Guatemala: Vom „Nunca mas“ (Nie wieder) zum „Nie passiert“

Erstveröffentlicht: 
10.06.2014

Die Militärdiktatur von Efrain Rios Montt hat zwischen 1981 und 1983 Tausende Menschen, vor allem aus indigenen Gruppen, ermordet. Doch die juristische Aufarbeitung dieses Völkermordes bewegt sich nicht vom Fleck. Eine Verurteilung von Rios Montt zu 80 Jahren Gefängnis letztes Jahr wurde kurz darauf wegen Verfahrensmängeln wieder aufgehoben. Nun verhöhnt das Parlament die Opfer des Völkermordes noch weiter durch die Annahme einer Resolution, in der geleugnet wird, dass überhaupt ein Völkermord in Guatemala stattgefunden hat.

Noch im März 1982, als Rios Montt einen erfolgreichen Putsch gegen seinen Vorgänger General Romeo Lucas Garcia durchführte, hatten manche die Hoffnung, dass die systematische Terrorkampagne des Militärs nun einer stärkeren Achtung der Menschenrechte weichen könnte. Bereits ein Jahr später hatte Rios Montt bewiesen, dass dieser Hoffnungsschimmer ein fataler Fehler war, denn während seiner Herrschaft steigerte sich die Gewalteskalation noch um ein Vielfaches und die paar Monate seines Regimes gelten als die blutigste Periode des Bürgerkrieges (1960-1996). Im Zuge der Verhängung des Ausnahmezustandes durch Rios Montt wurden demokratische Grundrechte eingeschränkt und die Verfassung außer Kraft gesetzt. Gleichzeitig verschärfte das Regime von Rios Montt die Aktivitäten zur „Aufstandsbekämpfung“ gegen die Guerilla URNG (Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas) besonders in ländlichen Regionen. Die Folge: Bis Ende 1982 hatte die Diktatur 18.000 Menschen systematisch ermordet, viele von ihnen durch die Hände von Todesschwadronen, die Rios Montt gegründet hatte. Die Devise seiner Amtsführung umschrieb Rios Montt als Politik der „Bohne oder Gewehrkugel“: Wer sein Regime unterstützte, würde ernährt werden, wer hingegen in Opposition dazu stand, würde umgebracht werden. Die grausame Gesamtbilanz der Diktatur von Rios Montt: mehr als 100.000 Tote, 400 niedergebrannte Dörfer, eine Million Vertriebene. Nach dem Sturz von Rios Montt 1983 wechselten sich mehrere Generäle an der Spitze des Staates ab, bis der Bürgerkrieg 1996 nach 36 Jahren durch ein Abkommen zwischen Armee und Guerilla formal beendet wurde. (1)

 

Kontinuität der Straflosigkeit

Trotz dieser Tatsachen durfte Rios Montt in der Zeit nach seiner Herrschaft darauf setzen, dass das Rechtssystem in Guatemala ihn verschonte. 1989 gründete Rios Montt die rechtsextreme Partei FRG (Republikanische Front Guatemalas) und wurde 1995 zum Vorsitzenden des Kongresses gewählt. Zwar konnte die Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú 2005 einen internationalen Haftbefehl gegen Rios Montt durch die spanische Justiz erwirken, dennoch konnte der ehemalige Diktator durch eine erfolgreiche Kampagne im Kongress 2007 die Justiz abermals umgehen und errang als Mitglied der Legislative Immunität gegenüber Strafverfolgung. Schließlich musste der inzwischen 82-jährige Rios Montt nach Ablauf seiner Amtszeit 2012 endlich vor Gericht erscheinen. (2)

 

