Baskenland: Politische Perspektiven 2013/2014

Baskenland: Politische Perspektiven

Für das Baskenland und den spanischen Staat beginnt nach der Sommerpause ein neues politisches Jahr, das trotz Stagnation in vieler Hinsicht auch von Hoffnungen geprägt ist. Nichts deutet auf eine Besserung der wirtschaftlichen Lage hin, die Regierung in Madrid hat vielmehr eine neue “Arbeits-Reform“ angekündigt, die wenig Gutes erahnen lässt. Hoffnung dagegen für den Normalisierungs-Prozess im Baskenland. Auf die spanische Seite wettet niemand auch nur einen Heller. Deshalb sind die Hoffnungen auf einen entscheidenden Schritt von ETA gerichtet, der Madrid in Zugzwang bringen könnte. Gerüchte in diese Richtung gehen um, seit einiger Zeit schon, genährt vor allem aus Quellen der baskischen Linken. Nichts Konkretes. Immer wieder ist von Waffenabgabe die Rede, bei der die baskische Regierung eine aktivere Rolle spielen soll (Baskinfo berichtete). Die wesentlichen Themen im Einzelnen:

 

Politische Gefangene


Für Herbst wird eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erwartet. Anhängig ist die Klage einer baskischen Gefangenen, Ines del Rio, die von der willkürlichen Haftverlängerung trotz vollständigen Absitzens ihrer Strafe betroffen ist, aufgrund der sog. Parot-Doktrin. Der Gerichtshof hatte in einer ersten Entscheidung der Gefangenen Recht gegeben, die spanische Regierung legte Widerspruch ein und kündigte an, eine für sie negative Entscheidung zwar zu akzeptieren, mit juristischer Akrobatik jedoch die Doktrin zu umschiffen. Mehr als 70 Gefangene sind betroffen. Die Angehörigen-Organisation HERRIRA (Ins Land zurück) hat für September eine Großveranstaltung und eine Demonstration angekündigt.


Massenprozesse


Für Oktober ist der Beginn eines neuen Massenprozesses angesagt (Baskinfo berichtete). Für unbestimmte Dauer wird gegen 40 jugendliche Aktivist/innen und 36 aus der Abertzalen Linken (Batasuna, Herri Batasuna) verhandelt werden, insgesamt mehr als 150 Personen wurden vorgeladen, neuer Rekord in der tieftraurigen anti-baskischen Justizgeschichte des spanischen Staates.

 

Verhandlungen / Entwaffnung


Zur Dynamisierung des Normalisierungs-Prozesses hilft nur eine erneut einseitige und weitreichende Entscheidung aus dem Bereich der baskischen Linken. Gemunkelt wird, ETA sei bereit, einer der Forderungen des Sozial-Forums nachzukommen und eine Waffenabgabe anzukündigen. Einige Stimmen fordern, das Thema Entwaffnung innerbaskisch zu regeln, mit der baskischen Regierung als Protagonistin und der Internationalen Beobachtungs-Gruppe als bestätigender Instanz. Ein solches Vorgehen ist fragwürdig, weil die spanische Regierung den Schritt ignorieren könnte. Er könnte sie allerdings auch unter Zugzwang setzen. Die baskische Regierung könnte bei der Überwindung der Blockade im Normalisierungs-Prozess eine bedeutende Rolle spielen. Der Friedensplan, den sie vorgelegt hat, ist jedoch umstritten. EH BILDU ist zu Kompromissen bereit, die Sozialdemokraten verweigern sich, von der rechten PP ganz zu schweigen. Bis zum 20.9. können zum Plan Eingaben gemacht werden. Danach soll er im Parlament diskutiert werden. Polemik ist garantiert.


