Berliner Schulen dicht

Starke Schüler brauchen starke Lehrer

// Für Gleichbehandlung und bessere Arbeitsbedingungen: Heute und morgen streiken in der Hauptstadt bis zu 4.000 angestellte LehrerInnen //

Die Ferien sind seit zwei Wochen vorbei, doch an vielen Schulen Berlins ist der Unterricht noch nicht so richtig losgegangen. Wie der Landesschülerausschuß mitteilt, werden viele Stunden von VertretungslehrerInnen oder pensionierten Lehrkräften gegeben, während andere überhaupt nicht stattfinden. Laut der offiziellen Statistik sind im vorletzten sSchuljahr zwei Prozent der Stunden ausgefallen, während acht weitere Prozent vertreten wurden. KritikerInnen gehen dagegen davon aus, dass bis zu einem Drittel des Unterrichts in Berlin nicht in der geplanten Form stattfindet.

 

Nun wird erst einmal viel mehr Unterricht ausfallen. Am heutigen Mittwoch beginnt ein zweitägiger Warnstreik der angestellten Lehrkräfte. Bis zu 4.000 LehrerInnen dürften den von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) organisierten Arbeitskampf unterstützen. In den vom Streik betroffenen Grundschulen der Hauptstadt wird eine Notbetreuung eingerichtet, bei der die Kinder ohne Unterricht beaufsichtigt werden. Gymnasien, Sekundarschulen und Oberstufenzentren könnten ganz dicht bleiben. Am OSZ Lotis in Tempelhof wollen sich Gewerkschaftsangaben zufolge 40 LehrerInnen dem Ausstand anschließen. "Die Streiks werden deutlich wachsen, nicht in der Länge, aber in der Beteiligung", sagte ein Lehrer dieser Schule im Gespräch mit junge Welt. An anderen Schulen hat sich die Hälfte des Lehrkörpers für den Streik angemeldet.

 

Ein Drittel der 29.000 Lehrkräfte in Berlin ist angestellt und verdient deutlich weniger als KollegInnen mit BeamtInnenstatus. Die GEW fordert Tarifverhandlungen mit dem Berliner Senat, um die Gehaltsunterschiede auszugleichen. Doch Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für die SPD) verweigert jede Verhandlung und möchte die Frage nur in einem bundesweiten Tarifvertrag lösen. Erst im April dieses Jahres hatte die Tarifgemeinschaft der Länder eine einheitliche Regelung für angestellte LehrerInnen abgelehnt.

 

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) berichtete in den vergangenen Wochen wiederholt, dass Berliner LehrerInnen schon als EinsteigerInnen ein Bruttogehalt von 4.700 Euro verdienen würden. Tatsächlich trifft das nicht auf alle zu, zum Beispiel nicht auf die an Grundschulen beschäftigten. Darüber hinaus gibt es bis zu 700 prekär beschäftigte Lehrkräfte, die die Personallöcher stopfen. Sie bekommen etwa ein Drittel dessen, was ein Gymnasiallehrer verdient.

 

Diese Lehrkräfte im sogenannten Personalkostenbudgetierungssystem vertreten offiziell nur erkrankte LehrerInnen, doch manche unterrichten schon seit Jahren das gleiche Fach an der gleichen Schule – und bekommen trotzdem immer nur Verträge für mehrere Monate. Ohne ein abgeschlossenes Lehramtsstudium und ohne eine tarifliche Regelung, die ausreichende Arbeitserfahrung mit einem akademischen Abschluss gleichstellt, haben sie keine Hoffnung auf eine Festanstellung.

 

Tatsächlich steht beim Streik der angestellten LehrerInnen die Lohnfrage nicht im Mittelpunkt, sind die Gehälter für junge PädagogInnen doch nicht schlecht. "Es ist eine verdammt arme Stadt, und was können wir sagen, damit die armen Menschen dieser Stadt sich auf unsere Seite stellen?" fragte einer am Rande der tarifpolitischen Konferenz, die vor zwei Wochen den Streik beschloss.

 

Den meisten LehrerInnen geht es um Gleichbehandlung, die tarifliche Absicherung der Löhne und vor allem um bessere Arbeitsbedingungen in den Schulen  – alles Themen, die einen Anschluss an andere Sektoren ermöglichen. Nach einem Urteil des Arbeitsgerichts darf die Gewerkschaft nur zu Fragen der tariflichen Eingruppierung und der alternsgerechten Arbeitsbedingungen streiken. Doch die KollegInnen an der Basis müssen sich nicht an den komplizierten arbeitsrechtlichen Einschränkungen halten und fordern schlicht bessere Bedingungen. Auch wenn LehrerInnen von Natur aus nicht besonders radikal sind, wird es immer offensichtlicher, dass nur ein unbefristeter Erzwingungsstreik zur Durchsetzung der Forderungen führen wird.

 

Der Landeselternausschuß äußerte Verständnis für den zweitägigen Streik, da viele Kinder in überfüllten Klassen sind und von fachfremden LehrerInnen unterrichtet werden. Bei der Streikwoche im Mai hatte sich dieses Gremium noch gegen einen Ausstand ausgesprochen, weil der die Abiturprüfungen hätte stören können. Die Berliner Zeitung beschwert sich, dass die Auseinandersetzung "auf dem Rücken der Schüler ausgetragen wird", muss aber auch gleich zugeben, dass im Mai keine Abiturprüfungen gestört wurden.

