[LE] Erste Worte der Besetzer_innen

Kritisches Denken

Wir als eine heterogene Gruppe mit pluralistischen Meinungen haben am Mittwoch die Räume der Leipziger Universität NSG 110/111 besetzt, um gemeinsam die Idee eines autonom verwalteten Freiraums innerhalb des universitären Rahmens zu verwirklichen. Wir bekennen uns zu keinen Parteien oder politischen Organisationen und agieren unabhängig vom Student*Innen-Rat.

 

Unsere Häuser könnt ihr uns nehmen...

 

Auslöser unserer Besetzung der Seminarräume ist die gewaltsame Räumung des Instituts für vergleichende Irrelevanz (IvI) in Frankfurt (M) am letzten Montag, 22.04.2013. Das IvI ging 2003 aus der studentischen Besetzung eines leerstehenden Gebäudes der Johann Wolfgang Goethe-Universität hervor. Damit wurde ein selbstorganisiertes Zentrum geschaffen um den aktiven Austausch verschiedener studentischer, nicht- studentischer und marginalisierter Gruppen zu ermöglichen. Unter dem Motto Theorie*Praxis*Party wurde damit eine GegenUni geschaffen, in der Vorträge, Tutorien, Diskussionen, Konzerte, Partys und andere Veranstaltungen stattfanden. Durch die kommerzielle Veräußerung des Gebäudes Kettenhofweg 130 an das Immobilienunternehmen Franconofurt AG und der daraufhin vollzogenen Räumung wurde ein wichtiger Ort kritischen Denkens zerstört, was einen massiven Eingriff in die freie Auseinandersetzung mit Themen außerhalb des normierten universitären Wissenschaftsdiskurses darstellt.

 

.aber nicht die Ideen, die sie schufen

 

Neben der Solidarität, die wir in Leipzig mit der Besetzung ausdrücken wollen, kritisieren auch wir eine Kommerzialisierung des Campus (unter anderem durch Ansiedelung eines Uni-Merchandise-Shops oder der Vermietung universitärer Räume an Unternehmen), die Einschränkung kritischer Wissenschaft aufgrund neoliberaler Prinzipien an der Hochschule und die marktorientierte Bildung an der Universität. Ausdruck dieser Entwicklungen sind z.B. der starke Stellenabbau und Schließung ganzer Institute. Außerdem stellen wir uns gegen den zunehmenden Leistungsdruck, hervorgerufen durch die Anpassung an eine kapitalistische Verwertungslogik, der den Menschen an der Universität und außerhalb Zwänge auferlegt, die es ihnen unmöglich machen ihre Lebensweisen frei zu verwirklichen.

Wie auch das IvI fordern wir einen Ort, an dem unabhängiges Lernen und Lehren realisierbar ist. Zentral gelegen muss er uns und anderen einen Freiraum bieten, in dem ein respektvolles Miteinander existiert, ohne dabei einem Exklusivitätsanspruch zu unterliegen. Bildung ist und bleibt ein Luxusgut, weil es keinen freien Zugang zur Uni gibt und gab. Er soll einen Gegenentwurf zur Universität sein, ohne die Verbindung zur Uni zu verlieren, um kritisches Denken ins Innere der Stadt zu tragen und nicht in Randgebiete und Wohnviertel abdrängen zu lassen. Wir möchten uns ohne jegliche Institutionalisierung organisieren und deshalb haben wir uns die Räumlichkeiten genommen. Wir fordern einen Raum der den Rahmen bietet, frei von Diskriminierung jeglicher Art, z.B. Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Faschismus, Antisemitismus oder Homophobie, zu lernen und zu leben. Wir möchten allen eine Partizipation ermöglichen und einen Ort bieten an dem mensch über die alltäglichen Abhängigkeits- und Unterdrückungsverhältnisse reflektieren kann. 

 

INFOSTRUKTUR:

 

Twitter: @besetzung110 #UniLe110

Blog: Besetzung110.blogsport.de

Pressetelefon: 01573/6338650

Mail: Besetzung110@safe-mail.net

 

 

Kommt vorbei, bringt euch ein, nehmt euch Räume!

