„Eine andere Welt ist möglich!“ - 20 Jahre za­pa­tis­ti­scher Auf­stand, 20 Jahre er­folg­rei­che Re­vo­lu­ti­on

„Eine andere Welt ist möglich!“ - 20 Jahre za­pa­tis­ti­scher Auf­stand, 20 Jahre er­folg­rei­che Re­vo­lu­ti­on

Vor 20 Jah­ren, am 1.​1.​1994, über­rasch­te der Auf­stand der Za­pa­tis­tas in Me­xi­kos süd­lichs­tem Bun­des­staat Ch­ia­pas Me­xi­ko und die Welt. Die Mäch­ti­gen rie­ben sich ver­wun­dert die Augen: Un­er­hört! Eine linke Gue­ril­la, ge­tra­gen von den schein­bar Macht­lo­ses­ten, den in­di­ge­nen Selbstversorgungs­bäuer*innen aus einem verarm­ten, schein­bar rück­stän­di­gen Win­kel die­ser Welt, ver­saut die Fei­er­lau­ne, mit der das ka­pi­ta­lis­ti­sche Sys­tem nach dem „Ende der Ge­schich­te“ sich selbst als ein­zi­gen Über­le­ben­den fei­ern woll­te.

 

[Bebilderter Artikel auf der Website von ¡Aler­ta! - Artikel in der Printausgabe der terz vom Januar 2014.]

 

Auch viele linke Be­we­gun­gen, die sich nach dem Zu­sam­men­bruch des „real exi­si­te­r­en­den So­zia­lis­mus“ eher ori­en­tie­rungs­los und in der De­fen­si­ve fühl­ten, waren ver­blüfft – al­ler­dings meist auch be­geis­tert. Viele von ihnen gab der Auf­stand neuen Mut und neue Ideen. Bis heute er­staunt die­ser da­mals völ­lig uto­pisch schei­nen­de Auf­stand. Denn er brach nicht nach kur­zer Zeit zu­sam­men, die Za­pa­tis­tas füh­ren ihre Re­vo­lu­ti­on viel­mehr bis heute fort. Seit 20 Jah­ren leben sie nun in ihren über 1.​000 Ge­mein­den eine auf Gleich­be­rech­ti­gung, Ba­sis­de­mo­kra­tie und So­li­da­ri­tät ba­sie­ren­de ge­sell­schaft­li­che Al­ter­na­ti­ve, die ihre Le­bens­si­tua­ti­on deut­lich ver­bes­sert hat. Nicht ohne Stolz laden sie nun meh­re­re tau­send Ak­ti­vist*innen lin­ker Ba­sis­be­we­gun­gen aus der gan­zen Welt ein, eine Woche lang mit ihnen in ihren Ge­mein­den zu leben und aus ihrer Pra­xis zu ler­nen. Wer es nicht nach Ch­ia­pas schafft, der kann sich mit uns in der ¡Aler­ta!-​Ver­an­stal­tungs­rei­he ein­ge­hen­der mit den Za­pa­tis­tas aus­ein­an­der­set­zen und den 20. Jah­res­tag ihres Auf­stan­des fei­ern.


Jahr­zehn­te­lan­ger Lern- und Or­ga­ni­sie­rungs­pro­zess

Dem Auf­stand von 1994 ging ein jahr­zehn­te­lan­ger Lern- und Or­ga­ni­sie­rungs­pro­zess vor­aus. Ch­ia­pas ist reich an na­tür­li­chen Res­sour­cen, wäh­rend der Groß­teil der Men­schen unter schlech­ten Le­bens­be­din­gun­gen lebt, weil sich ei­ni­ge we­ni­ge den Reich­tum des Lan­des an­eig­nen: Groß­grund­be­sit­zer, die in­di­ge­nen und nicht-​in­di­ge­nen Klein­bäu­er*innen seit der Ko­lo­ni­sa­ti­on die frucht­bars­ten Böden ge­raubt haben und an­schlie­ßend die Men­schen unter skla­ven­ähn­li­chen Zu­stän­den auf ihren Fin­cas ar­bei­ten lie­ßen, und seit ei­ni­gen Jahr­zehn­ten auch me­xi­ka­ni­sche und trans­na­tio­na­le Kon­zer­ne, die die Was­ser­vor­kom­men, die Bio­di­ver­si­tät und an­de­re na­tür­li­che Res­sour­cen aus­beu­ten und dafür Men­schen und Um­welt scha­den, ohne etwas von dem Reich­tum ab­zu­ge­ben, den sie damit an­häu­fen. Doch immer wie­der hat­ten die po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Eli­ten die fried­li­chen Ver­su­che der Men­schen, ihre Lage zu ver­än­dern, igno­riert oder nie­der­ge­schla­gen.

