginn der 2010er Jahre kippt etwas. Die Staatsschuldenkrise führt in allen zentralen Ländern zu verstärkten Sparmassnahmen, der fiskale Druck wird grösser, der soziale Aufstieg durch ein Studium ist nur noch eine überholte Illusion, die Arbeitslosigkeit und die Prekarität entwickeln sich und betreffen Kategorien, welchen sie bis anhin mehr oder weniger erspart blieb, nämlich die Mittelklassen. Die Entwicklung geht von den griechischen Ausschreitungen hin zu den grossen Versammlungen auf dem Syntagmaplatz.


Das Eintreten von Kategorien wie jener der Mittelklassen oder der Jugend ist nicht einfach das schlichte Auftauchen von neuen Akteuren in einem bestehenden und unveränderten Spiel, sondern die jüngsten Entwicklungen der Krise konstruieren und zerschlagen gleichzeitig diese Akteure, doch v.a. verbreitet sich das Feld des Klassenkampfes vom Lohnverhältnis zur Lohngesellschaft. Das ist die gegenwärtige Sequenz.


Die reelle Subsumtion ist gleichbedeutend mit der Konstitution des Kapitals als Gesellschaft. Doch diese Konstitution als Gesellschaft ist gleichbedeutend mit der kapitalistischen Produktionsweise als Lohngesellschaft. Die Lohngesellschaft ist ein Kontinuum von Positionen und Kompetenzen, innerhalb welchem die Produktionsverhältnisse nur als Distributionsverhältnisse, die Ausbeutung als ungerechte Aufteilung des Reichtums, die gesellschaftlichen Klassen als Verhältnis zwischen Reichen und Armen erlebt werden.


Im Rahmen der Lohngesellschaft und der Distributionsverhältnisse betrifft der Angriff auf alle lohnabhängigen Einkommen u.a. die Mittelklassen und bringt sie dazu, auf die Strassen zu gehen und die Formen selbst dieses Moments der Krise machen „momentan“ (?) aus den Mittelklassen die Repräsentantinnen desselben. Das geschieht häufig im Rahmen eines konfliktreichen Zusammenkommens mit den Arbeitslosen und Prekären und erschafft umgekehrt eine distanzierte, wenn nicht misstrauische Haltung bei mehr oder weniger stabilen Arbeitern, welche sich nicht in der von ihrer Position in der Produktion ausgehenden Bewegung beteiligen oder, wie in der Türkei oder in Brasilien, vollständig parallel handeln. Durch die konstante und grobe Positionierungs- und Hierarchiearbeit, welche sie ausmacht, ist die Mittelklasse ein Tummelplatz der Lohngesellschaft mit ihren Aufstiegen und Niedergängen. Sie kämpft für die Reproduktion der Lohngesellschaft und die Bestätigung der Selbstvoraussetzung des Kapitals.


Zum selben Zeitpunkt erweisen sich die selben gesellschaftlichen Kategorien als wesentliche Akteure der sozialen Bewegungen in den Schwellenländern. China, Indien, Brasilien und die Türkei sind zwischen ihrer zusammenbrechenden funktionalen Rolle im System und ihrer erreichten, noch nicht verwertbaren Entwicklung in die Zange genommen. Es ist diesbezüglich kaum bedeutend, dass die Lohngesellschaft schon in jedem regionalen Bereich erreicht oder sich mehr oder weniger realistisch konstituierend ist, die Mittelklassen der Schwellenländer sind davon nur die fleissigsten Elemente.


Die Krise des Lohnverhältnisses wird zu einer Krise der Lohngesellschaft, es wird Bewegung in alle Schichten und Klassen der Gesellschaft gebracht, welche vom Lohn leben. Überall in der Lohngesellschaft geht es um Politik und Distribution. Als Preis der Arbeit (Fetischform) führt der Lohn zu Ungerechtigkeit in der Distribution, das ist normal. Die Ungerechtigkeit der Distribution hat einen Verantwortlichen, der „seine Aufgabe nicht erledigt hat“: der Staat. Wenn die Krise des Lohnverhältnisses zu einer interklassistischen Bewegung als Krise der Lohngesellschaft wird, ist letztere eine Delegitimierung des Politischen, das im Namen einer wahren nationalen Politik denunziert wird. Die Frage der Legitimität des Staates gegenüber seiner Gesellschaft steht überall im Zentrum der Kämpfe dieser Sequenz. Je nach Umständen, lokalen Geschichten, Hintergrund der Konflikte kann das sehr verschiedene und auf den ersten Blick gegensätzliche Formen annehmen, doch der Inhalt ist der gleiche: Der Staat erscheint immer als Verantwortlicher und als Lösung.


Die merkwürdige Kombination zwischen Liberalismus und Staatsbürokratie, welche den Staat und die herrschende Klasse in den arabischen Ländern seit Beginn der 1970er Jahre definiert, ist an der Grenze ihrer Entwicklung angekommen und beträchtlich ins Wanken geraten. Doch die Wiederzusammensetzung der herrschenden Klasse und des Staates, in Ägypten wie auch in Tunesien, kann nicht auf endogene Art und Weise durchgeführt werden. Dies ist der Schlüssel zum Verständnis des arabischen Aufstands als langer Prozess mit Fortschritten und Rückschritten, wovon die Konfrontationen im Sommer 2013 zwischen den einerseits von den Muslimbrüdern, andererseits von der Armee repräsentierten Fraktionen der Bourgeoisie (mit den zerbrechlichen Hegemonien, welche sie provisorisch aufbauen können) eine Episode darstellten. Das Proletariat nimmt nicht nur daran teil, weil diese Konterrevolution der formale Ausdruck der politischen Grenzen selbst seiner Kämpfe ist, sondern auch weil seine eigene Strukturierung als Klasse in den Kämpfen und durch die Kämpfe es in diese Wiederzusammensetzung des Staates und der herrschenden Klasse hineinmanövriert.

 

„Die Entnationalisierung des Staates“ (Saskia Sassen)


Was man in der gegenwärtigen Globalisierung als global bezeichnen kann, beschränkt sich nicht auf einige „globale“ Institutionen, das Globale nimmt nationale Institutionen und Territorien in Beschlag. Das Ziel von Bretton Woods war es, die Nationalstaaten gegen die exzessiven Fluktuationen des internationalen Systems zu wappnen. Jenes der gegenwärtigen globalen Ära ist ein ganz anderes, nämlich die Einsetzung von globalen Systemen und Funktionsweisen innerhalb der Nationalstaaten, unabhängig von den Risiken für ihre Ökonomien. Die Entnationalisierung der staatlichen Kapazitäten ist gleichbedeutend mit einer Einflechtung globaler Projekte in die Nationalstaaten (Geld-, Fiskal- oder Sozialpolitik). Der Staat ist nicht ein Ganzes, die Globalisierung ist nicht eine allgemeine Schwächung des Staates, sie führt zu Transformationen in seiner Mitte, d.h. ein Werk der Trennung der staatlichen Elemente.


