[MD] Auswertung der Proteste gegen den “Gedenkmarsch” am 18.01.2014

antifa action day 18.01.14

Der jährliche “Gedenkmarsch” wurde durch die taktische und gewaltvolle Durchsetzung von 3300 Polizeikräften ermöglicht. Die Proteste, Blockaden und direkten Aktionen erreichten, dass der Aufmarsch mit drei Stunden Verspätung startete und etwa 150 Nazis den “Gedenkmarsch” nicht erreichten. An den direkten  Gegenaktivitäten beteiligten sich zwischen 1500 und 2000 Antifaschist_innen.

 

Der “Gedenkmarsch”


Die Organisatoren der “Initiative gegen das Vergessen” hatten im Vorfeld acht Routen im ganzen Stadtgebiet angemeldet und konnten sich in Absprache mit der Polizeidirektion Nord zum richtigen Zeitpunkt für die erfolgversprechendste Variante entscheiden. Nachdem der erste Aufmarschversuch östlich der Elbe an antifaschistischen Blockaden und Interventionen scheiterte, wurde der größte Teil der Nazis mit einem Sonderzug der Deutschen Bahn zum S-Bahnhof SKET im Südosten der Stadt gefahren. Von dort aus marschierten 750 Nazis auf einer 6km langen Route durch die Stadtteile Reform und Lemsdorf. Weitere 120 Nazis saßen östlich der Elbe im Stadtteil Herrenkrug fest und meldeten dort einen Ersatzspaziergang an. Auch weitere, kleinere Gruppen von Nazis schafften es nicht zum Startpunkt des Aufmarsches, da sie durch die mehrfache Verlegung der Route und massive Polizeiabsperrungen aufgehalten wurden. Insgesamt gehen wir von etwa 900 Nazis am 18. Januar in Magdeburg aus.


Zusätzlich kreiste ein, von Nazis bezahltes, Propellerflugzeug samt Banner mit der Aufschrift “16.000 Tote! unvergessen” stundenlang über der Stadt.


Der Polizeieinsatz: “Viel hilft viel.”


Der Naziaufmarsch wurde von insgesamt 3300 Bullen abgesichert, die sich im gesamten Stadtgebiet sowie auf den angrenzenden Zufahrtsstraßen verteilt hatten. Antifaschist_innen wurden von Seiten der Bullen zum Teil mit massiver Gewalt konfrontiert, was laut Sani-Bericht zu mehreren schweren und vielen leichten Verletzungen führte. So fuhren die Cops im Laufe des Tages die ganze Palette “technischer Zwangsmittel” vom Schlagstock bis zur Gasgranate auf, um die Gegenproteste zurückzudrängen. Entgegen vorheriger Polizeiankündigungen wurden auch passive Sitzblockaden unter Schlagstockeinsatz geräumt, was unsere Skepsis gegenüber dieser Art des Protests nochmals bekräftigt.


Im Laufe des Tages stellten die Bullen 140 Strafanzeigen und nahmen 33 Menschen vorübergehend in Gewahrsam. Dies stellt alle beteiligten Bündnisse und Gruppen vor die Aufgabe direkter Solidarität mit den Betroffenen.


Trotz des martialischen Einsatzes und des Großaufgebots scheiterte die Polizeiführung letztlich an ihrem Ziel, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen.


Diversität des Widerstands

Im Ganzen betrachtet war der 18. Januar 2014 ein dynamischer Antifa-Aktionstag mit vielen Möglichkeiten antifaschistischer Intervention.


Die Aktionsformen waren vielfältig, ebenso die inhaltlichen Akzente am Tag. Auf der Nazi-Route selbst gab es mehrere Sitzblockaden und der DB-Sonderzug der Nazis wurde durch eine Schienenblockade aufgehalten. Durch Sabotage auf mehreren Bahnstrecken wurde die Anreise der Nazis beeinträchtigt. Laut Presse kam es bei Ausschreitungen zu 12 beschädigten Polizeifahrzeugen und augenscheinlich wurde auch die „Agentur für Arbeit“ Ziel von Angriffen. An vielen weiteren Stellen in der Stadt kam es zu Glasbruch und Barrikadenbau, viele Antifaschist_innen verteidigten die Protesträume offensiv gegenüber den Bullen und hielten diese in Schach. Zudem hatten einige Nazi-Gruppen handfeste Probleme bei ihrer An- und Abreise.


Für uns ist der 18. Januar 2014 ein deutlicher Beweis dafür, dass eine Vielzahl verschiedener, parallel stattfindender Aktions- und Widerstandsformen nötig sind, um dem Naziaufmarsch tatsächlich stören oder verhindern zu können.

 

Bündnisse und Infrastruktur


Die beiden Blockadebündnisse Magdeburg Nazifrei und Block MD standen, trotz vorheriger Differenzen, am 18. Januar im konstruktiven Austausch untereinander. Die Informationsstrukturen ergänzten sich gegenseitig und auf der Straße gab es zum Teil gemeinsame Dynamiken. Wo in bestimmten Situationen das Beharren auf friedliche Sitzblockaden und die Anmeldung von Kundgebungen nicht ausreichten, sorgten offensive Schienenblockaden und Barrikaden für die notwendigen unkontrollierbaren Räume. Wir schätzen die Infra- und Infostruktur am 18.01.14 insgesamt als gelungenen ein, da die Fehler und Versäumnisse des letzten Jahres zu einer effektiveren, zielgerichteteren Arbeit führten.