 

Aus die­ser Er­fah­rung her­aus bil­de­te sich seit 1983 all­mäh­lich und im Ver­bor­ge­nen aus vie­len klei­nen Dör­fern im un­zu­gäng­li­chen Hoch­land und im tro­pi­schen Tief­land von Ch­ia­pas das Ejército Za­pa­tis­ta de Li­be­r­a­ción Na­cio­nal (EZLN, Za­pa­tis­ti­sche Armee der Na­tio­na­len Be­frei­ung) – eine Gue­ril­la-​Ar­mee vor allem aus in­di­ge­nen Klein­bäu­er*innen und be­nannt nach dem le­gen­dä­ren so­zi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren An­füh­rer der me­xi­ka­ni­schen Re­vo­lu­ti­on von 1910, Emi­lia­no Za­pa­ta. Gleich­zei­tig or­ga­ni­sier­ten sich die Dör­fer auf Grund­la­ge ihrer ba­sis­de­mo­kra­ti­schen in­di­ge­nen Tra­di­tio­nen sowie ge­lei­tet von so­zia­lis­ti­schen, an­ar­chis­ti­schen und be­frei­ungs­theo­lo­gi­schen Ideen. Das be­deu­te­te auch Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zes­se in­ner­halb der Be­we­gung: 1993 setz­ten die za­pa­tis­ti­schen Frau­en – die unter an­de­rem ca. 40% der Gue­ril­la-​Mit­glie­der stell­ten – das „Re­vo­lu­tio­nä­re Frau­en­gesetz“ durch, das ihnen die glei­chen Rech­te wie den Män­nern zu­si­cher­te und ihre For­de­run­gen nach Re­spekt und Selbst­be­stim­mung ver­an­ker­te. Gleich­zei­tig tra­fen die Un­ter­stüt­zungs­ge­mein­den der EZLN im Laufe des Jah­res 1993 in ba­sis­de­mo­kra­ti­scher Ab­stim­mung die Ent­schei­dung zum Auf­stand.

 

Der Auf­stand der Würde
Die neo­li­be­ra­len Re­for­men des letz­ten Jahr­zehnts hat­ten ihre oh­ne­hin schon pre­kä­re Exis­tenz als Selbst­ver­sor­gungs­bäu­er*innen oder land­lo­se Ta­ge­löh­ner*innen immer schwie­ri­ger ge­macht. Mit ihrem Auf­stand er­ho­ben sie sich gegen diese Po­li­tik eben­so wie gegen ihre jahr­hun­der­te­al­te Dis­kri­mi­nie­rung, Un­ter­drü­ckung und Aus­beu­tung als In­di­genas. Sie woll­ten nicht mehr ohne Ge­gen­wehr an Hun­ger oder heil­ba­ren Krank­hei­ten ster­ben, sie woll­ten nicht mehr, dass ihre in­di­ge­ne Le­bens­wei­se und ihre Welt­sicht ab­ge­wer­tet und be­kämpft wer­den.

 

Für ihren Auf­stand wähl­ten sie den 1.​1.​1994 – den Tag an dem die Re­gie­rungs­chefs Me­xi­kos, Ka­na­das und der USA fei­er­lich das neo­li­be­ra­le Frei­han­dels­ab­kom­men NAFTA in Kraft set­zen woll­ten. Im Morg­engrau­en die­ses Tages be­setz­ten tau­sen­de meist schlecht be­waff­ne­te Za­pa­tis­tas unter der Lo­sung „¡Ya Basta!“ („Es reicht!“) fünf Be­zirks­haupt­städ­te und über 600 Län­de­rei­en von Groß­grund­be­sit­zer*innen in Ch­ia­pas. Sie for­der­ten, was ihnen bis­her ver­wehrt war: Ein Leben in Würde mit guter Ar­beit, aus­rei­chend Land, Nah­rung und Wohn­raum, mit Ge­sund­heit, Bil­dung und in Un­ab­hän­gig­keit, Frei­heit, De­mo­kra­tie, Ge­rech­tig­keit und Frie­den – auch ver­lang­ten sie eine Aus­set­zung von NAFTA. Auch wenn sie damit keine lan­des­wei­te Re­vo­lu­ti­on los­tre­ten konn­ten, ver­sau­ten sie den Mäch­ti­gen aus Wirt­schaft und Po­li­tik doch ge­hö­rig die Party.