Die Logik des Finanzsektors integriert sich in die nationale Politik, um eine angemessene Wirtschaftspolitik, eine gesunde Finanzpolitik zu definieren, diese Kriterien haben sich für die nationale Wirtschaftspolitik in Normen verwandelt: Unabhängigkeit der Zentralbanken, inflationshemmende Politik, Parität der Wechselkurse, Konditionalitäten des Weltwährungsfonds. Im Gegensatz zur „Entnationalisierung“ war die keynesianische Politik eine Illustration „des integrierten Nationalen“, wie es Sassen formuliert: die Kombination nationaler Ökonomie, nationalen Konsums, nationaler Bildung und Erziehung nationaler Arbeitskraft und Kontrolle über das Geld und den Kredit.


In der Krise der Lohngesellschaft zeigen die um die Distribution geführten Kämpfe mit dem Finger auf den Staat als Verantwortlichen der Ungerechtigkeit. Dieser Staat ist der entnationalisierte Staat, von der Globalisierung durchdrungen und ihr Agens.


Die Staatsbürgerschaft wird also zu jener Ideologie, mit welcher der Klassenkampf geführt wird, wir sehen überall Flaggen. Während der „fordistischen Periode“ war der Staat zudem zum „Schlüssel des Wohlstands“ geworden, es ist diese Staatsbürgerschaft, welche sich während der Restrukturierung der 1970er und 1980er Jahre auf und davon gemacht hat. Obwohl die Staatsbürgerschaft eine Abstraktion ist, bezieht sie sich auf durchaus konkrete Inhalte: Vollbeschäftigung, Kernfamilie, Ordnung-Nähe-Sicherheit, Heterosexualität, Arbeit, Nation. Rund um diese Themen rekonstruieren sich die Klassenkonflikte in der Krise der Lohngesellschaft.

 

Die ideologische Rekonstruktion der Klassenkonflikte


Die Ideologie ist die Art und Weise, wie die Menschen ihre Verhältnisse zu ihren Existenzbedingungen als ihnen gegenüber als Subjekt verdinglicht erleben, in diesem Sinn ist die Ideologie nicht so sehr eine deformierte Spiegelung der Realität im Bewusstsein, sondern ein Ensemble von praktischen Lösungen für die Trennung der Wirklichkeit in Objekt und Subjekt, indem sie gerechtfertigt und bestätigt wird.


Das Verhältnis der Individuen zu den Produktionsverhältnissen ist insofern nie eine Unmittelbarkeit, als dass diese Verhältnisse Ausbeutung und Entfremdung bedeuten, es enthält ein „Spiel“, wo alle Instanzen der Produktionsweise intervenieren. Diese Nichtunmittelbarkeit ist es, welche in Frankreich den Unterschied zwischen dem „Front de Gauche“ und dem „Front national“ und den Vorteil letzterem gegenüber ersterem ausmacht. Politik, welche dieser Nichtunmittelbarkeit nicht Rechnung trägt, ist zum Scheitern verurteilt. Die „Linke der Linke“ ist dabei, darüber nachzudenken, doch ihr Problem ist, dass alle Probleme ein System bilden und dass dieses System als solches nach rechts tendiert. Als der PCF 1977 die „französische Produktion“ unterstützte, fügte er selbst an „mit Franzosen“.


Als Ideologie bietet die Staatsbürgerschaft eine Antwort auf das reale Problem der Epoche: die Krise des Lohnverhältnisses, welche zur Krise der Lohngesellschaft geworden ist, die Krise des entnationalisierten Staates, der unüberwindbare Gegensatz zwischen den Gewinnern und den Verlierern der Globalisierung. Doch der Rückgriff auf die nationale Staatsbürgerschaft ist dann in den Kämpfen selbst das Geständnis, dass diese Kämpfe auf der Basis und innerhalb der Lohngesellschaft unter einer Ideologie stattfinden. Einerseits bietet die nationale Staatsbürgerschaft eine Antwort auf das reale Problem der Krise der Lohngesellschaft; andererseits entspricht sie ihm nicht, denn sie behandelt es auf „unechte“ Art und Weise als Repräsentation von etwas anderem: des Werteverlusts, des Zerfalls der Familie, der nationalen Identität, der Arbeitsgemeinschaft. Was bedeutet, dass sie nur ihre eigenen Fragen beantwortet.


Auf den ersten Blick ist diese Ideologie kritisch, aber nur insofern als sie die Sprache der Forderung im Spiegel ist, welcher ihr die Distributionslogik und die Notwendigkeit des Staates entgegen hält. Die unter dieser Ideologie angewandten Praktiken sind effizient, weil sie den Individuen ein plausibles Bild und eine glaubhafte Erklärung dessen vermitteln, was sie sind und erleben, und konstituierend für die Wirklichkeit ihrer Kämpfe. Die Fragen der Distribution, der Arbeit und der staatlichen Sozialhilfe, der Verwahrlosung der Territorien in der „nationalen Einheit“, der Werte, der Familie strukturieren adäquat das Verhältnis der Individuen zu den gegenwärtigen Problemen der Klassenkämpfe in dieser Sequenz der Krise.


Es geht darum, zu beweisen, inwiefern es ein objektiver Prozess der Produktionsverhältnisse ist, der sich von sich selbst ausgehend rekonstruiert in Form von für diese besondere Sequenz bezeichnenden ideologischen Praktiken.

 

Die Thematik der ideologischen Rekonstruktion der Klassenkonflikte


a) Das Territorium und das Lokale


Die Globalisierung und die Entnationalisierung der Staaten erschaffen grossflächige periphere Territorien, die von den wichtigen wirtschaftlichen Prozessen ausgeschlossen sind. Im Herbst 2013 war es dieses Gefühl des territorialen Ausschlusses, welches die bretonische Revolte der „Rotmützen“ gegen die Ökosteuer und die Schliessung von Unternehmen vereinigte. Für die Arbeiter in der Bretagne, im Nord-Pas-de-Calais, in der Picardie, in Lothringen oder in der Champagne-Ardenne ist der Angriff auf das Lokale durch den globalen Kapitalismus eine vernünftige Erklärung der erduldeten Probleme und Leiden unter verschiedenen Aspekten und die Wahrung jenes Lokalen eine glaubhafte Lösung.


Während der Schweizer Abstimmung vom 9. Februar 2014 über die „Begrenzung der Einwanderung von Arbeitern“ gewann das „Ja“ in den ländlichen Gegenden gegen die Städte und es gewann dort, wo es am wenigsten europäische, eingewanderte Arbeiter hat, aber am meisten nationale Arbeitslose.


In der ideologischen Rekonstruktion der Konflikte ist das Lokale die Schnittstelle mehrerer anderer Bestimmungen, welche weiter unten diskutiert werden: Es schart das „authentische Volk“ gegen die Eliten, die „Eierköpfe“, alles, was ausländisch ist, jene, welche vom Sozialsystem und den Steuern der anderen profitieren. In dieser Art von Revolte stellt das Gefühl der Vernachlässigung der ländlichen und stadtnahen Zonen in Anbetracht der Hegemonie der Metropolen die Legitimität des entnationalisierten Staates in Frage, es wird begleitet von „der Verärgerung über den Steuerdruck“ und die „Überreglementierung“, dem allgemeinen Willen, das „Sozialdumping“ zu beenden und „die Arbeitsplätze in der Heimat zu erhalten“.