Internationale Vermittlungs-Gruppe


Nach dem Scheitern des Marschplans der Aiete-Konferenz von 2011 ist die internationale Vermittlung tendenziell auf dem Rückzug. Die Verhandlungspläne in Oslo haben sich aufgrund der spanischen Verweigerungs-Haltung in Wohlgefallen aufgelöst, die Gruppe macht ihr weiteres Wirken von einer entspannenden Maßnahme von Tragweite abhängig. Die baskische Seite hat daran ein großes Interesse, von der spanischen wurde die hochkarätige Gruppe nie anerkannt. Das Sozial-Forum im Juni war einer der letzten Versuche, die internationale Beteiligung in Gang zu halten, Konflikt-Experten aus aller Welt hatten Bericht erstattet. Im Oktober soll in Donostia eine weitere Konferenz stattfinden, zu der “Bürgermeister für den Frieden“ eingeladen sind. Organisiert von der Stadtverwaltung Donostia in Händen von EH BILDU, wird die Konferenz von vielen Seiten misstrauisch betrachtet oder abgelehnt. Sie soll neue Konzepte auf die Tagesordnung bringen, könnte aber auch der Blickfang für eine wesentliche ETA-Erklärung sein, so eine Mutmaßung.


Selbstbestimmung


Im Laufe der kommenden 12 Monate werden im Baskenland viele Augen auf Katalonien und Schottland gerichtet sein. In Katalonien übernehmen zivile Organisationen nunmehr die Initiative der rechten katalanischen Regierung. Zum Nationalfeiertag Diada am 11.September (kommende Woche) wird eine 400 km lange Menschenkette von Nord nach Süd organisiert werden mit der Unabhängigkeit als zentraler Forderung. Ein Spektakel, das mit Sicherheit für einen Moment die gesamt-europäische Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Sogar Rajoy hat einen Auslandsbesuch verschoben, um sich ein Bild machen zu können, so die baskische Tageszeitung GARA. Schottland steht dann am 18.September 2014 im Licht der Aktualität, allerdings unter gänzlich unterschiedlichen Vorzeichen. Das an diesem Tag stattfindende Referendum zur Frage der schottischen Unabhängigkeit ist von London abgesegnet – ein Alptraum für Madrid, das sich in die Frage eingemischt hat mit der Ankündigung, alles gegen eine schottische EU-Mitgliedschaft tun zu wollen – ein zusätzlicher Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Katalonien. Gleichzeitig haben London und Madrid den August genutzt, in Gibraltar einen Streit vom Zaun zu brechen, dessen Ausgang unklar ist. Dabei schützen die Briten das Existenz- und Selbstverwaltungs-Recht des “Felsen“, Spanien würde den Fliegenschiss im iberischen Süden am liebsten sofort tausendfach mit der gelb-roten Flagge bestücken.


Menschenkette im Baskenland


Entsprechend der katalanischen Aktions-Konjunktur soll auch das Baskenland nicht zurückstehen, wenn es um kettenförmige Massen-Mobilisierungen geht. Am 8.Juni 2014 soll zwischen Durango in Bizkaia und Pamplona in Navarra nach katalanischem Vorbild Händchen gehalten werden, auf immerhin 123 km Länge mit geschätzten 50.000 Personen, was immerhin 2% der gesamt-baskischen Bevölkerung entspräche. Das verspricht die partei-unabhängige Organisation Gure Esku dago (Ist unser Recht).


Statut, Status, Departement


Die baskische Minderheits-Regierung der PNV will eine Initiative starten, ihren politischen Status im spanischen Staat neu zu definieren. Der letzte Versuch, in diesem Fall das Autonomie-Statut zu ändern, liegt Jahre zurück und wurde im Frühjahr 2005 von Madrid abrupt gestoppt. Inhaltlich ist von der neuen Initiative wenig bekannt, nur dass es per Referendum abgesegnet werden soll. Mit großer Sicherheit erneut ein Vorstoß der PNV, ihr nationalistisches Profil zu bekräftigen, ein Vorgang, der Wirbel machen wird. EH BILDU hat sich positiv dazu geäußert, die Sozialdemokaten haben andere Sorgen.


