Wenn das Gefängnis keine gewerkschaftsfreie Zone mehr ist

Erstveröffentlicht: 
31.05.2014

In der JVA Tegel wird ein Novum versucht

 

Oliver Rast ist seit fast 3 Jahren inhaftiert. Verurteilt wurde er nach Paragraph 129 StGB, wegen der mutmaßlichen Mitgliedschaft in der "Militanten Gruppe" (mg) - eine sog. kriminelle Vereinigung. Im Zuge einer Großrazzia gegen die vermeintliche mg-Nachfolgeorganisation "RAZ" wurde er in den geschlossenen Vollzug der JVA Tegel verlegt. Rast ist ein sogenannter "Wobblie", ein Gewerkschafter der Basisgewerkschaft Industrial Workers of the World und Sprecher der im Mai gegründeten Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel.

Nicht einmal eine Woche nach der Gründung, kam es am 27. Mai zu einer Razzia in seiner Zelle. "Beschlagnahmt wurden drei Briefe sowie die Gründungserklärung und die Pressemitteilung der Gewerkschaft", so sein Anwalt Sven Lindemann. In der Gründungserklärung heißt es, dass die Inhaftierten "auf das grundgesetzlich verankerte Recht auf Koalitionsfreiheit Bezug" nehmen.

Aufhänger für die gewerkschaftliche Arbeit hinter Gittern sollen der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Arbeitsstunde und der Anspruch auf Rentenversicherung sein. Von beidem sind Gefangene bislang ausgenommen, obwohl das Strafvollzugsgesetz eine sog. Arbeitspflicht vorsieht, die bis zu drei Monate pro Jahr beträgt. In der öffentlichen Diskussion um den gesetzlichen Mindestlohn sind Gefangene praktisch ausgeschlossen.

Bislang gibt es sechs Vergütungsstufen für Gefangene. Emma Michel, ein Mitglied des Solidaritätskomitee für Rast, in einem Interview zu den Arbeitsvergütungen im Strafvollzug:

 

"Gefangene, die schon länger arbeiten, verdienen bis zu 14,55 Euro am Tag. Es gibt keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, keine Renten- und Sozialversicherung. Die JVA Tegel positioniert sich seit 2002 offensiv als Dienstleister auf dem sogenannten freien Markt. Die Gefangenen sind in der Regel auf das Einkommen angewiesen, um sich im externen Einkauf mit Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen.“

 

Der aufmüpfige Gewerkschafter scheint der JVA Tegel durchaus ein Dorn im Auge zu sein. Bereits im Oktober 2013 sorgte er für Wirbel. Nach seiner Verlegung in den geschlossenen Vollzug entschied sich Rast zu einem Studium der Kulturwissenschaften an der Fernuniversität Hagen. Zu den 38 Stunden Studium pro Woche kamen weitere 40 Stunden Arbeit.

Rast musste damals zusätzlich in der Kartonageabteilung der Berliner Vollzugsanstalt Kartons kleben. Eigentlich sollten 78-Stunden-Wochen Geschichte sein, doch die JVA Tegel zeigte, dass dies nicht unbedingt bei allen Gefangenen der Fall sein muss.

Der JVA-Sprecher Lars Hoffmann versucht gegenüber der Berliner Tageszeitung TAZ die Vorwürfe zu
entkräften:

 

"Die JVA Tegel stellt Häftlinge von der Lohnarbeit frei, wenn sie ein Fernstudium abschlussorientiert absolvieren."

 

Warum der Gefangene dann trotz der Empfehlung seiner Sozialarbeiterin nicht von der Arbeit freigestellt wurde, konnte Hoffmann nicht sagen. Die Gründung einer Gewerkschaft innerhalb der Gefängnismauern ist Neuland und birgt durchaus Zündstoff. Dessen war sich auch Rast bewusst.

So schrieb er am 23. Mai in einem Brief an eine Freundin: "Das wird hier vermutlich hohe Wellen schlagen - wir sammeln gerade Unterschriften für die Gefangenen Gewerkschaft (...) Aber: die Gegenwehr wird kommen (...)"
Kaufmannsladen im Knast

Der mögliche Nachahmungseffekt der Gefangeneninitiative dürfte die Behörden alarmiert haben. So heißt es in der Gründungserklärung:

 

"Mit unserer Initiative setzen wir darauf, beispielgebend für Gefangene in anderen Haftanstalten der Bundesrepublik zu sein, damit die eigenen Belange nicht nur auf geduldigem Papier stehen, sondern vor allem auch gehört werden müssen."

 

Tegel ist nicht die einzige Vollzugsanstalt, die die Vorteile des - auch in Deutschland entstehenden "gefängnisindustriellen Komplexes" wittert. In Hessen gibt es bereits eine teilprivatisierte Haftanstalt die Kaffee verkauft.

Der Knastshop "SANTA FU – kreative Zellen" wirbt mit "heißen" und "originellen" Produkten und Geschenkideen "direkt aus Hamburgs Knast". Der Justizvollzug Nordrhein-Westfalen bietet auf der Seite
www.knastladen.de Produkte für Privatkunden aber auch für die öffentliche Hand an. Der sächsische online-shop www.gitterladen.de sieht die Gefangenenarbeit „als 'verlängerte Werkbank' des Handwerks
und der Industrie" um deren "Auftragsspitzen schnell und kompetent abfangen" zu können.

Dem marktwirtschaftlichen Interesse der JVA Tegel, die mit ihrem markigen Motto "Kaufmannsladen im Knast" um Kunden wirbt, laufen die gewerkschaftlichen Bestrebungen mit großer Sicherheit zuwider.
Protest gegen Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit

Der Berliner Rechtsanwalt Sven Lindemann, der Rast juristisch vertritt, betont, dass die gewerkschaftlich engagierten Häftlinge nur ihr Grundrecht wahrnehmen. Schließlich gelte das in Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes verankerte Recht auf Koalitionsfreiheit auch im Gefängnis.

Auch der Gefangenenbeauftragte des zivilgesellschaftlichen Komitees für Grundrechte und Demokratie Christian Herrgesell sieht in der Gewerkschaftsgründung von Häftlingen die Wahrnehmung eines Grundrechts. Allerdings zeige die Erfahrung immer wieder, dass die Anstaltsleitungen häufig mit der Wahrung von Sicherheit und Ordnung in der JVA argumentieren, um Grundrechte in Bezug auf die politische Willensbildung im Gefängnis einzuschränken. In einer Erklärung betont das Grundrechtekomitee:

 

"Die erfolgreiche Gründung einer Gefangenengewerkschaft würde angesichts der menschenunwürdigen Entlohnung von Gefangenenarbeit ein äußerst begrüßenswertes Novum darstellen."

 

Unterstützung kam auch von Basisgewerkschaften. Dieser Druck scheint auch bei der Gefängnisverwaltung nicht ohne Wirkungen. Mittlerweile betont ein Sprecher, dass sie die Gewerkschaftsgründung nicht verhindern wollen. Allerdings müssten Unterschriftensammlungen vorher angemeldet werden.