Die brasilianischen Demonstrationen sind hingegen verbunden mit der massiven Expansion und Aufwertung der zentralen urbanen Zonen, zu einem Zeitpunkt, wo beträchtliche Teile dieser Städte in der Armut versinken und einen Niedergang ihrer Infrastrukturen erleben. Die Stadtpolitik stellt die Synthese jener Fragen dar, welche mit der Reproduktion der Arbeitskraft und somit mit der Reproduktion der Klassenunterschiede verbunden sind: Wohnfrage (Wohnen in jenem Raum, der von der „Stadtaufwertung“ erschüttert wird), Gesundheit, Bildung, Transport. Die Fragen der Dichte, der Qualität und des Preises der öffentlichen Dienste betreffen nicht nur die Reproduktion der Arbeitskraft, sondern auch die Probleme sozialer Mobilität.


In Rio oder Sao Paulo ist das den Kampf strukturierende gesellschaftliche Verhältnis, welches die Streitpunkte definiert, sei es in Bezug auf den Ausschluss aus den zentralen Wohnzonen oder auf die Transporte und die öffentlichen Dienste im allgemeinen, nicht das Kapital oder die Lohnarbeit, sondern das Grundeigentum, welches die Bodennutzung beherrscht. Der Interklassismus ist das Symptom dieses gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses. Weil das Grundeigentum sie strukturiert und sich selbst zu ihrer zentralen Frage erhebt, betreffen die Klassenkämpfe als Kämpfe über die Stadtnutzung ein „sekundäres“ Produktionsverhältnis: Die Bodenrente ist nur ein Teil des im Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital extrahierten Mehrwerts. Dieser „sekundäre“ Charakter zeigt sein eigenes Wesen in der Tatsache, dass die Kämpfe rund um das Einkommen und den Konsum organisiert sind.


In den unter der Ideologie des Lokalen existierenden Kämpfen kommt man, wenn auch nicht mit der gleichen Dynamik und den gleichen Perspektiven, vom Lohnverhältnis zur Lohngesellschaft, zum Lohn als Distributionsverhältnis, zur Legitimität des bestehenden Staates. Gut eingerichtet in der Abfolge dieser Missverhältnisse zeichnet sich die ideologische Rekonstruktion durch eine vielgestaltige Perversität aus.

 

b) Die Familie


Die Ideen von „Freiheit“, „Selbstbestimmung“ und „Emanzipation“ haben nicht nur praktisch keine Bedeutung mehr, sondern sind darüber hinaus, zusammen mit jener der „Entscheidung“, oder gar des „Rechts“, zu Emblemen des wirtschaftlichen Liberalismus selbst geworden. Sie sind für die „Verlierer der Globalisierung“ zu einer Drohung geworden. Auf die Familie angewandt erscheinen diese Ideen als eine taube und hinterlistige Unternehmung der Zerstörung all dessen, was als letzte fähige Schutzinstitution gegen den „Individualismus“ betrachtet wird.


Dieses Idealbild der sogenannt „traditionellen“, oder gar „ewigen“ oder „natürlichen“ Familie, ein Ort des Schutzes ausserhalb der rein wirtschaftlichen Verhältnisse, die jedoch den Frauen einen achtbaren materiellen Status gibt, um sich mit den sozialen Diensten zu konfrontieren; diese Familie mit den festen und beruhigenden Rollenbildern, welche viele Forderungen gegen die Bestimmungen der kapitalistischen Entwicklung, so wie sie die Krise offensichtlich machte, heraufbeschwört, ist relativ jung: Sie formt sich in der Zwischenkriegszeit rund um die Figur des männlichen Arbeiters, der 100% arbeitet, Rechte als Ehemann und Vater hat und ab Anfang der 1970er Jahre im Niedergang begriffen ist.


Die „geschlechtliche Indifferenzierung“ und die sogenannte „Gendertheorie“ werden über die Demonstrationen gegen die „Ehe für alle“ hinaus gehend als Bedrohung erlebt, eine Bedrohung gegenüber einer Ordnung, wo die gesellschaftlichen Rollen dem biologischen Geschlecht entsprechen (oder auch umgekehrt...), wo die Geschlechter „komplementär“ sind und wo jeder und jede ihre „traditionelle“ Stellung in der Familie einnimmt. Eine Stellung, welche droht, das Abtreibungsverbot für die Frauen zu verewigen.


Alles ereignet sich also, als ob der Kampf gegen die oder eher die schlichte Ablehnung der gesellschaftlichen Verhältnisse, welche über die Produktion und die Reproduktion bestimmen, im Namen der von der Restrukturierung abgeschafften früheren Welt geführt würde, eine frühere Welt, welche zum idealen Gegenmodell erhoben wird. Umso mehr, weil dieses ideale Gegenmodell zu einem sehr aktuellen Wert gegen die ideologische Effizienz einer Gendertheorie wird, welche überall nur freie und frei zu wählende Verhaltensweisen sieht: Vorurteile oder Repräsentationen. Diese ideologische Effizienz besteht darin, Praktiken zu konstruieren und zu legitimieren, die den Zwang und die gesellschaftlichen Bestimmungen leugnen, welche die Genderunterscheidung konstruieren. Wenn man keine Wahl hat, nimmt man die „liberale“ Gendertheorie im besten Fall als ein Hirngespinst, im schlimmsten Fall als eine Beleidigung wahr. Gegen diese willkürliche Genderkonzeption, welche, wie es eine Journalistin der Monde (vom 5. Februar 2014) formuliert, dazu führe, dass „die Ungleichheiten der Geschlechter ein Produkt unserer Repräsentationen sind“, ist das, worin sich „das Volk“ im konservativen Diskurs wiedererkennt, die Anerkennung des zwingenden Charakters des Sozialen. Der gesellschaftliche Zwang ist nicht nur da und stark, er behauptet auch seine Positivität, die Familie ist der Festungswall des Volkes und der „menschlichen Authentizität“ gegen den Individualismus, die Eliten und Bildungs-, Nahrungs- und Sexualitätsspezialisten usw.

 

c) Die Authentizität, die intellektuellen Eliten und die Nation


Die wirtschaftliche Unsicherheit hat dazu geführt, dass ein Teil des Proletariats und der Mittelklassen die Sicherheit woanders, in einem „moralischen“ Universum sucht, wo alles ziemlich stabil sein und das alte, mit der verschwundenen Welt verbundene Verhaltensweisen wieder rehabilitieren soll. Jener Elite, welche früher mit den Besitzenden, den grossen Industrie- und Finanzfamilien assoziiert wurde, werden nun die Linke, die Intellektuellen und die Spezialisten zugewiesen, welche begierig seien nach sozialen, sexuellen, gesellschaftlichen und rassischen Innovationen. Dieses Umschwenken fand in den USA Anfang der 1970er Jahre statt und man sieht es nun überall in Europa aufgrund der oben genannten Gründe: die Konstitution der durch die Restrukturierung der 1970er Jahre abgeschafften Welt als ideales Gegenmodell als Widerstand und gegenwärtige Ablehnung des aus dieser Restrukturierung hervorgegangenen Kapitalismus.