 

Die me­xi­ka­ni­sche Re­gie­rung schick­te das Mi­li­tär nach Ch­ia­pas, das hun­der­te Men­schen, vor allem Zi­vi­list*innen, tö­te­te. Die Za­pa­tis­tas zogen sich aus den Städ­ten wie­der in ihre Ge­mein­den und auf die neu be­setz­ten Län­de­rei­en zu­rück. Nach zwölf Tagen Kampf­hand­lun­gen er­klär­ten beide Sei­ten einen Waf­fen­still­stand und den Be­ginn von Ver­hand­lun­gen. Dazu sah sich die me­xi­ka­ni­sche Re­gie­rung ge­zwun­gen, weil hun­dert­tau­sen­de Men­schen in Me­xi­ko und welt­weit spon­tan für ein Ende des Krie­ges gegen die Za­pa­tis­tas demon­strierten und ihre So­li­da­ri­tät mit den For­de­run­gen der Be­we­gung be­kun­de­ten. Die Za­pa­tis­tas ver­stan­den die so­li­da­ri­sche Bot­schaft der Zi­vil­ge­sell­schaft nach Ge­walt­ver­zicht und er­klär­ten, fort­an ohne Waf­fen wei­ter­kämp­fen zu wol­len.

 

Ori­en­tie­rungs­punkt und Mo­ti­va­ti­ons­schub für viele Be­we­gun­gen
Seit­her ist viel pas­siert. Zu­nächst ei­nig­ten sich Re­gie­rung, die Za­pa­tis­tas und viele an­de­re Ba­sis-​Or­ga­ni­sa­tio­nen, die die Za­pa­tis­tas auf ihrer Seite mit an den Ver­hand­lungs­tisch ge­holt hat­ten, auf um­fas­sen­de Selbst­ver­wal­tungs­rech­te für in­di­ge­ne Be­völ­ke­rungs­grup­pen, die in Me­xi­ko ca. 15% der Be­völ­ke­rung aus­ma­chen. Als die Re­gie­rung an­schlie­ßend aber mit ihrer mi­li­tä­ri­schen Ag­gres­si­on gegen die za­pa­tis­ti­schen Ge­mein­den fort­fuhr, au­ßer­dem das Ab­kom­men nicht um­setz­te und die wei­te­ren Ver­hand­lun­gen um mehr De­mo­kra­tie, ein an­de­res Wirt­schafts­sys­tem und die Rech­te von Frau­en in Me­xi­ko ver­schlepp­te, kün­dig­ten die Za­pa­tis­tas ihre Ge­sprächs­be­reit­schaft auf. Seit­her set­zen sie das Ab­kom­men ein­sei­tig um und bauen ihre Selbst­ver­wal­tungs­struk­tu­ren ohne staat­li­ches Ein­ver­ständ­nis aus.

 

