Bundeswehr läßt Kasernen von Billigwachen schützen

Erstveröffentlicht: 
02.02.2014

Ausgerechnet die Bundeswehr spart an der Sicherheit. Sie lässt ihre Kasernen durch private Wachdienste zu Billigstpreisen schützen. Das birgt Risiken – und verursacht Schäden in Millionenhöhe. Von Thorsten Jungholt und Martin Lutz

 

Behüten, dieses Wort zieht sich wie ein roter Faden durch die politische Karriere der Ursula von der Leyen. Wo immer die 55-jährige CDU-Politikerin wirkt, kümmert sie sich "um die Menschen". Im Familienministerium erfand sie das Elterngeld, im Arbeitsministerium die Lebensleistungsrente und in den Koalitionsverhandlungen setzte sie den Mindestlohn ins Werk.

Jetzt ist von der Leyen Verteidigungsministerin. Jetzt behütet sie Soldaten. Die Bundeswehr ist der Dienstleister für die nationale Sicherheit, die Soldaten dienen Deutschland, im Extremfall unter Einsatz ihres Lebens. Die erste Botschaft der Ministerin fiel entsprechend fürsorglich aus: "Das Wichtigste ist der Mensch, das Wichtigste sind nicht die Kosten."

Doch die Bundeswehr ist auch eine Behörde, die selbst Dienstleistungen einkauft. Und sobald die Streitkräfte als öffentlicher Auftraggeber in Erscheinung treten, haben sie mit Fürsorge nichts mehr im Sinn. Dann gilt ein völlig anderes Motto: Das Wichtigste sind die Kosten, nicht der Mensch.

Offerten "zum niedrigsten Preis" eingefordert

Ausgerechnet das Militär spart an der Sicherheit, und zwar in einem hochsensiblen Bereich – beim Schutz seiner Soldaten und Waffen. Dieser Zeitung liegen zehn aktuelle Ausschreibungen vor, mit denen die Bundeswehr Angebote privater Sicherheitsfirmen zur Bewachung ihrer Liegenschaften einholt.

Alle diese Offerten haben ein gemeinsames Kennzeichen: Sie werden zum "niedrigsten Preis" eingefordert. Diese gängige Praxis bedeutet, dass nicht das qualitativ hochwertigste Unternehmen den Zuschlag erhält. Auch nicht das mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Beides würden die Vorschriften zulassen.

Doch vor allem billig muss es sein. Die Behörde betätigt sich als Preisdrücker in einer Branche, in der ein extremer Wettbewerb tobt. Bei Personaldienstleistungen wie dem Wachschutz wird der Endpreis hauptsächlich über eines bestimmt: die Lohnkosten. Wer seine Mitarbeiter am knappsten hält, der kann das niedrigste Angebot abgeben.

Das Ministerium rechtfertigt seine Vergabepraxis damit, dass es sich bloß an die "Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit" halte. Weil der Wehrdienst ausgesetzt wurde und auch sonst immer weniger Soldaten zur Verfügung stünden, sei der Bedarf an zivil-gewerblicher Bewachung gestiegen. Die Ausgaben dafür kletterten von 186 Millionen Euro im Jahr 2010 auf rund 218 Millionen Euro 2013. In ihrer Not versucht die Bundeswehr also, diese Kosten zu drücken.

Der Geiz führt zu schweren Pannen

Doch in Fragen der Sicherheit ist billig nur scheinbar günstig. Tatsächlich ist der Geiz der Behörde teuer – und gefährlich. Denn er führt nicht selten zu schweren Pannen, die Schäden in Millionenhöhe verursachen: durch Anschläge auf Kasernen, Diebstahl von Waffen, Munition und Sprengstoff. In den vergangenen zehn Jahren registrierte das Ministerium nicht weniger als 1976 Verdachtsfälle von Straftaten gegen die Bundeswehr.

"Anschläge auf die Bundeswehr sowie auf Soldatinnen und Soldaten im Inland geben Anlass, auf die Sicherheitslage einzugehen", schreibt der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, in seinem jährlichen Mängelbericht. In dem Papier, das er in dieser Woche dem Parlament übergab, kommt der FDP-Mann zu dem Schluss, dass der Schutz der Liegenschaften grundsätzlich zu überprüfen ist. "Wenn man Kasernen zivil-gewerblich bewachen lässt, dann muss auf Qualität geachtet werden", sagte Königshaus dieser Zeitung. "Vom billigsten Anbieter ist die nicht immer zu bekommen."