Wir haben von der Wichtigkeit der Familie und ihrer „traditionellen“ gesellschaftlichen Rollen in der Rekonstruktion des Klassenkonflikts innerhalb der Lohngesellschaft gesprochen und die Mobilisierung gegen die Abtreibung ist an der Schnittstelle zwischen der Erhaltung dieser Rollen und dem Kampf gegen die Eliten. Für die aktuellen ideologischen Erfordernisse ist die Welle von Gesetzen zur Liberalisierung der Abtreibung in den 1960er und 1970er Jahren nicht mehr ein Resultat der Frauenkämpfe, sondern nur noch eine Einmischung der Ärzte und Richter ins Familienleben. In den Mobilisierungen gegen die Abtreibung ist der Fokus nicht nur auf die Bestätigung der traditionellen geschlechtlich differenzierten Rollen und der Familie gemäss einer „natürlichen Ordnung“ (in Tat und Wahrheit jene der vorhergehenden Phase der kapitalistischen Produktionsweise) gerichtet, sondern die „natürliche Ordnung“ wird auch zu einem wichtigen Thema des Kampfes gegen die intellektuelle Elite, welches auf einer ideologischen und gesellschaftlichen Ebene alle ökonomischen und gesellschaftlichen Bestimmungen kristallisiert, welche aus der Restrukturierung der 1970er Jahre hervorgegangen sind.


Diese kulturelle Ablehnung der Globalisierung in der Periode des in die Krise eingetretenen Kapitalismus konstruiert eine populäre authentische Identität, welche dem Nationalismus als Referenz dient. Das beinhaltet Dinge, die durchaus trivial sein können. In den USA ist die republikanische Partei die Partei der Bier- oder richtigen amerikanischen Kaffeetrinker und nicht jener, welche einen Latte macchiato bestellen, jener, welche in die Kirche gehen und Feuerwaffen besitzen; in Frankreich ist der Front national die Partei jener, welche Schweinefleisch essen, Rotwein trinken und durch und durch laizistisch sind (wobei eine notwendige Gleichschaltung der Muslime durchaus vertretbar ist). Es gibt keinen Nationalismus, nicht einmal eine Verteidigung der nationalen Souveränität, ohne Identität und Authentizität, ohne die Möglichkeit, „wir“ und „sie“ sagen zu können.


Das Volk, eben genau in einer Polysemie (demos, ethnos, Pöbel), welche es deckungsgleich macht mit einer stets von der Elite bedrohten Nation, ist gleichzeitig Depositar und Erfinder dieser Authentizität. Diese Veränderung des Terrains und der Instanz gegenüber den sozialen und wirtschaftlichen Angriffen ist das Wesen selbst der Ideologie als Verhältnis der Individuen zu ihren Existenzbedingungen als Produktionsverhältnisse. Man rate, was ein Arbeiter der Raffinerie von Berre in Frankreich hört, wenn eine ehemalige Raffinerie von Shell (englisch und holländisch), die dann zur (an der Wall Street kotierten) LyondellBasell wurde, welche sich weigert, sie an Sotragem (italienisches Tradingunternehmen, das an einen Slowaken weiterverkauft wurde) weiterzuverkaufen und er dadurch seinen Arbeitsplatz verliert und Cohn-Bendit sagt: „Die europäische Identität ist im Werden begriffen und kann nur einer postnationalen Identität entsprechen. Insofern als diese nichts mit einer starren Identität zu tun hat, ist sie freilich bequem für die Individuen. Europäer zu sein, bedeutet gewissermassen, keine vorherbestimmte Identität zu haben.“ (Le Monde vom 2. Februar 2014.)


In der gegenwärtigen Sequenz ist die Nation die Sprache und die praktische Formatierung der wirtschaftlichen Forderung, sei es auf aggressive Art und Weise gegenüber dem Ausland und den „inneren Feinden“ wie in der Ukraine oder auf progressive Art und Weise wie in Brasilien. In der Ukraine ist der Nationalismus der Arbeiterklasse gewiss eine der klarsten Gemeinsamkeiten zwischen dem Westen und dem Osten: Swoboda im Westen, die kommunistische Partei im Osten.


Wir sahen Nationalflaggen in Athen, Rio, Istanbul, Kairo und Tunis, in Bosnien, in Sarajevo oder Tuzla haben wir sie nur nicht gesehen, weil sie nur einen komplett korrupten Scheinstaat symbolisiert hätten, gegen welchen die Arbeiterrevolte unmittelbar zu einer Bürgerbewegung für eine nationale Restauration geworden ist. Wir sahen sie auch am 9. Dezember 2013 in den Strassen Italiens, während der sogenannten „Mistgabelbewegung“ (forconi). Dieser 9. Dezember war eine Vereinigung gesellschaftlicher Gruppen und Ideologien, welche andere nicht minder überraschende und beunruhigende Dinge ankündigt. Zu Beginn war es eine Revolte der traditionellen Mittelklassen, der sich an diesem 9. Dezember etliche prekäre Jugendliche und ältere Arbeitslose, sowie Mieterkomitees gegen Räumungen, die sozialen Zentren Turins, das Zentrum des sozialen Aufbaus von Mailand, die Volksbefreiungsbewegung und die Mieterkomitees von San Siro angeschlossen haben. Man kann den Erfolg der forconi mit jenem der Unione sindacale die base an den Gewerkschaftswahlen in Ilva Tarente, der grössten Stahlfabrik Italiens (11000 Arbeiter), sowie mit dem Erfolg des Generalstreiks am 18. Oktober und den von der USB organisierten Massenaufmarsch in Rom in Verbindung bringen. Auf allen Ebenen ist es das gleiche abgekartete Spiel zwischen politischer, wirtschaftlicher und gewerkschaftlicher Macht, das abgelehnt wird: die casta.


Die Nation wird nur zu einem Kampfthema, wenn sie als bedroht konstruiert wird, doch die Bedrohungen können nur in den von der Nation auferlegten Begriffen formuliert werden. Die Authentizität und die Nation als ideologischer Hintergrund von konfliktträchtigen Praktiken ist nur unter der Bedingung einer anderen Verschiebung wirksam: Der wirtschaftliche Konflikt muss zuerst in einen kulturellen Konflikt verwandelt werden (es handelt sich nur um eine Priorität in der logischen Konstruktion, in der Unmittelbarkeit des Erlebten, alle Themen existieren nur interdependent voneinander). Die Reichen und die Armen werden den Zweck erfüllen.