Di­rekt nach ihrem Auf­stand be­gan­nen die Za­pa­tis­tas damit, sich mit so­zia­len Be­we­gun­gen in Me­xi­ko und welt­weit zu ver­net­zen und mit krea­ti­ven po­li­ti­schen Ak­tio­nen Ver­än­de­run­gen für sich und für ganz Me­xi­ko an­zu­sto­ßen. Mehr­mals or­ga­ni­sier­ten die Za­pa­tis­tas große Mär­sche und Ver­net­zungs-​Tou­ren durch das Land und in die Haupt­stadt Me­xi­ko-​Stadt. Dort ju­bel­ten Hun­der­tau­sen­de den Za­pa­tis­tas auf Me­xi­kos zen­tra­lem Platz zu, die mitt­ler­wei­le sogar ein Re­de­recht im me­xi­ka­ni­schen Par­la­ment durch­set­zen konn­ten. Auch brach­ten sie die oft zer­strit­te­nen und sek­tie­re­ri­schen lin­ken Ba­sis­be­we­gun­gen des Lan­des in einen Aus­tausch – stie­ßen je­doch mit ihrem Be­mü­hen, dau­er­haf­te Ver­net­zung und ge­mein­sa­me Ak­tio­nen an­zu­sto­ßen, immer wie­der an Gren­zen. Bes­ser ge­lang dies mit den in­di­ge­nen Or­ga­ni­sa­tio­nen. Ge­mein­sam for­der­ten sie unter dem Motto „Nie wie­der ein Me­xi­ko ohne uns!“ ein Ende des Ras­sis­mus, die An­er­ken­nung ihrer Rech­te und ihrer Le­bens­wei­se sowie die Mög­lich­keit für ein Leben in Würde für alle. Damit er­reich­ten sie be­ein­dru­cken­de Fort­schrit­te auf dem Weg zu ihrer ge­sell­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Eman­zi­pa­ti­on.

 

Auch in­ter­na­tio­nal misch­ten die Za­pa­tis­tas die po­li­ti­sche Sphä­re kräf­tig auf: Die von den Za­pa­tis­tas aus­ge­ru­fe­nen In­ter­ga­lak­ti­schen Tref­fen gegen den Neo­li­be­ra­lis­mus und für die Mensch­lich­keit, auf denen sich Mitte der 90er tau­sen­de Ak­ti­vist*innen von Ba­sis­be­we­gun­gen welt­weit aus­tausch­ten und ver­netz­ten, wurde zu einem wich­ti­gen An­stoß für eine neu­ar­ti­ge ba­sis­ori­en­tier­te glo­ba­le Ver­net­zung. Ganz kon­kret for­mier­te sich hier­aus die welt­wei­te Be­we­gung gegen die neo­li­be­ra­le Glo­ba­li­sie­rung. Das za­pa­tis­ti­sche Motto „Eine an­de­re Welt ist mög­lich!“ wurde zum Leit­spruch die­ser Be­we­gung.

 

Die Za­pa­tis­tas wur­den für viele Be­we­gun­gen in Me­xi­ko und welt­weit zum Ori­en­tie­rungs­punkt und Mo­ti­va­ti­ons­schub. Der welt­wei­te Wi­der­hall, den die Za­pa­tis­tas her­vor­rie­fen, und die Ver­net­zun­gen mach­ten den vie­len, klei­nen ver­streu­ten Kämp­fen deut­lich: Wir sind nicht al­lein. Diese Un­ter­stüt­zung der Za­pa­tis­tas gaben die Be­we­gun­gen den Za­pa­tis­tas in viel­fäl­ti­ger Form zu­rück – und so ent­stand auch eine neu­ar­ti­ge Form in­ter­na­tio­na­ler So­li­da­ri­tät, die einem oft ver­staub­ten und mar­gi­na­li­sier­ten In­ter­na­tio­na­lis­mus neues Leben ein­hauch­te.

 

Za­pa­tis­ti­sches Po­li­tik­ver­ständ­nis
Gleich­zei­tig in­spi­rier­te das in­no­va­ti­ve za­pa­tis­ti­sche Po­li­tik­ver­ständ­nis linke Ba­sis­be­we­gun­gen, die seit Ende der 80er be­gon­nen hat­ten, viele ihrer bis­he­ri­gen „Wahr­hei­ten“ und Her­an­ge­hens­wei­sen zu hin­ter­fra­gen. Ihre An­sich­ten ver­mit­tel­ten die Za­pa­tis­tas der Welt in poe­ti­schen und oft iro­ni­schen Co­mu­ni­ca­dos. Ver­fasst wur­den diese von ihrem nicht-​in­di­ge­nen Spre­cher Sub­co­man­dan­te Mar­cos, der damit zu einer po­li­ti­schen Pop-​Iko­ne wurde. Auch wenn viele in ihm einen neuen An­füh­rer sehen woll­ten und in den Za­pa­tis­tas eine neue po­li­ti­sche Avant­gar­de, ver­wei­ger­ten sich die Za­pa­tis­tas und Mar­cos die­ser Pro­jek­ti­on. Sie plä­die­ren für „eine Welt, in der viele Wel­ten Platz haben“, in der eman­ziap­to­ri­sche Kämp­fe und Le­bens­wei­sen gleich­be­rech­tigt ne­ben­ein­an­der exis­tie­ren und sich ge­gen­sei­tig be­fruch­ten. Immer wie­der wie­der­hol­ten sie ihre Auf­for­de­rung, dass alle an ihren Orten und in ihrer Weise für ihre Rech­te kämp­fen sol­len.

