Zaunspaziergang an der neuen EZB

Squat the ECB

200 Teilnehmer*innen in guter Stimmung // Kaffee-, Kuchen- und Getränkestand // Verlosung von „passiver Bewaffnung“ und Vermummungsgegenständen // inhaltliche Redebeiträge zu prekären Arbeitsbedingungen der Textilproduzent*innen weltweit und der Sexarbeiter*innen im Bahnhofsviertel // zahlreiche Überwachungskameras mit Mülltüten vorübergehend unschädlich gemacht //  feierliche Schließung der EZB

 

27.04.2014: Am heutigen Sonntag beteiligten sich knapp 200 Menschen am zweiten Sonntagsspaziergang rund um das neue Gebäude der EZB. Eingeladen hatte der regionale Blockupy-Vorbereitungskreis NoTroika der damit an die Tradition der Sonntagsspaziergänge an der Startbahn West anknüpft. Start- und Endpunkt der Veranstaltung heute war ein Stand mit Kaffee, Kuchen und Getränken an der Wiese zwischen Main und EZB. Dort begann auch recht bald eine Verlosung von Gegenständen, die zur Vermummung oder sogenannter passiver Bewaffnung geeignet sind. So konnten sich die glücklichen Gewinner*innen unter anderem mit der Demo-Ausrüstung ausstatten, wegen der ein Aktivist aus dem Rhein-Main-Gebiet momentan in Frankfurt vor Gericht steht. Ein junger Aktivist in Grundschulalter konnte eine Hass-Kappe gewinnen und macht damit wohl einen ersten Schritt in Richtung einer aufregenden Zukunft in der autonomen Szene.

Neben inhaltlichen Redebeiträgen gab es auch einige kleinere aktionistische Einlagen. So wurden zahlreiche Überwachungskameras mit Mülltüten verhängt und so vorübergehend unschädlich gemacht. Dies begann bereits zu Beginn des Kuchenstandes und setzte sich den ganzen Spaziergang über fort. Jede mit Hilfe von Leitern und langen Stangen erfolgreich platzierte Tüte wurde von den Spaziergänger*innen mit Applaus und Jubel gefeiert. Weder Polizei noch Sicherheitsdienst reagierten darauf in irgendeiner Weise. Die Frankfurter Polizei ist nach der skandalösen Kesselung der Blockupy-Demo 2013 derzeit offensichtlich um demonstrative Zurückhaltung bemüht.

Inhaltlich hatte die Gruppe turn*left in ihrer Vorbereitung den Schwerpunkt auf den Zusammenhang von Sicherheit und Prekarisierung gelegt. Im Neoliberalismus geht der Ausbau einer autoritären Sicherheitsarchitektur unter anderem mit der Zunahme von prekären Arbeitsbedingungen einher. Zustimmung wird nicht mehr über ökonomische Sicherheit für breite Bevölkerungsschichten organisiert, sondern über autoritäre Modelle von Gemeinschaft, die gegen konstruierte Bedrohungen gesichert werden müssen. Die zunehmende Verarmung und Prekarisierung breiter Bevölkerungsschichten wird hingegen als natürliches und notwendiges Übel verkauft. Mit dem Ausbruch der multiplen Krise seit 2008 haben sich diese Phänomene deutlich verschärft aber keineswegs grundsätzlich geändert.

Über diesen grundlegenden Zusammenhang von Sicherheit und Prekarisierung hinaus ging Thomas Seibert von Medico International in seinem Redebeitrag auf die Situation der Textilarbeiter*innen in Pakistan und weltweit ein. Er sprach als Ersatz für Zehra Khan, die Generalsekretärin der HBWWF (Home Based Women Workers Federation) aus Pakistan. Sie hatte kein Visum für Europa bekommen. Thomas warb eindringlich dafür, Druck und Aufmerksamkeit für die Situation der Textilarbeiter*innen in den nächsten Monaten aufrecht zu erhalten. Gerade für die Betroffenen des Unglücks vom Rana Plaza in Bangladesh dürfte dies mitentscheidend sein, ob es möglich sei vertretbare Entschädigungen zu erkämpfen.

Jenny Künkel vom Institut für Humangeographie forscht zur Situation der Sexarbeiter*innen in Frankfurt. Sie berichtete von den drohenden Folgen des von der großen Koalition geplanten Prostitutionsgesetzes. Durch dieses sei mit einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen zu rechnen. Solche verschärfte Repression könne die Situation der Frauen keinesfalls verbessern und könne daher keine linke Haltung zur Frage des Umgangs mit Prostitution sein.

Gegen Ende des Spazierganges wurde mit einer feierlichen Zeremonie die Schließung der neuen EZB durchgeführt. Neben der Gewinnung von sozialverträglichen Wohnraum mit fantastischem Mainblick sei es darum gegangen, der EZB als Teil der Troika mit ihrer autoritären Verarmungspolitik das Leben schwer zu machen. Dies bedeute jedoch keineswegs, dass die Troika als alleinige Verursacherin der Krise gesehen werde oder sich von ihrer Abschaffung die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme versprochen werde. Langfristiges Ziel sei vielmehr die Vergesellschaftung der Produktionsmittel durch die freie Assoziation der Produzent*innen und eine Abschaffung aller gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse. Auf dem Weg dahin könne die Schließung der EZB nur ein erster kleiner Schritt sein. Mit knallenden Sektkorken und unter lautem Jubel wurde Tor 3 mit Hilfe von Kette, Vorhängeschloss und rot-weißem Absperrband unbenutzbar gemacht.

Im Rückblick ein netter Nachmittag mit einer bunten Mischung von Menschen, leckerem Kuchen, interessanten Redebeiträgen und frechen aktionistischen Einlagen. Diese gingen heute einen deutlichen Schritt weiter als beim letzten Mal. Was die nächsten Sonntagsspaziergänge, die ja bis zur EZB-Eröffnung im Herbst monatlich geplant sind, bringen werden, kann also mit Spannung erwartet werden!