Auf nach Hamburg - Soziale Praxis wider dem Spektakel

antifayuppi

Das wenige Tage vor dem Mauerfall besetzte Autonome (“Kunst-und Kultur”-) Zentrum Rote Flora” schien in die Jahre gekommen zu sein. Außerhalb eines begrenzten “Nutzerkreises”, der sich regelmäßig im Szenesprech zu den dringlichsten Angelegenheiten der identitären Restlinken äußerte und sich ansonsten den monetären Notwendigkeiten dieser Welt widmete und dem finanziell gut ausgestatteten erlebnishungrigen Eventmob Partynächte im subkulturellen Ambiente ausrichtete, schien niemand mehr groß vom die Eigentumsverhältnisse in Frage stellenden Besetzungszustand Kenntnis nehmen zu wollen.

 

Alle Bemühungen der letzten Jahre, von “Ich würde es so lassen”, bis "Acces all Areas",  den “Kampf um die Rote Flora” zu einem zentralen Bezugspunkt der sozialen Konfliktualität in Hamburg zu machen, erwiesen sich als ebenso erfolglos wie überflüssig. Seit dem Abgang des dauerverschnupften homophoben Schill war eine mögliche Räumung der “Roten Flora” kein Thema mehr in der hanseatischen Innenpolitik. Ein öffentliches Bekenntnis, am Status des Projekts nicht rütteln zu wollen, wurde fast zu einem Essential der jeweiligen Regierungspartei(en). Umso erfreulicher erscheint uns die aktuelle Entwicklung in der Hansestadt, mit dem folgenden Text wollen wir auf die Einladung aus Hamburg, sich am “Autonomen Block”  auf der bundesweiten Demo am 21.12.2013 zu beteiligen, antworten.

 

Überlebte Realität – Von Zentren und Zeiträumen

 

Ohne Zweifel ist der Glanz der “Autonomen Zentren” mehr als verblasst. Eine Entwicklung, die sich nicht nur in Deutschland ereignet, wo “Autonome Zentren” Gerichtsprozesse um Schankerlaubnisse führen oder militante Schauinszenierungen initiieren, um am Ende einen neuen Nutzungsvertrag in besserer Wohnlage zu feiern. Auch in Italien kommt es z.B. zunehmend zu Konflikten zwischen einem nihilistisch/aufständischem Teil der “autonomen Bewegung” und einigen etablierten Centro Sociale.

 

Auch der postulierte “Kampf um die rote Flora” hätte uns vor wenigen Monaten nur ein müdes Gähnen entlockt. Zu etabliert schien uns die Rolle des “Projektes”  in Hamburg, das mittlerweile sogar von der Springer Presse wohlwollend umgarnt wird. Wenn wir uns jetzt dazu entscheiden, uns positiv auf die aktuelle Mobilisierung zum 21.12. zu beziehen, geschieht dies aufgrund der sich entwickelnden Dynamik, die so teilweise von den Akteuren gewollt, teilweise aber auch aufgrund der Rahmenbedingungen und der zeitlichen Kongruenz mehrerer sozialen Konfliktualitäten ein Eigenleben entwickelt hat. Also zu dem geworden ist, was uns im Kern eigentlich interessiert, weil wir jeglicher Kampagnenpolitik und organisierter Empörung mehr als überdrüssig sind.

 

Um sich einen (unvollständigen) Begriff der aktuellen Entwicklung in Hamburg erarbeiten zu können, gilt es sich einige Dinge zu vergegenwärtigen. Der Konflikt um die Situation der Lampedusa Gruppe ist nichtnichten in erster Linie einer um einen staatlichen oder gesellschaftlichen Rassismus. So sicher es in allen Stellen der repressiven Bürokratie der Hansestadt wie auch im Milieu der politischen Entscheidungsträger einen strukturellen Rassismus gibt, so ist doch der Kern der aktuellen Auseinandersetzung ein anderer. Im mörderischen FRONTEX Grenz-Regime, in Lager-und- Residenzpflichtpolitik, ebenso wie in Dublin II, manifestiert sich der soziale Krieg des Empire gegen alle Migrationsprozesse, die sich jenseits der Verwertungslogik abspielen. Der Suizid des in der Ungewissheit eines jahrelange Asylverfahrens gezwungenen Flüchtlings ist ebenso wie das tausendfache Sterben im Mittelmeer eine dringendste Notwendigkeit im Abschreckungsprozess gegen die weltweit zunehmenden ungeordneten Migrationsprozesse.