 

Zu ihrem An­satz einer plu­ra­lis­ti­schen, gleich­be­rech­tig­ten Be­we­gung gegen Ka­pi­ta­lis­mus, Se­xis­mus und Ras­sis­mus passt auch, dass sie hier­ar­chi­sche, ver­ein­heit­li­chen­de und macht­orientierte Or­ga­ni­sa­tio­nen wie Par­tei­en ab­leh­nen. Denn „wir wol­len die Macht nicht er­obern, son­dern sie zer­stö­ren“. „Es ist nicht nötig, die Welt zu er­obern. Es reicht, sie neu zu schaf­fen. Durch uns. Heute.“ Eben­so be­to­nen sie, dass sie nicht schon alles wis­sen, was hier­zu nötig ist, dass sie nicht eine fer­ti­ge und ab­schlie­ßen­de Theo­rie um­set­zen, son­dern, dass sie „fra­gend vor­wärts gehen“, dass sie aus ihrer Pra­xis und ihren Feh­lern ler­nen wol­len – und dass es wich­ti­ger ist an­zu­fan­gen, als be­reits alle Ant­wor­ten zu haben.

 

Un­dog­ma­tisch und pra­xis­ori­en­tiert
Mit die­sem un­dog­ma­ti­schen und pra­xis­ori­en­tier­ten An­satz haben die Za­pa­tis­tas in den letz­ten 20 Jah­ren wohl auch ihre zen­trals­ten Er­fol­ge er­run­gen: Sie nutz­ten ihre her­vor­ra­gen­de Or­ga­ni­sie­rung und den Frei­raum, den sie sich durch ihre be­waff­ne­te Er­he­bung er­kämpft hat­ten, zur ge­mein­schaft­li­chen Ver­bes­se­run­gen ihrer Le­bens­be­din­gun­gen und zum Auf­bau einer an­de­ren, so­li­da­ri­schen und ba­sis­de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft.

 

Zen­tra­le Grund­la­ge dafür ist das Land, das sie unter dem Motto „Das Land ge­hört denen, die es be­ar­bei­ten“ bei ihrem Auf­stand von den Groß­grund­be­sit­zern zu­rück­er­ober­ten und an tau­sen­de arme Bäuer*innen und Land­lo­se ver­teil­ten. Die­sen wurde damit die Mög­lich­keit ge­ge­ben, die Er­näh­rung und damit das Über­le­ben ihrer Fa­mi­li­en selbst­stän­dig und in Würde zu si­chern. Wei­te­re Grund­la­ge ist die po­li­ti­sche Selbst­ver­wal­tungs­struk­tur auf Ge­mein­de-​, Land­kreis-​ und Re­gio­nen-​Ebe­ne. An den Ein­gän­gen vie­ler za­pa­tis­ti­scher Ge­mein­den steht ein Schild mit der Auf­schrift „Sie be­fin­den sich in auf­stän­di­schem za­pa­tis­ti­schen Ge­biet. Hier gibt die Be­völ­ke­rung die An­wei­sun­gen, und die Re­gie­rung fügt sich.“ Die Za­pa­tis­tas or­ga­ni­sie­ren sich auf allen Ebe­nen ba­sis­de­mo­kra­tisch: Jede Ge­mein­de ent­schei­det in Voll­ver­samm­lun­gen über die Be­lan­ge der Ge­mein­de. Die ge­wähl­ten, un­be­zahl­ten De­le­gier­ten für die hö­he­ren Ebe­nen und die an­de­ren Amts­trä­ger*innen kön­nen je­der­zeit ab­be­ru­fen wer­den, soll­ten sie die Be­schlüs­se der Basis nicht um­set­zen oder deren Er­war­tun­gen nicht ge­recht wer­den. Au­ßer­dem ro­tie­ren diese re­gel­mä­ßig. So ler­nen mög­lichst viele, wie es geht, und es ent­steht keine kor­rup­te Po­lit-​Eli­te.

