"I am what I am - my own special creation." Zur Funktionsweise einer grünen Charaktermaske

Propaganda ist menschenfeindlich. Sie setzt voraus, daß der Grundsatz, Politik solle gemeinsamer Einsicht entspringen, bloß eine façon de parler sei.

Adorno

 

Es bedarf nicht der Lektüre hunderter Seiten von Wahlprogrammen zur Erkenntnis, daß die Unterschiede zwischen den Parteien keine sind. Allenfalls in der Frage nach der Höhe eines Mindestlohnes oder im Grad der Begeisterung für den Ausbau regenerativer Energien sind Nuancen auszumachen. In ungebremster Anbiederung an den infantilen Wutbürger pöbelt die Linke, es sei jetzt „genug gelabert“ „Schluß mit Schulden“ versprechen die Liberalen in Schröder'scher Basta-Manier und die Grünen suchen ihre Rotzlöffel-Kundschaft schon in Kindergarten und Grundschule. Der CDU-Kandidat Matern von Marshall wirbt gewissermaßen grün mit einem Apfel um die Gunst des Wahlvolkes, das in diesem Fall nicht nur wählen, sondern sich im gemeinsamen Rätselraten noch intensiver als Gemeinschaft betätigen und also wohlfühlen durfte. Ob von Marshall nun allerdings gesunde Rohkost anpreisen wollte oder gar als neuer Wilhelm Tell des Wahlkreises in die Geschichte eingehen will, ist schwer zu entscheiden. Denn zum Reichsapfel hatte es schon bei seinem Großvater Wilhelm Pleickart von Biberstein, der 1923 an der Seite des Führers kämpfte, was ihm dann 1935 als altem Kämpfer mit einem Hakenkreuz-verziertem Grab auf dem Marcher Friedhof belohnt wurde, nicht mehr gereicht. In den Apfel vom Baum der Erkenntnis hat von Marshall jedenfalls nicht gebissen, weshalb er im Wahlkreis Freiburg unangestrengt das Direktmandat holen konnte. Auch die CDU kommt am Erfolgsmodell des heimeligen Wohlfühlkapitalismus mit Gesundheitsbonus mittlerweile nicht vorbei. In ungetrübter Liebe zu Staat, Familie und Natur haben sich Rhetorik und Klientel der Parteien derart angeglichen, daß Wortwahl, Gestus und Motivik der politischen Meinungsführer tendenziell in einer allseits vertret- und reproduzierbaren Charaktermaske zusammenfließen. Was einer und auch eine sich antun muß, um mit seiner und auch ihrer Funktion so restlos zum Zivilsoldaten zu verschmelzen, daß jedes Neidgefälle zwischen Führern und Geführten verschwindet, das läßt sich nach der grünen Wahlschlappe an der mit den Hufen scharrenden zweiten Reihe schon bald nachrückender Jungpolitiker zeigen.

Gäbe es Gerechtigkeit im Falschen, dann müßte man die grüne Betriebsnudel Claudia Roth gegen die grade auf der Zielgeraden zum politischen Topmanagement hechelnde und folgerichtig unentwegt ins Publikum lächelnde stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Freiburger Direktkandidatin der Grünen, Kerstin Andreae, ebenso in Schutz nehmen wie vor Jahren vielleicht die zivile „Birne“ Helmut Kohl gegen den ehemaligen Batteriechef der Reichswehr, Helmut Schmidt, der seiner Warnung vor einer Intervention im syrischen Bürgerkrieg jüngst mit der zweifellos zutreffenden Versicherung Nachdruck verlieh, er urteile „weiß Gott“ nicht als Pazifist, sondern hier spreche „ein alter Soldat. Gegen jedwede emotionale Anflutung von Sympathie für den einen oder vermeintlich weniger schlimmen anderen ist jedoch strikte Enthaltsamkeit geboten, weil Sympathie und Scham ohne nationale Identifikation nicht zu haben ist. Wem der Verzicht auf Mitleid schwer fällt, der darf getrost darauf vertrauen, daß Claudia Roth immer genügend ParteifreundInnen finden wird, die sie vor laufenden Kameras tröstend busserln und umarmen, ihr dabei etwas Lustiges ins Ohr flüstern, um dann am Abend mit ihr in der Jackson Pollock Bar in Freiburg zu Robbie Williams‘ Candy zu schunkeln.

