Interview: Der Einzelhandelsstreik bei H&M

Streik bei H&M

Seit Monaten streikt der Einzelhandel. Der Organisierungsgrad ist gering – nicht jedoch in einer H&M-Filiale in Berlin. Ein Gespräch mit Susanne Mantel, Betriebsrätin in der Filiale der Textilkette Hennes & Mauritz (H&M) in der Friedrichstraße in Berlin-Mitte.

 

Im Einzelhandel ist der gewerkschaftliche Organisierungsgrad sehr niedrig. Eure Hennes & Mauritz-Filiale (H&M) in der Berliner Friedrichstraße ist eine Ausnahme – wie wirkt sich das im Alltag aus?

 

Von unseren 62 KollegInnen sind mittlerweile 51 organisiert, also über 80 Prozent. In erster Linie zeigt sich das durch eine hohes Maß an Selbstbewusstsein der Belegschaft gegenüber dem Management. Es sind Kleinigkeiten, an denen man das Selbstbewusstsein spürt: Die KollegInnen folgen nicht einfach Anweisungen, sondern fragen gezielt nach. Und wenn es nötig ist, geben sie auch ­Kontra.

 

Im Rahmen des Einzelhandelsstreiks gehen an manchen Tagen ganze Früh- oder Spätschichten mit ver.di auf die Straße. Eine klarere Sprache kann ein Mitarbeiter wohl nicht sprechen. Das schlägt sich für unseren Arbeitgeber natürlich in Mehrkosten für das Personal nieder.

 

Im Einzelhandel sind vorwiegend Frauen tätig, Niedriglöhne und befristete Verträge sind die Regel. Wie sieht das bei H&M aus?

 

Bei uns sind 90 Prozent Frauen, ähnlich wie in anderen Filialen. In den meisten H&M-Läden gibt es auch viele LeiharbeiterInnen, doch bei uns arbeiten die meisten inVollzeit. Die Geschäftsleitung greift gerne auf Verträge mit geringen Stundenzahlen und kurzen Befristungen zurück. Auch ich habe meine "Karriere" mit einem Siebenmonatsvertrag für zehn Stunden pro Woche begonnen.

 

Welche Aktionen konntet ihr im Rahmen der anhaltenden Streiks organisieren?

 

Das Spannendste war unser "Rein-Raus"-Streik, mit dem wir das Tagesgeschäft empfindlich gestört haben. Unsere Gewerkschaftssekretärin kam in den Laden und forderte alle KollegInnen auf, die Arbeit liegen zu lassen und auf die Straße zu gehen.

 

So etwas lässt sich ein Unternehmen natürlich nicht gefallen – binnen einer Stunde waren MitarbeiterInnen aus anderen Filialen da. Doch kaum waren die eingetroffen, beendete ver.di den Streik und alle kehrten an ihren Arbeitsplatz zurück. Wieder eine Stunde später – die StreikbrecherInnen waren verschwunden – rief ver.di ein weiteres Mal zum Streik auf usw. So gab es doppelte Personalkosten für den Arbeitgeber und öffentliche Aufmerksamkeit für uns.

 

In eurer Filiale wird am Sonntag nicht gearbeitet, obwohl es in Berlin mittlerweile acht verkaufsoffene Sonntage pro Jahr gibt.

 

Bei uns ist kaum einE MitarbeiterIn bereit, am Sonntag zu arbeiten. Der Betriebsrat hat sich in den vergangenen sechs Jahren immer wieder gegen das Bestreben des Konzerns durchgesetzt, an Sonntagen zu öffnen. Leider liegt mittlerweile ein Urteil vor, das die Öffnung für die noch verbleibenden Sonntage 2013 erlaubt. Bisher haben an diesen Sonntagen aber zum Großteil nur MitarbeiterInnen aus anderen Filialen und Führungskräfte gearbeitet. Alle anderen konnten ihre Sonntage mit der Familie verbringen.

 

An mehreren Sonntagen, z.B. am Wahlsonntag, haben wir gegen die Sonntagsarbeit in Form eines kleinen Straßenfestes vor unserer Filiale protestiert. Es wurde Kuchen gegessen und gemeinsam Kaffee getrunken. Wer interessiert war, konnte sich dazu setzten und weitere Information zum Streik in Gesprächen erfahren.

 

Wie ist euer Betriebsrat entstanden?

 

Ich habe erst vor vier Jahren angefangen, der Betriebsrat in dieser Filiale existiert nun seit zehn Jahren. Unser Betriebsratsvorsitzender erzählt immer wieder von der ersten Betriebsversammlung. Dort wurde geschrieen, geschimpft und mit Türen geknallt. Die heutigen Versammlungen dagegen sind immer gut besucht und die Kollegen kommen gerne und wissen, die Platform für sich zu nutzen.

 

In Berlin gibt es 30 H&M-Filialen – nur in sechs davon existiert ein Betriebsrat. Das Unternehmen versucht gezielt, die Bildung von Arbeitnehmervertretungen zu verhindern. Während der Streikaktionen, die nun seit einem halben Jahr laufen, wurden sogar MitarbeiterInnen eingestellt, die nur im Falle von Streiks die fehlenden Arbeitskräfte ersetzen sollen. Die Firma lässt diese MitarbeiterInnen per Taxi in die jeweiligen Filialen bringen!

 

Wie geht der Streik weiter?

 

Wir haben gute Erfahrungen mit verschiedenen Gruppen – zum Beispiel mit StudentInnen – gemacht, die uns Hilfe anboten, wenn es darum ging, Flugblätter zu verteilen oder mit PassantInnen ins Gespräch zu kommen. Es hilft ungemein, wenn man Menschen an seiner Seite hat, die Erfahrung im Streiken und Protestieren mitbringen. Denn nicht jeder Beschäftigte ist ein professioneller Aktivist – das Gegenteil ist wohl eher der Fall.

 

Man darf nicht vergessen, wie viel Mut dazugehört, den Arbeitsplatz zu verlassen und sich öffentlich gegen den Arbeitgeber zu stellen. Gerade in Betrieben ohne Betriebsrat hat man schnell Nachteile, wenn man die eigenen Grundrechte nutzt – gerade bei so familiär anmutenden Unternehmen wie H&M.

 

Interview: Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)

 

Eine kürzere Version des Interviews erschien in der jungen Welt vom 28.10.

 

Veranstaltung zum Einzelhandelsstreik: Dienstag, 29.10., 16 Uhr, vor der Mensa der Freien Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45