Ludwigsburg-Connection

Erstveröffentlicht: 
24.04.2013

Baden-Württemberg ist der weißeste Fleck im NSU-Ausschuss. Das sagte der grüne Obmann Wolfgang Wieland vor Sitzungsbeginn. Sein FDP-Kollege Hartfried Wolff drückte es so aus: "Beim Mord in Heilbronn sind wir seit dem 4. November 2011 keinen Schritt weiter." Doch auch nach der Sitzung am 18. April, die sich mit den NSU-Verbindungen nach Baden-Württemberg beschäftigte, bleiben mehr Fragen als Antworten. 

 

Der Untersuchungsausschuss des Bundestags ließ sich am Morgen des 18. April von der Bundesanwaltschaft, dem Bundes- und dem Landeskriminalamt in Stuttgart über den Stand der Ermittlungen in Baden-Württemberg informieren. Konkret: über Personen, die Kontakt zur NSU-Gruppierung hatten, sowie über den deutschen Ku-Klux-Klan-Ableger (KKK) mit Sitz in Schwäbisch Hall. Obmann Wolfgang Wieland nennt das Ergebnis "sehr unbefriedigend". Für Irritationen sorgt die SPD-Abgeordnete Eva Högl, die behauptet, man könne ausschließen, dass KKK-Mitglieder etwas mit dem Mord in Heilbronn zu tun gehabt hätten. Högl erntet teils heftigen Widerspruch ihrer Kollegen. CDU-Mann Clemens Binninger entgegnet, ausschließen könne man gar nichts. Eine derartige Differenz hat man zwischen den ansonsten regelrecht verschworenen Obleuten lange nicht mehr erlebt. Immerhin wird klar: Die Version von Högl ist die von BKA und Bundesanwaltschaft.

 

Die morgendliche Sitzung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Begründung überrascht: Es gehe um Ermittlungen nach dem November 2011, der Untersuchungsauftrag des Ausschusses erstrecke sich aber nur bis zum November 2011. Eine solche Einschränkung ist neu. Seit einem Jahr deckt der Ausschuss wiederholt Vertuschungen der Behörden seit November 2011 auf. Soll er jetzt an die Leine gelegt werden? Auch, weil er den Prozess in München durch seine Arbeit "stören" könnte? Denn: Hier in Berlin wird gerade aufgeklärt, während dort in München so getan wird, als kenne man die Täter und die Mordumstände.

 

Trotz weißer Flecken – das Bild wird klarer. Der Ausschuss kennt mittlerweile Verbindungen zwischen der rechtsextremen Szene Ostdeutschlands und Baden-Württemberg. Da ist der Neonazi Markus Friedel, der zusammen mit Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Jena an einer Kreuzverbrennung in KKK-Manier teilnahm. Friedel zog nach Heilbronn, wo er sich weiter neonazistisch betätigte. Da ist Andreas Graupner, ein Vertrauter des Trios, der 2001 seinen Wohnsitz von Chemnitz nach Ludwigsburg verlegte und in der Rechtsrock-Band Noie Werte mitspielte. Die NSU-Mord-DVDs sind mit Musik der Gruppe unterlegt.

 

Auf der bekannten Adressliste von Uwe Mundlos finden sich mehrere Namen aus Ludwigsburg. Mehrmals reisten die Rechtsextremisten Torsten Schau und Jan Werner aus Chemnitz an, die zum NSU-Umfeld zählten. Auch die drei Gesuchten tauchten in der Stadt auf, noch nach den ersten Morden.

 

Und dann hielt sich in Ludwigsburg noch eine besondere Person auf: Thomas Starke, ebenfalls Kontaktmann zum Trio und spätestens ab 2000 Informant des Landeskriminalamts Berlin. Was Starke, die "V-Person 562", alles berichtete, ist nicht ganz klar. Auch in Berlin wurden Polizeiakten in den Reißwolf gesteckt. Der VP-Führer wurde im Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt. Eine Information Starkes vom August 2003 verweist auf einen Ludwigsburger, der mit Waffen handelte. In einem Brief an Starke schwärmte Mundlos von einem Waffenladen in Ludwigsburg. Insgesamt eine regelrechte "Ludwigsburg-Connection", so der Ausschuss.

 

NSU-Bericht wurde auf Weisung von oben vernichtet


In dieses Geflecht könnte die Geschichte passen, die der baden-württembergische Ex-Verfassungsschützer Günter Stengel im vergangenen Jahr zu Protokoll gab. Ein Informant berichtete ihm 2003 von einer gewalttätigen rechtsradikalen Gruppe in Ostdeutschland namens NSU, die Beziehungen nach Heilbronn hatte. Sie umfasste mindestens fünf Leute, einer hieß Mundlos. Stengel musste, wie er im September 2012 vor dem Untersuchungsausschuss erklärte, seinen Bericht damals auf Weisung von oben vernichten. Stengels Schilderung wurde von der Bundesanwaltschaft für unglaubwürdig erklärt, der Mann in der Presse abqualifiziert. Der SWR nennt die Geschichte bis heute auf seiner Webseite "Mumpitz". Jetzt erfährt man weitere Einzelheiten. Zeuge ist niemand Geringeres als Stengels früherer Chef, der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) von 1995 bis 2005, Helmut Rannacher.

