Chaos-Samstag in Freiburg? In der Innenstadt war gestern ziemlich viel los: Ministerpräsident Kretschmann im Konzerthaus, Salafisten-Prediger Pierre Vogel auf dem Kartoffelmarkt, linke Autonome bei der Love-or-Hate-Parade vor der Johanneskirche. Und fudder-Autor Daniel Laufer war überall. Am besten gleichzeitig.
Rund 1000 Demonstranten erwartet die Polizei. Als ich um 14 Uhr an die
Johanneskirche komme, sind vielleicht 300 da. Sie wollen den 20.
Geburtstag der KTS per Demozug durch die Innenstadt feiern und nebenbei für die Wagenburg „Sand im Getriebe“
demonstrieren. Doch die einzigen Wagen vor der Johanneskirche sind
grün- oder blau-weiß. „Sand im Getriebe“ ist gar nicht erst
durchgekommen.
Irgendwo wurde irgendwas beschlagnahmt, man weiß das hier nicht so genau, „ein Dreirad, von Menschenkraft betrieben“, an der Feinstaubplakette lag’s wohl nicht. Klar ist nur: Die sogenannte „Love or Hate Parade“
verspätet sich. Wer kann, wartet im Schatten, ein kleiner Junge
verteilt pinkfarbene KTS-Ballons. Derweil diskutiert „Friedhelm“, wie er
sich nennt, mit einem Polizeiführer.
„Die haben Angst, dass wir
mit den Salafisten oder der Kretschmann-Veranstaltung zusammenknallen“,
erklärt er mir. Man habe eine sehr gute Kompromissroute vorgeschlagen,
aber ohne Erfolg. Ich unterbreche ihn.
„Eine antifaschistische Gruppe hat im Internet dazu aufgerufen, zur Salafisten-Kundgebung zu gehen und sie zu stören…“
„Irgendwer twittert immer irgendeinen Quatsch“, meint Friedhelm.
Weil
die Autonomen nicht wie geplant in Richtung Innenstadt dürfen,
probieren sie jetzt Spontanität. Eine Gruppe setzt sich in Bewegung, für
ungefähr 100 Meter zieht sie die Basler Straße entlang. Die Polizei
stoppt das. Also geht es weiter in die Kirchstraße. Die Polizei stoppt
das. Ein paar Demonstranten stürmen durch einen Hinterhof. Das Gebüsch
stoppt das. „Das ist doch alles Quatsch jetzt“, ruft eine Demonstrantin
genervt.
Und sie hat Recht. Es ist 15 Uhr und die KTS-Freunde laufen auf der Stelle. Es will einfach kein Demo-Feeling aufkommen, laut Zeitplan spricht dafür gleich Pierre Vogel auf den Kartoffelmarkt. Ich ziehe weiter. Aber auch der Salafistenprediger lässt mich warten. Der Platz ist eingezäunt, hinter den Absperrgittern haben sich 200 bis 300 Interessierte, Schaulustige und Kritiker des Predigers versammelt (Fotos: Pierre Vogel in Freiburg). Drinnen treffe ich Ismail (Foto), der bei 30 Grad im Schatten geduldig in der Sonne wartet.
„Pierre Vogel zeigt den Leuten, dass der Islam friedlich ist“, findet
er. Dann erzählt der 28-jährige Türke mir, dass alle Ungläubigen in der
Hölle schmoren werden. Ich frage ihn, ob er denn versteht, dass sich
manch einer von solchen Dingen auf den Schlips getreten fühlt. „Das
sagen doch alle Religionen! Im Islam gibt es allerdings noch eine letzte
Ausfahrt.“
„Was steht da drauf?“
„Jeder, der an Gott glaubt, wird
am jüngsten Tag geprüft werden und hat dann die Chance, in den Himmel
zu kommen.“ Ich denke darüber nach. So ähnlich habe ich das schon mal
irgendwo gehört.
Dann werde ich abgelenkt: Gegendemonstranten
werfen Plastikflaschen auf die Salafisten-Anhänger, die kontern jetzt
ebenfalls mit Plastikflaschen — bei der Hitze ein teures Gut.
„Allahu Akbar“, rufen beide Parteien — „Allah ist größer“. Als Versöhnung ist das nicht gemeint.
Vorredner Sven Lau, vor Tagen erst aus der U-Haft entlassen, betritt die Bühne und macht das Warm-up. Er verspricht, jemanden namens „Christopher“ gleich öffentlich zum Islam zu konvertieren, aber „Christopher“ scheint verschwunden zu sein. Dann spricht Pierre Vogel selbst. In der Zwischenzeit nimmt die Polizei den Flaschenwerfer in Gewahrsam und ich frage mich, wie weit es die „Love or Hate Parade“ geschafft hat.
Irgendwie haben die Autonomen doch noch einen Weg in die Innenstadt gefunden. Am Bertoldsbrunnen trommeln die Sambastas
um die Wette, drumrum sammelt sich die Menge. Hier kommt keine
Straßenbahn mehr durch. „Die Leute können schon mal üben, es gibt ja
bald eine große Baustelle hier — da helfen wir der Stadt bei der Bildung
ihrer Bürger“, höhnt ein Demonstrant und trinkt aus seiner Bierdose.
„Haut
ab, ihr Penner — ich will jetzt heim!“, brüllt ein wütender Passant.