 

Ansätze, diese mörderische Repressionsmaschinerie anzugreifen, in ihre Abläufe zu intervenieren, gibt es schon seit Jahrzehnten (Kampagne der Revolutionären Zellen), sie blieben bisher ebenso rudimentär wie alle Bemühungen von Menschenrechts-und-Unterstützergruppen. Alle unzähligen Protestaktionen und Revolten der Flüchtlinge blieben in Deutschland über Jahrzehnte ohne wesentliche Resonanz, die großen Manifestationen nach dem Tod von Kemal Altun in Berlin blieben ein singuläres und temporäres Ereignis.

 

Erst mit der massenhaften Selbstorganisierung der Flüchtlinge, die mit der Refugee Tent Action im Frühjahr 2012 begann, gelang es die Ohnmachtserfahrungen dieser Kämpfe kollektiv aufzubrechen. Dem aktuellen Kampf der Lampedusa Gruppe in Hamburg gelang es nun ebenso wie den Protesten der Flüchtlinge in Berlin Tausende zu mobilisieren. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Hamburger Senats, massenhaft Razzien gegen die Flüchtlinge auf St. Pauli zu initiieren, kam es am 14.Oktober zu einem öffentlichen Ultimatum von “Autonomen,  Aktivist_innen der Roten Flora und Menschen aus dem Umfeld von Recht auf Stadt” an den Hamburger Senat, die Menschenjagd sofort zu beenden.

Andernfalls werde es zu “wütenden Protesten” kommen, diese Wut  ”werde sich auch auf der Straße mit allen Mitteln ausdrücken”. Nachdem die Razzien fortgesetzt wurden, kam es zu der angekündigten unangemeldeten Demo von der Flora aus. Nachdem die Bullen die Demo samt vermummten Frontblock gestoppt hatten, kam es stundenlang zu Auseinandersetzungen in der Schanze.

In den folgenden Stunden immer wieder zogen kleinere und größere Demozüge durch das Viertel. In den folgenden Tagen gab es praktisch jeden Tag unangemeldete Demos, die Bullenkapazitäten banden, am 25. Oktober demonstrierten 10.000 Menschen nach einem Heimspiel von St. Pauli, am 02. November beteiligten sich über 15.000 Menschen an einer Solidaritätsdemo. Seitdem kommt es weiterhin zu Spontandemos und anderen Aktionen, wie der Besetzung der Hamburger SPD Zentrale, sowie zu weiteren Aktionen in mehreren deutschen Städten.

 

Kommt Zeit, kommt Praxis

 

Wir alle neigen dazu, geschichtliche Abläufe von ihrem Ergebnis her zu interpretieren, so erscheint vielen vielleicht die Entwicklung in Hamburg folgerichtig und einer linearen Logik folgend.

Wir halten dagegen, dass sich in der aktuellen Dynamik subjektive Entscheidungen und zeitliche Entwicklungen überlagern. Im August machen Menschen aus der Flora öffentlich, dass das Projekt durch neue Pläne vom Formaleigentümer  Kretschmer und seinem Kompagnon Baers gefährdet sei.

Es folgen mehrere gutbesuchte Vollversammlungen mit bis zu 400 Menschen, auf denen u.a. eine bundesweit und international beworbene Demo für den 21.Dezember beschlossen wird. Neben einer “autonomen Modeschau” im gutbetuchten Hamburg Pöseldorf im September und dem Aufruf zu einem “Autonomen Block” auf der „Keine Profite mit der Miete“ Demo in HH, der mäßig besucht war, passiert erst einmal nicht viel.