 

d) Reiche und Arme


Nach dem, was wir über die Distributionsverhältnisse, die Krise der Lohngesellschaft und ihre Ungerechtigkeiten, die Krise des entnationalisierten Staates als Verantwortlicher dieser Ungerechtigkeiten gesagt haben, braucht es keine weiteren Erläuterungen, um zu verstehen, wie Klassenwidersprüche zu Konflikten zwischen Reichen und Armen werden. Es geht somit eher darum, zu verstehen, wie sich solche Konflikte in kulturelle Konflikte verwandeln, wo die Reichen nicht mehr genau jene sind, welche man gedacht hätte, und wo die Armen sich gegenseitig bekämpfen.

 

Am Anfang war der „Wert der Arbeit“, die „Sozialschmarotzer“ wurden durch ihn geschaffen


Zuerst geht es darum, „den Wert der Arbeit zu rehabilitieren“ (als ob er es nötig hätte). Die Errungenschaften der Arbeiter werden zu einem Recht auf Faulheit, Betrug, Abhängigkeit vom Staat, berufsständische Vorteile, zu einem Hindernis der Entwicklungen. Es geht nicht um einen Kampf gegen die Arbeiter, sondern gegen jene, welche den Wert der Arbeit entstellt haben. Somit werden die Klassenkonflikte auf eine Art und Weise redefiniert, dass die Kluft, welche schon nicht mehr zwischen dem Kapital und der Arbeit, sondern zwischen Reichen und Armen verläuft, durch diese erste Verwandlung zu einer Kluft zwischen zwei mutmasslichen Fraktionen des Proletariats wird: „jene, welche nicht noch mehr leisten können“ und „die Profiteure und Sozialschmarotzer“. Diese Kluft ist je nach Umständen und Bedürfnissen als Antagonismus in Umlauf gebracht worden, welcher die Arbeiter und die „kleinen Mittelklassen“ manchmal gegen die „Bonzen“, welche eine Stufe höher stehen (Angestellte, gewerkschaftlich gedeckte Arbeitskraft und Spezialregime); manchmal gegen die etwas weiter unten stehenden „Sozialschmarotzer“ abrichtet, oder gegen beide gleichzeitig.


Die Situation und die Lebensweise der Reichen hingegen, welche seitenlang in der Klatschpresse abgehandelt werden, scheinen dermassen unzugänglich, dass sie diese Arbeiter nur noch insofern betreffen, als handle es sich um eine andere Menschheit, eine Parallelwelt. Doch der Arbeitslosengelder- oder Wohnungszulagenbetrüger bestiehlt uns: „Wer bezahlt denn schlussendlich?“ Die Tatsache, dass die Staatsdefizite, entsprechend den Ausbeutungs- und Akkumulationsmodalitäten im aus der Restrukturierung der 1970er-1980er Jahre hervorgegangen Kapitalismus, wissentlich mit einer bemerkenswerten Konstanz in allen westlichen Ländern seit 30 Jahren aufgebaut worden sind, wird nie angesprochen, ausser, um zu sagen, dass man zu grosszügig gewesen ist. In diesem Prozess der Spaltung ist das Ende der Arbeiteridentität nicht ganz unwichtig. Der Rückgang der Industrie, die Schwächung der Arbeiterkollektive und die Prekarisierung der Arbeit drücken sich durch individualistische Wahrnehmung des erlebten Verhältnis zum Gesellschaftlichen und dem Politischen aus, der Wert der Arbeit ist nicht mehr eine kollektive Macht gegen die Bosse, sondern eine Frage der Wahl und des individuellen Verdiensts.


Die wirtschaftliche Bruchlinie verläuft also immer weniger zwischen Kapitalisten und Arbeitern, nicht einmal zwischen Reichen und Armen, sondern eher zwischen Lohnabhängigen und „Sozialschmarotzern“, „Weissen“ und „Minderheiten“, „Arbeitern“ und „Betrügern“. Die Occupybewegungen haben diese Spaltungen einen Moment lang erschüttert, ohne dass es wieder zu signifikanten Brüchen zwischen den Klassen gekommen wäre. Alles blieb eine Frage des Einkommens, und nicht der Produktionsweise, auf eine ideologische Segmentierung folgte ein ideologisches Amalgam ohne Bedeutung.


Die „Sozialschmarotzer“, welche zu jenen geworden sind, „welche nicht arbeiten wollen“, haben zudem den enormen Vorteil, dass sie Träger diverser nicht-wirtschaftlicher Unterscheidungen sein können: ethnische Gruppen, kaputtes Familienleben, Drogen, Kriminalität.

 

Und noch zu dieser Spaltung dazu: der Rassismus


Im Rahmen der „Erhaltung des Sozialstaates“ oder seiner „Restauration“ im Namen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ideologischen Gegenmodells der „30 goldenen Jahre“, vermischen sich die Nation, die Staatsbürgerschaft und „die Authentizität“ mit der Kluft zwischen „jenen, welche nicht noch mehr Leistung bringen können“ und den „Anderen“. Es geht nicht mehr darum, gegen den Ausländer aufgrund einer rassischen Konzeption der Nation zu sein, sondern im Namen eines viel einvernehmlicheren Ideals: die Erhaltung des französischen oder britischen usw. „Gesellschaftsmodells“. Der Haupteffekt dieses gegen die Ausländer gerichteten Krieges gegen den Betrug ist die Kopplung der Finanzierungskrise der Systeme der sozialen Sicherheit mit einer Frage der nationalen Identität.


Diese Rassialisierung der „Erhaltung des Sozialstaates“ folgt dem gleichen Prinzip wie die Rassialisierung des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit. Es geht darum, nie das gesellschaftliche und wirtschaftliche System zu kritisieren, sondern alles in die Wege zu leiten, damit die der Lohnarbeit inhärente Konkurrenz zwischen Arbeitern dazu führt, dass sich die Arbeiterklasse mehr schlecht als recht den gegenwärtigen Bedingungen der Krise beugt. Die Einwanderung wird nicht als Ursache der Arbeitslosigkeit dargestellt, was nicht zwingend jede Analyse widerlegen könnte, und auch nicht als Ursache jeglicher Erfahrung schliessender Unternehmen ausgeschlossen werden kann; „nur“ als verschlimmernder Kollateraleffekt. „Benutzen wir diesen Hebel sofort, dann kümmern wir uns um die strukturellen Probleme“: Das war in Frankreich grosso modo die Position der kommunistischen Partei Anfang der 1980er Jahre und jene des Front national heute.


Doch die Arbeiter haben nicht die geringste Macht, weder über die Nachfrage nach, noch über das Angebot von Arbeit: Obwohl die Kapitalakkumulation die Nachfrage nach Arbeit vergrössert, vergrössert sie auch das Angebot, indem sie Überschüssige erzeugt. Es ist ein abgekartetes Spiel. Was all diese Bedrohungen zu einer Synthese zusammenfügt und ihnen eine Kohärenz gibt, ist die Globalisierung und die Entnationalisierung des Staates. Die Gesetze der Kapitalakkumulation, welche notwendigerweise Überschüssige erzeugen, werden sekundär, sie scheinen nur so zu funktionieren, weil die „nationale Gemeinschaft“ zerrissen worden ist.