Wo Claudia Roth noch als ideelle Gesamttante für die große grüne Staatsfamilie wirbt, da macht die studierte Volksbewirtschafterin Kerstin Andreae im Bundes­tagswahlkampf schon mit einem Relaunch aus „Kraft durch Freude“ Propaganda. Unter dem Slogan Grüne Kraft lächelt sie dem Wahlvolk so dreist entschlossen und doch so einladend aufge­räumt zu, daß man den niederschwelligen Kommandoton der in den Unter­titel verschobenen rhetorischen Frage Bist du dabei? überhört und vergisst, daß Dabeiseinwollen jedenfalls in Deutschland stets der durch keine Reflexion gebrochene Reflex des autoritären Charakters auf den Ausschluß ist, mit wel­chem auch ein grüner Staat des ganzen Volkes den Zögernden, Abweichenden und Abseitsstehenden bedrohen wird, der partout nicht Stärker mit Kerstin Andreae oder einer anderen Charaktermaske des Politbetriebes werden will. Und wenn die staatsfromme Ex-Pfadfinderin zusammen mit dem staatsfrommen Ex-Maoisten Ralf Fücks für den 12. September in Freiburg gar Die Grüne Revolution auszurufen sich nicht entblödete, dann entbirgt sich im Wortfeld der Wahlpropaganda langsam das Reimschema auf alle grünen Claims: der Ökostaatsfetischismus der großen, multikulturell angereicherten Volksfamilie, die durch Stärke, Kraft und grüne Leibesertüchtigung das Leben ihres Volkskörpers in der camou­flierten Gestalt „künftiger Generationen“ nachhaltig sichern will und notfalls gegen alle ungesunden Formen des zwischen Tel Aviv und New York frei flottierenden und nicht erdungsfähigen Geldgeistes wird vorwärtsverteidigen müssen. „Mit Ökodiktatur gar nichts zu tun“ habe, so Andrea, der Veggie-Day, denn: „unser Fleischkonsum hat Folgen“ – und bei „Folgen“ hört bekanntlich die sonst gewiß hochgehaltene „Selbstbestimmung“ auf und muß der vorerst noch grün-demokratische Souverän einschreiten. Zur Lust am autoritären Durchregieren, die der Gernot von der SPD nur oberflächlich kaschiert dem Wladimir aus Moskau neidet, bekennt sich die Kerstin noch etwas verschämt: „Es funktioniert, wenn man mit einer provokanten These reingeht. Auch sie beherrscht perfekt den Grünen-Neusprech, ein Amalgam von Stärke- und organischen Gesundheitsmetaphern, Managerphrasen und Adoleszenzrethorik, denn Ökologie ist unsere Kernkompetenz, das ist ganz klar, und Steuererhöhungen machen keinen Spaß, uns nicht, den Menschen auch nicht, das ist doch klar“. In der Gegenüberstellung von grünen Politprofis und Menschen im Übrigen tritt jene Antinomie aus Verachtung für den noch der Einsicht in die Notwendigkeit grünen Durchregierens ermangelnden Pöbels und der Lust an der schicksalshaften Unterwerfung unter den zum Kollektivsubjekt zusammengeschossenen „Wählerwillen“ zutage, zu dessen versagter Gefolgschaft Kerstin auch schnell die richtigen Worte auf den Lippen hat, schließlich hätte ihre Partei die Themen nicht richtig setzen können und die „„Sorgen der Leute, wie stehe ich in meinem Unternehmen, nicht ausreichend ernstgenommen.