 

Neben den po­li­ti­schen Struk­tu­ren haben die Za­pa­tis­tas auch in vie­len an­de­ren Be­rei­chen au­to­no­me Struk­tu­ren auf­ge­baut, etwa ihr ei­ge­nes Schul­sys­tem. Wäh­rend frü­her ein Groß­teil der Kin­der über­haupt nicht oder nur sehr kurz in die Schu­le gehen konn­te und dort vor allem lern­te, dass sie als In­di­ge­ne und Klein­bäu­er*innen, min­der­wer­tig und dumm sind, hat mitt­ler­wei­le jede za­pa­tis­ti­sche Ge­mein­de eine ei­ge­ne Schu­le, in der in Spa­nisch und der lo­ka­len in­di­ge­nen Spra­che un­ter­rich­tet wird und in der die Ge­mein­de die Un­ter­richts­in­hal­te mit­be­stimmt.

 

Au­ßer­dem exis­tiert es ein ei­ge­nes Ge­sund­heits­sys­tem. Es gibt in jedem Dorf Ge­sund­heits­sta­tio­nen und in ei­ni­gen Orten au­to­no­me Kli­ni­ken. Die Be­hand­lung ist kos­ten­los und steht auch Nicht-​Za­pa­tis­tas offen. Wäh­rend frü­her jedes Jahr tau­sen­de Men­schen und ins­be­son­de­re klei­ne Kin­der an heil­ba­ren Krank­hei­ten star­ben, ist die Le­bens­er­war­tung in den Ge­bie­ten mitt­ler­wei­le stark ge­stie­gen, wäh­rend die Säug­lings­sterb­lich­keit er­heb­lich ab­ge­nom­men hat. Auch in der Strom-​ und Was­ser­ver­sor­gung hel­fen sich die Za­pa­tis­tas gegen die lee­ren Ver­spre­chun­gen der Re­gie­rung selbst. „Au­to­no­me Elek­tri­ker*innen“ zap­fen die Strom­lei­tun­gen der über­teu­er­ten Strom­ver­sor­ger an. Immer mehr Ge­mein­den wer­den mit einer ei­ge­nen Was­ser­ver­sor­gung aus­ge­stat­tet. Da­ne­ben haben die Za­pa­tis­tas auch ihr ei­ge­nes Rechts­sys­tem und au­to­no­me Ra­dio­sta­tio­nen auf­ge­baut. Um auch öko­no­misch un­ab­hän­gig zu sein, sind in vie­len Ge­mein­den Ko­ope­ra­ti­ven ent­stan­den.

 

Krieg nie­de­rer In­ten­si­tät
Na­tür­lich las­sen die me­xi­ka­ni­sche und chiapa­nekische Re­gie­rung sowie die wirt­schaft­li­chen Eli­ten diese Fort­schrit­te nicht un­ge­hin­dert zu. Nach dem kur­zen of­fe­nen Krieg An­fang 1994 wur­den immer mehr Sol­da­ten nach Ch­ia­pas ge­sandt, die die Re­gi­on mi­li­ta­ri­sier­ten, die Men­schen schi­ka­nier­ten und die wi­der­stän­di­gen Ge­mein­den ter­ro­ri­sier­ten. Dazu trug auch die Grün­dung von pa­ra­mi­li­tä­ri­schen Ver­bän­den bei: An­de­re arme In­di­ge­ne und Klein­bäu­er*innen wer­den mit Geld und Waf­fen aus­ge­rüs­tet und gegen die Za­pa­tis­tas auf­ge­hetzt. Diese Stra­te­gie des so­ge­nann­ten „Krie­ges nie­de­rer In­ten­si­tät“ zielt dar­auf ab, ein Klima der Angst zu schaf­fen. Die Men­schen sol­len ihren Wi­der­stand auf­ge­ben oder sich ihm gar nicht erst an­schlie­ßen. Da­ne­ben wer­den in den Mas­sen­me­di­en Lügen über die Za­pa­tis­tas ge­streut und es wird ver­sucht, Men­schen mit Geld und „Ent­wick­lungs­pro­jek­ten“ aus dem Wi­der­stand „her­aus­zu­kau­fen“.