 

Der bisher als "Stauffenberg" bekannte Informant, so Rannacher, war einmal V-Mann des LfV in Stuttgart, sein Deckname: "Erbse". Er wurde dem Landesamt von der Polizei angedient. "Erbse" sei ein interessanter Informant gewesen, so Rannacher, aber, weil er immer wieder eigene Aktionen startete, nicht führbar. Man habe die Zusammenarbeit nach vier Monaten abgebrochen, in Absprache mit dem LKA. Trotzdem habe der Mann immer wieder Kontakt zum LfV gesucht. So auch im Sommer 2003. Weil er angab, auch etwas über den israelischen Geheimdienst Mossad zu wissen (hinzugefügt sei: nicht im Zusammenhang mit dem NSU), habe man jemanden von der Abteilung Spionage zu ihm geschickt. Das war Günter Stengel.

 

In der Sitzung am 18. April bezeichnet Rannacher Stengel als "qualifizierten und erfahrenen Beamten". "Stauffenberg/Erbse" erneut zu treffen, auch im Wissen um dessen problematische V-Mann-Vergangenheit, war jedenfalls die Entscheidung der Amtsleitung gewesen. Offensichtlich nahm das LfV dessen Hinweise ernst. Umso fragwürdiger erscheint, warum die Spitzenkraft Stengel ihren Bericht vernichten sollte. An diesem Punkt weicht Rannachers Version von der Stengels ab. Berichte einfach so zu vernichten entspreche nicht "unserer Gepflogenheit", sagt er. "Aber", schließt der frühere VS-Präsident an, "ich kann auch nicht sagen: Das gab's nicht." Fakt ist: Ein schriftlicher Bericht findet sich im Amt nicht. Und warum wird Stengel heute aus dem Sicherheitsapparat heraus schlechtgemacht?

 

Thema Ku-Klux-Klan. Klan-Gründer Achim Schmidt war, das ist unstrittig, ein V-Mann des LfV Baden-Württemberg. Laut Helmut Rannacher von 1994 bis 2000, eingesetzt im Bereich NPD, Skinheadmusik. Er sei aber im Oktober 2000 abgeschaltet worden, eben weil er den KKK gegründet habe. Diese Gründung habe das Amt nicht gewollt. Obendrein hätten sie Schmidt bei einer Lüge ertappt. Er habe abgestritten, der Gründer zu sein.

 

Von nun an werden Rannachers Auskünfte im Ausschuss dünner. Wie viele Polizeibeamte machten beim KKK mit? Zwei waren feste Mitglieder. Das ist nachgewiesen und bekannt: Jörg W. und Timo H. Sie kamen aus der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) in Böblingen, zu der ab 2005 auch die in Heilbronn getötete Michèle Kiesewetter und der Schwerverletzte Martin A. gehörten. Die Abgeordneten wissen aus den Akten von mindestens drei weiteren Beamten, die Kontakt zum KKK hatten, darunter eine Polizistin. Und entgegen der offiziellen Version, der rassistische Geheimbund habe sich 2003 aufgelöst, soll er noch bis mindestens Oktober 2004 aktiv gewesen sein.

 

Neben dem LfV in Stuttgart hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Quelle im KKK: jener Thomas Richter, Deckname "Corelli", der auch in Kontakt zu Uwe Mundlos stand. Der Geheimbund eine Gründung des Geheimdiensts? Wurde die LfV-Quelle Schmidt tatsächlich abgeschaltet? Der LfV-Präsident a. D. muss jedenfalls einräumen, dass es Jahre später mindestens zwei Gespräche des Verfassungsschutzes mit Schmidt gab. Dabei soll es um die Absicherung des V-Mannes "Corelli" gegangen sein. 

 

Vieles bleibt auch in dieser Ausschusssitzung unklar. Wie konnte es sein, dass sich Schmidt, als er V-Mann war, in den USA mit KKK-Aktivisten traf, ohne dass das LfV davon erfahren haben will? Die Antworten des einstigen Amtsleiters überzeugen immer weniger: "Was soll man machen, wenn er sagt, er fahre in die USA in Urlaub?" 

 

"Gefährderansprachen" an Polizeikollegen gab es nicht


Der deutsche Ku-Klux-Klan soll sich aufgelöst haben, nachdem das BfV und mehrere Landesämter im Jahr 2002 gegenüber den Mitgliedern sogenannte Gefährderansprachen vornahmen, sprich: Einschüchterungen. Seltsam allerdings, dass die Polizeibeamten im KKK davon ausgenommen wurden. 

 

Für Clemens Binninger, den CDU-Obmann, ist die ganze Sache "dubios". Der gelernte Kriminalbeamte macht eine Bemerkung, die mit einem Schlag die Tür zum unaufgeklärten Hintergrund des NSU-Mordkomplexes weit aufstößt: Der KKK komme ihm vor wie ein "Testballon", sprich: ein Projekt der Sicherheitsbehörden. Vielleicht habe man geschaut, wie weit man mit dieser Gruppierung komme und dann die Luft wieder rausgelassen, mutmaßt er. "Testballon"? Vielleicht auch eine Blaupause für den NSU?