 

Erst mit den Razzien gegen die Flüchtlinge auf St. Pauli, die kurz nach dem Tod von über 300 Flüchtlingen vor Lampedesu erfolgten, einem Geschehnis, das nur die Zuspitzung des tagtäglichen Krepierens an den EU Aussengrenzen darstellte, und der Entscheidung, die Repression gegen die Flüchtlinge, die klar darauf abzielte, ihre Abschiebung vorzubereiten, nicht zum Gegenstand von Protesten zu machen, sondern sie praktisch und politisch zu sabotieren, um sie letztendlich zu verhindern, wird die identitäre Mobilisierung um die Flora zu einer Intervention im sozialen Krieg.

 

Es geht heute um nicht weniger, als darum, sich anzumaßen, das gesellschaftliche Kräfteverhältnis grundsätzlich und konkret in Frage zu stellen und sich in die Lage zu versetzen, Erfolgserlebnisse zu organisieren, die die verinnerlichte Ohnmachtshaltung durchbrechen. Gegen “die autonome Politik” gab es immer den Vorwurf, sie verharre in “Teilbereichskämpfen”. Dies war in den 80igern nicht anders als heute. Gebar sich damals der “Frontprozess” der antiimperialistischen  Gruppen und der bewaffneten Avantgarde als einzig ernstzunehmende Option auf die Organisierung von Gegenmacht, so wird heute der UmsGanze Prozess soweit vorangetrieben, bis die intervenistischen Linken ihre polizeiliche Einkesselung als politischen Erfolg abfeiern.

 

Die Begrenzung “der autonomen Praxis” liegt jedoch nicht in ihrer Beschränkung  auf das konkrete soziale Terrain, in dem sie interveniert, sondern in der Beliebigkeit ihrer Begierden, als auch in ihrer identitären Abgrenzung, sowie ihrer aktuellen Unfähigkeit, punktuelle Machtfragen überhaupt zu stellen.

 

Im Kern gibt es heute keine Option auf eine andere Gesellschaftsordung, weil es keine historische Klasse mehr gibt, die in der Lage wäre, aus ihrer objektiven Situation und ihrem subjektiven Bewusstseins heraus, eine Überwindung des Bestehenden zu imaginisieren und zu organisieren.

Gleichzeitig erleben wir nach “dem Ende der Geschichte” eine Zuspitzung der weltweiten sozialen Konfliktualität, die immer häufiger nihilistische Züge trägt, weil die Träger der Unruhen keinerlei Forderungen mehr haben außer jenen nach den Selbstverständlichkeiten, die seit der französischen Revolution als “Gespenst durch Europa” ziehen. Die zentrale Fragestellung ist die nach Bündnispartnern in einem aufständischen Prozess, der weder theoretisch noch organisatorisch auch nur ansatzweise determiniert ist. Alle scheinbaren Gewissheiten der Ideologie gilt es ebenso wie den ganzen Ballast an subkulturellen Krimskrams über Bord zu werfen. Die Gefährten für diesen Prozess finden wir direkt vor unserer Nase.

 

Gefährten

 

Die Schnittmenge, die sich in den Kämpfen um den Erhalt der ESSO Häuser als strategische Auseinandersetzung in der umkämpften Stadt, dem Kampf der Flüchtlinge und der Intervention der Flora abbildet, ist eben jenes Terrain, auf dem sich eine soziale Konfliktualität begegnet, die darauf angewiesen ist, die Frage um ihre Existenz auch existenziell zu stellen, weil es keinerlei dazwischen für sie mehr gibt. Das macht die Dynamik aus, die derzeit in HH die Bullen tagtäglich auf die Strassen zwingt.

 

Dieses soziale Bündnis, das ebenso explosiv wie auch fragil ist, weil es jenseits aller identitären Pose wie auch Bewegungsmanagement stattfindet (auch wenn die üblichen Verdächtigen fleissig mitmischen und einen Spagat zwischen Zuspitzung und Angst vor Kontrollverlust versuchen), schafft es Sehnsüchte abzubilden, die weder neurotisch noch durch Konsum befriedigt werden können.

Dies erklärt den massenhaften Zuspruch genauso wie die tagtäglichen kleineren Demos und militanten Mobs, die durch die Strassen ziehen.