 

Ein SchülerInnenbündnis geht noch weiter und ruft zu Solidaritätsstreiks heute und morgen auf. "Die schlechten Arbeitsbedingungen der Lehrer verursachen die schlechten Lernbedingungen der Schüler", sagt Kaja (14), die ein Gymnasium in Mitte besucht. Im Mai hatten bis zu 200 SchülerInnen den Unterricht boykottiert, um ihre LehrerInnen zu unterstützen und diese Aktion wollen sie wiederholen. Doch ein anderer Schüler beklagt, dass die GEW nicht offensiv zum gemeinsamen Streik aufruft.

 

Heute treffen sich die Streikenden um 9.30 Uhr am Dorothea-Schlegel-Platz am Bahnhof Friedrichstraße. Eine Demonstration führt dann zu den Senatsverwaltungen für Finanzen und Inneres in der Klosterstraße. Treffpunkt am Donnerstag ist 10 Uhr vor der Berliner CDU-Zentrale (Kleiststraße 23–26) in Schöneberg. Der Protestzug führt dann zum Willy-Brandt-Haus der SPD in Kreuzberg. Eine Fahrraddemo führt zudem zur Zentrale der Berliner SPD (Müllerstraße) im Bezirk Wedding.

 

von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)

 

eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der jungen Welt vom 21. August

 

Chronologie: LehrerInnenproteste 2013 in Berlin

 

15. Januar: 200 angestellte LehrerInnen demonstrieren für gleiche Bezahlung auf dem Potsdamer Platz – nach dem Unterricht am Nachmittag

 

16.–17. Januar: Zweistündige Warnstreiks an über 70 Schulen in Berlin.

 

18. Februar: 5.000 LehrerInnen und ErzieherInnen demonstrieren während eines ganztägigen Warnstreiks im Rahmen der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst.

 

6. März: Bundesweiter Warnstreik der im öffentlichen Dienst Beschäftigten mit 50.000 TeilnehmerInnen. In Berlin organisieren ver.di und GEW eine Demonstration mit 12.000 TeilnehmerInnen, darunter mehrere tausend angestellte LehrerInnen. In Potsdam versammeln sich 10.000 Streikende.

 

11. April: Tarifpolitische Konferenz der GEW Berlin beschließt Warnstreiks während der Abiturprüfungen, um den Druck zu erhöhen.

 

22. April: Berliner Senat versucht, die Warnstreiks gerichtlich verbieten zu lassen, scheitert aber damit. Parallel stellen die Senatoren "Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Lehrerberufs" vor, die eine Arbeitszeiterhöhung beinhalten.

 

23. April: Bis zu 2.500 LehrerInnen treten in einen ganztägigen Warnstreik.

 

13.–16. Mai: Streik- und Aktionswoche der GEW Berlin. An den verschiedenen Tagen werden nur einzelne Schulformen zum Ausstand aufgerufen. Es beteiligen sich jeweils über 500 LehrerInnen.

 

17. Mai: Zum Abschluss der Streikwoche demonstrieren mehr als 2.500 PädagogInnen durch die Stadtmitte. Auch 200 SchülerInnen boykottieren den Unterricht und bekunden ihre Solidarität.

 

3. Juni: Gewerkschaftliches Treffen prekär beschäftigter LehrerInnen des "Personalkostenbudgetierungsystems"

 

8. August: Tarifpolitische Konferenz der GEW Berlin beschließt einen weiteren zweitägigen Warnstreik, der am heutigen Mittwoch beginnt.

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naja danke Nun wird erst einmal viel mehr Unterricht ausfallen. Am heutigen Mittwoch beginnt ein zweitägiger Warnstreik der angestellten Lehrkräfte.

für euren einsatz

Es steht außer frage, dass Lohnkämpfe wichtig und notwendig sind. Auch dass Lehrer_innen (fast egal an welcher Schulart sie unterrichten) unterbezahlt sind, für den Stress und die Leistung die sie bringen müssen.

Jedoch sollte es bei den Schul- und Bildungsprotesten um mehr gehen!

Das Bildungssystem in Deutschland ist eins der schlechtesten ganz Europas. Wir reproduzieren Eliten während anderen, die während ihrer Pubertät und Jugend anderes im Kopf haben, als sich möglichst gut wirtschaftlich verwertbar zu machen, die unterstützung versagt bleibt. Ist ja schön und gut, dass wir nach dem Abitur das größte Allgemeinwissen unseres Lebens haben. Aber wofür? Selbstreflexion, die Fähigkeit eigene Bedürfnisse zu erkennen und auszudrücken bzw. die von anderen zu respektieren bleiben voll und ganz auf der Strecke. Dafür ist neben der Wasserstoffbrückenbindung und Goethe halt kein Platz mehr. Es geht nicht um Bildung und darum Kinder und Jugendliche zu befähigen sich selbst wissen anzueignen. Es geht nur stumpf darum, später möglichst gut wirtschaftlich Verwertbar zu sein. Kaum ein Land hat ein so einseitiges Schulsystem wie Deutschland.

Wir zerstsören systematisch den Spaß an Bildung und Wissensaneignung bei uns. Wir bereiten durch eine schulische Sozialisation die Kinder und Jugendlichen auf ein Leben vor, indem sie vormittags das Notwendige Übel der Schule durchleiden müssen (welches mit Bildung und Wissensaneignung assoziiert wird) damit nachmittags sich erholt werden kann. Das Bildung einen persönlich weiter bringt und tatsächlich ein Bedürfnis nach Wissen und Verstehen vorhanden ist wird dadurch systematisch aberzogen.

Wirtschaftliche Verwertbarkeit hat in dem Aufgabenbereich der Schule nichts zu suchen. Förderung von Selbstbestimmten Lernen und die pädagogische Aufgabe den Kindern und Jugendlichen tatsächlich den Spaß am lernen zurückzubringen (wie er in der Kindeheit ja häufig auch noch da ist) sollte die Aufgabe sein.