Zugang zur Flugbereitschaft verschafft

Ein Fall, der den Anwalt der Soldaten besonders alarmierte, passierte in der Luftwaffenkaserne Köln-Wahn. Das ist jener Standort, von dem aus es Ende Juli vergangenen Jahres dem damals 26-jährigen Deutschtürken Volkan T. gelang, auf den benachbarten militärischen Teil des Flughafens Köln-Bonn vorzudringen. Der Bodybuilder verschaffte sich Zugang zu einer Maschine der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums, mit dem Kanzlerin Angela Merkel zu reisen pflegt.

Stundenlang konnte sich der Eindringling vollkommen ungestört am Jet zu schaffen machen. Er spielte im Cockpit Pilot, machte es sich in der VIP-Kabine des Airbus 319 gemütlich. Das klingt lustig. Doch am Ende kostete die Panne knapp 60.000 Euro. Und der Mann hätte auch Sprengstoff in der Maschine deponieren können.

Als privater Sicherungsdienst war die Nordwacht in Köln im Einsatz. Die Wachfirma mit Hauptsitz in Handewitt bei Flensburg betont, dass ihr "keinerlei Versäumnisse zur Last gelegt" werden. Auch das Verteidigungsministerium behauptet, es gebe keinen Hinweis auf ein Fehlverhalten. Das ist gewagt, denn im gleichen Atemzug teilt es mit: "Der gesamte Hergang konnte bisher weder in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch in Untersuchungen der Bundeswehr abschließend geklärt werden."

Jedenfalls hat die Bundeswehr aus dem Fall nichts gelernt. Gerade erst schrieb das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Köln die "zivil-gewerbliche Bewachung" der Luftwaffenkaserne Köln-Wahn aus. Geschätzter Gesamtwert des auf vier Jahre begrenzten Auftrags: vier Millionen Euro. Angebote konnten bis zum 6. Januar abgegeben werden – zum "niedrigsten Preis".

Das Geschäftsfeld scheint lukrativ

So läuft das landauf, landab. Der billigste Anbieter soll auch auf die Kölner Mudra-Kaserne aufpassen. Wert des Auftrags: 1,5 Millionen Euro, die Angebotsfrist endete am 2. Dezember 2013. Andere Dienstleistungszentren der Bundeswehr holten jüngst ebenfalls Offerten zu diesen Dumpingkonditionen ein. Dabei geht es um die Löberfeldkaserne in Erfurt, die Werratalkaserne Bad Salzungen, die Pionierkaserne Gera, die Tollens-Kaserne und die Kaserne Fünfeichen in Neubrandenburg sowie Liegenschaften in Ahlen, Aurich und Heide.

Das Geschäftsfeld scheint lukrativ: Landesweit unterhält die Truppe 2056 Liegenschaften, 455 davon müssen bewacht werden. An 361 Standorten übernehmen den Job private Sicherheitsfirmen. Dennoch kommt vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) Kritik. "Bei der Bundeswehr erfolgt die Auftragsvergabe leider grundsätzlich nach dem Billigstprinzip", sagte BDSW-Hauptgeschäftsführer Harald Olschok dieser Zeitung. "Deshalb sind in diesem Marktsegment nur noch relativ wenige Unternehmen unseres Verbandes tätig." Rund 5000 zivile Wachpersonen würden derzeit Liegenschaften der Bundeswehr schützen, "rund 2300 davon werden in Sicherheitsfirmen beschäftigt, die nicht zu uns gehören", so Olschok.

"Die Bundeswehr sorgt für einen Preiskrieg"

Stephan Leukert wird noch deutlicher. Der ehemalige Soldat, der zwölf Jahre als Offizier beim Heer diente, hat die Seiten gewechselt, arbeitet jetzt bei der Sicherheitsberatung Von zur Mühlen'sche GmbH in Bonn und ist dort Experte für öffentliche Ausschreibungen. Vom Geschäftsgebaren seines früheren Arbeitgebers hält er wenig. "Die Bundeswehr sorgt für einen Preiskrieg", sagt Leukert. Die meisten seriösen Unternehmen würden Bewachungsaufträge für die Streitkräfte gar nicht mehr übernehmen, "weil sie für den niedrigsten Preis nicht kostendeckend arbeiten können".