Die aus diesem Bruch entstandenen Konflikte sind dazu verurteilt, unter der Restauration der Nation beseitigt zu werden, und die Konkurrenz unter den Arbeitern wird nicht mehr als solche gesehen, sondern in immer ethnisierteren Begriffen.


Die Arbeiter haben nicht nur weder die geringste Macht über die Nachfrage nach, noch über das Angebot von Arbeit, sie haben auch keine über den Effekt der Reservearmee auf die Löhne, genauso wenig wie über die Segmentierung und Zusammensetzung derselben. Ein grosser Teil der Arbeiterklasse erlebt die Effekte einer Mechanik, die man verschwunden glaubte, jene der absoluten Verarmung. In dieser Mechanik ist in der gegenwärtigen Situation der gleiche Prozess der Umwandlung der Klassenwidersprüche in Konflikte zwischen Reichen und Armen, doch allen voran, mittels dem Nationalen, der Authentizität, dem Volk und dem Rassismus, zwischen Armen am Werk.


Der Rückgriff auf eingewanderte Arbeiter ist die sparsamste Weise, um die Arbeitskraft günstiger zu finden, es entspricht diesem Mechanismus der Substitution (ein Resultat der Arbeitsteilung und des Maschinenbetriebs, Funktionsweise der absoluten Verarmung), wodurch der einheimische Arbeiter verdrängt wird, und die Bosse verkünden darauf, dass es glücklicherweise „die Einwanderer gibt für jene Aufgaben, welche die Staatsbürger nicht mehr machen wollen“, wobei es offensichtlich scheint, dass diese Aufgaben von Natur aus den Einwanderern entsprechen und dass es ihre Anwesenheit ist, welche die Löhne drückt.


Eine sehr breite Durchschnittskategorie der Arbeiter bleibt in den westlichen Ländern im nationalen Rahmen eingeklemmt, eine Tatsache, die eine Quelle innerproletarischer Konflikte ist. Die schlecht bezahlten, prekären, eingewanderten und zunehmend weiblichen Arbeitskräfte der „Weltstädte“ sind nicht Teil eines zurückgebliebenen Sektors der Wirtschaft, dieses Segment existiert direkt in einer globalen Wirtschaft und entspricht einer nicht nationalen Organisation von Segmenten des Proletariats. In Verbindung mit anderen Gemeinschaften und ihren ausgewanderten Landsleuten in anderen Ländern erarbeiten sie Strategien innerhalb des globalen Systems. Trotz ihrer Prekarität und ihres Elends scheinen diese sich in der Globalisierung konstituierenden Klassensegmente in den Augen dieser Durchschnittskategorie, sowohl wirtschaftlich als kulturell, die gleichen Interessen wie die „Gewinner der Globalisierung“ zu haben.

 

Danach erschien der Staat und die „Parasiten“


Die oben beschriebene Rehabilitation des Werts der Arbeit begnügt sich nicht damit, „Arbeiter“ und „Sozialhilfebezüger“ entgegenzusetzen, sie hat auch den unermesslichen Vorzug, eine dritte Kategorie zu erschaffen, jene der „Parasiten“. Diese „Parasiten“ sind leicht erkennbar, es ist die Elite, nicht jene des Reichtums, sondern jene der arroganten Diplome, der Spezialisten jeglicher Art, welche meistens in staatlichen Agenturen verkehren, welche alles regulieren und administrieren und welchen es nicht genügt, ihre Taschen durch Steuern zu füllen, sie behandeln auch das authentische Volk und seine Werte mit Herablassung. Was diese Elite und das Volk entgegensetzt ist gleichbedeutend mit dem Gegensatz zwischen Arbeit und Parasitentum und dieser Konflikt wird im Namen von Werten geführt. Die Verwandlung des Klassenwiderspruchs in einen Konflikt zwischen Reichen und Armen und dadurch zwischen Arbeitern einerseits und Sozialhilfebezügern und Parasiten andererseits hat auch die wunderbare Wirkung, die Protagonisten in Begriffen der Werte zu definieren.


Der praktische Haupteffekt dieses kulturellen Konflikts ist es, die wirtschaftliche Grundlage aller Konflikte verschwinden zu lassen, oder präziser, aus der Lösung des kulturellen Konflikts die Bedingung der Lösung der wirtschaftlichen Probleme zu machen. Diese unproduktive Elite, welche die Künstlichkeit gegenüber der natürlichen Authentizität des Volkes repräsentiert, hält den Staat in Beschlag und lebt als Parasit „indem sie das Geld der Steuern verschlingt“. Die Form, welche die Konflikte in der Lohngesellschaft annehmen, verändert den Klassenwiderspruch dahingehend, dass die Tatsache, dass alle Staatsorgane Klassenorgane sind, wortwörtlich genommen wird. Es handelt sich nicht mehr um Klassenorgane da Ausdruck und im Dienst einer wirtschaftlich herrschenden Klasse, welche alle Produktionsmittel besitzt, sondern um Organe, welche an sich eine Klasse konstituieren und in deren Dienst stehen.


Natürlich kommt es in dieser Sequenz auch zu Streiks und gesellschaftlichen Konflikten, doch ihre Grundlage ist die Tatsache, dass dieser oder jener Kapitalist, dieses oder jenes Unternehmen ihre Rolle als Kapital nicht wahrnehmen, die Schuldigen kommen also in die Kategorie der „Parasiten“ und der „Geniesser“ im Gegensatz zu den „wahren Produzenten“ und den „normalen Leuten“. Die Unzufriedenheit und gar die gesellschaftliche Erbitterung erlangen einen Sinn, gemäss welchem der Kapitalismus komplett ausgenommen oder eine phantasmatische Finanz für die Umstände konstruiert wird. Indem die Frage der Klassenkonflikte von den Produktionsverhältnissen getrennt wird, was der Lohngesellschaft eigen ist, wird eine präzise konservative Perspektive eröffnet, welche all die oben angesprochenen Themen enthält und eine sehr wohl reale subjektive Erfahrung untermauert, welche eine in ihrem Ausdruck ihre wirtschaftliche Grundlage leugnende Klassenfeindseligkeit hegt. Es ist eine Tatsache, dass die strikt fordernden und wirtschaftlichen Arbeiterkämpfe zahlreich sind und manchmal eskalieren, doch man kann diese Kämpfe nicht von einem allgemeinen Kontext isolieren, innerhalb welchem und durch welchen sie einen Sinn annehmen, zu dessen Konstitution sie selbst beitragen.

 

Eine provisorische Schlussfolgerung


In der Sequenz, in welcher wir uns befinden, fasst die Tatsache das gegenwärtige Problem des Klassenkampfes zusammen, dass die Verweigerung der gegenwärtigen Situation nicht ihre von ihr ausgehende Überwindung ist, wie dies in einer ersten Zeit der Krise angedeutet wurde, sondern das Bedürfnis, zu einer vergangenen Situation zurückzukehren. Doch all das ist durchaus in der Gegenwart verankert.


