Hitlergruß und Hetze

Erstveröffentlicht: 
05.05.2014

Von der Hüpfburg in Jamel, dem 1. Mai-Aufmarsch in Rostock bis hin zur Zeitzeugen-Lesung am 4. Mai in Grevesmühlen – Neonazis aus Mecklenburg zeigten Präsenz.

 

Von Andrea Röpke

Sven Krüger aus Jamel fehlte beim Aufmarsch in Rostock. Gut gelaunt hockte der bullige Glatzkopf mit Kameraden, Frauen und Kindern auf einer Fahrrad-Draisine und ließ sich von einem Traktor von Gressow zurück nach Jamel ziehen. Mit Sonnenbrille und Weste lenkte der jüngst aus der Haft Entlassene das geschmückte Multibike. Die Gruppe hatte die alljährliche „Sternfahrt gegen Rechts“ mit rund 100 Teilnehmern lautstark begleitet und war nun zu den eigenen Bierbänken und Hüpfburg auf dem öffentlichen Dorfplatz von Jamel zurückgekehrt.

Der neu eingeweihte „Kulturradweg“ vom Schweriner See bis zur Ostsee, der direkt durch Jamel führt, soll das Dorf aus der gesellschaftlichen Isolation rücken. Radelnde Gegendemonstranten und ältere Teilnehmer wurden jedoch auf ihrer Route, die auch zum „Forsthaus“ des Ehepaar Lohmeyer führte, von Krügers Sohn und anderen Kindern fotografiert. Weitaus mehr als die Hälfte der rund 40 Einwohner des Dorfes zählen zur rechtsextremen Szene. Ein Findling mit dem Dorfwappen, sowie ein völkisches Wandbild und der hölzerne Wegweiser nach Königsberg „zieren“ den kleinen Ort nahe Grevesmühlen. Neonazi-Wortführer Krüger ist nach seiner mehrjährigen Haftstrafe noch auf „Bewährung“ und blieb zu Hause.

 

Kilometerweit durch fast menschenleere Straßen

Tatsächlich konnte 1. Mai-Anmelder David Petereit nur rund 350 Neonazis nach Rostock mobilisieren. Nicht nur die geringe Teilnehmerzahl, sondern der gesamte Habitus des Aufmarsches vermittelten den Eindruck einer halbherzigen Alibi-Veranstaltung. Kraftlos startete der NPD-Zug im Ortsteil Dierkow an einer Haltestelle, nachdem er wegen brennender Güterwaggons und massiven Gegenprotesten in anderen Stadtteilen dorthin verlegt werden musste. Fernab großer Wohnsiedlungen ging es kilometerweit durch fast menschenleere Straßen. Mobile Fahrraddemonstranten und zahlreiche kleine Sitzblockaden machten den Neonazis zu schaffen, anders als sonst wurden kaum Redebeiträge gehalten. Immer wieder mussten betrunkene Anwohner, die mitmarschieren wollten, vom Ordnungsdienst unter Frank Klawitter aus Greifswald entfernt werden. Ohne Unterlass dröhnte eingängige Musik auch von der nationalen Liedermacherin Annett Müller aus den Lautsprechern.  Der Kultstar der Szene distanzierte sich unlängst von der Szene. Ohne interessiertes Publikum auf Balkonen oder in den Fenstern wurde dann auch die Zwischenkundgebung an der Rövershäger Chaussee abgehalten.

Einzig der radikal-völkische Berliner Rechtsanwalt Wolfram Nahrath hielt  eine längere, äußerst grenzwertige Rede. Während der Jurist mit heiserer Stimme laut ins Mikrophon krächzte: „Schlagen wir Ihnen ihr eigenes Grundgesetz um die Ohren!“, saß sein Berufskollege, das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewski zeitweilig völlig in ein Buch versunken auf einer Bordsteinkante.