 

Die „Klei­ne Za­pa­tis­ti­sche Schu­le“
Auch wenn diese Stra­te­gie si­cher ver­hin­dert hat, dass sich die za­pa­tis­ti­sche Be­we­gung stark aus­brei­tet: Nach 20 Jah­ren zie­hen die Za­pa­tis­tas in ihren Co­mu­ni­ca­dos von An­fang 2013 eine sehr po­si­ti­ve Bi­lanz. In den Jah­ren seit ihrem Auf­stand hät­ten sie ihre Le­bens­be­din­gun­gen ent­schei­dend ver­bes­sert – diese seien bes­ser als die der Re­gie­rungs­an­hän­ger*innen, die nur Al­mo­sen er­hiel­ten. Sie aber leb­ten in Ein­klang mit der Natur und in einer so­li­da­ri­schen Ge­mein­schaft, auf ihrem ei­ge­nen Land mit guten Schu­len und einem guten Ge­sund­heits­sys­tem, selbst­ver­wal­tet, nach ihren ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen und ihrer ei­ge­nen Kul­tur und offen für die Welt. „All dies wurde nicht nur ohne die Re­gie­rung, die po­li­ti­sche Klas­se und die sie be­glei­ten­den Me­di­en er­reicht, son­dern auch wäh­rend wir gegen ihre An­grif­fe aller Art Wi­der­stand leis­te­ten,“ schrei­ben sie. Kurz zuvor, am 21.​12.​2012, als die Mas­sen­me­di­en den an­geb­li­chen vom Ma­ya-​Ka­len­der an­ge­kün­dig­ten „Welt­un­ter­gang“ aus­schlach­te­ten, über­rasch­ten die Za­pa­tis­tas die Welt­öf­fent­lich­keit mit einem ein­drucks­vol­len Stär­ke­be­weis: Fast 50.​000 vor allem junge Za­pa­tis­tas be­setz­ten in völ­li­ger Stil­le und un­be­waff­net die zen­tra­len Plät­ze der fünf Pro­vinz­haupt­städ­te, die sie be­reits 1994 ein­ge­nom­men hat­ten.

 

Ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter prä­sen­tier­ten sie ihr Vor­ha­ben der „Klei­nen Za­pa­tis­ti­schen Schu­le“ – eine lo­gis­ti­sche Meis­ter­leis­tung: Sie luden Ak­ti­vist*innen aus Me­xi­ko und der gan­zen Welt ein, im Au­gust eine Woche lang in ihren Ge­mein­den ihre po­li­ti­sche Pra­xis und ihre Le­bens­wei­se ken­nen­zu­ler­nen. Wer nicht nach Ch­ia­pas kom­men konn­te, hatte die Mög­lich­keit per Li­ve-​Über­tra­gung teil­zu­neh­men. 1.​500 Men­schen konn­ten vor Ort dabei sein, etwa eben­so viele ver­folg­ten die Li­ve-​Vi­de­os per In­ter­net. Ende De­zember und An­fang Ja­nu­ar gibt es nun zwei wei­te­re Run­den. Mitt­ler­wei­le haben die Za­pa­tis­tas ver­mel­det, dass auch diese beide Durch­läu­fe mit je­weils 2.​250 Per­so­nen voll sind.

 

Zwi­schen­durch wird es am 1. Ja­nu­ar in den za­pa­tis­ti­schen Ver­wal­tungs­sit­zen große Fei­ern geben, mit denen die Be­we­gung zu­sam­men mit vie­len tau­send Men­schen aus der gan­zen Welt den 20. Jah­res­tag ihres Auf­stands fei­ern wird. Wer es nicht nach Ch­ia­pas schafft, der kann mit uns Sil­ves­ter im Lin­ken Zen­trum in Düs­sel­dorf fei­ern. Dort wer­den wir mit einer klei­nen Ak­ti­on eine Glück­wunsch-​ und Gruß­bot­schaft an die Za­pa­tis­tas schi­cken. Au­ßer­dem wer­den wir uns mit ver­schie­de­nen Ver­an­stal­tun­gen in­ten­siv mit den Za­pa­tis­tas aus­ein­an­der­set­zen.

 

Seid dabei!