Denn sparen, sagt Leukert, "können die Firmen fast ausschließlich bei den Lohnkosten der Mitarbeiter, die über 80 Prozent des Preises ausmachen". In der Sicherheitsbranche gebe es Arbeitgeber, die Tarife eher als Empfehlung ansähen und Zwölfstundenschichten ohne Pausen anordneten. Ob die von der Bundeswehr beauftragten Firmen tatsächlich den tariflichen Mindestlohn zahlten und Arbeitszeitregelungen einhielten, werde bestenfalls stichprobenartig kontrolliert. Die Folge, sagt der ehemalige Soldat, seien nicht selten schwere Sicherheitsmängel: "Das Motto Geiz ist geil kann sehr teuer werden."

In der Tat. Unter den fast 2000 Straftaten gegen die Bundeswehr finden sich 524 Einbrüche, 294 Sachbeschädigungen und 55 Brandstiftungen. Aktenkundig wurden 460 Diebstähle, davon 14 Fälle von Munitions- und 30 Fälle von Waffendiebstahl. Die Truppe beklagt den Verlust von neun Gewehren und zwei Pistolen. Und das sind nur die offiziellen Angaben. Aus einer vertraulichen Aufstellung des Verteidigungsressorts geht hervor, was sonst noch so alles abhanden kam: In mindestens acht Fällen wurden Handgranaten, Sprengkapseln und Sprengschnüre gestohlen. In zwei Fällen Zünder, Sprengstoffladungen für Übungshandgranaten, Handgranaten und Sprengkörper. Wo die sind, weiß niemand. Keine schöne Vorstellung.

Anschläge auf Bundeswehrstandorte

Am teuersten wurden die Anschläge an Standorten, auf die private Sicherheitsfirmen aufpassen. So brachen im Juli 2013 Unbekannte auf das Gelände der Elb-Havel-Kaserne in Sachsen-Anhalt ein. Ungehindert vom Wachschutz, platzierten sie ein Dutzend mit Brandbeschleunigern gefüllte Plastikflaschen im Fuhrpark der Kaserne.

Die Bilanz: 16 abgefackelte Militärfahrzeuge, darunter ein Transportpanzer vom Typ Fuchs. Der Schaden: zehn Millionen Euro. Im April 2009 brannten in der Albertstadt-Kaserne auf dem Gelände der Offiziersschule des Heeres in Dresden sogar 42 Bundeswehrfahrzeuge. Schadenshöhe: rund zwei Millionen Euro. Auch hier war eine Wachdienstfirma engagiert.

Innenminister wollen auf Qualität achten

Nun ist die Bundeswehr keineswegs die einzige Behörde, die Wachaufträge an Unternehmen vergibt. Auch der Schutz etwa von Polizeidienststellen wird öffentlich ausgeschrieben. Doch die dafür zuständigen Landesinnenminister haben mittlerweile erkannt, dass billig nicht immer günstig ist. Auf der Innenministerkonferenz (IMK) im Dezember beschlossen sie, künftig stärker auf die Qualität zu achten.

"Die IMK spricht sich dafür aus, dass Bund und Länder bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge an private Sicherheitsdienste stets die Möglichkeit prüfen, qualitätssichernde Standards als Voraussetzung bzw. vorteilhaft zu berücksichtigendes Kriterium einer Auftragsvergabe in die Leistungsbeschreibung aufzunehmen", heißt es im Abschlussdokument des Treffens. Die Innenminister wollen also Abschied nehmen von den Billigheimern unter den Wachschützern.

Ein Blick in den Koalitionsvertrag lehrt, dass sich Union und SPD für die Bundeswehr sogar zu noch strengeren Regeln bekennen. Unter der Überschrift "Staatliches Gewaltmonopol schützen" heißt es dort auf Seite 179: "Militärische Aufgaben dürfen nicht auf private Unternehmen übertragen werden." Dieser hehre Anspruch freilich ist für die Auslandseinsätze gedacht. Ob er künftig auch für die eigenen Kasernen gelten soll, diese Frage der "Welt am Sonntag" ließ Verteidigungsministerin von der Leyen unbeantwortet.