 

Thomas Wulff zeigt Präsenz

Nahrath war mit seinem Mandanten Thomas Wulff aus Hamburg zur Demonstration erschienen. Eigentlich eine Provokation für den NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern unter Führung von Stefan Köster. Hatte doch sein Fraktionschef im Schweriner Landtag, der amtierende Bundesvorsitzende Udo Pastörs, den Ausschluss von Wulff aus der Partei mit beantragt, weil der sich offen als „Nationalsozialist“ bezeichnet hatte und so einem Parteiverbot Vorschub leisten könnte. Intern schwelt der Konflikt dabei seit Jahren. Wulff hatte sich mit seinem ehemaligen Mitbewohner Michael Grewe, Mitarbeiter im Landtag, überworfen und nie Fuß fassen können in seiner ostdeutschen Wahlheimat.

Während sein Kontrahent Pastörs am 1. Mai in Duisburg weilte, nutzte Wulff die Chance um Präsenz zu zeigen. Nahrath, der einst dem Parteischiedsgericht angehört hatte und selbst ein Haus in Mecklenburg besitzen soll, wich während des Marsches nicht von Wulffs Seite. Das Lüneburger NPD-Vorstandsmitglied Manfred Börm, ein Verwandter von Nahrath,  gesellte sich immer wieder zu den beiden.

Umso mehr überraschte es, dass, obwohl der befreundete Berliner Parteichef Sebastian Schmidtke angereist war und ansonsten auch zahlreiche eigene Redner zur Verfügung standen, ausgerechnet Nahrath den Hauptpart übernehmen konnte. Dessen Gewichtung innerhalb der bundesweiten Szene scheint immer noch der Tatsache geschuldet, dass er einst in der 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“ die meisten der heutigen Anführer heranzog und ausbildete.

 

„Wir kämpfen für Deutschland“

Der Jurist schwadronierte über den Sinn des Lebens, der in „Aufzucht und Erziehung insbesondere erbgesunder deutscher Kinder“ bestehe. Verantwortliche der Polizei zuckten bei den Worten zusammen, ließen ihn aber gewähren. Auch als der Redner der NS-Zeit huldigte und schrie: „.. wo wir damals standen: in Blüte, in Macht und im Reich!“, passierte nichts. Die Kameraden klatschten. NPD-Landeschef Köster schloss mit einer  sehr kurzen Rede an, schimpfte gegen einen NDR-Redakteur, den SPD-Politiker Patrick Dahlmann und vor allem die Gegendemonstranten.

Vorne an einem Transparent strahlte Nils Matischent, ehemaliger Anhänger der „Autonomen Nationalisten Güstrow“, jetzt ebenso wie seine junge Frau Monika Kandidat der NPD für den Kreistag. Matischent ist rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er an einem brutalen Überfall Vermummter auf den Jugendclub „Phönix“ mit mehreren Verletzten beteiligt war. NPD-Vertreter aus dem gesamten Bundesland hielten Transparente mit Sprüchen wie „Wir kämpfen für Deutschland“ oder ein braunes Banner mit den Parolen: „Wir lassen uns nicht länger belügen: Heimat und Identität bewahren – Asylbetrug stoppen“ der rechtsextremen Bürgerinitiative „Schöner und sicherer wohnen“ in die Höhe.

Die neue Vorsitzende des kleinen und bisher sehr unauffälligen Landesverbandes des „Rings Nationaler Frauen“ Antje Mentzel forderte mit zwei weiteren Mitstreiterinnen schriftlich: „Erziehung ist Arbeit“. Vor über zehn Jahren hatte sie als „Rädelsführerin“ einer kurze Zeit später verbotenen Kameradschaft gewirkt.

 

„Blood&Honour“-Tattoo am Arm

Es gab „Supporter“ der eigentlich aus Thüringen stammenden „Hermunduren“ sowie der „Arischen Bruderschaft“, die zwei gekreuzte Handgranaten als Logo tragen. Neonazis waren unter anderem aus Neukloster, Malchin, Ostvorpommern, Schwerin, dem Herzogtum Lauenburg, Lübeck, Kiel, Hamburg, Berlin oder Brandenburg angereist.