Das Verfahren gegen Rios Montt startete 2013 und machte ihn zum ersten ehemaligen Staatschef, dem wegen Völkermord von einem zivilen Gericht der Prozess gemacht wurde. Das Gericht unter dem Vorsitz von Richterin Yasminn Barrios befand Rios Montt für schuldig und verurteilte ihn zu 80 Jahren Gefängnis. Während in Guatemala nur ein ganz geringer Prozentsatz von Militärangehörigen für die Verbrechen des Bürgerkrieges angeklagt wurde - meistens Bauernopfer in Gestalt von einfachen Soldaten – feierten die Menschenrechtsbewegung und die Angehörigen der Opfer den Prozess als unglaublichen Erfolg. Doch dieser währte nur kurz: Zwei Wochen nach der Urteilsverkündung reichte das Anwaltsteam von Rios Montt Beschwerde wegen Verfahrensmängeln ein – ein Richter gab der Beschwerde statt und annullierte das Urteil. Im Jänner 2015 ist vorgesehen, dass der Prozess wieder aufgenommen werden soll. Jedoch ist bemerkenswert, dass Präsident Otto Pérez Molina das Gerichtsverfahren als „Gefahr für den Frieden“ bezeichnet hat und darauf besteht, dass Rios Montt danach niemals wieder vor Gericht gebracht werden dürfe. (3)

 

Vom „Nunca mas“ (Nie wieder) zum „Nie passiert“

Während also Rios Montt sich munter dem Justizsystem entzieht, assistiert unterdessen Präsident Pérez Molinas Regierung, indem sie sämtliche Spuren des Völkermordes aus der Geschichte des Landes zu tilgen versucht. Nach der Annullierung des Urteils wurde Richterin Yasminn Barrios ihre Beglaubigung als Richterin entzogen, um zu verhindern, dass sie sich noch weiter als Juristin betätigen kann. Ähnlich erging es Claudia Paz y Paz, der Staatsanwältin im Prozess gegen Rios Montt, denn sie wurde von der Liste der Staatsanwält_innen gestrichen, obwohl sich 7.000 Personen in einer Petition dafür ausgesprochen hatten, ihre Wiederwahl in Betracht zu ziehen. Das Gesetz sieht nur eine Hürde von 5.000 Unterschriften in so einem Fall vor, dennoch behauptete Jose Arturo Sierra, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, dass dieses Gesetz hier gar nicht anzuwenden sei. Thelma Adana, die neue Generalstaatsanwältin, die von Präsident Pérez Molina daraufhin ernannt wurde, ist eine vehemente Befürworterin von Amnestien bei Menschenrechtsverbrechen durch das Militär.

 

Mit einem beispiellosen Vorgang, der nur als Verspottung der Opfer der Massaker während des Bürgerkrieges beurteilt werden kann, verabschiedete nun am 14.Mai der Kongress mit 87 von 158 Stimmen eine Resolution, in der geleugnet wird, dass in Guatemala ein Völkermord stattgefunden hat. Der Antrag für die Resolution wurde von Luis Fernando Perez, einem Mitglied der Partei PRI (Institutionelle Republikanische Partei, früher FRG) von Rios Montt, eingebracht. (4) Der Text bewertet die Debatten über Völkermord im Land als „polarisierend“ und als „Hindernis für die Versöhnung“. Zwar ist das Dokument nicht rechtlich verbindlich, doch reiht sich der Vorgang ein in die zahlreichen Maßnahmen von Regierung sowie wirtschaftlichen und militärischen Kreisen, die Aufarbeitung des Völkermordes zu de-legitimieren und de facto eine Amnestie für diese Verbrechen durchzusetzen. Menschenrechtsverteidiger_innen sprechen daher von einem „Pakt der Straflosigkeit“. Exemplarisch für diesen Pakt ist die Schließung der öffentlichen Archive für die Stärkung der historischen Erinnerung und die Geheimhaltung von Dokumenten des Verteidigungsministeriums durch die Regierung. Die Resolution könnte nun ein Indiz dafür sein, dass der Kongress auch die Gesetzgebung in Richtung einer Amnestie verändern wird. (5)

 