 

Indem “die Flora” von sich aus die Entscheidung trifft, ihren Status zur Disposition zu stellen (denn alle aktuellen ”Bedrohungsszenarien” halten wir für übertrieben, weil von Seite der lokalen politischen Entscheidungsträger nicht ansatzweise mitgetragen), sich also aus der Lethargie ihrer Identitätspolitik und des aktuellen Status des Diskursiven befreit, sich offensiv aufstellt  und sich damit als “Projekt” angreifbar macht, schafft sie den Raum der Spannungen, der vermisst und begehrt wird.

 

Heimspiel

 

Wir begrüssen daher den Vorschlag einer internationalen und bundesweiten Demo in Hamburg am 21.12.2013.

Wir halten es in diesem Zusammenhang für die zentrale Frage, den Charakter dieser Demo im Vorfeld gemeinsam und öffentlich zu bestimmen. Die derzeit in Hamburg ebenso wie in Berlin und anderen Städten stattfindenden unangemeldeten Demos und Aktionen zeigen, dass es ein Bedürfnis nach einer Ausdrucksform jenseits des Spektakels gibt. In Berlin hat sich dies auch in der Diskussion um den diesjährigen 1. Mai gezeigt.

 

Es geht aus unserer Sicht bei der Demo am 21.12. nicht darum, ein autonomes Revival zu organisieren. Der Erfolg der Demo wird nicht davon bestimmt werden, dass die Demo und der autonome Block möglichst gross wird oder wie durchgängig die Vermummung sein wird. Auch wenn wir beides natürlich begrüssen würden.

Sondern er wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, die Demo und die aktuelle Entwicklung in Hamburg zu einem generellen Bezugspunkt zu machen, indem sich die soziale Konfliktualität abbildet und eine generalisierte Debatte um autonome Politik  angestossen wird. Und dies über den 21.12. hinaus.

 

In Bezug auf den Ablauf des Tages geben wir uns keinerlei Illusionen hin. Vieles wird nicht von uns abhängen.

Das Lagebild der Bullen, die Entscheidung darüber, ob die Demo einschliessend begleitet wird, ob und wieweit Vermummung toleriert wird, wann und wie nach möglichen militanten Interventionen reagiert wird, liegt jenseits unseres direkten Einflusses. Wir haben aber die Möglichkeit, durch eine (zumindestens teilweise) öffentliche gemeinsame Diskussion im Vorfeld für uns zu entscheiden, was wir eigentlich an diesem Tag wollen.

Und wie wir dafür die Bedingungen schaffen können.

 

Für den Kontrollverlust – Wider dem Spektakel 

 

Autonome aus Berlin/ Agenten der Imaginären Partei

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da es sicherlich viele Menschen aus Berlin gibt die an dem Tag nach Hamburg fahren wollen,drängt sich jetzt die Frage auf wie?Mit Bussen? wobei darauf geachtet werden sollte, das sie nicht so früh zurück fahren.Mit der Bahn? Gibt es schon Menschen die was organisieren?

Leute!!! Es gibt noch was anderes ausser Busse, Bahn oder das eigene Auto ...

 

Mitfahrgelegenheit.de / Mitfahrzentrale.de ... etc. gibt duzende Seiten ...

 

Dort bieten Fahrer für ca. 10-15€ eine Fahrt von Berlin nach Hamburg und wieder zurück an, und das mehrmals am Tag ... wenn man den Fahrern sagt, dass man zu einer Demo möchte, machen einige sogar eine Ausnahme uns lassen dich für ca. 5€ oder gar kostenlos mitfahren ...

 

Kann ich wirklich nur empfehlen, wer keine lusten hat mit Bussen zu fahren, oder gar die deutsche Bahn zu unterstützen !!!

 

Niemals die Bahn nehmen, viel zu teuer ... dazu nicht gerade moralisch, schwarz fahren funktioniert da eh nicht, da auf dem IC/ICE immer kontrolliert wird!

 

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1: Am besten Ihr fahrt mit Freunden, Bekannten, Genossen etc. mit ... organisiert euch da ...

2: Wenn das nicht klappt sich ne Mitfahrgelegenheit im Netz raussuchen oder halt nen Bus nehmen ...

3: Ansonsten halt mit dem Rad oder zu Fuß, wer Zeit hat :p

sollten die leute aus hamburg lieber schauen wie sie nach berlin kommen :-)

 

https://linksunten.indymedia.org/de/node/99003