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Erklärung des Arbeitskreises Ideologiekritische Intervention zur Soli-Besetzung an der Uni Leipzig

Auch wenn uns das „Institut für vergleichende Irrelevanz“ nicht genauer bekannt ist und uns die Parole „Theorie*Praxis*Party“ gar noch befremdlicher erscheint als es schon die von „Theorie. Organisation. Praxis.“ tut, halten wir eine Besetzung von Uniräumen als Reaktion auf die Räumung in Frankfurt für triftig. Es gibt allerdings einige Gründe dafür, dass wir es auch beim besten Willen nicht fertigbringen, uns mit der Besetzung im Leipziger Seminargebäude solidarisch zu erklären.

Es ist es erstaunlich, mit welcher Reflexhaftigkeit hier jenes groteske Programm aufgefahren wird, das man von Aktionen „kritischer“ Studierender schon seit Jahren kennt. Allenthalben ist die Rede von „selbstverwaltetem“, „selbstbestimmtem“, „unabhängigem Lernen“, vermischt mit anarchistischer Freiraumrhetorik, antikommerzieller Schelte und antiautoritärem Gehabe. Vervollkommnet wird das Ganze durch das zwanghafte Bedürfnis, möglichst zügig in einen Gegen-Betrieb überzugehen und kulturell („Besetzerfilm“) wie politisch („Zur Analyse der Krise!“) eine Alternative anzubieten zum „normierten universitären Wissenschaftsdiskurs“, um sich damit letztlich ein wenig Aufmerksamkeit und Legitimation zu verschaffen. Auch in Leipzig kommt man dabei über ein Absondern von Binsenweisheiten und billigen Gemeinplätzen nicht hinaus. Mit den deplatzierten, hässlichen und identitären Transparenten, die die protesters hier aus den Fenstern hängen und auf denen sie ihre ohnmächtigen Allmachtsfantasien („squat the world“) und ihre bewusstlose cleverness („Kritisches Denken braucht Zeit und Raum“) zur Schau tragen, geben sie sich vorweg schon vollends der Lächerlichkeit preis.

Offenbar geht es hier vor allem um eines: Präsenz. Auf Facebook, Twitter und dem eigenen Blog, über die man seine substanzlosen Parolen sowie die langweiligen neusten Neuigkeiten und Beteiligungsangebote noch effektiver verbreiten kann, genauso wie in der örtlichen Schweinepresse, der man unverständlicherweise gutmütig Interviews gibt, um sich hinterher in den Artikeln der Journaille dumm machen zu lassen.

Wenn es bei diesen Besetzer_innen an die Inhalte geht, wird die Luft schnell dünn. An der Universität moniert werden „marktorientierte Bildung“ und „die Einschränkung kritischer Wissenschaft aufgrund neoliberaler Prinzipien“. Man ist gegen „Kürzungsmaßnahmen“, „Stellenkürzungen“, „Umstrukturierungen“ und die „Schließung ganzer Institute“, sorgt sich also – ohne einmal inhaltlich konkret zu werden – in erheblichem Maße um den Erhalt von Institutionen, die Teil des Problems sind. Dass mit dem Beschluss des neuen sächsischen Hochschulgesetzes im September 2012 Studiengebühren von 500 Euro pro Semester für alle eingeführt wurden, die die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester überschreiten oder mit der Möglichkeit des Austritts aus der verfassten Studierendenschaft studentischen Vertretungen, die sich bei allem stinkenden Konformismus doch durchaus zur Unterstützung radikaler Praxis gebrauchen lassen, potenziell die Legitimität entzogen ist, scheint keiner Erwähnung wert.

Stattdessen postuliert man die angebliche „Kommerzialisierung des Campus“, die in der „Ansiedlung eines Uni-Merchandise-Shops“, „der neben der Sparkasse bereits das zweite private und kommerzielle Unternehmen innerhalb des Campus darstellt“ sowie in „der Vermietung universitärer Räume an Unternehmen“ bestehe. Derartige Beschwerden sind typisch für Leute, deren Kritik stets beim Erstbesten stehenbleibt, was ihnen ins Auge springt: Sobald irgendwo „Bank“, „Unternehmen“ oder „Merchandise“ steht, ist der Feind ausgemacht und das passende Ressentiment („privat“, „kommerziell“) parat. Wer eine Kritik am Einfluss der Wirtschaft auf die Universität üben will, sollte sich stattdessen beispielsweise einmal damit beschäftigen, wer hier für welche Projekte die Drittmittel liefert.