Gegen das Verdrängen der Erinnerung

Die Resolution des Kongresses widerspricht eindeutig den Friedensverträgen, die auch von der Regierung 1996 unterzeichnet wurden. Eine Bestimmung darin besagt, dass die Regierung „nicht für die Annahme von Gesetzen oder andere Maßnahmen stimmen darf, die dazu dienen, die Verfolgung und Bestrafung von Personen zu verhindern, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. (..) Es darf kein spezielles Gesetz oder trügerische Rechtssprechung geltend gemacht werden, die die Straflosigkeit in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen bestätigt.“ In dem Abkommen wird klar betont: „Es ist ein Recht des Volkes von Guatemala, die ganze Wahrheit über Menschenrechtsverletzungen und Gewaltakte während des internen bewaffneten Konfliktes zu erfahren.“ (6) Überlebende des Völkermordes in Guatemala antworten in einem Kommunique auf die Resolution des Kongresses: „Wir möchten unsere Besorgnis und Zurückweisung der Resolution ausdrücken, die eine klare Einmischung in das Justizsystem darstellt und eine der fundamentalen Säulen des Rechtsstaates gefährdet: den raschen und vollständigen Zugang zu Gerechtigkeit… Diese Resolution zeigt einfach, dass persönliche und ideologische Einstellungen über den bewaffneten Konflikt vor das allgemeine Wohl gestellt werden. Wir sind Tausende Opfer von gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Guatemala, die während des internen bewaffneten Konfliktes begangen wurden. Das einzige, wonach wir fragen, ist Gerechtigkeit. (..) Wir haben uns für diesen demokratischen und legitimen Weg entschieden. Wir haben Anklagen gegen die materiellen und intellektuellen Täter der Grausamkeiten, die wir erlitten haben, vorgebracht. Das ist unser verfassungsmäßiges Recht, das uns niemand und nichts wegnehmen kann. (..) Im Namen derjenigen von uns, die Frieden wollen und Wege für die Demokratie suchen und nicht Hass, Rassismus, Straflosigkeit und Vergessen, fordern wir, dass diese Resolution zurückgezogen wird.“ (7)

 

Menschenrechtsverteidiger_innen leben gefährlich

Dem Präsidenten von Guatemala, Otto Pérez Molina, wird im Übrigen selbst vorgeworfen, als Befehlshaber an Verbrechen während des Bürgerkrieges teilgenommen zu haben. Eben dieser Pérez Molina setzt nun regelmäßig die Armee in Bewegung, um gegen protestierende Bauern und Bäuerinnen und kritische Aktivist_innen gewaltsam vorzugehen. Allein im Jahr 2013 wurden 18 Verteidiger_innen der Menschenrechte in Guatemala ermordet. Und eben dieser Pérez Molina sorgt für die brutale Vertreibung von indigenen Gemeinden, um Platz für Megaprojekte wie Staudämme zu schaffen. Otto Raul Tielemans vom Council on Hemispheric Affairs (COHA) empfiehlt daher der US-Regierung, die militärische Kooperation und finanzielle Zahlungen an die Armee Guatemalas einzustellen. (8)

 

Patricia Davis stellt auf Foreign Policy in Focus fest: „Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen – dazu gehören Journalist_innen, Justizangestellte, Gewerkschafter_innen, indigene Gemeindevertreter_innen und andere, die für grundlegende Rechte einstehen – steigerten sich im letzten Jahr um 126%, bei weitem der größte Sprung, der in Guatemala nach dem Krieg registriert wurde. 18 Verteidiger_innen der Menschenrechte wurden ermordet, ein Anstieg um 72% gegenüber 2012, und das sogar, obwohl die allgemeine Mordrate des Landes gesunken ist.“ (9) Die fortgesetzte Straflosigkeit in Guatemala bei Verbrechen des Militärs betrifft nicht allein die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern wirkt sich auch auf die Gegenwart aus. Zu der eskalierenden Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger_innen kommt die Praxis der Regierung, kritische Menschen durch politische Prozesse einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. So werden zahlreiche Aktivist_innen von sozialen Bewegungen und Gemeindevertreter_innen mit konstruierten Vorwürfen des „Terrorismus“ konfrontiert. (10) Im vergangenen Oktober brachten daher Vertreter_innen von mehreren Organisationen in Guatemala eine Beschwerde bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte ein. Sie wenden sich damit gegen die Kampagne von Regierung, Unternehmensgruppen und Militärkreisen, die darauf abzielt, Verteidiger_innen der Menschenrechte einzuschüchtern, beschimpfen und zu kriminalisieren. Außerdem fällt auf, dass die Regierung nur sehr selten die Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger_innen untersucht – ganze zwei Prozent aller Angriffe werden überhaupt gerichtlich verfolgt. (11)