Es versteht sich, daß die grüne Trägerin des Elite-Mittelstandspreises 2013, den vor ihr so namhafte Repräsentanten der deutschen Elite wie Rainer Brüderle, Roland Koch und Günther Oettinger erhalten hatten, und Koordinatorin des Arbeitskreises Wirtschaft & Soziales im deutschen Bundestag von Berufs wegen im Grunde gar nichts anderes meinen kann und ausplaudern muß als das, was mehr oder weniger sowieso schon alle Deutschen von der CSU bis zur Linken mit immer bloß quantitativen und konjunkturabhängigen Differenzierungen denken. So wirft sie sich auf das Einsatzstichwort „Krise“, die wahlweise auf den Namen „Euro“, „Klima“ oder „Banken“ hört, in den Antinomien der verkehrten Gesellschaft herum und findet es im Wortgefecht mit „schwarz-gelb“ besonders schlau und ziemlich lustig, wenn sie – „Seht her!“ – mal mehr (Finanztransaktionssteuer), mal weniger (Subventionsabbau) Staat fordert. Wenn sie ihre spätestens im Volkswirtschaftsstudium erworbene Erfahrungsresistenz mit geheuchelter Empathie und forcierter Gerechtigkeitslyrik zu kompensieren und ihrem hellwachen Dämmerzustand durch Fokussierung auf rhetorische Pointen zu entrinnen sucht, dann kommen ihr Sätze aus dem wutbürgerlichen Wörterbuch der Empörten über die Lippen wie dieser: „Jedes Kind ist gleich viel wert!“ Den nicht ganz bis ins Bewußtsein vorgedrungenen Fehltritt korrigiert sie dann gleichwohl ein paar Sätze später subjektiv-werttheoretisch: „Jedes Kind ist uns gleich viel wert“. Daß ihnen jedes Kind gleich viel wert ist, beweisen die Grünen mit eine Reihe von Plakaten, auf denen BengelInnen im Vorschulalter so dreist und ohne jede Scheu und Anmut mit „coolen“ Werbeparolen auftrumpfen, als hätten sie schon pränatal an Peer Assessments für künftige Führungskräfte teilgenommen: „Meine Mudda wird Chef“ oder auch „Eure Schulden will ich nicht!“

Auf dem Weg zur Qualifikationsausscheidung kurz vor dem Fraktionsvorsitz oder einem Regierungsamt spätestens in vier Jahren spielt sie zwischendurch auch schon einmal ein wenig mit dem Feuer und tritt auf einer Wahlveranstaltung in Freiburg augenzwinkernd ins Publikum der anwesenden Konkurrentin rhetorisch in die Rippen. Mit den Mitteln, die einem großen Mädchen nach langen Trainingsjahren im Quotencamp zur Verfügung stehen, buhlt sie um die Gunst des Wahlvolkes und entreißt der Gnade des Vergessens augenzwinkernd einen Werbeslogan, den Tante Claudia aufgrund ihres notorischen Hangs zur Selbstentblößung im permanenten Dschungelcamp der Grünen vor einem Jahr selbst freigegeben hatte: „Wer nervt mehr als Claudia.“

