Die „Reutlingen Türk Ocaği“ lädt vom 18. bis zum 20. April 2014 im Stellwerk Reutlingen nahe dem Hauptbahnhof zum „Kermes“ mit Essen, türkischer Folklore und einer Hüpfburg ein. „Kermes“ heißt soviel wie „Volksfest“ auf Türkisch und „Ocaği“ bedeutet Feuerstelle. Was sich nach einem harmlosen Fest anhört ist in Wahrheit ein Treffen türkischer Faschist/innen. Denn hinter der „Reutlingen Türk Ocaği“ steht der Dachverband „Almanya Türk Federasyon“ (ATF, „Deutsche Türk-Föderation“), der Deutschland-Ableger der 1961 gegründeten türkischen „Milliyetçi Hareket Partisi“ (MHP, „Partei der Nationalistischen Bewegung).
Ihre Anhänger/innen sind auch bekannt als „Bozkurtlar“ („Graue Wölfe“) oder „Ülkücüler“ („Idealisten). Dabei handelt es sich um eine im Kern faschistische Bewegung. Nicht ohne Grund gilt der MHP-Begründer Ex-Oberst Alparslan Türkes (1917-1997) als Hitler-Verehrer. Gemäß ihrer Ideologie streben die Bozkurtlar einen Staat aller Turkvölker („Turan“) an und lehnen Rechte für Minderheiten in der Türkei ab. Besonders Armenier/innen und Kurd/innen gelten ihnen als Feinde, aber auch antisemitische bzw. antiisraelische Verschwörungstheorien finden sich bei ihnen zuhauf.
In der Türkei verübten Bozkurtlar während des Bürgerkrieges in den
1980er Jahren zahlreiche Morde an Linken und Kurd/innen, die Schätzungen
reichen hier von 1.000 bis 5.000 Ermordeten. Auch in Deutschland
verübten sie bis 1993 einzelne Morde und Ömer Güney, der mutmaßliche
Mörder von drei kurdischen Politikerinnen, die 2012 in Paris erschossen
wurden, trieb sich jahrelang im türkisch-nationalistischen Milieu in
Oberbayern herum.
Übergriffe auf der der Straße durch ihre Anhänger/innen finden bis heute auch in Deutschland statt. Die Bundesregierung zählte in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei 17 Fälle auf, in denen es von 2011 bis 2013 zu Angriffen von türkischen Nationalist/innen auf Kurd/innen kam.
Als am 8. April 2011 auf dem Reutlinger Marktplatz an einem dort aufgebauten Informationsstand eine Kundgebung gegen türkischen Nationalismus stattfand, an der 50-60 Personen teilnahmen, sammelten sich etwa 15 bis 20 türkische Faschist/innen in unmittelbarer Nähe und versuchten die Kundgebung anzugreifen.
Zwar ist der Schwerpunkt der Bozkurtlar in der Türkei, aber auch in der
deutsch-türkischen community verfügen sie über eine zahlreiche
Anhängerschaft. Im Jahr 2010 zählten sie 10.000 Mitglieder in 150 bis
200 Vereinen bei einem Umfeld von weiteren 80.000 Personen. Allein die
Versammlung der ATF am 26. November 2010 in Sindelfingen hatte 10.000
Teilnehmer/innen.
Die Bozkurtlar und ihre Abspaltungen verfügen in Deutschland über
zahlreiche Vereine, deren politischer Charakter Uneingeweihten aber
meist verborgen bleibt.
In Reutlingen war bisher bekannt, dass sich die Bozkurtlar hinter der
„Türkischen Gemeinschaft-Organisation Reutlingen“ e.V. (TGO Reutlingen)
verstecken und manchmal auch als „Türkischer Elterverein“ auftreten.