Massiv beschwert wird sich, wie üblich, auch über den Charakter der universitären Bildungsveranstaltung, über „Verwertungslogik, elitäre Hierarchien und Leistungszwang“. Während noch in der relativ ahnungslosen Feststellung, dass das „einfach alles zum Kotzen“ ist, die Möglichkeit zur radikalen Kritik liegt, scheint sie bei den Besetzer_innen an der Uni Leipzig unter einem Müllhaufen emanzipatorischer Schlagwörter begraben zu liegen, die in geistloser Selbstverständlichkeit geradezu automatisch als Alternativen zum dürftigen Ist-Zustand ausgegeben werden. Was man sich als Gegenentwurf zur Uni wünscht, ist nichts als eine Enklave fader, gar repressiver Egalität, in der man sich jenseits der gesellschaftlichen Totalität wähnen kann. Gefordert werden „Freiräume“, in denen political correctness und „Respekt“ herrschen und in denen man sein mehr oder weniger großes Verlangen nach „kritischen Inhalten“ „selbstbestimmt“ und „selbstverwaltet“ befriedigen kann. Dass es „kritische Inhalte“ nicht gibt und Lernen etwas mit Fremdbestimmung und Autorität zu tun hat, ja beides gar erfordert, sehen diese Besetzer_innen offenbar nicht. Und indem sie sich und anderen die Schaffung jener „Freiräume“ auch noch als Anliegen der Universität einreden, an das man diese erinnern müsse, stellen sie sich abermals ein Armutszeugnis aus.

Schließlich stilisieren sie sich öffentlich zum Opfer, indem sie behaupten: „Um den bürokratischen und einschränkenden Richtlinien der Raumbeschaffung an der Universität zu entgehen, sind Besetzungen momentan der einzige Weg.“ Das ist reine Paranoia. Tatsächlich ist es an der Leipziger Universität kein Problem, Räumlichkeiten selbst für Veranstaltungen mit Referenten zu bekommen, für die an anderen Unis keine Räume herausgegeben werden. Beim Ausfüllen des Papierkrams hilft sicher gerne der „StudentInnenRat“. Die Aussage, dass die Besetzer_innen gar nicht anders könnten, ist vielmehr als Ausdruck dessen zu verstehen, dass sie eben nichts Besseres wissen, als einen Seminarraum zu besetzen und ihre üblichen Reflexe abzuspulen. Das hat mit einer sinnvollen Kritik der Verhältnisse nichts zu tun und ist sicher auch keine adäquate Reaktion auf die Räumung des „Instituts für vergleichende Irrelevanz“.

Solche Leute wie euch kann ich echt nicht ernst nehmen. Statt sich darüber zu freuen, dass sich einige Leute politische engagieren und vielleicht auch erst politisieren kommt von euch – nichts als theoretisches Rumgedisse. Aber was soll's, außer langen Kommentaren auf Indy hört man von euch ja sowieso nichts, am besten ignoriert man euch einfach. Die Ironie ist: ihr hättet viel besser ins „Institut für vergleichende Irrelevanz“ gepasst also die BesetzerInnen. Könnt ihr euch bitte ein bisschen beeilen mit dem bürgerlich werden?

Was man besser ignorieren sollte, das sind die dämlichen Kommentare jener bornierten Schwätzer, die jede noch so blöde Aktion irgendeiner Gruppe gegen Kritik immunisieren wollen, mit dem Argument, man solle sich doch freuen, dass sich da jemand engagiert und man sich ja womöglich erst politisiere. Denn - wir erwähnen es hier sicherheitshalber noch einmal - genau das kritisieren wir. Wir hoffen, dass es unter den Besetzer_innen an der Leipziger Uni Leute gibt, die das wenigstens im Ansatz verstehen und wir denken, dass diese Hoffnung nicht unbegründet ist.

Im Übrigen ist es unter aller Sau, Leuten, die eine ernsthafte und notwendige, radikale Kritik üben, die Affirmation bürgerlicher Ideologie vorzuwerfen. Dass das völlig aus der Luft gegriffener Blödsinn ist, merkst du hoffentlich selbst.