Auffällig wenige Vertreter der Jungen Nationaldemokraten schienen anwesend, auch fehlte deren Wortführer Sebastian Richter. Das völlig heterogene Kameradschaftsspektrum mit Gruppen wie „NS Rostock“ oder „Weisse Wölfe Terrorcrew“ war ebenso vertreten wie Anhänger des „Bollwerks“, der „Bützower Jungs“, der „Pommern Divison“ oder aus anderen kleinen Kameradschaften. Aktivisten von „Freies Pommern“ waren kaum zu sehen. Enrico Hamisch vom „Kameradschaftsbund Usedom“ trug ein Shirt der „Falange Espanola“. Marcus Guttsche aus Greifswald und andere Vertreter der „Anti-Antifa“ fotografierten getarnt als Medienvertreter unermüdlich.

Der lokale Chef der expandierenden Kameradschaft „Brigade 8“ trug gut sichtbar ein „Blood&Honour“-Tattoo am Arm. Diese Organisation ist in der Bundesrepublik Deutschland verboten. Auf dem Rücken seines schwarzes Shirts prangte der Spruch „Let the battle begin“ sowie ein Maskierter mit einem Gewehr. Seine bunthaarige Freundin trug offen „Sonnenstudio 88“ zur Schau. Nichts schien verboten an diesem Tag in Rostock. Auch der Hitlergruß eines rechten Anwohners vor den Augen von Polizisten erregte kein Aufsehen. Als der Mann gemeinsam mit anderen einen farbigen Gegendemonstranten beleidigte, schritten die Beamten nicht ein.

 

Neonazis umzingeln Kamerateams und Journalisten

So verharrten die Einsatzkräfte auch viel zu lange in Tatenlosigkeit, als David Petereit nach dem Redebeitrag von Köster gegen 17.20 Uhr sichtlich beleidigt das Ende der angemeldeten Versammlung bekannt gab und sich Glatzköpfige um Andreas Theißen sofort Lederhandschuhe überstreiften und in Richtung Pressevertreter bewegten. Ein Fotograf wurde durch die Menge geschubst, auch vorbei an Polizisten. Immer mehr Neonazis strömten herbei und umzingelten die kleine Gruppe aus Kamerateams, Fotografen, Journalisten und Gegendemonstranten. Als der Befehl zum Helmaufsetzen erfolgte, stöhnte einer der Beamten mit Blick auf die Pressevertreter laut verständlich: „Jetzt müssen wir für die den Kopf hinhalten“.

Es kam zu Rangeleien. Wenige aggressive Neonazis wurden aus der Menge gezogen, weggeschleppt und deren Personalien aufgenommen. Die Rechten waren außer Kontrolle. Sie zogen zunächst in Richtung Innenstadt, bis anrückende Polizeikräfte sie wieder einfingen und in Richtung des nächsten Bahnhofs dirigierten. Kurz vor dem Regionalbahnhof Kassebohm versuchte der routinierte ehemalige Kameradschaftsanführer Thomas Wulff an Geltung zu gewinnen und eine Spontandemonstration anzumelden. Ohne Erfolg.

Zwei Tage später, am frühen Sonntagnachmittag, dem 4. Mai, fanden sich dann zahlreiche Neonazis beim „Thinghaus“ im Gewerbegebiet von Grevesmühlen zum Zeitzeugenvortrag ein. Über 40 Fahrzeuge überwiegend mit jungen Leuten aus Mecklenburg, aber auch aus Hamburg und angrenzenden Regionen besetzt, parkten vor der hölzernen Festung mit Wachturm und Hunden.  Angekündigt war der Vortrag eines Veterans des „Deutschen Afrika-Korps“ vom Projekt „Ein Fähnlein“ des Bremer Neonazis Henrik Ostendorf. (bnr.de berichtete) Einsatzkräfte der Polizei sollen sich erst zur Abfahrt der einschlägigen Gäste gezeigt haben.