Ein Rentner rammt mir entschieden die Schulter in die Brust und macht
sich so den Weg frei. Ob er das an Megasamstagen wohl genauso macht? Man
könnte jetzt sagen: Die Stimmung kippt. Aber so richtig gut war sie ja
von Anfang an nicht. Es wird geschubst und geschlagen, Polizisten tragen
einen Mann mit Dreadlocks zur Seite und legen ihm Handschellen an. Die Hitze schlägt aufs Gemüt.
„Unser Einsatztrupp ist kurz vorm Verdursten!“ Per Handy schickt ein
Beamter den Notruf an die Kollegen raus. Aber Apfelschorle ist schon
unterwegs. Dann wird per Durchsage die Räumung angekündigt. Ein paar
Autonome versuchen nun doch noch etwas zu bewegen. „Wir bleiben Sand im
Getriebe!“, skandieren sie und nehmen Reißaus. Ich folge ihnen. Es geht
vorbei am Rathaus und vorbei am Schwarzen Kloster in eine Passage.
„Hey,
hier waren wir ja noch nie!“, merkt jemand an. Wozu auch? Der Ausflug
endet dort, wohin die Polizei auch die übrigen Demonstranten drängt — vor die Universität zum KG II.
Ein Punk reitet Huckepack auf einem anderen Punk, dafür reicht der
Rebellionswille noch aus. Der Widerstand aber lässt nach. Ein paar
Unermüdliche rennen auf die Kreuzung zwischen Rempartstraße und
Werthmannstraße, vorbei an den Beamten.
„Lasst sie laufen!“, meint
ein Polizeiführer zu seinen Kollegen. Wieder sammeln sich die
Demonstranten, wohl beflügelt von diesem kleinen Erfolg.
„Danke,
dass ihr uns den Geburtstag versaut habt“, schimpfen die KTS-Freunde per
Lautsprecherdurchsage. Dann legt mitten auf der Kreuzung eine Rockband los, das Equipment auf einem Wagen, gezogen von einem dekorierten Traktor.
Ich finde Friedhelm wieder. Er isst gerade zu Abend.
„Ihr seid mit der Polizei aber ganz schön aneinander geraten. War das in dieser Form denn nötig?“
„Wir wollten in die Stadt, wir hatten ein Recht dazu — und manchmal ist es wichtig, das dann auch zu tun.“
„Und wie geht’s jetzt weiter?“
„Das
werden wir sehen. Lass’ dich überraschen!“ Friedhelm grinst. Ich frage
ihn, ob er sich gerade auf die nächste Räumung freut. „Ich freue mich
nie über eine Räumung. Aber heute hat man doch gesehen, dass die Polizei
uns nicht alles verbieten kann.“ Mir anscheinend schon, wie ich kurz
darauf feststelle.
Ein Mann wird von der Polizei in Gewahrsam genommen. Polizisten zerren
ihn raus aus der Menge. Ich stehe ein paar Meter daneben und mache
Aufnahmen, wie sie ihn durchsuchen — bis eine Polizistin mich stoppt.
„Hören Sie auf, sonst beschlagnahme ich Ihre Kamera!“ Ich sage irgendwas über Pressefreiheit,
ohne Eindruck zu erzeugen. „Sie stören die Polizeiarbeit!“ Nun, das
liegt mir natürlich fern. Und ich mag meine Kamera behalten. Auf einmal
finde ich das alles schrecklich anstrengend. Kein Wunder, nach fünf
Stunden in der prallen Sonne. Dann fällt mir auch ein, dass ich bei all
dem Trubel eine Veranstaltung ganz vergessen habe.
So viel Polizeischutz wie jetzt zu seinem 150. Geburtstag hatte der Schwarzwaldverein
bestimmt lange nicht. Etliche Kastenwagen stehen noch vor dem
Konzerthaus. Dabei kommen schon die letzten Gäste raus. Ich bin viel zu
spät. Worüber Ministerpräsident Winfried Kretschmann wohl
gesprochen hat? Der erste, den ich frage, hat die Festrede zwar gehört,
deren Inhalt aber schon vergessen. Eine Gruppe in Tracht wartet auf
ihren Reisebus. Meine letzte Hoffnung.
„Er hat erst über den Schwarzwaldverein geredet und dann über seinen Nationalpark“, berichtet Marianne Noe.
„Was genau hat Winfried Kretschmann denn gesagt?“, erkundige ich mich. Frank Mohrlok übernimmt die Antwort.
„Dass er und die Grünen den Nationalpark gut finden und der Rest nicht.“
„Finden Sie ihn denn gut?“, hake ich nach. Marianne Noe lacht.
„Den Nationalpark oder den Kretschmann?“
Also der nächste Konflikt. Was für ein Chaos heute, ich muss ein bisschen schmunzeln.
Nach
Mitternacht geht es dann noch weiter. War das die Überraschung, die
Friedhelm angekündigtr hat? Die Love or Hate-Parade ist eigentlich
längst vorbei, als sich 100 bis 150 Personen erneut zu
einem Zug durch die Innenstadt zusammenschließen. Mit lauter Musik geht's in Richtung Stühlinger
Kirchplatz. Dort werden Feuerwerkskörper angezündet, wodurch - so die Polizei - ein
Streifenwagen
beschädigt wird. Verletzt wurde niemand. Gegen 2.00 Uhr löste sich die
Gruppe auf. Ein nicht ganz normaler Samstag in Freiburg ist zu Ende.