In Iparralde, dem Baskenland auf französischer Seite soll erneut die Frage eines eigenen Departments auf die Tagesordnung gebracht werden, die Hollande-Regierung hatte im vergangenen Jahr eine entsprechende Initiative ins Leere laufen lassen. Bisher ist Iparralde in eine größere Region integriert, Pirenées Atlantiques. Die Betreiber/innen des Anliegens sind in diesem Fall anders sortiert, auch baskisch-französische Sozialdemokraten und Rechte sind mit von der Partie, auch entgegen der zentralistischen Parteiführungen.


Arbeitskämpfe, Renten


Nachdem im Baskenland im Juli 2013 die Frist ablief, ausgelaufene Tarifverträge zu erneuern oder zu verlängern, ist automatisch die gesamt-spanische Regelung in Kraft getreten, so sieht es die letzte “Arbeits-Reform“ der spanischen Regierung vor. Für die baskische arbeitende Bevölkerung hat dies nur Nachteile. Die baskischen Unternehmer-Verbände haben durch ihre Boykott-Haltung diese Situation erzwungen, einige haben mittlerweile die ihnen zustehenden “Rechte“ wahrgenommen und die Bedingungen der Arbeiter/innen-Klasse deutlich verschlechtert. In Anbetracht dessen ist mit einem heißen Herbst zu rechnen mit Mobilisierungen von Seiten der Gewerkschaften und der Sozialen Bewegungen, die im Baskenland als Junior-Partner der Gewerkschaften akzeptiert sind. Parallel dazu will die Rajoy-Regierung die Renten “reformieren“, was das heißen kann, können sich alle Senior/innen an einer Hand ausrechnen.


Illegale Parteien-Finanzierung


Der Fall des PP-Schatzmeisters Barcenas, mittlerweile Untersuchungs-Häftling, wird die Regierungspartei auch im kommenden Kurs beschäftigen. Die Frage ist lediglich, wie weit die spanische Justiz in der Lage ist, die illegale Parteien-Finanzierung juristisch aufzuarbeiten oder im üblichen Sumpf verenden zu lassen. Im Fall des korrupten Schwiegersohns des Königs ist das Meiste erforscht, Frage ist nur, ob ein mutiger Richter diese Unperson in den Knast schickt oder nicht. Dass der Mann ausgerechnet aus dem baskischen Adel stammt und schon mal Handball-Olympia-Sieger war, interessiert im Baskenland niemand mehr.


Iñigo Cabacas


Am 9.April wird sich zum zweiten Mal der Todestag des Fussball-Fans jähren, der aus nächster Nähe von einem Gummigeschoss aus einer Polizeikanone getötet wurde. Vieles spricht dafür, dass es auch an jenem Tag keine neuen Ermittlungs-Ergebnisse gegeben haben wird, denn auch die neue baskische Regierung setzt nicht gerade auf Aufklärung, sondern auf Corps-Geist. In diesem Fall ein Skandal ausschließlich baskischen Charakters.


Hochgeschwindigkeitszug


Nicht wirtschaftliche und ökologische Logik haben das von Europa, der spanischen und der baskischen Regierung gepuschte Projekt eines Hochgeschwindigkeits-Zuges quer durch das Baskenland in Frage gestellt, sondern fehlende Mittel und der verheerende Unfall in Galicien vor wenigen Wochen. In Iparralde, Portugal und Aragon wurden die weiter gehenden Rapid-Verbindungen in Frage gestellt bzw. auf unbestimmt verschoben. Die laufenden Bauarbeiten wurden aufgrund fehlender Finanzierung aus Madrid auf ein Minimum reduziert, die Kosten explodieren, die Fertigstellung wird halbjährlich in weitere Ferne gerückt. Dazu der Unfall mit 89 Toten in Galicien, der die Technik insgesamt mehr als in Frage stellt. Die aus dem Ausland angefahrenen Bauarbeiter, die entlang der Baustrecke unter erbärmlichen Verhältnissen leben, mussten kürzlich einen sechsten Todesfall hinnehmen. Die Anti-AHT-Bewegung wird weiter mobilisieren.

 

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