Heil Braunkohle?

Heil Braunkohle?

Am 16. Mai traf sich die Braunkohlelobby mit leitenden Mitarbeiter_innen der Braunkohlekonzerne und „befreundeten“ Industrien, Verwaltungsleuten sowie Lokal-, Landes- und Bundes-Politiker_innen zum Braunkohletag in der IHK in Köln. Kurz nachdem ein breites Bündnis von Klimaaktivist*innen zu Gegenprotesten aufgerufen hatte, meldete auch die Gewerkschaft IG BCE (Bergbau, Chemie und Energie), die Teil des DGB ist, eine Demonstration für Braunkohle an. Im Rahmen dieser Demonstration skandierten die Gewerkschaftler*innen und RWE-Mitarbeiter*innen auch Nazi-Parolen.

 

Aufgeheizt war die Stimmung am gestrigen Nachmittag auf dem Börsenplatz, wo sich mehrere hundert rotbekappte, zum Großteil jugendliche IG BCE - Gewerkschaftler*innen und ca. 30 Braunkohlegegner*innen gegenüberstanden. Sie hatten offensichtlich für den Tag von RWE extra freibekommen, wurden in Reisebussen angekarrt, befanden sich in ausgelassener Klassenfahrtstimmung und wurden vor Ort reichlich mit professionell gedruckten Schildern, Trillerpfeifen und Plastiktröten ausgerüstet.

Aufgestellt hatte sich diese Menschenmenge vor dem IHK-Gebäude, also dem eigentlichen Ort des Geschehens, sodass die eintrudelnden Politiker*innen und Lobbyist*innen von der Gegendemonstration (anfangs) kaum behelligt wurden. So bildeten sich die Fronten ca. 40m vom Gebäude entfernt: Auf der einen Seite die Klimaaktivist*innen mit Trommeln, Megafonen und Transparenten, auf der anderen Seite die wild trillerpfeifenden Gewerkschaftler*innen.

Der Versuch sich mittels Sprechchören wie "Euch lassen sie im Regen stehn, während sie die dicken Dinger drehn" oder "In 20 Jahren ist ausgekohlt, dann schmeissen sie euch in den Müll. Den Bonzen seid ihr scheissegal- Auf sie mit Gebrüll!" mit den (ausgebeuteten) Arbeiter*innen zu solidarisieren, wurde recht schnell aufgegeben angesichts der Vehemenz und des entwaffnenden Einfallsreichtums der zurückgeschleuderten Sprechchöre: "Braunkohle, Braunkohle, ...", "Hartz4, Hartz4, ...", "Assis, Assis, ...", "Geht zum Frisör, Geht zum Frisör, ...", und eigentlich recht treffend "Hier regiert die Braunkohle".

So weit so schlecht, doch im Grunde nicht gerade überraschend. Wirklich besorgniserregend wurde die Situation erst, als plötzlich auch typische Neonazi-Sprüche vom Gewerkschaftsmob skandiert wurden. So hüpften sie zu "Wer nicht hüpft, der ist ein Jude" auf und ab, bezeichneten Gegendemonstrant*innen als "Homos" und die eine oder andere rechte Hand hob sich zum Hitlergruss. Dass es sich dabei nicht nur um blinde Provokation handelte, zeigten die von einigen Leuten zur Schau getragenen Nazi- und Grauzonenbands-Fanartikel (Ein Freiwild-Shirt und ein Stahlgewitter-Käppi) und der Abschieds-Sprechchor: "Frei, Sozial, National".

Anstatt sich gegen die Faschist*innen in den eigenen Reihen zu stellen und sie von der Demonstration auszuschliessen, feierten, skandierten und hüpften die übrigen RWE-Angestellten fröhlich mit. Es schien ihnen gar nichts Verwerfliches daran. Auch von der Demonstrationsleitung oder der Polizei erfolgte wie zu erwarten keinerlei Reaktion.

Es ist wahrscheinlich keine Ausnahme, aber doch erschütternd, wie weit rechts sich die sogenannte "Mitte der Gesellschaft" verordnet. Dass nur ein Funke genügt, um aus demonstrierenden Gewerkschaftler*innen einen antisemitische- und homophobe Parolen brüllenden Mob zu machen.

Einen zusätzlichen bitteren Beigeschmack bereitet, dass es nicht das erste Mal ist, dass Nazis was mit Braunkohle am Hut haben. So wurde das Bergbaurecht zuletzt unter Hitler verschärft, um Enteignungen der den Tagebauen zum Opfer fallenden Flächen und Dörfern zu vereinfachen. Nazideutschland war bei seinem Kriegstreiben auf die "heimische" Energie durch Braunkohle angewiesen. Damals wie heute wird Braunkohlestrom zur Herstellung von Kriegsgerät benutzt (u.a. von Rheinmetall). Damals wie heute wird den Vertriebenen erzählt, ihre Enteignung geschehe zum Wohle des "Volkes".

In Kürze werden wir die Gewerkschaft IG BCE, den DGB und RWE in einem offenen Brief zur Stellungnahme auffordern. Auch wenn von dieser Seite nicht viel mehr als Lippenbekenntnisse zu erwarten sind, halten wir es doch für lohnenswert auf diese Weise die Zustände in der Gewerkschaft und im Unternehmen zu thematisieren.
Ansonsten bleibt uns nur, nach wie vor, dafür zu kämpfen, dass bald ein anderer Wind weht und dass wir bei der nächsten derartigen Aktion genug Menschen sind, um solchen Parolen entschlossener entgegenzutreten.

Scheiss Nazis!
Scheiss Braunkohle!

Siempre Antifascista!

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Wenn der Bericht so stimmt, waren die Reaktionen der Braunkohlearbeiter tatsächlich ziemlich übel. Allerdings scheinen mir die auf der Veranstaltung gerufenen Parolen, mit denen sich die Braunkohlegegner "mit den (ausgebeuteten) Arbeiter*innen solidarisieren" wollten, nicht gerade geeignet, diese von der bornierten Verteidigung ihres unmittelbaren Interesses, d.h. ihrer Arbeitsplätze, abzubringen. Das Problem kommt häufig vor. In Spanien streikten kürzlich ebenfalls Bergarbeiter und anstatt Naziparolen zu rufen, kämpften sie gegen die Polizei mit einer Militanz, die viele Linksradikalen des Herz höher schlagen ließ. Das Problem bleibt aber dasselbe: Auch hier ging es um die Verteidigung von schadstoffreichen Industrien, die eine befreite Menschheit möglicherweise sofort stillegen würde.

 

Ein Ausweg wurde in den 1970ern von den Arbeitern von Lucas Aerospace vorgeschlagen, die einen Plan zu Umstellung der Produktion ihrers Rüstungsbetriebes auf "sozial nützliche Güter" erarbeiteten.

 

Siehe: magazinredaktion.tk/lucas.php