 

Bettina Neumann, 51, war im LfV Baden-Württemberg 18 Jahre lang Leiterin des Referates "Rechtsextremismus", von 1993 bis 2011. Alle wichtigen Informationen seien über ihren Schreibtisch gegangen, erklärt sie zu Beginn. Doch ihr Auftritt vor dem Ausschuss lässt sich anders zusammenfassen: Allgemein weiß sie alles – konkret nichts. Die heutige Oberregierungsrätin, inzwischen tätig beim BfV in Köln, schafft es wiederholt, in einem Satz sich widersprechende Aussagen unterzubringen. Etwa: "Baden-Württemberg war nie die Hochburg des Rechtextremismus – aber es war natürlich auch nicht so, dass es keinen gab."

 

Bei der Befragung von Bettina Neumann kommt es zu einer Szene, die weitere Fragen aufwirft. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy will wissen, ob V-Leute auch in anderen Bundesländern eingesetzt werden, und fragt dann unvermittelt nach der Karlsruher Rechtsanwältin Nicole Schneiders, der Verteidigerin des in München Angeklagten Ralf Wohlleben. Schneiders, Geburtsname Schäfer, stammt aus dem hohenlohischen Öhringen nahe Schwäbisch Hall und war während ihres Studiums in Jena zusammen mit Wohlleben in der NPD aktiv.

 

Sebastian Edathy, SPD: "Kann eine V-Person in Baden-Württemberg wohnen und in einem anderen Bundesland Aufträge erfüllen?"

Bettina Neumann, ehemals LfV Baden-Württemberg, heute BfV: "Quellen des LfV haben sich auch in anderen Bundesländern bewegt."

Edathy: "Kennen Sie Nicole Schneiders?"

Neumann: "Ja."

Edathy: "In welchem Zusammenhang?"

Neumann dreht sich zu den hinter ihr sitzenden Vertretern des Landes Baden-Württemberg um.

Neumann: "Ich muss erst in die Runde gucken."

Clemens Binninger, CDU: "Die Herren greifen schon von alleine ein."

Edathy: "Frau Neumann, hoffen Sie, gebremst zu werden?"

Matthias Fahrner, Innenministerium Baden-Württemberg: "Wenn Sie Bedenken haben, Frau Neumann, machen Sie das deutlich. Dann können Sie die Frage in nicht öffentlicher Sitzung beantworten."

Neumann: "Vielleicht reicht ja eine allgemeine Aussage."

Edathy: "Aus welchem Kontext kennen Sie Frau Schneiders?"

Neumann: "Sie hatte Szenekontakte in Rastatt und Karlsruhe. Hat in der Szene Mandate übernommen. In Jena war sie NPD-Mitglied. Was sie konkret gemacht hat, weiß ich nicht."

Edathy: "Wir hatten eigentlich das Land Baden-Württemberg gebeten, uns zu unterstützen."

 

Warum thematisiert Edathy die Anwältin von Wohlleben? Wir fragen ihn am Ende der Sitzung. Er wolle allen Hinweisen nachgehen, erklärt Edathy knapp. Wir wollen es genau wissen: Gehören dazu auch Hinweise, dass Frau Schneiders möglicherweise V-Frau des LfV war? Edathy antwortet nicht, lächelt und geht. Man muss wissen, dass Ralf Wohlleben möglicherweise selber V-Mann des Verfassungsschutzes war. Ein amtierender Bundesanwalt sah den Namen Wohlleben im Jahr 2003 auf einer Liste des BfV über V-Leute in NPD-Vorständen (Kontext berichtete).

 

Die Widerstände, mit denen dieser Untersuchungsausschuss zu kämpfen hat, sind manchmal fast körperlich zu greifen. Ein leibhaftiges Beispiel liefert Angelika Baumert, 57, Erste Kriminalhauptkommissarin im BKA, wo sie auch in die aktuell weiterhin laufenden Ermittlungen zum NSU-Trio involviert ist. 2007 wurden bei einer Razzia gegen den Neonazi Thorsten Heise Tonkassetten sichergestellt, auf denen unter anderem ein Gespräch Heises mit dem Neonazi und V-Mann Tino Brandt zu hören ist. Brandt spricht über das mit Haftbefehl gesuchte Jena-Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe.

 

Eineinhalb Jahre lang wurden diese Bänder im BKA nicht ausgewertet, sprich: abgehört und verschriftet. Und dass es sie gibt, weiß der Ausschuss nicht etwa durch die Ermittler, sondern durch eigene Recherchen in den Akten. Eineinhalb Stunden lang bleibt die ranghohe BKA-Vertreterin nun nahezu jede konkrete Antwort schuldig, warum und wieso. Man meint, sie habe keine Ahnung von ihrem Job. Sie antwortet kleinlaut, wie ein hilfloses Schulmädchen. Doch sie spielt eine Rolle. Das wird klar, als sie den Sitzungssaal verlassen hat – eine laut und fröhlich lachende Kriminalkommissarin.