Erst jetzt, mit der Krise dieser Phase des Kapitals und seines Staates und präziser ihrem Werden als Krise der Lohngesellschaft und des entnationalisierten Staates, wird das Verschwinden der ganzen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ideologischen Zusammenstellung als Formatierung des alltäglichen Lebens offensichtlich, welche schliesslich während den „30 goldenen Jahren“ systematisch geworden war, und dieses Verschwinden drängt sich als Zusammenfassung und Ursache allen Übels dieser Zeit auf. Die gegenwärtige Situation führt dazu, dass das, was verschwunden ist, zum idealen Gegenmodell der gegenwärtigen Gesellschaft und ihrer Krise, dieses Staates, seiner Ungerechtigkeit, seiner Gleichgültigkeit, seiner Morallosigkeit erhoben wird. Die Krise der Lohngesellschaft mit der Erhebung der 30 goldenen Jahre zum idealen Gegenmodell ist das Wesen der Krise der Globalisierung in den zentralen Gebieten; sie ist strikt zeitgenössisch und mit den Lohnkämpfen in den aufkommenden Gebieten verbunden. Und der Staat wird immer zur Kristallisierung der Widersprüche.


In dieser Sequenz spielt sich bis jetzt alles als Krise des Verhältnisses des Staates zu seiner Gesellschaft ab und alle spielen mit. Es gibt eine enge Verknüpfung zwischen der Krise des Lohnverhältnisses, der Legitimitäts- und Anerkennungskrise des entnationalisierten Staates, dem Interklassismus und der Politik. Diese Verknüpfung, dieser Knoten ist gleichbedeutend mit der gegenwärtigen Sequenz der Krise als Klassenkampf.

 

Welche Dynamiken sind gegenwärtig in dieser Sequenz am Werk?


Die Krisensequenz der Lohngesellschaft ist ein Moment der spezifischen Krise der kapitalistischen Produktionsweise wie sie sich nach der Restrukturierung entwickelt hat


Mit der Krise des Lohnverhältnisses, die zur Krise der Lohngesellschaft geworden ist, stellt sich die Frage nach einem mit dieser nun kriselnden Phase des Kapitals verbundenen Widerspruch. Der innere Widerspruch dieser Phase der Verwertung liegt zwischen der unmittelbar produktiven Arbeit und der Bedingung selbst dieser produktiven Arbeit: die Tatsache, eine sozialisierte Arbeitskraft zu sein. Wir sind in diese Krise eingetreten und sie beinhaltet das der „sozialisierten Arbeitskraft“ inhärente Moment des Interklassismus. Trotz all ihrer Ambivalenz, welche mit dem widersprüchlichen Verhältnis zur produktiven Arbeit zusammenhängt, stellt die Krise der Lohngesellschaft ein Moment dar, das man historisch im Verhältnis zum vorhergehenden Entwicklungsmodus verorten und verstehen kann.

 

Die Instabilität der Sequenz „Krise der Lohngesellschaft“


In ihrer interklassistischen Allgemeinheit und auf der Grundlage des Lohns als Distributionsverhältnis konzentrieren sich die sozialen Bewegungen auf die Legitimität des Staates gegenüber seiner Gesellschaft, sie beschreiben den Lohn gleichzeitig als Preis der Arbeit, Form der Aufteilung und alle Einkommen als abhängig von der Arbeit, jene der Rente, des Profits, des Zinses und somit als etwas Allgemeines. Der Lohn als Preis der Arbeit beschreibt also, was er kaschiert: der Lohn als Wert der Arbeitskraft, notwendige Arbeit und alle anderen Einkommen als verwandelte Formen des Mehrwerts.

 

Angespannte Einheit


Die „angespannte Einheit“, welche tatsächlich in den interklassistischen Kämpfen existiert, sollte nicht die Konflikte verdecken und auch nicht zur Mutmassung führen, dass ihre Lösung schon gegeben und das Zusammenkommen der Kämpfe Teil ihres Wesens ist. Die Auflösung der Mittelklasse, die Überwindung des Stadiums der Aufstände und die Durchbrechung dieses „Glasbodens“, welcher bezüglich der meisten sozialen Bewegungen die Frage der Produktion immer noch bleibt, hängen von konjunkturellen Praktiken ab.


Warum sollte die Mittelklasse nicht eher zum Sieg der Konterrevolution beitragen? Warum sollte der mehr oder weniger stabile Teil der Arbeiterklasse im Kontext der Segmentierung derselben nicht seine Kämpfe und die Resultate verriegeln, welche er sich davon erhofft, wie es in Tunesien und Ägypten geschehen ist. Zudem kann diese „angespannte Einheit“ auch in der Politik absorbiert werden, wie wir es 2009 im Iran gesehen haben.


Die Gemeinschaft der Kämpfe ist sowohl in Brasilien als auch in der Türkei oder Mexiko alles andere als offensichtlich trotz gelegentlichem Zusammenwirken. Der Glasboden der Produktion bleibt das zentrale Problem. Das heisst nicht, dass es keine Streiks, keine fordernden Arbeiterbewegungen mit oder ohne Gewalt, siegreich oder nicht, gibt, doch nie, so scheint es zumindest, artikulieren sich diese Kämpfe in einer konfliktreichen Synergie mit den „sozialen Bewegungen“, deren permanenter und notwendiger Hintergrund sie allerdings sind.

 

Die Notwendigkeit für die kapitalistische Klasse, den Kern des Problems anzupacken


Die doppelte Entkopplung der Reproduktion der Arbeitskraft, die gegenwärtigen Formen der Globalisierung, die Entnationalisierung des Staates und die Frage seiner Legitimität als gemeinsamer Nenner der Kämpfe, die lokale Neuzusammensetzung der herrschenden Klassen sind die gegenwärtigen Erscheinungsformen der Krise. Doch die Besonderheit der gegenwärtigen Krise, als Krise des Lohnverhältnisses, die zu einer Krise der Lohngesellschaft geworden ist, definiert unvermeidlich eine Situation, in welcher die kapitalistische Klasse dazu gebracht wird, den Kern des Problems anzupacken: das Ausbeutungsverhältnis. Für die kapitalistische Produktionsweise und somit für die kapitalistische Klasse ist die Überwindung/Lösung dieser Erscheinungsformen, wie schon unter anderen Bedingungen, in den 1930er oder 1970er Jahren, unlösbar mit einer Restrukturierung der Grundlage selbst der Produktionsweise verbunden: das Ausbeutungsverhältnis. Dieser notwendige Gang zum Kern des Problems ist, nach der Entwicklung der Krise als Krise des Lohnverhältnisses hin zu einer Krise der Lohngesellschaft, gleichbedeutend mit einer Entwicklung hin zu einer Geldschöpfungskrise welche, innerhalb der Krise des Lohnverhältnisses, wovon sie Teil ist, letztere festhält und überwindet, indem sie zu einer Krise des Werts als Kapital wird, die einzige Krise des Werts.

 

Die Unbeugsamkeit der produktiven Arbeit


Innerhalb dieser Notwendigkeit für die kapitalistische Klasse, den Kern des Problems anzupacken, erscheint auch die zentrale Frage der produktiven Arbeit.