So lange das "politische Engagement" sich nur in den immer gleichen Bahnen bewegt, ist die hoch gelobte "Selbstbestimmtheit" doch höchst fraglich. Da hätte auch ein einfaches "Die IWI wurde geschloßen. Das finden wir doof, deshalb sind wir hier." ausgereicht. Die Formulierungen zeigen doch auf, dass hier nur flache Paraolen gedroschen werden. Alleine die Verwendung des Begriffs "Freiraum" mit dem obligatorischen Ausschluss der *ismen, wirkt als würde der Text aus dem Pamphlet-Generator für linke Bewegungsenthusiasten, zukünftige Sozialarbeiter oder Anwärter für Stellen im Issue-Management kommen. So passt die anfangläche Selbstdarstellung von Pluralität und Heterogenität genauso gut in das Förderprogramm des Diversity-Management kommunaler Einrichtungen. In der Realität blamiert sich "die Gruppe" jedoch selbst, wenn sich Clowns, Strickpullover,  eurozentrischtischen-weiß-männlichen Störaktionen mit Megaphonen und Elektro-Schrammelmusik in ein eintöniges Bild fügen. Die selbe Aktion mit der entsprechenden inhaltlichen Tiefe hätte ich bestimmt auch in Sims 3: Wildes Studentenleben betrachten können. Das wäre genauso irrelevant gewesen, hätte aber - das muss ich zugeben - nicht zu einem Blog, einer Facebook-Gruppe oder einen LVZ-Artikel geführt.

Diese Besetzung ist nichts als Spektakel. Hier ist ein Mob von Kindersoldaten der Zivilgesellschaft angetreten, um Teile der Uni in eine politaktivistische Gummizelle zu verwandeln und dabei mit bestechender Bewusstlosigkeit ein weiteres Mal zu bestätigen, was Horkheimer und Adorno schon in der Dialektik der Aufklärung festgestellt haben: Dass die Gedanken zur Ware und die Sprache zu deren Anpreisung geworden ist und dass vor allem diejenigen, die halbwegs erfolgreich durch die freiheitlich-demokratische Erziehungsmühle gedreht worden sind, eines auch nur im Ansatz widerständigen Audrucks kaum mehr fähig sind. Wann geht es endlich in den Schädel dieser Alternativen, dass man nicht kritisch und zugleich konstruktiv sein kann, dass Kritik sich nicht mit der Konkurrenzveranstaltung eines Meinungspluralismus verträgt, dass Progessivität und Radikalität nicht das selbe sind.

Das Problembewusstsein dieser infantilen, klebe-, plakatier- und schmierwütigen Jugendlichen geht offenbar gen Null. Sie wissen ja nicht einmal konkret, was sie gegenüber dem Rektorat mit dieser Besetzung erpressen wollen. Sie scheinen gar überhaupt nichts zu wissen und suhlen sich in grenzdebiler Heiterkeit in der Betriebsamkeit ihres frisch eingreichteten Habitats, in dem es schlimmer aussieht als in einem alternativen Jugendzentrum. Die Illusionen, die sie dabei hegen sind nicht weniger lächerlich als die anderer Freunde der Menschlichkeit. Man will mit dieser geistlosen Aktion nicht zuletzt "kritisches Denken ins Innere der Stadt zu tragen", wo man doch nicht einmal versteht, was das überhaupt ist.

Die spontanen Aktionen dieser Studentenrevoluzzer sind so vorhersehbar wie das Amen in der Kirche und treffen dabei nichts, auf das einmal zu schießen wäre. Der tolerante, verständnisvolle Souverän hat mit einem solchen unvermögenden Affentanz verständlicherweise kein großes Problem und ist nicht einmal genervt.

Leute, die nicht einmal mehr den Impuls zu haben scheinen, einfach alles scheiße zu finden und nicht mehr mitmachen zu wollen, sondern sofort die ihnen scheinbar einprogrammierten Wege linksreformistischer Kampagnenpolitik einschlagen und dabei auch noch ihre ekelhafte Sozial- und Medienkompetenz versprühen, verdienen keine Solidarität. Und Verständnis kann man ihnen auch nicht entegenbringen, denn das ist nicht zu verstehen.