Hartz IV für Zuwanderer: Unionsspitze schießt sich auf EU-Kommission ein

Erstveröffentlicht: 
11.01.2014

"Unerklärlich", "enttäuschend", "inakzeptabel": Spitzenpolitiker der Union feuern aus allen Rohren gegen die EU-Kommission - weil Brüssel für Ausländer einen leichteren Zugang zu deutschen Sozialleistungen angemahnt hat. Besonders lautstark wettert Horst Seehofer.

 

Berlin - Gestern musste die zweite Reihe ran, jetzt schaltet sich auch die Parteispitze der Union in die Debatte um Sozialleistungen für Zuwanderer ein. Am Freitag war bekannt geworden, dass die Kommission den pauschalen Ausschluss vieler EU-Ausländer von Hilfen im deutschen Sozialsystem bemängelt.

 

 

"So etwas schadet der Zustimmung zur europäischen Idee", sagte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer der Nachrichtenagentur dpa mit Blick auf Bereiche, in denen sich Brüssel in nationale Belange einmischt. "Die Kommission agiert oftmals, ohne wirklich die Lebensrealitäten zu kennen", klagte der bayerische Ministerpräsident in München. Als Beispiele nannte er neben dem Thema Zuwanderung auch die Einlassungen Brüssels zur geplanten Pkw-Maut auf Autobahnen oder zu den Ausnahmen für energieintensive Betriebe beim Erneuerbare-Energien-Gesetz.

Er und seine Partei seien täglich unterwegs, um in Bayern "eine positive Grundstimmung für Europa zu organisieren". "Und dann gibt es fast im wöchentlichen Rhythmus solche ärgerlichen Rückschläge." Das sei "alles einfach unerklärlich und enttäuschend". Das sei aber "nicht ein Mangel Europas, sondern ein Mangel der EU-Kommission".

 

An diesem Montag werde sich das bayerische Kabinett mit dem Thema Zuwanderung befassen, kündigte der Ministerpräsident an. Dabei werde man beschließen, was auf europäischer Ebene aus bayerischer Sicht geschehen müsste.

 

Hintergrund ist ein Bericht der "Süddeutschen Zeitung" vom Freitag. Demnach haben die Brüsseler Kommissionsbeamten in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einen leichteren Zugang von EU-Zuwanderern zu Sozialleistungen in Deutschland gefordert. Nach deutschem Recht sind bestimmte Gruppen von Zuwanderern in der Bundesrepublik pauschal von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen. Diese Regelung ist nach Ansicht der Kommission jedoch mit europäischem Recht nicht vereinbar, es müsse eine Prüfung im Einzelfall geben.

 

Kauder wirft der Brüsseler Behörde Kurzsichtigkeit vor


Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat die EU-Kommission in der Zuwanderer-Debatte attackiert. "Die Haltung der EU-Kommission ist völlig inakzeptabel", sagte der CDU-Politiker der "Bild"-Zeitung. "Würde sich ihre Ansicht durchsetzen, würde es vermutlich einen erheblichen Zustrom von Menschen geben, die allein wegen der Hartz-IV-Zahlungen nach Deutschland kommen würden."

 

Kauder warf der Brüsseler Behörde Kurzsichtigkeit vor. "Die EU-Kommission scheint wieder einmal die Folgen ihrer Positionen nicht recht zu bedenken", sagte er und ergänzte: "Es hat keinen Sinn, das Thema der Armutszuwanderung zu leugnen, auch wenn wir in den nächsten Jahren viele neue Fachkräfte aus dem Ausland brauchen werden."

 

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet äußerte sich ähnlich: "Wir haben bewusst keine Sozialunion", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Es sei ein europäisches Grundprinzip, dass nur derjenige Leistungen erhalte, der auch etwas eingezahlt habe. "Diese Prinzip muss man aufrechterhalten, sonst kann sich jeder das Sozialsystem aussuchen, das für ihn am günstigsten ist."

 

 

Dabei gehe es nicht nur um Rumänen und Bulgaren, sondern auch um Bürger aus reicheren EU-Staaten. "Sollte das in Frage gestellt werden, so muss die Europäische Union dieses Grundprinzip wieder herstellen", verlangte Laschet.

Bereits am Freitag hatten CSU-Generalsekretär Andreas Schauer und der Vorsitzende der CSU-Gruppe im EU-Parlament, Markus Ferber, das Feuer gegen die Kommission eröffnet.

 

Etwas nachdenklicher klingt der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), in der "Wirtschaftswoche". Mit Blick auf die seit Januar geltende völlige Freizügigkeit auch für Rumänen und Bulgaren sagte er: "Wir können nicht leugnen, dass es in manchen Städten Probleme gibt mit einer kleinen Minderheit, die nicht oder schwer integrierbar ist und sich nicht verantwortungsbewusst verhält." Darüber müsse man "rational, offen und ehrlich reden".

 

ric/dpa/Reuters