Angesichts der Gewaltbereitschaft, die bei Neonazis in Leipzig und Sachsen seit Jahrzehnten nicht nur existiert, sondern sich über die Jahre in Übergriffen auf andere Menschen manifestiert hat, steht man wirklich kurz vor der Frage: Berichten oder bleiben lassen? Aber Gewalt bleibt Gewalt. Auch Neonazis mit einem gehörigen Gewaltpotenzial müssen sich auf den Rechtsstaat verlassen können. Ganz gleich, wie sie ihn selbst sonst sehen.
Parteisprecher Jürgen Gansel ist erregt. Wiederholt ereigneten sich in
den vergangenen Wochen im Raum Leipzig Anschläge gegen NPD-Mitglieder.
Unter anderem ging der Pkw von Landesvize Maik Scheffler in Flammen auf.
Gansel spricht mittlerweile von „Anschlagsserie“ und fühlt sich von der
Polizei allein gelassen. Deshalb organisieren die Partei nun
„Selbstschutz“ für die Kameraden. Der Staat wolle die Rechten - so
Gansels Lesart - nicht schützen. Der Presse wirft der NPD-Mann
Verharmlosung vor. Aus dem vorbestraften früheren Lok-Hooligan Enrico
Böhm wird in der Mitteilung zu einem Angriff auf seine Wohnung ein
unbescholtener Vater eines fünfjährigen Sohnes.
Mal ausdrücklich an dieser Stelle: Der am heutigen 21. April 2014 um
1.48 Uhr stattgefundene „Farbbombenanschlag“ auf die Wohnung Böhms (laut
Darstellung der NPD) ist zu verurteilen. Gewalt war und ist kein Mittel
der politischen Auseinandersetzung. Warum sich diejenigen, die Böhm
attackierten, hier auf eine Stufe mit Rechtsradikalen stellen, bleibt
deren Geheimnis. Möge die Polizei sie finden. Gansel hingegen wittert
bereits eine staatliche Verschwörung, denn die Polizei benötigt seiner
Meinung nach zu viel Zeit für die Ermittlungen. Eine Erfahrung, die so
manchem Opfer rechter Gewalt in Sachsen bekannt sein dürfte, wenn es um
Ermittlungen im radikalen Milieu geht.
Für Jürgen Gansel offenbar eine neue Erfahrung. Vielleicht stellt er nun
selbst fest: An dem Gerücht, der Polizei fehlen Personalstellen, könnte
ein Fünkchen Wahrheit dran sein. Gekümmert hat die brisante Thematik
den NPD-Mann in seiner Landtagsarbeit bislang nicht wirklich, die Themen
Asylbewerber und Islam waren wichtiger. Für Gansel sind die fehlenden
Ermittlungsergebnisse der Polizei Zeichen einer Verschwörung. „Trotz der
Tatsache, dass es sich um den zehnten Anschlag in Serie seit Beginn des
Leipziger Kommunalwahlkampfes handelt (insgesamt vier Brandanschläge
auf Fahrzeuge der NPD-Stadtratskandidaten sowie sechs Farbanschläge auf
deren Wohnungen), verharmlost die Leipziger Polizei und die regionale
Presse diese Taten lediglich als Sachbeschädigungen“, beschwert sich der
Rechtspropagandist.
Bislang waren es Sachbeschädigungen, bevor es vergangene Nacht den
Stadtratskandidaten Böhm traf, der die Bettruhe nach NPD-Darstellung
nicht im Schlaf- sondern im Wohnzimmer gefunden haben soll. Jetzt wird
auch berichtet, denn egal von wem gegen wen – Gewalt ist keine Lösung.
Dass sich die Täter dabei auf eine Auseinandersetzungsstufe mit rechten
Schlägern begeben, lässt nur verständnisloses Kopfschütteln zu. Jürgen
Gansel scheint wenige Stunden nach dieser Tat die Angreifer bereits zu
kennen. Es müssen Leute aus dem Umfeld von Linken-Stadträtin Juliane
Nagel sein. Die sind es doch immer?
Gansel spricht von „linksterroristischen Banden“, ganz im Idiom der
Weimarer Republik, und fordert – zu Recht – Aufklärung durch die
Polizei. Diese wird sicher stattfinden, soweit dies möglich ist. Denn
sogenannte „geschlossene, radikalisierte Szenen“ haben eines gemeinsam –
ihre Mitglieder packen nicht aus.