Im Kontrast zu der meist pragmatischen Zusammenarbeit am Tag selbst stehen die Monate vor dem Aufmarsch, die durch unsolidarisches Verhalten, üble Nachrede und Ignoranz zwischen den beiden Bündnissen geprägt waren. Für zukünftige Erfolge im Sinne einer produktiven Zusammenarbeit müssen sich zumindest die Formen von Kritik und politischer Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Akteur_innen ändern.

 

Erfolge und Herausforderungen

 

Die Proteste verursachten die seit Jahren größten Einschränkungen im Ablauf des “Gedenkarsches” und störten diesen erheblich. Zum Einen konnte der Aufmarsch erst mit erheblicher Verspätung starten, zum Anderen wurde die Teilnahme am “Gedenkmarsch” für etwa 150 Nazis komplett verhindert. Mit einer Intensivierung der Proteste ist im Januar 2015 eine Verhinderung des “Gedenkmarsches” entgegen aller polizeilichen Bemühungen möglich.


Die bundesweite antifaschistische Beteiligung war mit ca. 1500-2000 Antifaschist_innen geringer als 2013, was auf verschiedene Ursachen zurück zu führen ist. So zum Beispiel die relativ späte und geringe Anzahl von Mobiveranstaltungen, frustriedene Erfahrungen aus dem Vorjahr oder zeitgleich statt findende Ereignisse wie die drohende Räumung der Oranienplatzbesetzung in Berlin.


Für die Verhinderung des “Gedenkmarsches” ist eine signifikant höhere Beteiligung nötig, um im gesamten Stadtgebiet unkontrollierbare  Räume zu schaffen und aufrecht zu erhalten.


Am 18. Januar 2014 kam es zu mehreren direkten Nazi-Angriffen auf Antifaschist_innen, sowohl am Rande der Proteste als auch auf der Heimreise von Magdeburg. In manchen Fällen konnten die Betroffenen sofort unterstützt werden, in anderen Fällen gab es keine Strukturen dafür. Paradoxerweise führen erfolgreiche Blockaden des “Gedenkmarsches” dazu, dass die unmittelbare Gefahr durch angereiste Nazis am Tag des Aufmarsches größer wird. Wenn sich die Nazis nicht mehr in Reih und Glied durch die Stadt schieben, stellen sie in kleineren und größeren Gruppen ein akutes Risiko für viele Menschen dar. Für diese Situation braucht es handlungsfähige Antifa-Strukturen, die am Tag ein grundlegendes Selbstschutzkonzept für die Proteste und Blockaden  gewährleisten können.


Sowohl 2013 als auch 2014 bildete das S-Bahn-Netz das infrastrukturelle Rückgrat des Naziaufmarsches. Solange dies so bleibt, benötigen die Proteste ein dezentrales Aktionskonzept, bei dem in vielen Stadtteilen und vor allem auf beiden Seiten der Elbe Antifaschist_innen in handlungsfähiger Zahl unterwegs sind.

 

Fazit

 

Wir ziehen aus den Protesten vom 18. Januar 2014 zwei wesentliche Schlussfolgerungen für kommende antifaschistische Proteste in Magdeburg.


Zum Einen ist die Verhinderung des “Gedenkmarsches” durch ein Zusammenspiel von vielen unterschiedlichen Aktionsformen durchaus möglich. Trotz der martialischen und massiven Polizeipräsenz zeigte uns der Tag das Potential, welches in antifaschistischen Widerstandsdynamiken bei Großereignissen liegt. Dieses Potential weiter auszubauen und die enorme Aufmerksamkeit für politische Inhalte zu nutzen – darin besteht die Herausforderung für den “Gedenkmarsch” im Januar 2015.


Zum Anderen sehen wir eine große Chance in der Etablierung bürgerlicher Blockadebündnisse. Wenn diese selbständig die Organisation der “friedlichen Massenblockaden” übernehmen, können sich antifaschistische Gruppen anderen Aufgaben stellen und eine Rolle in der Verhinderung des Naziaufmarsches einnehmen, die einer antagonistischen linken Politik angemessen ist. Die Protestdynamiken im Umfeld der Blockaden bieten Raum für zahlreiche Inhalte und Aktionsformen, um eine Kritik jenseits des Anti-Nazi-Konsens auszudrücken. Wir sehen die neue Aufgabe autonomer und kommunistischer Antifa-Gruppen am Tag des „Gedenkmarsches“ darin, durch vielfältige, direkte Aktionen den Nazis den Tag zu vermiesen und zugleich eine handfeste linke Kritik an den bestehenden Verhältnissen auf die Straße zu tragen.

 

AK Antifa Magdeburg im Januar 2014
www.akantifa.blogsport.eu