Untersuchung der Londoner Krawalle: Todesschütze der Polizei entlastet - wütende Proteste

Erstveröffentlicht: 
08.01.2014

Der Schwarze Mark Duggan wurde im August 2011 von der Londoner Polizei erschossen, sein Tod löste die schwersten Straßenunruhen seit Jahren aus. Nun entlastet eine Jury den Todesschützen - Duggans Familie und Aktivisten reagieren entsetzt. Von Carsten Volkery, London.

 

Die Worte des stellvertretenden Londoner Polizeichefs Mark Rowley gingen in ohrenbetäubendem Lärm unter. "Mörder, Mörder", brüllten die Demonstranten vor dem Londoner Gerichtsgebäude. Rowley wollte das Ergebnis der gerichtlichen Untersuchung zum Tod Mark Duggans kommentieren. Doch die aufgebrachte Menge wollte ihn nicht hören.

 

Mit 8 zu 2 Stimmen entschied eine Jury am Mittwochnachmittag, dass Scotland Yard den 29-jährigen Schwarzen Duggan im August 2011 rechtmäßig erschossen hatte. Die Todesschüsse auf den jungen Familienvater aus dem Londoner Stadtteil Tottenham hatten damals die schwersten Straßenunruhen seit Jahrzehnten ausgelöst. In mehreren britischen Städten wurden Geschäfte geplündert und in Brand gesteckt. Fünf Menschen starben, tausende wurden festgenommen.

 

Duggan wurde zum Symbol des Misstrauens zwischen der Polizei und den Minderheiten, viele Schwarze konnten sich mit seinem Schicksal identifizieren. Die Entlastung des Todesschützen sorgte daher nun für heftige Reaktionen. Demonstranten vor dem Gericht riefen: "Fuck the police". Duggans Mutter Pamela brach in Tränen aus. Seine Tante Carole sagte: "Er wurde exekutiert". Sie stellte sich mit erhobener Faust vor die Kameras und rief: "Keine Gerechtigkeit, kein Frieden."

 

Es war kein Strafprozess, daher gab es auch kein Urteil. Die Aufgabe der Jury war es nur, den Polizeieinsatz zu rekonstruieren und die Tatsachen zu bewerten.

 

Duggan hatte keine Waffe in der Hand


Am 4. August 2011 hatten Fahnder in drei Zivilfahrzeugen ein Taxi in Ost-London zum Anhalten gezwungen, in dem Duggan als Passagier saß. Sie hatten ihn schon länger im Verdacht, ein Gang-Mitglied zu sein, und wollten ihn des unerlaubten Waffenbesitzes überführen. Nachdem Duggan ausgestiegen war, eröffnete ein Beamter das Feuer und tötete ihn mit zwei Schüssen. Der Polizist erklärte hinterher, er habe eine Waffe in Duggans Hand gesehen und aus Notwehr gehandelt. Duggans Pistole wurde jedoch drei bis sechs Meter vom Tatort entfernt gefunden - auf der anderen Seite eines Zauns.

 

Die Jury stellte nach der Anhörung von über hundert Zeugen nun fest, dass Duggan zum Zeitpunkt der Schüsse unbewaffnet war. Sie akzeptierte jedoch die Erklärung des Beamten, dass er in dem ehrlichen Glauben gehandelt habe, Duggan sei bewaffnet gewesen. Laut Jury hatte Duggan die Pistole im Taxi bei sich und sie wahrscheinlich aus dem Fenster geworfen, als er die Polizeiaktion bemerkte.

 

 

Scotland Yard appellierte an die Londoner, die Bewertung der Jury anzuerkennen. Kein Beamter beginne einen Einsatz in der Absicht, jemanden zu erschießen, sagte Kommissar Rowley. Der Schütze habe seine Entscheidung im Bruchteil einer Sekunde treffen müssen, und er habe eine nachvollziehbare Einschätzung getroffen. Aber er sei sich bewusst, dass nicht alle diese Erklärung akzeptierten.

 

In Tottenham sorgte die Entscheidung für Unverständnis. "Wenn er keine Waffe in der Hand hatte, ist schwer zu erkennen, wie diese Tötung rechtmäßig sein kann", sagte die Labour-Unterhausabgeordnete Diane Abbott. "Es gibt viele Menschen in London, die über dieses Urteil sehr unglücklich sind". In die Kritik mischte sich auch die Sorge vor möglichen neuen Unruhen. "Ich glaube nicht, dass die Polizei dies als Sieg verbuchen kann", sagte Nims Obunge, ein Pastor aus Tottenham. "Jetzt wachsen die Zweifel an der Justiz. Wir müssen dafür sorgen, dass der Frieden erhalten bleibt."

 

Nach den Krawallen vor zwei Jahren hatte die Polizei ihre aggressiven "Stop and Search"-Praktiken zurückgefahren, doch Bewohner von Tottenham sagen, das Verhältnis zur Polizei habe sich nicht verbessert. Die Anwältin der Duggan-Familie sprach von einem "perversen" Urteil: "Wir werden weiter für Gerechtigkeit kämpfen".