Wie entehrt man Nazi-Ehrenbürger?

Erstveröffentlicht: 
30.03.2013

Noch immer stehen die beiden überzeugten Nationalsozialisten Wilhelm Murr und Christian Mergenthaler auf der Liste der Ehrenbürger der Stadt Kirchheim. Das halten der Kreisverband Esslingen des VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) und die Kirchheimer Ortsgruppen des DGB und der IG Metall für falsch.

 

Gesa von Leesen

Kirchheim. Im Keller der Linde versammelten sich rund 30 Kirchheimer, um von dem pensionierten Gymnasiallehrer Bernhard Völker Näheres über Mergenthaler zu erfahren. Völker hat für das 2009 erschienene Buch „Stuttgarter NS-Täter“ von Herrmann G. Abmayr das Kapitel über Mergenthaler verfasst. Der kurze Text legt dar, dass Mergenthaler ein Nazi der ersten Stunde war: Der gebürtige Waiblinger trat 1920 in die NSDAP ein, übernahm 1933 das Amt des „Kultministers“. Der Studienrat fiel durch fanatische Reden auf, organisierte ein effektives Spitzelwesen im Schuldienst, entfernte renitente Lehrer. Nach dem Krieg wurde er 1948 als „Hauptschuldiger“ eingestuft und starb 1980 in Bad Dürrheim. Der Esslinger Wilhelm Murr, der 1922 in die NSDAP eintrat, wurde unter Hitler Reichsstatthalter von Württemberg, galt als engstirnig-fanatisch, arbeitete konsequent gegen die Kirchen. Kurz nach Kriegsende tötete er sich mit einer Giftkapsel. Mergenthaler und Murr waren keine aktiven Mörder, sondern überzeugte Parteigänger und Erfüllungsgehilfen der nationalsozialistischen Ideologie.

 

Dass sie sich auf einer Ehrenbürgerliste finden, ist nichts Besonderes: Viele deutsche Städte haben sich nach der Machtübernahme durch die NSDAP beeilt, hochrangige Vertreter des Systems zu ehren. Am 1. Mai 1933 verlieh der Gemeinderat von Kirchheim die Ehrenbürgerwürde also an Christian Mergenthaler und Wilhelm Murr. Das fiel auch nach Kriegsende lange niemandem auf, erst 2007 kam das Thema auf die politische Tagesordnung. Der Gemeinderat aber konnte sich damals nicht durchringen, die Ehrenbürgerwürde formal abzuerkennen. Er folgte der Verwaltung, die meinte, mit dem Tod der betreffenden Person sei die Ehrenbürgerwürde sowieso hinfällig. Die Stadträte entschlossen sich am 12.12. 2007 zu erklären: „Die Ehrenbürgerwürde wurde während der Zeit des Nationalsozialismus verliehen. Die Verleihung würde aus heutiger Sicht nicht mehr erfolgen.“

 

Für den Kreisvorsitzenden des VVN Esslingen, Thomas Trüten, ist diese Formulierung ein ziemlicher Unsinn. „Alles andere wäre ja wohl auch unglaublich!“ Bei der Aberkennung der Ehrenbürgerwürde von Nazis gehe es nicht um Juristerei, sondern um Politik. Damit rannte er bei den Zuhörern offene Türen ein. Statt des merkwürdigen jetzigen Zusatzes sollte hinter den Namen einfach nur stehen „posthum aberkannt“, schlug eine Zuhörerin vor. „Streichen soll man die Namen nicht. Das gehört zur Geschichte von Kirchheim.“

 

Auf Kritik stieß, dass mit Gerwin Harand (SPD) und Eva Frohnmeyer-Carey (Frauenliste) nur zwei Stadträte zu der Diskussion gekommen waren, obwohl man alle eingeladen hatte. Das sei bezeichnend, befand Elmar Brummer von der IG Metall. Offenbar entzögen sich die meisten Volksvertreter der Diskussion. Harand erklärte, die Situation sei verfahren: „Man spricht nicht miteinander, sondern übereinander. Das ist ein blöder Zustand.“ Was also tun? Trüten stellte eine Unterschriftenliste vor, mit der man die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft für die beiden besagten NSDAP-Funktionäre fordere. „Wenn wir genügend Unterschriften zusammen haben, übergeben wir die Listen der Oberbürgermeisterin.“ Brummer plädierte dafür, alle Stadträte persönlich anzuschreiben und zur Stellungnahme aufzufordern. „Schließlich sind nächstes Jahr Kommunalwahlen.“ So lange mag Frohnmeyer-Carey nicht warten. Sie will in ihrer Fraktion besprechen, wie die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde wieder in den Gemeinderat gebracht werden kann.

 

Am Ende einer etwas zerfaserten Debatte, die mancher nutzte, um mal grundlegend zu erklären, was er vom Nationalsozialismus hält, meldeten sich Vertreter des Offenen Antifaschistischen Bündnisses Kirchheim zu Wort. Die beiden jungen Männer erklärten, die Ehrenbürger-Debatte sei zwar wichtig, aber es gebe auch aktuelle Probleme mit Nazis. Anlässlich des demnächst beginnenden Prozesses gegen das NSU-Mitglied Beate Zschäpe werde am 6. April um 10 Uhr eine Kundgebung in Kirchheim (entweder vor dem Rathaus oder auf dem Marktplatz) stattfinden. „Wir wollen auf die rassistischen Ermittlungsmethoden und die Verstrickungen der Geheimdienste aufmerksam machen“, so einer der jungen Männer. „Da sollte man auch aktiv werden.“