Autonome versuchten erneut, an der Rigaer Straße Barrikaden zu bauen und anzuzünden. Doch mehr als 100 Polizisten räumen die Straße sofort. Anwohner sorgen sich um ihre Kinder und wollen wegziehen.
Ruhig war es auf dem Friedrichshainer "Dorfplatz" am frühen Montagnachmittag. Auf der Kreuzung, wo die Rigaer Straße auf die Liebigstraße trifft, lockte die Sonne Eltern mit Kinderwagen und eilige Radfahrer auf die Straße, vor der "Bäckerei 2000" saßen vereinzelt Männer beim Bier. Ahnungslose Passanten hätten angesichts des Konfettis an den Bordsteinkanten meinen können, hier habe ein Volksfest stattgefunden. Doch teilweise verbrannter Asphalt auf der Straßenkreuzung deutete darauf hin, dass es hier in den vergangenen Nächten nicht nur festlich zuging.
Nach den schweren Krawallen und Ausschreitungen von Randalierern gegen Polizisten in der Nacht zu Sonntag mussten Ordnungshüter am Sonntagabend erneut einschreiten.
Gegen 19 Uhr hatten Anwohner die Polizei gerufen, wegen fortwährender Ruhestörung. Kaum trafen die Polizisten ein, legten etwa 50 dort versammelte Personen Vermummung an. Nach Polizeiangaben trugen sie wie am Vorabend wieder Sperrmüll auf die Straße und warfen dabei Farbbeutel und Flaschen auf die Beamten.
Beamte von den Dächern aus attackiert
Dieses Mal konnten die mehr als 100 eingesetzten Polizisten die Straße sofort räumen und so brennende Barrikaden verhindern. Die Unruhestifter verschwanden größtenteils in den umliegenden Häusern, doch von deren Dächern aus wurden die Beamten erneut attackiert. Wasserbomben und Obst, aber auch gezündete Feuerwerksartikeln flogen den Beamten von den Hausdächern entgegen.
Am Ende musste die Einsatzleitung einen Polizeihubschrauber aufsteigen lassen, um die Randalierer von den Dächern zu entfernen. Nach zweieinhalb Stunden kehrte wieder Ruhe ein. Die Polizei rief die Stadtreinigung herbei, deren Mitarbeiter den auf den Fahrbahnen angehäuften Müll beseitigen musste.
Ein Polizist wurde im Einsatz leicht verletzt, fünf Tatverdächtige vorübergehend festgenommen. Die Polizei leitete Strafermittlungen wegen Landfriedensbruchs, Widerstands, Sachbeschädigung und des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz ein. Unklar ist bislang jedoch, warum es dort gerade jetzt und so kurz nacheinander zu Ausschreitungen kam.
"Hier kann man ja kein Kind aufziehen"
Der Abgeordnete Peter Trapp (CDU) sagte, derartige Aktionen seien "in keinem Fall zu dulden". "Hier haben sich Chaoten unter dem Deckmantel des Versammlungsrechts Freiheiten herausgenommen. Sie haben klare Straftaten begonnen und damit Bürgern und Bürgerinnen gefährdet", so der Innenexperte am Montag. Grünen-Abgeordneter Benedikt Lux befürchtet, die Krawalle am Wochenende seien Teil eines Trends. "Es gab in den letzten Monaten Anzeichen dafür, dass die Gewalt vom 1. Mai weggerutscht und an anderen Tagen stattfindet. Sie geht nicht mehr von Massen, sondern von kleineren Gruppen aus. Das ist dauerhaft Besorgnis erregend", sagt Lux.
So richtig schockiert wirkten die Anwohner des Szenekiezes nach den Vorfällen am Wochenende nicht. Ein Anwohner, der Sonntagabend von seinem Fenster aus die Krawallen beobachtet hat, sagte, er kenne "so etwas als alter Berliner". Schwarz Vermummte habe er gesehen, die auf den Dächern entlangliefen. "Da hat die Polizei keine Chance", sagt er. "Da oben kann man einmal den ganzen Häuserblock ablaufen, und durch die Luken kommen die Chaoten immer zu irgendwem in die Wohnung, der ihnen helfen will."
Das Schlimme sei, dass er solche Vorkommnisse wie am Wochenende gar nicht mehr als schlimm empfinde, da so etwas häufiger passiere. Momentan sucht er mit seiner Freundin eine Wohnung in einem anderen Stadtteil. "Hier kann man ja kein Kind aufziehen."
Graffiti an den Wänden
Wenige Meter weiter schrubbten zwei Männer energisch die Ladenjalousie eines Haus an der Rigaer Straße, einer von ihnen ist der Hauswart. "Das war heute früh alles voll mit Graffiti", erzählt er und zeigt Fotos auf seinem Handy. Schriftzüge wie "3/4 Tag, 3/4 Woche, 3/4 vom Leben" oder "Die Krabbe krabbelt und ich auch" waren früh um 9 Uhr noch schwarz und rot auf weiß zu lesen. "Und wegen diesem da müssen nächste Woche extra Fassadenkletterer kommen, um das sauber zu machen", fügt er hinzu und deutet nach oben, wo an der Hausfassade die schwarzen Ergebnisse von Farbbeutelwürfen zu erkennen sind.
Am Sonnabend hatten bis zu 300 Demonstranten Feuer auf der Straße gelegt. Bei diesem Einsatz waren 26 Beamte verletzt worden. Polizeiangaben zufolge wurden sie mit Böllern, Steinen und Flaschen beworfen. Angefangen hatten die Ausschreitungen mit dem angekündigten Straßenfest, die "Lange Nacht der Rigaer Straße". Mehrere linke Gruppen hatten dazu aufgerufen, "weggentrifizierte" Nachbarn zu unterstützen. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) verurteilte die Ausschreitungen schon am Sonntag und sprach von "kriminellen Gewaltaktionen". In der Rigaer Straße und der Liebigstraße stoßen Wohnhaus-Sanierungen seit Jahren auf erheblichen Widerstand der linken Szene.