Denn Kerstin Andreae will selbstredend nicht „nerven“, sondern mit Kraft und Freude als Volkswirtin, Volksmutter und Volksvertreterin überzeugen und mit diversifizierter Propaganda, so tüchtig wie die von der Leyen und doch so gemütlich wie die Claudia, das Wahlvolk hinter sich bringen. Dazu benötigt sie vor allem eine gute Werbeagentur, einen Mann und drei Kinder, ein Volkswirtschaftsstudium, den unbedingten Willen zum Erfolg und das, was Schwiegermütter treffend und mit militärischem Anklang ein „einnehmendes Wesen“ nennen würden, schließlich: die perfekte Synchronisation eines niemals versiegenden Wortflusses mit einer Gestik, die neurolinguistische Programmierer als „kongruent“ qualifizieren würden. Bei dieser Selbst-Authentifizierung hapert es zwar noch ein wenig. Aber die am RednerInnenpult nach rechts oben angewinkelten Arme zur Demonstration irgendeines „Einerseits“, dem das „Andererseits“ (Arme nach links oben) auf dem Fuße folgt, oder die zur gestischen Beglaubigung eines Argumentes knapp vorbei am Gesprächspartner leicht in den Raum geschobenen, zur Spitze gestreckten und eng anliegenden Finger der rechten Hand lassen erwarten, daß Kerstin Andreae, kurz vor der Approbation als, sagen wir, Fraktionsvorsitzende oder Staatssekretärin in einem Wirtschaftsministerium steht. Dort angekommen wird sie dann all das amtlich sagen dürfen, was längst mehr oder weniger alle, wenngleich nicht immer mit eingeschobenem großes „I“ längst sagen, zum Beispiel, daß nicht nur die Gedanken sondern auch das Kapital ein Geschlecht habe und daß dennoch nur der Kapitän mit dem Schiff unterzugehen habe: „Eine wirksame Haftung ist konstitutiv für die Marktwirtschaft. Für das Management von Fonds, Banken und Versicherungen heißt das: Der Kapitän geht mit dem Schiff unter. Er ist haftbar für eigene Fehler und die seiner Untergebenen, Haftpflichtversicherungen für Mana­gerInnen dürfen das Risiko deswegen nicht vollständig übernehmen. Gleiches gilt für KapitalgeberInnen, also die EigentümerInnen und GläubigerInnen von Banken.“ (S. 61 des Wahlprogramms 2013 der Grünen)

Kerstin Andreae zählt zu jenen Exemplaren einer im Vordringen befindlichen Subspezies der verfehlten Gattung, die sich durch wachsende organische Zusammensetzung der Subjektivität auszeichnen und die dem nahe kommen, was Deleuze/Guattari einmal, freilich in affirmativer Verdoppelung der falschen Tendenz, im Begriff der „Wunschmaschine“ identifizierten. Es ist, als konvergiere in lächelnden Polit-Androiden wie Kerstin Andreae der osmotische Druck zwischen der verpaßten Möglichkeit von Individuation und den Imperativen der negativen Gesellschaft gegen Null. So wie ihre männlichen Kollegen längst zur Neurose unfähig sind und ihre narzißtischen Wunden allenfalls mit Alkohol versorgen, so wird Kerstin Andreae keine hysterische Reminiszenz auf dem Parcours nach oben hindern. Sie hat ihren Text immer schon gelernt und gekonnt und ist mit der kreativen Unterstützung ihrer Werbeagentur dabei, die zum Text gehörenden Gesten so perfekt einzustudieren, daß der heute noch etwas nervöse Griff zum Wasserglas auf dem Rednerpult bald überflüssig werden wird. Auch religiöse Vorstellungen werden sie niemals bremsen, denn unter Transzendenz versteht sie fraglos eine höhere Form von Nachhaltigkeit. Im kräftig grünen Blouson auf den Wahlkampf-Plakaten, im verspielt sommerlichen Blümchenkleid bei den Freiburger Anti-AKW-Freunden oder in gedecktem Umbra mit Roland Berger bei der Verleihung des Elite-Preises: Immer besser passen der Text zum Outfit und dieses zum Gestus eines von Funktionslust angetriebenen Polit-Profis. Und darum trifft Tante Claudia den Nagel auf den Kopf, wenn sie als DJane beim Wahlkampf für Kerstin in der Jackson Pollock Bar ihr Lieblingslied in der Disco-Version von Gloria Gaynor auflegt, das den Wiederholungszwang erfahrungsloser Selbstbehauptung im Refrain in der schlichten Tautologie zum Ausdruck bringt: „I am what I am – I am my own special creation.”

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