Jeder Proletarier hat zwar ein formell identisches Verhältnis zu seinem besonderen Kapital, er hat jedoch nicht, je nachdem, ob er produktiver Arbeiter oder nicht ist, das gleiche Verhältnis zum sozialen Kapital (es handelt sich nicht um Bewusstsein, sondern um eine objektive Situation). Stünde nicht der Widerspruch, welcher die produktive Arbeit für die kapitalistische Produktionsweise, und somit auch für das Proletariat darstellt, im Zentrum des Klassenkampfes, könnten wir nicht von Revolution sprechen (sie wäre etwas der Produktionsweise exogenes, im besten Falle eine humanistische Utopie, im schlimmsten nichts).


Die produktiven Arbeiter sind deshalb noch lange nicht von Natur aus und permanent revolutionär. In ihrer besonderen Handlung, die nichts spezielles, sondern einfach nur ihr Engagement im Kampf ist, kommt der die Gesamtheit der Gesellschaft als Klassenkampf strukturierende Widerspruch auf sich selbst, auf seine eigene Bedingung zurück, denn das Ausbeutungsverhältnis setzt den produktiven Arbeiter nicht mit einem bestimmten Kapital ins Verhältnis, sondern unmittelbar, in seinem Verhältnis zu einem bestimmten Kapital, mit dem sozialen Kapital. Das, was in der Reproduktion des Kapitals konstant kaschiert wird (denn es liegt in der Natur selbst der kapitalistischen Produktionsweise, dass dieser Widerspruch nicht klar erscheint: Der Mehrwert wird definitionsgemäss zu Profit und das Kapital ist prozessierender Wert) kommt nicht nur als innerer Widerspruch der Reproduktion (hier die Einheit der Produktion und der Zirkulation) an die Oberfläche, sondern als das, was den Widerspruch existieren lässt: die Arbeit als Substanz des Werts, welcher im Kapital nur Wert sein kann als prozessierender Wert. Der Widerspruch (die Ausbeutung) kommt auf sich selbst, auf seine eigene Bedingung zurück. Den Kern des Problems anzupacken bedeutet, wie auf Eiern zu gehen.

 

Die Frage des „Glasbodens“ als Synthese dieser Dynamiken


Wenn man die breiten sozialen Bewegungen und den Interklassismus mit der sie begleitenden Instabilität als fordernde Bewegungen innerhalb der Lohngesellschaft betrachtet, welche den Lohn als Produktionsverhältnis, als ein notwendiges Moment der Krise in ihrer Besonderheit sowohl kaschieren als auch enthüllen, wenn man die angespannte Einheit nicht nur als Problem der Überwindung des Interklassismus, sondern auch als Problem der Überwindung der Segmentierung betrachtet, wenn man die Notwendigkeit der kapitalistischen Klasse, den „Kern des Problems“ anzupacken und, innerhalb dieses Kerns, die Unbeugsamkeit der produktiven Arbeit betrachtet, dann liegt die gegenwärtige Dynamik, sowohl vom Standpunkt des Kapitals als auch des Proletariats, genau in diesem Punkt des Bruches, welche für den Widerspruch zwischen dem Proletariat und dem Kapital darin besteht, diesen „Glasboden“ zu durchbrechen, den die Produktion für die auf der Ebene der Reproduktion bestehenden sozialen Bewegungen darstellt, doch auch für die fordernden Kämpfe, wie heftig sie auch sein mögen, den fordernden Charakter zu überwinden, eine Glasdecke zu durchbrechen. Für einen fordernden Kampf ist die Überwindung der Forderung gleichbedeutend mit der Verortung des Widerspruchs zwischen den Klassen auf der Ebene seiner Reproduktion. Es ist wahr, dass das Hauptresultat des Produktionsprozesses die Erneuerung der Trennung zwischen Arbeit und Kapital ist. Doch das geschieht nicht ohne Einbindung der Existenz der Zirkulation und des Handels und die Tätigkeit aller Instanzen der Produktionsweise, auch jene des Staates. Somit ist die Klassenzugehörigkeit, ausgehend vom Produktionsprozess, doch in den Praktiken, welche ihn übersteigen, als ein äusserer, vom Kapital auferlegter Zwang gesetzt, d.h. als Reproduktion auferlegt, und wird als solcher praktisch erkannt. Es ist unmöglich zu bestimmen, in welchem Sinn das „Zusammenkommen“ stattfinden könnte, umso mehr, weil es sich nicht um ein „Zusammenkommen“ handeln kann, sondern, ausgehend von etlichen besonderen Kämpfen, um eine Erschaffung einer absolut neuen Situation, welche die Gesamtsituation für alle existierenden Kämpfe ändert: eine Konjunktur.

 

Es wäre wider den Geist dieses Textes, aus einem derart allgemeinen Überblick Schlussfolgerungen zu ziehen. Wenn auch die Durchbrechung des Glasbodens und/oder der Glasdecke die Synthese der Dynamiken dieser Sequenz darstellt, so ist diese jedoch keine unvermeidliche Notwendigkeit, sie ist auch der Moment der Entscheidung für die kapitalistische Klasse, der Moment, wo die verschiedenen Möglichkeiten einer Restrukturierung gerinnen, welche bis anhin als inkohärente Grundzüge existierten, die Teil einer herrschenden allgemeinen Bewegung sind, jene der Verstärkung der Charakteristika der sich ihrem Ende nähernden Periode, genau wie in der Anfangsphase jeder Krise. Wenn man diese Synthese nicht als allgemeine Bestimmung DER Revolution betrachtet, sondern als spezifische Überwindungsmöglichkeit eines historisch besonderen Ausbeutungsverhältnisses, muss die Möglichkeit dieser Synthese in einer durch die Gesamtheit der Bestimmungen dieser Sequenz definierten Konjunktur verortet werden. Man kann die Hypothese aufstellen, dass China, Süd- und Südostasien am besten die Zutaten dieser Fusion vereinigen: Wichtigkeit der Arbeitskämpfe im Kontext der Asystemie der Lohnforderung und deren immer unhaltbarerer Charakter; bedeutende soziopolitische Bewegungen, Schlüsselsituation, um die Zoneneinteilung der Globalisierung zu kippen und total unwirksam zu machen. Es geht nicht darum, zu sagen, diese Region sei bereits oder werde zu jener der „Herrscher der Welt“, doch dass ihre Wichtigkeit und ihre sowohl internen als auch mit dem globalen Kapitalismus verbundenen Charakteristika daraus das „schwache Glied“ dieser Welt machen. Wir haben da einer ganz anderen Arbeit nachzugehen.

 

Lakonisches Schlusswort


Wir sind im Moment weit von der steigenden und unmittelbaren Sichtbarkeit der Klassen- und Genderwidersprüche und ihrer Verbindung mit der Revolution und dem Kommunismus entfernt, die Verwandlung der „Theorie der Kommunisierung“ wie so viele zuvor in eine Ideologie, sowohl als Parole als auch als akademischer Ausweis schwebt über unseren zerbrechlichen Köpfen.

 

Théorie communiste

 

April 2014

 

Übersetzt aus dem Französischen von Kommunisierung.net

Quelle